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Restaurantkritik  2.Mai 2018

Kaiseki in Sonoma

Keine Frage, das Single Thread Farms im Sonoma-County war in den USA die wohl meistbeachtete Fine-Dining-Neueröffnung der letzten Jahre. Von Luxus- und Lifestyle-Magazinen bis zu klassischen Blättern wie dem Wall Street Journal gab es kaum eine Publikation, die nicht über das Restaurant berichtete. Das Ding ist aber auch spektakulär: Ein großes Eckgebäude im malerischen Weinstädtchen Healdsburg wurde fast komplett abgerissen, neu aufgebaut und den Bedürfnissen eines Spitzenrestaurants angepasst (die namengebende Farm befindet sich außerhalb des Ortes). Glaubt man dem Image-Video, wurden dabei keine halben Sachen gemacht. Von den handgefertigten Wandfliesen bis zu den eigens gestalteten Sitzmöbeln ist alles vom Allerfeinsten. Wir lasen von Investitionen im höheren zweistelligen Millionenbereich, zusammengetragen von einer ganzen Gruppe von Sponsoren. Solche Geschichten gibt es wohl nur in Amerika (und China oder der arabischen Welt).

Jetzt aber ist es erstmal heiß, brütend heiß, als wir aus San Francisco in Richtung Wine Country aufbrechen. In den Wochen zuvor wurden die Weinregionen Napa und Sonoma von den schwersten Waldbränden seit Jahrzehnten heimgesucht. Dutzende Menschen waren ums Leben gekommen, ganze Stadtviertel von den Flammen zerstört. Und wir wollen nun in das Krisengebiet reisen, um ein luxuriöses Menü zu genießen? Eine makabre Vorstellung. Bis zum Schluss haderten wir mit dem Gedanken. Tatsächlich aber sahen die Einheimischen es wesentlich cooler als wir: Die Gegend brauche gerade jetzt zahlungskräftige Besucher und Touristen. So hörten wir es von allen Seiten. Amerikanischer Pragmatismus, aber im Grunde keine schlechte Einstellung.

Viel bekommen wir von den Brandschäden auf der Fahrt nicht mit. Auch unser Zielort Healdsburg wurde komplett verschont. Die Stimmung in den Läden und Cafés ist denn auch überraschend gut. Natürlich, so erzählt man uns, kenne jeder jemanden, der durch das Feuer sein Haus oder gar sein Leben verloren habe. Aber auch hier eine klare Haltung: Mit einem Ausbleiben der Touristen würden am Ende noch mehr Existenzen gefährdet. Der Optimismus steckt uns an. Bester Laune, neugierig und ein wenig aufgeregt spazieren wir zum Restaurant, das nur einen Block vom idyllischen Hauptplatz entfernt liegt. Das Gebäude sieht edel und ein bisschen nostalgisch aus, fast wie aus einem Western.

Die Begrüßung ist herzlich, und wir werden im kleinen Empfangsraum zunächst zu einer Art Durchreiche geführt, die den Blick in die Küche freigibt. Ein Koch reicht uns ein erfrischendes Getränk, und wir können das konzentrierte Treiben an den diversen Stationen beobachten. Dann treffen die nächsten Gäste ein, und es wird etwas eng an der Durchreiche. Wir wissen nicht, ob wir noch auf etwas Weiteres aus der Küche warten sollen; es kommt aber auch niemand, der uns an den Tisch bittet. Nach ein paar Minuten der Verunsicherung gehen wir einfach selbst Richtung Gastraum - und werden prompt von einer Mitarbeiterin abgefangen und begleitet. Einmal mehr zeigt sich hier, dass solche Stationen in der Theorie sehr schön sind, in der Praxis aber fast nie wirklich entspannt und stimmig ablaufen.

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Auf dem Tisch wartet bereits ein aufwändig drapierter Reigen an Apéros und Amuses. "Herbst in Sonoma" lautet das Motto, wobei wir den Eindruck haben, die Selektion aus Online-Berichten aus dem Spätsommer schon zu kennen. Wie dem auch sei, wir fühlen uns fast überfordert von der unüberschaubaren Zahl an Tellerchen, Töpfchen und Schälchen. Wir wissen kaum, wo wir anfangen sollen. Es würde denn auch zu weit führen, hier jede der Petitessen aufzuzählen. Es gibt unter anderem rohe, in Pflaumenkonzentrat marinierte Makrele von exzellenter Qualität, köstlichen wilden Brokkoli mit Sesam, eine süßsäuerlich eingelegte Kumamoto-Auster mit frischem Wasabi sowie ein Stück hervorragenden Kampachi mit Kiwi.

