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Restaurantkritik 29.Juni 2018

Conte kann's!

Eigentlich wollten wir gar nicht hier sein, an diesem Tisch, in diesem Restaurant. Für unseren Trip in die französischen Alpen hatten wir 4 Tage eingeplant, mit einem straffen Programm aus längeren Autofahrten, ausgiebigen Abendessen und durchfeierten Nächten. Ein Besuch bei Marc Veyrat war zugunsten des Clos des Sens schon von der Liste gestrichen – sicher eine gute Idee. Und auch für Veyrats einstigen Meisterschüler Yoann Conte hatten wir eigentlich gar keine Zeit. Aber dann kam der Hunger.

Es war der Mittag vor unserem Dinner im Clos des Sens. Wir hatten das Hotelfrühstück natürlich verpasst und wollten nun eine Kleinigkeit zu uns nehmen, gefolgt von einem Spaziergang am See für die älteren Herrenunter uns. Aber nach ein paar vergeblichen Reservierungsversuchen in Bib-Gourmand-Restaurants fragten wir uns: Warum eigentlich nicht ein kleines Mittagsmenü bei Yoann Conte? Immerhin böte das auch die Chance, in einem legendären Haus einzukehren – denn Conte übernahm 2010 die Lokalität seines langjährigen Chefs Marc Veyrat in Veyrier-du-Lac, direkt am Ufer des Lac d'Annecy. Veyrat hatte dort drei Sterne und sagenhafte 20 Punkte erkocht. Conte hält mit seinem Team immerhin zwei Sterne und 17 Punkte. Ein Fünf-Gang-Mittagsmenü gibt es für 98 Euro. Also nix wie angerufen, um kurz vor zwölf – und siehe da: Es gibt noch einen Tisch. "Vous avez de la chance, Monsieur!"

Das Restaurant selbst sieht noch fast genauso aus wie zu Veyrats Zeiten: mit viel rohem Holz und rustikalem Gebälk, aber trotzdem elegant. Dieser Chalet-Stil würde woanders heillos verkitscht wirken. Uns erinnert er ein bisschen an eine Puppenstube. Durchaus speziell, aber hat was. Und tatsächlich haben wir den vorletzten freien Tisch ergattert. Die Stimmung ist angenehm unverkrampft, obwohl der Service durchaus formell agiert.

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Zu Beginn gibt es eine Apéro-Trilogie: Eine Teigtasche mit Füllung von Potée savoyarde (ein regionaler Eintopf), ein Leinsamen-Tartelette sowie ein krosser Buchweizen-Crêpe mit Kräutern und Pormonier (eine lokale Kräuterwurst). Das ist vom Ansatz her alles rustikal, aber in der Umsetzung erstaunlich fein und aromatisch austariert. Insbesondere das zarte und doch kernige Tartelette und der filigrane Crêpe mit der saftigen Wurst gefallen uns sehr gut.

Als Amuse gibt es eine Terrine von gebeiztem Felchen und Kartoffel. Von der Menge her ist das fast schon eine kleine Vorspeise – was wir als Kompliment verstanden wissen wollen, denn die puristisch anmutende Kreation besticht durch Leichtigkeit und einen klaren, sehr reinen Geschmack. Dünne Kartoffelscheiben sorgen für etwas Substanz und Biss. Ein Hauch Zitrone sowie das Kräuterpüree (u.a. von wildem Sellerie) fächern die Aromenpalette auf und bringen Frische ins Spiel. "Wiese und See", wenn man so will. Ausgezeichnet.

Das Menü wird von einem Signature Dish des Hauses eröffnet, nämlich der Deklination von Karotten. Im Detail heißt das: confierte Scheiben auf Lauch-Frischkäse-Ragout, roh marinierte Röllchen, Püree mit Orange, salziges Karamell, Brunoises und feinherbes Sorbet. Ja, in der Kleinteiligkeit und durch den schwarzen Teller sieht diese Kreation nach den frühen 2010er-Jahren aus – aber mon dieu, schmeckt das gut! Wir hätten uns nicht träumen lassen, dass man aus einer Karotte so viel herausholen kann. Durch die verschiedenen (perfekten!) Garungen und Texturen, durch das Spiel mit Süße, Säure und Salzigkeit tut sich hier ein ganzer Kosmos an Aromen auf - anhand eines einzigen Produkts! Die Menge auf unseren Gabeln wird immer kleiner, weil wir nicht möchten, dass dieser Genuss zu Ende geht. Das ist eine der besten Produktvariationen, die wir je hatten – zu Recht ein Klassiker und für uns eine lupenreine Götterspeise!

Weiter geht's mit bretonischen Jakobsmuscheln von der Küste vor Armorique mit Spitzkohl, confiertem und gegrilltem Topinambur und Gewürzmischung "Retour des Indes". Das schmeckt gut, ja, insbesondere die Kombination von röstig-süßlichem Topinambur und Spitzkohl gefällt uns. Aber durch die indisch angehauchte Gewürzmischung (aus der Manufaktur von Olivier Roellinger) wird das Ganze schnell etwas zu gefällig-exotisch. Was irgendwie nicht recht an diesen Ort passt. Auch die Qualität der Muscheln kann uns nicht überzeugen, sie sind auffallend klein und zu weich.

