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Restaurantkritik 13.August 2017

IM OSTEN VIEL NEUES

Auf der kulinarischen Landkarte werden die neuen Bundesländer gerne vernachlässigt. Sachsen bildet da keine Ausnahme. Dabei lohnt es sich, die zum Teil hochdekorierten Restaurants und engagierten Köche des schönen Bundeslandes aufzusuchen: So macht das zweifach besternte "Falco" in Leipzig nicht nur mit seinen 19 Gault-Millau-Punkten, sondern auch mit auf Flip-Flops angerichteten Desserts von sich reden. Dicht dahinter und unter Kennern der Gegend in höchster Gunst steht das "Bean & Beluga" vom emsigen Koch und Gastronom Stefan Hermann in Dresden. Höchste Zeit also, sich in die Landeshauptstadt auf Fressreise zu begeben ...

Nach einer überraschend langen Taxifahrt – die Größe der Stadt müssen wir in unseren Köpfen korrigieren – erreichen wir das Restaurant, das im Erdgeschoss einen eigenen Feinkostenladen beherbergt. Im farblichen Einrichtungskonzept dominieren lila, weiß und schwarz, die Beleuchtungselemente werden gezielt und sporadisch eingesetzt. Kleine Ecken und Separees schaffen genug Privatsphäre, insgesamt also sehr gemütlich, wäre da nicht das fahrstuhlmusikartige Plätschern belanglosester Wellness-Compilations. Schon oft monierten wir den lieblosen Einsatz von Musik beim Essen und bauten uns zwischen den Gängen die perfekte Playlist für den Moment; wenn hier alle Sinne angesprochen werden sollen (so verspricht es die Website des Restaurants), wurde beim Ohr nicht zu Ende gedacht. Aber wir sind ja nicht in der Disko, sondern im Restaurant.

Die Vergangenheit des 1970 in Baden-Württemberg geborenen Hermann kann sich sehen lassen, ist sie doch geprägt von zwei der renommiertesten deutschen Dreisternebetrieben: Nach seiner Ausbildung im Schloss Höfingen und einigen Jahren im Amtshaus in Daun ging er 1992 zu Harald Wohlfahrt in die Schwarzwaldstube, bevor es ihn bereits ein Jahr später zum inzwischen leider verstorbenen Helmut Thieltges nach Dreis zog. Nach einem kurzen Abstecher ins Londoner Regent stand er bereits 1995 wieder an der Seite Wohlfahrts. Seinen ersten Posten als Küchenchef bekleidete er 1997 im "Caroussel" in seiner heutigen Heimat Dresden – und holte den ersten Macaron sowie zahlreiche Auszeichnungen, darunter "Bester Koch der neuen Bundesländer" vom Gault Millau. Grund genug, sich als Küchenchef und Patron auf eigene Beine zu stellen: Seit nunmehr 10 Jahren betreibt er neben anderen Locations das "Bean & Beluga", das kurz nach Eröffnung mit einem Stern und 17 Punkten prämiert wurde.

Zuletzt sind Stefan Hermann und seine Unternehmungen weniger durch kulinarische Highlights als durch wirtschaftliche Engpässe in die Medien geraten. In einem kürzlichen Telefonat versicherte er uns jedoch, dass die Herausforderungen weitestgehend gelöst, alle Lieferanten und das Personal bezahlt seien. Somit soll es hier nur um das gehen, was auf die Teller kommt – und wir sind sehr gespannt, was der vom Gault Millau frisch gekührte "Gastronom des Jahres" (!) und sein Küchenchef Marcus Langer schicken werden...

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Zum Apéro erreichen uns hübsch gearbeitet Häppchen von Chicorée und Kumquat, in den Töpfchen versteckt sich ein Chicorée-Chai-Latte mit Parmesan. Ein frischer, knackiger Einstand, der uns – bis auf die etwas heftig knoblauchige Miso-Mayo auf den Schiffchen – gut gefällt.

Der Gruß aus der Küche lässt nicht lange auf sich warten: Ein knuspriges Knäckebrot von Avocado und Buchweizen zeugt von vielen handwerklichen Schritten, die in ihrer Gesamtheit ein tolles Textur-Spiel aus Knusper und Crème ergeben. Das Ganze erinnert an einen Caesar Salad im Kleinstformat. Prima.