Das ist ja wirklich alles sehr gut bis hervorragend, insbesondere die Fischqualitäten würden so manchen Sushi-Meister neidisch machen. Aber wir finden die Präsentationsform, so eindrucksvoll sie im ersten Moment auch ist, nicht wirklich glücklich. Abgesehen von dem Gefühl, gleich zu Beginn des Abends regelrecht erschlagen zu werden, verschwimmen durch die Anhäufung die Geschmackseindrücke. Im Grunde wäre jede dieser wirklich tollen Miniaturen es wert, einzeln präsentiert und zelebriert zu werden.

Oder im Dreierpack, wie die warmen Amuses, die nach wenigen Minuten nachgeschickt werden: Das Ei von der eigenen Farm mit Chawanmushi, Spinatpüree, geräuchterter Sabayon und Kaviar ist ein herrlich süffiges Auslöffelgericht, bei dem uns nur die Räuchernote ein bisschen zu dominant ausfällt. Im Silberschälchen ein wahnsinnig leichter, flaumiger, köstlicher Kartoffelschaum mit geräuchertem Kohlenfisch. Hinten in der Schale eine Kombination von Topinambur und Artischocke, bei der die aromatische Verwandtschaft der beiden Gemüse sehr schön herausgearbeitet wird. Alle drei Speisen sind prima, kämen aber noch besser zur Geltung, wenn sie nicht mit den Apéros konkurrieren müssten.

Als ersten Gang gibt es hausgemachten Tofu mit leicht sonnengetrockneten Heirloom-Tomaten, Jimmy-Nardello-Paprika, Saikyo-Miso und Olivenöl (seltsamerweise ohne Herkunftsinfo). Hier kommt die Japanliebe von Küchenchef Kyle Connaughton zum Tragen, welche sich bereits in den Amuses bemerkbar machte. Im ersten Moment ist das ein herrlich erfrischendes Gericht für diesen heißen Tag: die milde Würze vom Tofu, die herbe Frische vom Paprika-Granité, die intensive Fruchtigkeit der Mini-Tomaten. Schon beim zweiten Löffel aber beginnt der Eindruck zu kippen. Die Cremigkeit des Tofu wird zu mächtig und die eiskalte Paprika wird gaumenbetäubend penetrant; beides ist auch viel zu mächtig dosiert. Die Tomaten gehen komplett unter. Mit jedem weiteren, vorsichtigen Löffel verstärkt sich dieser Eindruck. Nach der Hälfte picken wir uns nur noch die sensationellen Tomaten heraus. Den Rest lassen wir stehen.

Zum Glück geht es beim zweiten Gang steil nach oben, mit Zucchini von unserer Farm, die Blüte mit Jakobsmuschel gefüllt, dazu Zucchinicrème, Röllchen und Relish.Das schmeckt genau so elegant und filigran, wie es aussieht - die fast schon transluzente Blüte ist hauchdünn und perfekt kross frittiert; darin ein Jakobsmuschelragout, angenehm lauwarm und perfekt gewürzt. Allein das ist schon große Klasse. Trotzdem wird das Ganze durch die fein gearbeitete Zucchini-Variation nochmal gesteigert, besonders die leicht süßliche Crème und das knackige, leicht säuerliche Relish haben es uns angetan. Man stelle sich das vor: Das ist eine Kreation aus nur 2 Zutaten, Zucchini und Jakobsmuschel – und es stimmt so ziemlich alles!

Weiter geht es mit Wild-King-Lachs "Ibushi-Gin", Frühlingszwiebeln, Shio-Koji-Vinaigrette, Rogen, Rettich und Myoga (japanischer Ingwer). Auch dies ist ein deutlich japanisch inspiriertes Gericht, vor allem beim süßlich-würzigen Frühlingszwiebel-Confit mit Ingwer und der japanischen Würzmischung Shio Koji (bestehend aus Koji-Reis, Salz und Wasser). Das geht sehr gut mit dem Lachs, wenngleich dieser etwas trocken ist und für unseren Geschmack auch einen Tick zu stark geräuchert wurde – mit dem Räuchern scheint die Küche es sowieso zu haben ... Der feinst geschnittene rohe Rettich bringt Frische und lockert die dunklen Räucheraromen zum Glück etwas auf.
In Summe ein durchaus sehr guter Gang, bei dem manche Stellschrauben aber etwas zu grob gedreht wurden.