Dafür wird es im Hauptgang wieder regionaler, bei der confierten Kalbshaxe mit "Trompe-l'œil" von Totentrompeten. Sieht rustikal aus? Ist es auch! Und es schmeckt köstlich. Was in Deutschlands Spitzengastronomie immer wieder diskutiert, aber kaum umgesetzt wird, kommt hier selbstbewusst auf den Teller: traditionelle Küche in meisterhafter Umsetzung. Das Kalbfleisch ist unheimlich mürbe, hocharomatisch und in eine ebensolche Sauce gehüllt. Dazu gibt es Totentrompeten – oder nein, nicht ganz, denn beim Probieren merken wir, dass es sich in Wahrheit um mit Totentrompeten aromatisierte Nudeln handelt. Sie sind bissfest und enorm aromatisch, das Getreidige vom Nudelmehl und das Erdige von den Pilzen verbinden sich zu einem tiefen, dunklen Geschmack. Die Nudeln sitzen in einem dichten Jus von Totentrompeten, dessen Reste wir am Ende lüstern mit etwas Brot aufwischen. Dieses Gericht wird vermutlich nur im preiswerten Mittagsmenü serviert, aber auf seine Weise (und gerahmt durch filigranere Speisen) funktioniert es bestens.

Den turmartigen Wagen mit Käse aus der Region von Jacques & Marc Dubouloz lassen wir heute an uns vorüberziehen. Aber eine Schau ist er allemal – man beachte die Parade der Opinel-Messer!

Das erste Dessert besteht aus geeister Ananas und Koriander. Auf einem luftig-leichten Ananas-Parfait liegen mit Limette marinierte Ananasstücke und winzige Ananas-Baisers, dazu Créme und Schaum von Korianderkraut. Der intensive, süß-säuerliche Geschmack von Ananas passt prima zum sehr speziellen, zwischen Moschus und Zitrus changierenden Aroma des Korianders. Extrem erfrischend, in seiner Exotik spannend, wenn auch nicht sehr savoyardisch. Aber bei einem Dessert fällt das nicht so stark ins Gewicht, wie bei der Jakobsmuschel. Und es schmeckt einfach sehr gut.

Das zweite Dessert ist eine Kombination von Dulcey-Schokolade mit Baileys-Eiscrème. Klingt langweilig? Schmeckt sensationell! Wir sind selbst überrascht, mit welcher Wonne wir uns über diese nachgerade altmodische Süßspeise hermachen. Eines der Röllchen aus exzellent gearbeiteter Dulcey-Mousse ist in ein superdünnes und ultrakrosses Teigröhrchen gehüllt – allein dieses exakt austarierte Texturspiel macht Freude. Dazu hauchdünne Schokotäfelchen und karamellisierte Haselnüsse (Erdnuss für den Allergiker). Der Clou ist aber das sensationelle, alkoholisch-süße Baileys-Eis, das fast den Charakter einer eiskalten Sauce hat. Alles zusammen ist Pâtisseriekunst in Vollendung. Sogar der Dessert-Skeptiker unter uns lässt keinen Krümel dieser Beinah-Götterspeise übrig.

Zum Kaffee wird abermals ein mehrgeschossiger Wagen mit Mignardises angerollt ...

... von dem wir uns auch ein paar Teilchen gönnen. Den (sehr trockenen) Savoyer Biskuitkuchen im Hintergrund bekommt übrigens jeder Gast als Abschiedsgeschenk zum Mitnehmen.

Unverhofft kommt oft – was hätten wir verpasst, wenn wir diesen Mittag woanders verbracht hätten! Yoann Conte beeindruckte uns mit einer souveränen Meisterküche, die scheinbar mühelos Rustikales und Filigranes in Einklang bringt. In dieser Hinsicht erinnerte der Stil uns an die Küche im La Bouitte, die ähnlich süffig, aber noch regionaler geprägt ist. Der unnötige exotische Einschlag bei den Jakobsmuscheln ist denn auch unser einziger echter Kritikpunkt, denn die Curryaromatik wirkte im Kontext der anderen würzigen Gänge wie ein Fremdkörper und schmeckte auch für sich genommen wenig spannend.

Schwer begeistert waren wir dagegen von der millimetergenauen Feinarbeit bei der Karottenvariation und dem Schoko-Dessert. Das hatte nichts von Strebertellern, denn alles ergab Sinn, jedes Detail musste genau so sein. Und zwei Götterspeisen in fünf Gängen muss Conte erstmal jemand nachmachen. Dazu dann die regionalen Einschläge bei den Amuses und die selbstbewusste Rustikalität beim Hauptgang – fertig ist ein Mittagessen, das viel Freude macht. Das nächste Mal dann das volle Programm ...

Fazit

Yoann Conte überrascht uns mit einer Küche, die durch exzellentes Handwerk und köstliche Geschmacksbilder besticht. Das Mittagsmenü machte uns große Lust auf mehr ...

Text: Kai Mihm

Wein

2015 Viré Clessé Vieilles Vignes von Jean-Marie Chaland, Domaine Sainte Barbe, Maconnais 

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