Als letztes Amuse vor dem Menü konzentrieren Petersilie und Petersilienwurzel die schiere Kraft des Doldenblütlers, und wir denken sofort an einen deftigen Eintopf, dem der Schuss Säure durch Zitronenzeste und Fingerlimes die passende Frische beisteuern. Sehr schön!

Der erste Gang ist durchweg vegetarisch: Aubergine, Joghurt und Kopfsalat werden munter über den Teller dekliniert. Besonders das große geschmorte Auberginen-Stück birgt tolle Röstaromen und etwas Süße. Die anderen Teile des Tellers bringen mit dem Wechselspiel aus Deftigkeit der Eierfrucht und der Frische aus Joghurt und türkischem Ayran viel Abwechslung an den Gaumen. Auf Dauer geht die Vielfalt allerdings etwas auf Kosten der Geradlinigkeit, was sich vielleicht durch die Reduzierung der Komponentenzahl vermeiden ließe.

Im Tatar vom Kalb mit bunter Bete und Périgord-Trüffeln gibt es eine ungewohnte Akzentverschiebung: Durch die hervorragend gearbeitete Bete (roh, mariniert, geliert, püriert) rückt das Kalb, das als feine Würfel noch etwas Biss bietet, aromatisch in die Rolle der äußerst passenden Beilage. Erdigkeit und Deftigkeit der beiden Protagonisten werden ergänzt durch die nussige Süße der Pistazie, die hier und da cremig und geröstet zwischenfunkt. Ein toller, sehr gut proportionierter und im Vergleich zu vielen anderen Tatars überraschender Teller, bei dem wir den Trüffel als edlen Aufleger gar nicht gebraucht hätten - super!

Der Périgord-Trüffel begleitet auch Bio-Eigelb mit Spinat. Eine gelernte "Pleaser"-Mischung, die fast immer zum gewünschten Erfolg führt: Das eigene Umami und der hohe Fettanteil des Eigelbs harmonieren prächtig mit den dezent-vegetabilen Bitterstoffen des kurz gegarten Spinats. Dieses One-Hit-Wonder der Eierverarbeitung schmeckt gut, wenngleich es uns am Ende zu "matschig" wird - der Kartoffel-Crumble ist zwar spürbar, aber texturell nicht dominant genug, um sich über die Süffigkeit der anderen Elemente zu erheben. Auch die Temperatur ist bei solch Niedriggar-Gerichten immer ein Problem: Ein 65°-Ei hat schlichtweg nicht die nötige Initialhitze, um über den gesamten Vertilgungsprozess die nötige Temperatur für solch ein schlotziges Heißhunger-Gericht zu gewährleisten.

Würziger wird's mit der bretonischen Makrele mit Süßkartoffeln und Zitrone. Der Fisch wurde lediglich mariniert und abgeflämmt und ist von derart ausgezeichneter Qualität, Konsistenz und Säure, dass wir die etwas zu süß-würzigen Begleiter (allen voran die Süßkartoffelcrème) in der schieren Menge gar nicht gebraucht hätten. Auch hier hätten wir uns über etwas Reduktion und damit Verneigung aller auf dem Teller Anwesenden vor dem Tier gefreut. Bei vorsichtiger Dosierung funktioniert diese Kombination dennoch.

Dass es aromatisch "leiser" auch klappt, beweist der folgende Gang, Königskrabbe mit Sauerteig und Holunderkapern, auf dem Fuße. Ein Teller, in den wir uns erstmal "reinessen" müssen, der sich dann aber Stück für Stück öffnet: Die leicht säuerliche Holunderkapernvinaigrette schmiegt sich ganz hervorragend an die Krabbe, ohne sie zu dominieren. Dazu passt die leichte Erdigkeit und Schärfe der Radieschen, die dann wieder durch die röstige Sauerteigcrème aufgebrochen wird und den Mund füllt. Wer anfangs denkt, hier fehle der nötige "Bumms", wird sich - wie wir - nach dem letzten Bissen eines Besseren belehrt und zufrieden zurücklehnen. Sehr schön!

