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Restaurantkritik  7.März 2018

Kernkompetenz Klassik

Manchmal (ver-)zweifeln wir an unserem eigenen Optimismus. Es ist Winter. Wir hatten die glorreiche Idee, vom Hamburger Stadtzentrum mit der S-Bahn in Richtung Louis C. Jacob zu fahren. Bei gegen den Gefrierpunkt tendierenden Temperaturen und strömendem Regen versuchen wir nun am Bahnhof mitten im Nirgendwo, ein Taxi zu bekommen. Schnell über die App bestellt, ist die Taxe auch nach 15 Minuten noch nicht da und behauptet beim dritten Telefonat, dass die Straße, vor deren Namensschild wir stehen, nicht existiere. Gut, Wagen abbestellt und die nächstgelegene Taxizentrale angerufen. Die kennen wenigstens die Straße, brauchen aber 20 Minuten. Der kleine Laden an der S-Bahn-Station freut sich immerhin über seine ersten Kunden an diesem Tag. Eine gefühlte Warteewigkeit und kurze Taxifahrt später setzen wir endlich den Fuß ins altehrwürdige Louis C. Jacob in Blankenese. 

Die physische Wärme, die uns entgegenschlägt, sorgt gleich für ein heimeliges Gefühl. Doch auch die Einrichtung, die mehr an ein Wohnzimmer als an eine Hotellobby erinnert, lässt uns schlagartig aufwärmen. Das Restaurant wird dominiert von zwei massiven Kronleuchtern und einer deckenhohen Fensterfront, die den Blick auf die vorbeifließende Elbe freigibt. So langsam, aber sicher sind wir in der richtigen Stimmung, um mit dem Lunch loszulegen. Ein, zwei Schlucke des Krug Rosé beseitigen auch noch das letzte bisschen Trübsinn, und dann erreicht uns auch schon der kulinarische Auftakt.

Ganz modern ist beim Forellenkaviar mit Rettich, Chips und Sour Cream ein bisschen Handarbeit gefragt. Wir stellen uns nach Lust und Laune unsere Häppchen zusammen, konstatieren, dass das alles ganz gut schmeckt, und freuen uns über ein wenig Oberkörpergymnastik am Tisch. Ein gefälliger Start, der gleichzeitig der einzige kulinarische Vorbote dieses Lunchs bleibt.

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Thomas Martin eröffnet das Menü ganz klassisch mit einer Foie-gras-Komposition. Entenleberparfait mit Quitte, Rooibos, Macadamia und Honigbrot zeigt beim ersten Bissen bereits sehr schön, in welcher Welt sich die Küche des Jacobs bewegt ‒ fundierte Klassik trifft auf behutsame Moderne. Das handwerklich perfekt gemachte Parfait ist die pure Wonne. Der tiefe Lebergeschmack steht zu jeder Zeit im Vordergrund und wird dabei von den unterschiedlichen Schichten immer auf andere Art akzentuiert. Die süß-säuerliche Quitte und die Nüsse sind natürlich klassisch passend; doch was dieses Gericht nicht nur schmackhaft, sondern auch spannend macht, ist das Teegelée, das eine angenehme Bitternote sowie einen Hauch Mystik beisteuert. Das ist mit Abstand das beste kalte Entenlebergericht, das wir seit langer, langer Zeit genossen haben. Es ist wunderbar, wenn ein Chef es schafft, Produkte oder Zubereitungen, die wir eigentlich leid sind, in etwas Großartiges zu verwandeln.

Es folgt ein mild geräucherter Hamachi mit Reisessig, Dashi und Algentapioka. Dem Trend, dass in gefühlt jedem Restaurant früh im Menü kalter, (quasi) roher Fisch serviert wird, können wir mittlerweile nur noch ein müdes Lächeln entgegensetzen. Viel zu oft sind die gebotenen Qualitäten ganz einfach zu schlecht, der Fisch zu kalt und die Einfassung langweilig. Doch wie schon beim ersten Gang zeigt die Küchencrew auch hier ihr ganzes Können. Das Hauptprodukt ist optimal temperiert und von fantastischer Qualität, die Begleitung stimmig und schön im Hintergrund, damit der Star im Scheinwerferlicht nicht gestört wird. Einer von uns findet zwar, dass das Ganze etwas sehr zurückhaltend gewürzt ist, doch der perfekten Harmonie dieses Tellers kann auch er sich nicht entziehen. Überraschend gut.

