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Restaurantkritik  4.November 2017

DRESDENS DRITTER STERN

"Ja, wo ist es denn nun?", fragen wir uns, als wir uns auf einem modern restaurierten Industriegelände im nördlichen Teil Dresdens zwischen Konferenztechnik und Fahrzeugaufbereitung wiederfinden. Da winkt es aus einer Eingangstür, wir stehen sozusagen direkt vor dem "Elements", das sich seit 2015 als drittes Restaurant der Stadt über ein Macaron freuen darf. Es wird also höchste Zeit, dass wir uns mal hierher – im wahrsten Sinne des Wortes – verirren und heute Mittag kosten, was der junge Koch Stephan Mießner da auf die Teller bringt.

Neben das besternte "Elements Restaurant" gesellt sich noch das Deli, das als Bistro schon zur Mittagszeit Regionalküche zu fairen Preisen auftischt. Gerade in diesem gewerbigen Umfeld keine schlechte Idee; außerdem wollen die vielen Plätze - die mehrräumige Gastraumfläche erscheint uns riesig - erst mal mit Gästen bestückt werden. Die Räume selbst sind dank vieler Fenster lichtdurchflutet, das Mobiliar zeugt von Stilbewusstsein und vereint moderne Accessoires, Leder und viel Holz. Wir vermuten, dass die sympathische Gastgeberin Martina Starovicova-Mießner, ihres Zeichens Gattin des Chefkochs, hier ihre Hände im Spiel hatte. Genauso locker und neumodisch, wie sich das Restaurant gibt, ging der 1983 hier in Dresden geborene Stephan Mießner an seine Küche: Einen Stern strebte er laut eigener Aussage nie an, als er sich nach der Ausbildung in einem Wirtshaus und Stationen in der Schweiz, auf den Kanaren, in Südtirol und Südafrika 2010 auf eigene gastronomische Füße stellte. Und doch war es Ende 2014 soweit, und mit seinem ersten Macaron darf sich Mießner neben dem "Bean & Beluga" und dem "Caroussel" zur Elite der Dresdner Kochzunft zählen. Einen kulinarischen Fokus können wir vorab aus Webseite und Karte nicht herauslesen. Umso gespannter sind wir auf das, was da kommt ...

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Als eine Art "Gruß aus der Küche" erreicht uns ein sehr deftiger Einstieg: Pilzpraline, Pilz-Ketchup, Salat von Palmherzen, Limette und Enoki. Wir freuen uns über die heiß-herzhafte Begrüßung, wenngleich wir hier mit unerwartet viel Wucht ins Menü geleitet werden.

Mit Röstzwiebel-Panna-cotta, Trüffel, Topinambur und Herbsttrompeten wird die einleitende Herzhaftigkeit weitergeführt. Geschmacklich ist alles in Ordnung, erdige Süße macht sich breit, nur finden wir das gekühlte Panna cotta von der Zwiebel doch etwas zu verspielt: Lauwarm hätte uns diese Melange besser gefallen, die Kälte verträgt sich nur schwer mit röstigen Aromen. Auch der etwas zu bissfeste Cracker samt (ebenfalls zu kalter) Steinpilz-Crème geht eher unter, als dass er sich mit dem intensiven Trüffel paaren könnte. In Summe etwas zu verkopft - und nicht sorgfältig temperiert.

Ebenfalls in die Kategorie "kalte Platte" fällt Apfel-Enten-Gewürztee, Entenschinken und Apfelbeignet. Hier funktioniert die Kombination aus den kalten Entenbrust-Streifen mit der warmen Frühlingsrolle allerdings etwas besser; die exzellente schwarze Sesam-Crème schafft es mühelos, beide Welten - knusprig-heiß und saftig - miteinander zu verbinden.

Die Kombination von Hirschtartar mit Black Pudding, Buchenpilzen, Flower Sprouts und Grünkohl stellt wohl jeden Koch vor eine große Aufgabe. Alle sind lautstarke Protagonisten, die es gilt, in den richtigen Proportionen miteinander in Einklang zu bringen. Das gelingt hier, ähnlich wie beim Röstzwiebel-Panna-cotta, nur bedingt: Wieder einmal stört uns die Kälte, in diesem Falle der Blutwurst, die obenauf liegt. Kälte hat die Eigenschaft, Aromen erst sehr spät oder sogar ‒ wie hier ‒ nur äußerst dezent freizugeben; wie erspüren also nahezu keinen Eigengeschmack. Lassen wir den Schwarzpudding weg, schmeckt es gut - aber nicht viel mehr.

Als eine "vegetarische Ramen" wird der Artischocken-Sesamsud mit wachsweichem Ei, Pilzen und Knollengemüse anmoderiert. Doch so richtig viel mit der japanischen Hit-Suppe hat das hier nicht zu tun: Ein viel zu süßer Sud sowie ein nahezu durchgegartes Ei hinterlassen uns eher ratlos und unbeeindruckt.

Bis hier hin begegnen wir eher ernüchternder Mittelmäßigkeit als wohldurchdachter Kocharbeit. Doch da folgt mit gebratenem Zander, Apfel, Senf-Risotto und Rotkohl-Sud die Kehrtwende auf dem Fuße. Der Fisch ist perfekt gegart und außerordentlich frisch, das Senf-Risotto balanciert mühelos auf dem schmalen Grat zwischen Cremigkeit und senfiger Schärfe, ohne den Fisch zu torpedieren. Das Ganze bekommt noch einen ordentlichen Süße-Kick durch den reduzierten Rotkohl-Spiegel am Boden, den man - einziger Wermutstropfen - aufgrund seiner Intensität sorgsam proportionieren muss. Doch das ist eine Kleinigkeit in einem sonst sehr guten Gericht. Es geht doch!