Aus dem vegetarischen Menüsortiment folgt Bunte Bete mit Pumpernickel und Meerrettich. Mutig ist der beherzte Einsatz des Meerrettich-Milchschaums; eine falsche Dosierung kann das gesamte Gericht kippen. Hier wird der Mut belohnt, denn der Schaum ist zu keiner Zeit erschlagend, sondern gibt viel mehr der Rahmen, in den sich die Rote Bete mal süß, mal erdig, mal sauer einfindet. Einfach, aber gut.

Der Skrei mit Grünkohl und schwarzem Knoblauch konzentriert sich eher auf die dunklen, erdigeren Aromen, die dem prima gegarten Kabeljau gut Paroli bieten können. Bitter, fischig und salzig treten mal zusammen, mal abwechselnd hervor, ohne sich einander im Weg zu stehen, und der knusprige Grünkohl gibt hier und da etwas texturelle Abwechslung.

Richtig erdig wird's mit Sellerie, Gnocchi und Lauch. Das Suppengemüse wird hier durch den handwerklichen Wolf gedreht und in mannigfaltiger Manier dargeboten: geröstet, als Ciabatta, gedünstet, als Asche, sautiert, geschäumt - und noch viel mehr. Am Ende passt dann doch alles auf einen Löffel, und besonders mit dem herzhaften Sellerie-Sud am Boden strotzt dieser vegetarische Gang nur so vor grüner Intensität, ohne zu nerven - und ohne besonders herauszufordern. Lecker, aber zu eindimensional.

Der Ehrgeiz der Küche wird beim Vulkanspargel (auch Puntarelle genannt) mit Champignons und Mimolette, einem herzhaften französischen Schnittkäse, deutlich: Fast schon avantgardistisch, wie hier mit den Komponenten und ihrer Kombinierung gearbeitet wird. Ein zu den genau richtigen Punkten mal herzhafter, dann grüner und später wieder bissig-käsiger Teller, der in jeder Löffel-Variation funktioniert. Herausragend die Pilzcrème, die aromatisch alles zusammenhält. Hier schmecken wir den Drang zu höheren Weihen - Hut ab!

Das hirn-eigene Großmutterküchen-Archiv wird im nächsten Gang aktiviert: Der Ochsenmaulsalat mit Roscoff-Zwiebel und Senfkorn erinnert nämlich stark an die deftigen Soljanka-Eintöpfe, die einer der Sternefresser in seiner Kindheit vergötterte. Nur: Hermann und seine Köche arbeiten dieses wohlige Gesamtgefühl ungleich feiner heraus, mit Fokus auf einer initial heftigen, aber passenden Säure, die dem Herzhaften, dem Röstigen etwas Leichtigkeit beibringt. Ein Salat, der eine Suppe sein will - gut.

Der Hauptgang, die Miéral-Taube mit Couscous und Süßholzgewürzjus, präsentiert sich dreihebig. Man darf der Meinung sein, dass mit der krossen wie perfekt gearbeiteten Taubenbrust, einem hervorragenden Couscous mit rotem Curry und einer Spitzkohlroulade - bei allem stört leidglich die etwas süßlich-erschlagende Granatapfelmarmelade - alles sehr schmackhaft gesagt sei. Aber die Taube hat ja nicht nur ihre Brust, also ...

... kommt im zweiten Schritt ein Tortellino gefüllt mit Tauben-Innereien, dazu ein süffiger, nur leicht abgeschmeckter Sud samt Sauerkraut-Einlage. Heiß, lecker und befriedigend. Aber eine Taube hat ja nicht nur ihre Brust und ihre Innereien, ...

... weshalb wir im dritten Zug – und wir uns nicht sicher, ob dieses Glück jedem Gast geboten wird – das knusprige geschmorte Tauben-Keulchen mit Sesamcrème serviert bekommen, das wir, ganz imbissbudenerfahren, mit den Händen beknabbern. Ein echter Aufschlag, den andere Köche vielleicht eher als À-Part-Lösung serviert hätten. Uns gefällt die klare Dreiteilung, da wir uns so auf jeden Teller hinreichend fokussieren können. Super!

Als Einstimmung in die Süßwelt erreicht uns ein gutes wie erfrischendes Prè-Dessert aus geeistem Kürbis, Calamansi und Purple Curry.