Als zusätzlichen Einschub genehmigen wir uns einen Küchenklassiker par excellence, eine Französische Zwiebelsuppe. Die Thomas-Martin-Version besteht nicht nur aus der Suppe, sondern auch aus Schmelzzwiebel, Crouton und Gruyère. Allein der Duft, den dieses Elixier verströmt, rechtfertigt den zusätzlichen Gang und eine Lockerung unseres Gurtes. Der Geschmack hält alles, was die Nase versprochen hat - und noch viel mehr. Die Suppe hat eine unglaubliche Tiefe, ist sehr intensiv, dabei hochelegant und leicht. Das ist mal ganz locker die beste ihrer Art, die wir je gegessen haben. Wir überlegen kurz, sie gleich noch einmal zu ordern, nur um die Vernunft dann über die Lust siegen zu lassen.

Kalbskopf und Flusskrebse mit Krustentierschaum, Gurke und Meerrettich ist Martins Interpretation eines Surf 'n' Turf. Bereits optisch scheint uns der Teller nicht ganz ausgereift, so dicht gedrängt auf dem kleinen Geschirr. Dieser Eindruck verfestigt sich beim Verkosten des Gerichts. Zwar sind die einzelnen Komponenten tadellos gearbeitet, jedoch hakt es am harmonischen Zusammenspiel. Das liegt einerseits an den Proportionen - der gebackene Kalbskopf beispielsweise ist einfach zu groß geraten. Zudem erweist sich die Frische suggerierende Gurke im Gesamtbild eher als störend, denn als belebendes, knackiges Element. Ganz einfach gesagt greift hier das eine Rädchen nicht ins das nächste, und darum funktioniert die Gesamtkomposition nicht wirklich. Fazit: Idee klasse, Umsetzung verbesserungswürdig.

Weiter geht's mit einem Filet vom Nordsee-Steinbutt, Champagner-Beurre-blanc, überbackenem Lauch und Kartoffelschnee. Im ersten Moment irritiert uns die sehr prononcierte Säure der Beurre blanc. Die Sauce erweist sich jedoch mit jedem weiteren Bissen als wahrhaftige Entdeckung - sie macht aus einem sehr guten Gang einen nahezu perfekten. Die schneeweiße Tranche vom qualitativ hochwertigen Butt begeistert uns mit ihrem festen Fleisch, das uns nach den Anlaufschwierigkeiten gerade in Kombination mit der Sauce ausnehmend gut gefällt. Der Kartoffelschnee macht sich sensorisch zwar nicht bemerkbar, dafür der Lauch, der immer wieder einen zarten Hauch von Grillaroma sowie etwas zwiebeliege Schärfe beisteuert. Das Einzige, was wir vermissen, sind ein paar Flocken Fleur de Sel auf dem Fisch, die uns der Service aber gerne nachliefert. Dank dieser kleinen Zugabe haben wir nun ein rundum ausgezeichnetes Gericht.

Nicht weniger großartig ist die geschmorte Charolais-Ochenschulter mit Cipolle und Risotto Milanese. Das Fleisch zerfällt förmlich am Gaumen, die dunkle Jus sorgt für richtig kräftigen Bumms und intensiviert den Fleischgenuss noch einmal. Ganz hervorragend ist auch das sämige und erstaunlich leichte Risotto, das wir trotz initialer Befürchtungen bezüglich unseres Sättigungsgrades restlos verputzen. Das Zusammenspiel dieser beiden Komponenten funktioniert prächtig und ergibt geschmacklich Sinn. Genauso wie die Zugabe einer geschmorten Zwiebel, die mit Markbein belegt ist, für etwas Süße sorgt und einen richtig luxuriösen Touch ins Spiel bringt. Sogar die etwas verloren wirkende getrocknete Tomate mit Pesto funktioniert unerwartet gut und erweitert diesen Teller sinnvoll mit ihrer umami-geprägten Säure. Sehr gut.

Das können wir vom Hauptgang leider nicht behaupten. Rosa gebratener Rehrücken mit Waldpilzen, Birne, Rosenkohl und Pinienkernpüree scheitert leider auf ganzer Linie. Das sous-vide gegarte Reh zeigt die Krux dieser Technik, wenn man sie nicht richtig anwendet: Es ist total weich, entwickelt im Mund eine beinahe breiige Textur, die man einfach nur als unangenehm bezeichnen kann. Schade um das schöne Reh. Doch auch die Mitspieler des Wilds überzeugen nicht. Allen voran die geräucherte Crème in der Mitte der Birne, die, wie das Reh, zeigt, dass gewisse Zubereitungsmethoden einfach nur mit äußerster Vorsicht und messerscharfer Präzision funktionieren. Es ist für uns schlicht ungenießbar und legt sich wie ein Rauchschleier über unsere Gaumen. Dem Rest des Tellers statten wir nur noch einen Höflichkeitsbesuch ab, entdecken dabei aber nichts Aufregendes mehr. Dieser Hauptgang wandert fast so in die Küche zurück, wie er rausgekommen ist. Ein Satz mit x.