Nur selten bekommen wir Rochenflügel serviert, und noch seltener so schmackhaft. Als iberische "Escabeche" interpretiert, gesellen sich zum hochintensiven wie herrlich bissfesten Stück Meerwasserfisch Curry, auf Salz gegarte Karotte und eine Linsenvinaigrette. Besonders gefällt uns hier die dezente Schärfe, die bei jeder Gabel durch den curry-infusionierten Spiegel am Tellerboden mitschwingt und dem aromatisch sehr vielschichtigen, aber perfekt austarierten Gang - dessen Hauptdarsteller noch dazu so wunderschön aussieht - die nötige Leichtigkeit beibringt. Sehr, sehr gut.

Hochklassig geht es auch mit dem Filet vom Stör mit Fond Marinière, galizischen Muscheln, Gnocchi und XO Sauce weiter. Hier verschieben sich die Rollen: Der süffige Muschelsud, die saftigen kleinen Kartoffelteigbälle und das knackige Gemüse harmonieren derart prächtig, dass wir den ebenfalls prima gegarten Fisch gar nicht gebraucht hätten.

Der Carabinero mit Artischocken, Kalamansi-Schaum und (das á-part gereichte) Safranrisotto geht dann (leider) wieder einen Schritt zu weit. Viel zu wuchtig schlagen uns Süße und Säure der Sauce entgegen. Die edle rote Riesengarnele hat keine Chance, sich in diesem Aromengewitter zu behaupten. Da kann auch das gut gearbeitete Risotto nichts retten.

Derber, aber schlüssiger: Rote-Bete-Maultaschen, Schafskäse und Grünkohl. Eine eher bistro-inspirierte, geradlinige Komposition, deren Herbheit durch die Süße der Rote-Bete-Reduktion aufgefangen wird. Gut.

Der rosa Sauerbraten "Mießner Stil" mit Weintrauben, Blini, Rotkohl und Mascarpone ist eine überraschend zarte, leichtfüßige Interpretation eines rustikalen deutschen Standards. Alle Elemente sind zueinander wohlproportioniert, das Fleisch auf den Punkt gegart, der Jus süffig, die Mascarpone (wenn denn vorsichtig dosiert) erfrischend - es kann so einfach sein. Lecker!

Der Stilton aus dem Laib wird hier als fette, intensive Crème serviert. Dazu gibt es, ganz klassisch, Portwein, Brioche und Zwiebelmarmelade. Was sollen wir sagen? Eine echte Gewinner-Kombination aus herb-bitterer Cremigkeit, Süße und saftigem Teig. Sehr gut.

Versöhnlich stimmt uns auch die süße Nachspeise: Mandarine, Kokos-Pudding, Pistazien-Pfeffercrème und Zitronen-"S'more" (ein Marshmallow-Lagerfeuer-Snack aus den USA) ist eine stringente wie köstliche, weil nicht zu süße Kreation, die prima zwischen Texturen und Temperaturen changiert. Lediglich die chemische Spielerei mit den schnapsgefüllten weißen Kugeln hätten wir nicht gebraucht; die Hülle zu kristallin, das Innere zu punktuell süß. Davon abgesehen ist dieser Teller ein äußerst runder wie guter Abschluss.

Wir bleiben an diesem Mittag noch für ein paar Minuten sitzen und lassen das Menü Revue passieren. Gerade zu Anfang irritierten uns die zum Teil unsinnigen Temperatur-Spielereien (Panna cotta), später wurde dann ab und an die Säure- und vor allen Dingen Süße-Keule ausgepackt, dass es nur so krachte – oder sogar einen ganzen Gang verhagelte (Carabinero). Überzeugt haben uns die Fischgänge, gerade der Zander und der Rochenflügel gefielen uns nicht nur aufgrund ihrer guten Hauptprodukte, sondern vorrangig durch ihre Begleiter. Überhaupt hat uns die Arbeit von Stephan Mießner und seinem Team genau dann am besten gefallen, als sie am geradlinigsten war (Sauerbraten, Stilton, Mandarine), experimentelle Pfade verloren sich meistens in Proportions-Ungenauigkeiten. Mit etwas Feinjustierung lässt sich hier viel erreichen.

Fazit

Im Dresdner Elements kocht Stephan Mießner kreative, manchmal überambitionierte, meistens aber tolle Speisen in gemütlichem Ambiente.

Wein

Weine im Restaurant Elements in Dresden

2012 Silverthorn „Jewel Box“ Silverthorn, Robertson, Südafrika

2015 Grauburgunder, Andreas R. Kretschko, Sachsen

2011 Sauvignon Blanc Reserve „Grassnitzberg“ Tement, Steiermark

2012 Primitivo di Manduria Riserva „Mammasantissima“, Montemajor, Apulien

2015 Roter Früchtetraum Eberbach-Schäfer, Deutschland

2015 Verjus, J. Kœgler, Rheingau 

2010 Jurançon Sec „Seve d ́Automne“ Domaine Cauhapé, Languedoc 

2015 Riesling Reserve „Passion“ Pfaffl, Niederösterreich

2014 Scheurebe „Radebeuler Goldener Wagen“ Frédéric Fourré, Sachsen 

2011 Silvaner „Eigenart“, Max Müller, Franken 

2004 Hermitage „ La Chapelle“ Paul Jaboulet Aîné, Rhône

2012 Sweet Purple, Oliver Zeter, Pfalz 

2007 Auxerrois, Brut CP, Schloss Sommerhausen, Franken 

Hinweis

Unser Besuch wurde vom Restaurant unterstützt. Details zum Umgang mit Pressekonditionen findet Ihr hier.

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