Das erste Dessert, Ananas, Karamell und Fichtensprossen, stimmt mindestens einen der Fresser skeptisch: Zu oft schon wurde die Ananas als Durchschnittsexot als säuregebendes Multfunktionselement lieblos mit Süße auf die Teller feiner und nicht so feiner Restaurants verfrachtet. Doch die Skepsis verfliegt schnell: Hier bekommen wir ein klar ausformuliertes, mit Temperaturen, Süße, Säure und Textur spielendes, perfekt proportinertes Dessert serviert, das nicht exotisch, sondern rund sein will. Besonders das Spiel aus gegrillter und marinierter Frucht macht nicht nur Spaß im Mund, sondern ergibt auch kulinarisch Sinn: Je nach Temperatur schmeckt es mal süß, mal sauer, mal röstig, mal frisch. Die Karamell-Mousse kippt die Kreation dann endgültig in den Bereich "Dessert". Fantastisch.

Das zweite, sehr hübsch anzusehende Dessert widmet sich der Birne mit Quinoa und Haselnuss. Uns gefällt, dass hier kein "Sweet Pleaser" in den Mittelpunkt gerückt wird. Das Birneneis fungiert als kalter, erfrischender Kleber der ansonsten eher getreidigen und nussigen Elemente. Gut!

Als kleines Augenzwinkern an die Region entlässt uns die Pâtisserie mit "Kaffee & Kuchen" - einer klassischen Sammlung hübscher wie leckerer Petits Fours - aus dem Menü in die Nacht: Kaffeepraline, Mini-Schwarzwälder-Kirschtorte, Cheese-Cake-Mousse und Cranberry, Esterházy-Schnitte und Sachertorten-Schnitte.

Wir können uns der Zuneigung unserer Community nur anschließen: Das "Bean & Beluga" bot uns heute über weite Strecken sehr schmackhafte Gerichte, einmal sogar eines, das zweier Sterne würdig ist. Ab und an verlieren sich die Kreationen in kreativen Tellerarrangements (Aubergine, Makrele), manchmal ist es dann doch etwas zu eintönig (Sellerie und Lauch, Ei mit Spinat). Hat Stefan Hermann aber den Mittelweg gefunden, dann wird der Einsatz durch wunderbare Ergebnisse wie das Kalbstatar, den exzellenten Vulkanspargel oder das Ananas-Dessert belohnt. Wir loben ebenso die gelungene wie humorvolle Idee, den Nose-to-tail-Ansatz mit einem dreistufigen Hauptgang zu verdeutlichen. Wir wünschen uns für den umtriebigen wie sympathischen Gastronomen sowie seine gesamten Belegschaft, dass alle wirtschaftlichen Herausforderungen alsbald aus dem Weg geräumt sind.

Fazit

Das 'Bean & Beluga' ist eine sichere wie geschmackvolle Adresse für moderne Küche zwischen Kreativität und Geradlinigkeit.

Wein

Weine im Restaurant Bean & Beluga in Dresden

A. Bergére, Cuvée Sélection Brut, Champagne

Rihaku, Wandering Poet (Junmai Ginjo), Japan

Ökonomierat Rebholz, Riesling vom Buntsandstein, 2014, Pfalz

Lisa Bunn, Silvaner Reserve, 2014, Rheinhessen

Hans Lang, Riesling Hallgarten Schönhell Erstes Gewächs, 1993, Rheingau

Dr. Wehrheim, Birkweiler Chardonnay Keuper, 2015, Pfalz

Manufaktur Jörg Geiger, Inspiration 4.0 (Kirsche, Rote Beete, Paprika)

Chateau Mourgues du Grés, Les Galets Dorés, 2008, Frankreich

Château-Fuissé, Pouilly-Fuissé Tête de Cru, 2014, Frankreich

Karl Friedrich Aust & Frédéric Fourré, "Cheri" , Sachsen

Meyer-Näkel, Spätburgunder, 2014, Ahr

Somek, Carignan, 2011, Israel

Ökonomierat Johann Geil, Huxelrebe TBA, 2011, Rheinhessen

Adriane Moll, Ortega TBA, 1990, Pfalz

Hinweis

Unser Besuch wurde vom Restaurant unterstützt. Details zum Umgang mit Pressekonditionen findet Ihr hier.

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