An dieser Stelle des Menüs darf jeder Gast sich einen handgefertigten Sake-Becher aussuchen, ...

... in dem das Getränk - natürlich Sake - zum nächsten Gang gereicht wird, ...

... nämlich zur Foie gras, pochiert in Tee von Tomaten vom letzten Jahr, mit Tokyo-Rüben und ihrem Grün. Die Leberterrine hat durch das Pochieren im Tomaten-Tee (in dem laut Service auch Morcheln ausgekocht wurden) eine ungewöhnliche, sehr delikate Umami-Note bekommen. Sie ist von einer auffallend weichen, nahezu cremigen Konsistenz und schmilzt wortwörtlich am Gaumen. Dazu die knackigen Rübchen und das krosse Grün als Texturkontrast - hervorragend. Der Clou ist allerdings der Sake als Begleitung: Ein paar Tropfen davon fächern bei der Leber nochmals ganz andere, ungeahnte Aromen zwischen Fruchtigkeit und Erdigkeit auf. Ein Hammer, und durch die Sake-Kombi eine der originellsten und besten Foie-gras-Kreation der jüngeren Vergangenheit.

Das Gemüse "von unserer Farm" und der Fisch (mit grüner Kruste) für den nächsten Gang werden präsentiert ...

... und kommen dann auf den Teller: Kohlenfisch "Fukkura-San", Lauch, Gemüse von unserer Farm, Brühe von jungen Salaten und Gyokuro Tee. "Fukkura" heißt weich oder sanft und steht für die Garung im gleichnamigen, einer Tajine ähnelndem Tongefäß (siehe vorheriges Foto). Tatsächlich ist dieser Gang in jeder Hinsicht "sanft". Das Gemüse, der Fisch, die Salatsauce: Alles greift auf eine Weise ineinander, die man harmonisch nennen kann – oder harmlos. Wir gehören zur letzteren Fraktion. Der Eigengeschmack des Gemüses und des Fischs ist durch die gemeinsame Garung einem gefälligen Mischaroma gewichen. Der Fisch ist hervorragend gegart, keine Frage. Aber geschmacklich bleibt er eigentümlich blass. Lediglich die intensiv grüne Salatsauce mit Gyokuro-Grüntee und die Kruste aus Kräutern und Lauch stechen ein wenig hervor. Aber wirklich nur ein wenig. Es gibt sicherlich Gäste, die das alles so mögen. Unser Fall ist es nicht.

Als Hauptgang gibt es Pacific-Rogue-Wagyu mit Blaubeeren, Kamo-Nasu-Aubergine und Pfifferlingen. Pacific Rogue bezeichnet einen der renommiertesten Züchter von US-Wagyu, ansässig in Oregon. Tatsächlich ist das Fleisch von exzellenter Qualität. Leider wird es von der eher süßlich abgeschmeckten Sauce und dem sehr fruchtsüßen Blaubeerkompott massiv überlagert. Sogar das Auberginenconfit und die Pilze kommen dagegen kaum an. Dank der Fleischqualität ist dieser Gang nicht schlecht, aber als Komposition für ein Restaurant mit diesen Ambitionen zu schwach.

Als wolle die Küche nach dem etwas süßen Hauptgang einen Gegenpol setzen, gibt es nun Sonoma-Getreide mit Matsutake-Pilzen, Grünkern-Beignet von der Rinderrippe und Kräutern aus dem Garten. Dieser Teller ist Umami pur. Die Mischung aus Gerste und Dinkel ist wie ein Risotto zubereitet und wird von einem Wagyu-Jus umspielt. Es gibt kleine Stücke von Fleisch und Pilzen sowie natürlich das kraftvolle Beignet. Das schmeckt an sich alles prima, ist uns an dieser Stelle im Menü aber zu heftig - speziell nach den vielen eher leichten und filigranen Gerichten. Oder anders gesagt: Der Sinn dieses Gerichts zu diesem Zeitpunkt erschließt sich uns nicht.