Mit einer Auswahl des Käsegroßmeisters Bernard Antony kann man nie etwas falsch machen. Besonders dann nicht, wenn sie so schön auf einem altehrwürdigen Christofle-Gefährt präsentiert wird. Wir halten uns aufgrund des straffen Programms jedoch vornehm zurück und gönnen uns nur eine ganz kleine Rundschau durch die Käselandschaft. Wie zu erwarten befinden sich alle Käse in Hochform.

Nun wird eine herrlich duftende karamellisierte Altländer Apfeltarte neben unserem Tisch drapiert, die à la minute zubereitet wurde und frisch für uns aufgeschnitten wird. Auf dem Teller kommt noch etwas Crème Chantilly sowie ein Apfeleis hinzu. Was sollen wir sagen, hier stimmt fast alles. Die karamellige Süße, die präsente Säure, die Cremigkeit, die Knusprigkeit, das Spiel zwischen Heiß und Kalt. Ein Rundum-Wohlfühl-Dessert, das besonders bei diesem schauerlichen Wetter optimal als Menüabschluss funktioniert und für tiefe Befriedigung am Tisch sorgt. Lediglich etwas mehr Biss hätten die Äpfel haben können.

Leider macht sich das Sättigungsgefühl langsam, aber sicher bemerkbar und wir verzichten darauf, auch die zweite Hälfte der Tarte zu essen. Eine ganze Apfeltarte für uns zwei wäre auch ein bisschen zu viel des Guten gewesen. Oder etwa nicht?

Zum Schluss wird uns eine absolute Rarität präsentiert: ein Dessertwagen. Einer der letzten der Republik! Optisch im selben Look wie der Käsewagen gehalten, glänzt auch dieser wunderschöne Christofle-Wagen zuerst mal durch sein imposantes Erscheinungsbild. Und natürlich durch das hübsche Konfekt, mit dem er bestückt wird. Eigentlich sind wir zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr wirklich in der Lage, uns weitere kulinarische Freuden einzuverleiben, doch die überaus charmante Präsentation und unsere Unvernunft lassen uns doch noch ein, zwei Stück der süßen Naschereien probieren.

In Summe war das ein sehr lohnenswerter Ausflug nach Blankenese, was nicht zuletzt am herzlichen Service und der tollen Weinbegleitung lag. Das Hotel und das Restaurant versprühen einen liebenswerten Charme, eine gewisse Grandezza, die sich paart mit einigen renovierungsbedürftigen Teilen des Hauses (das Louis C. Jacob wurde zwei Monate nach unserem Besuch einer Frischzellenkur unterzogen). Thomas Martins Küche hingegen bedarf keiner Auffrischung. Das hat der Lunch deutlich gezeigt. Seine Küche ist dann am stärksten, wenn er sich auf sein Steckenpferd verlässt, und das ist nun mal die klassisch-französische Haute Cuisine. Diese Basis hat er jedoch einer behutsamen Modernisierung unterzogen, so dass die Gerichte immer leicht und eher beschwingt daherkommen und man sich selbst nach einer Zwiebelsuppe oder einem Risotto noch auf den nächsten Gang freut. Eine Seltenheit und gar nicht so einfach zu bewerkstelligen. Schwieriger wird's, wenn die Küchencrew diese Pfade verlässt. Der Hauptgang mit seinem sous-vide gegarten Fleisch und der plump-aufdringlichen Räuchernote war ein Schuss in den Ofen. Also dorthin, wo auch das Fleisch hingehört hätte ... Die Zeiten, in denen selbst in klassisch geprägten Restaurants jeder Gang ein Volltreffer ist, sind halt leider auch vorbei. Doch die weniger gelungenen Gerichte sind im Jacobs glücklicherweise ganz klar in der Minderheit, und allen anderen Tellern kann man das Prädikat "ausgezeichnet" ausstellen. Das Hotel Louis C. Jacob, und somit auch das Jacobs, werden gerade einer Frischzellenkur unterzogen. Thomas Martin bleibt während dieser Zeit nicht untätig und poppt im "Louis - by Thomas Martin" bis voraussichtlich Ostern 2018 in der Hamburger Hafencity direkt neben der Elbphilharmonie auf.

Fazit

Schuster, bleib bei deinem Leisten: Thomas Martins Küche überzeugt vor allem dann, wenn sie sich auf ihre Stärken besinnt. Klassisch geprägt, dezent modernisiert, produktgetrieben und fokussiert – diese Teller sind eine Reise ins schöne Louis C. Jacob wert.

Wein

Die Weinbegleitung im Restaurant Jacobs bei Thomas Martin

Hinweis

Unser Besuch wurde vom Restaurant unterstützt. Details zum Umgang mit Pressekonditionen findet Ihr hier.

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