Auf zu den Desserts! Geneigte Leser werden sich erinnern, dass die Nachspeisen uns bei diesem Trip in die Bay Area kaum überzeugen konnten. Um es diplomatisch auszudrücken. Im Vergleich ist das Dessert im Single Thread ein echter Gewinner: Kurz gesagt schmeckt das Black-Sugar-Eis mit Apfel-Kürbis-Kuchen und Feigenkompott wie ein hervorragender Apfelkuchen - auch wenn es gar nicht wie ein Kuchen aussieht. Auf dem Boden des Tellers befindet sich Apple Butter (eine Art Marmelade) aus lokalen Granny Smiths, die mit pulverisiertem Kürbiskuchen bestreut ist. Darauf Scheiben von pochierten Äpfeln, geröstete Kürbiskerne sowie Feigenkompott. Diese Kombi hat Säure, Süße, Crunch und Frucht. Schmeckt klasse. Dazu das Eis aus braunem Zucker (eine Spezialität aus Japan, woher sonst ...), welches fast eine Aromatik von rohem, buttrigem Kuchenteig hat. Verdammt gut, das alles, und originell noch dazu. Auf Dauer zwar auch ziemlich süß, aber wir wollen nicht meckern.

Zum Tee dann noch ein paar Petits Fours, hier natürlich "Wagashi" genannt, auf Basis von Thai-Basilikum, Yuzu und Butternusskürbis. Alle sehr gut, nicht mehr, nicht weniger.

Das war es also, unser Essen auf der "Farm". Unsere Erwartungen waren hoch, sehr hoch. Vielleicht auch zu hoch. Denn vollends begeistern konnte uns das Menü leider nicht. Ja, es gab einige echte Highlights, von den tollen Amuses über die Zucchini und die Foie gras bis zum Dessert. Aber dazwischen eben auch schwache Kreationen wie den Tofu und das Wagyu. Auffallend ist dabei, dass die Schwächen nie in den Produkten oder der Idee an sich lagen, sondern stets in den Proportionen oder der Würzung – gute Konzepte, weniger gut umgesetzt.

Auch das sehr gediegene, fast schon überperfekt-"geschmackvolle" Interieur – eine Art Manufactum-Showroom für Millionäre – und die Kultivierung der Japan-Bezüge wirkte auf uns etwas forciert und prätentiös. Insbesondere, wenn man die fernöstliche Philosophie dann doch nicht wirklich durchhält: Welcher japanische Chef würde rohen Fisch und andere kleine Speisen auf dem Tisch auf den Gast warten lassen, wo sich die Temperatur und womöglich auch das Aroma verändert? Auch ging es für ein modernes Restaurant eigentümlich formell zu: Es herrschte eher Flüsteratmosphäre, anstatt der viel beschworenen amerikanischen Feierstimmung.

Ein wenig hatten wir den Eindruck, dass mit dem Single Thread Farms das "perfekte" Gourmetrestaurant erschaffen werden sollte, mit dem Besten aus allen Welten und jeder Menge Geld aus dem Silicon Valley. Dazu passt auch, dass der Maître sich schwer enttäuscht darüber äußerte, dass das Restaurant "nur" 2 Sterne bekommen hat - das Team habe mit 3 Sternen auf Anhieb gerechnet. Immerhin hätte Kevin Fehling das doch auch geschafft. Ungeachtet der Tatsache, dass Fehling sich die 3 Sterne im Grunde schon vorher erarbeitet hat, ist es für die Entwicklung eines Restaurants in jeder Hinsicht besser, wenn man kleiner anfängt und sich hocharbeitet. Mit 2 Sternen ist das Single Thread für unser Empfinden jedenfalls gut eingestuft. Und mit der Zeit wird sich auch der etwas reißbrettartige Eindruck verlieren, da sind wir sicher. Wir jedenfalls bleiben gespannt, wie es in Healdsburg weitergeht.

Fazit

Im schönen Weinstädtchen Healdsburg kultiviert Kyle Connaughton eine kalifornisch-japanische Spitzenküche, die zwischen umwerfend und unausgewogen changiert. (Noch) keine Reise wert, aber einen Umweg allemal.

Hinweis

Unser Besuch wurde vom Restaurant unterstützt. Details zum Umgang mit Pressekonditionen findet Ihr hier.

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