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Restaurantkritik  5.März 2017

Kein dummer August

Ein Fluch des Internets ist die Verfügbarkeit aller Informationen über alles zu jeder Zeit – vor dem Urlaub schaut man sich das Ferienhaus in Google-Streetview an, und bevor es ins Restaurant geht, wird das Menü schon mal virtuell-visuell degustiert. Und ja, wir wissen natürlich, dass wir dazu durchaus unser Quäntchen beitragen.

Aber: Es gibt sie noch, die Restaurants, die ein Geheimnis haben, über die man praktisch nichts im Netz findet. Das August in Augsburg ist ein solch seltener Fall. Das Restaurant hat keine Website, es gibt keine Blogger-Berichte, und die paar Gästekritiken auf Tripadvisor sind wenig aussagefähig. Einig sind sich dabei alle, dass Restaurant und Küche sehr "eigenwillig" sind. Die Tatsache, dass es von Guide Michelin und Gault Millau mit 2 Sternen, aber nur 14 Punkten völlig konträr bewertet wird, trägt zum Mysterium ebenso bei wie der Werdegang von Küchenchef Christian Grünwald: Ein Autodidakt, der keinerlei "große" Stationen absolviert hat und sich demnach auch keiner Schule eines berühmten Chefs zuordnen lässt.

All das machte uns schon lange äußerst neugierig – entsprechend gespannt sind wir bei unserem Besuch. Vor etwa einem Jahr zog das August um und residiert nun in der Haag Villa, einem prachtvollen Neorenaissance-Bau im Augsburger Textilviertel, wo einst der Ingenieur und Fabrikant Johannes Haag lebte. Trotz der enormen Größe des Anwesens ist das Restaurant mit seinem 18 Plätzen sehr klein gehalten. Es herrscht eine Atmosphäre leicht angestaubter Großbürgerlichkeit, unter den Füßen knarzt das Parkett, die Räume sind gefühlte acht Meter hoch und die Decken reich verziert. An den Wänden hängt großformatige moderne Kunst, und die gläsernen Tische gleichen eher riesigen Foto-Leuchtkästen (tatsächlich werden sie zu jedem Gang anders illuminiert). Alles sehr theatralisch und geheimnisvoll. Dieser Prolog steigert die Neugierde, der Ausgang des Stückes bleibt dabei ungewiss. Noch bevor wir den ersten Happen gegessen haben, wissen wir, dass dies auf jeden Fall ein besonderer Abend wird.

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Der Eindruck, als Gast Teil einer groß angelegten Performance zu sein, setzt sich mit Beginn des eigentlichen Essens fort. Da wird nämlich erst einmal eine kleine Armada an Amuses gebracht – und nicht etwa auf unserem Ess-Leuchttisch, sondern in einer Schublade unter der Glasplatte platziert. Jedes Einzelne mutet durch diese Präsentation wie ein kleines Schmuckstück an. Nach und nach werden in der nächsten Zeit andere Amuses serviert und Teile aus der Schublade geholt. Die Idee, dass man einige der kleinen Happen erst einmal neugierig anschauen soll, ohne dranzukommen, gefällt uns grundsätzlich gut. Andererseits hat es etwas Seltsames, wenn angerichtete Speisen so lange ausharren müssen, bevor man sie essen darf.

Es geht los mit gefülltem Topinambur: darin ein pochiertes Wachtelei, weiße Trüffelcrème und Haselnuss. Ein sehr feiner, dabei intensiver Happen, der den klassischen Akkord von Trüffel und Ei schön um nussige Aromen erweitert.

Eine Art Millefeuille ist das luftgetrocknete Meeresgemüse mit Parasolpilz, Trüffel-Eselsalami, Bergkäse und Sellerie – alles ist in dünnen Scheiben geschichtet, was die diversen Aromen sehr fein auffächert, dann aber auch zu einem wohligen Mischgeschmack führt. Sehr gut.

Nun folgt ein absolutes Highlight: eine warme Nussbutter-Praline mit Imperialkaviar und Kartoffel. Die Kartoffelscheibe hat Biss und dabei jene an festes Wachs erinnernde Textur, die für uns eine exzellente Kartoffel kennzeichnet. Die am Gaumen platzende Nussbutterpraline überschwemmt die Kartoffel mit ihrem vollen Aroma, während der Kaviar jodig-salzig gegensteuert. Wow. Im Grunde simpel – und dabei absolut sensationell.

Nicht so gut austariert finden wir dann die Dampfnudel mit Kraut, Biogockel und Radieschen. Das Problem dieses Happens ist einfach benannt: Die Dampfnudel ist viel zu mächtig und der etwas klebrige Teig dadurch viel zu dominant am Gaumen. Von den anderen Zutaten ist fast nichts zu merken. Schade.

Danach wird es wieder spannend: Der Rote-Bete-Macaron mit später Tomate und Kaisergranat ist leicht, frisch und schön würzig. Als wahre Wucht erweist sich das heiße Tomatenwasser mit altem Barbadosrum, mit dem großzügig abgeschmeckt wurde – wie das süßlich-alkoholisch-würzige sich hier mit der Fruchtigkeit und Säure der Tomate in der Hitze zu einem in mehrfacher Hinsicht wärmenden Wohlgenuss verbindet, lässt sich kaum in Wort fassen. Nur so viel: Das Süppchen ist richtig heiß. Und so muss das auch sein!

Sehr viel dezenter fällt die Entenleber-Kastanie mit Caffé aus. Schöner Schmelz, schöne Würze. Gut.

Für das nächste Amuse wird auf einem Servierwagen eine auf Holzkohle gegrillte Haselbach-Forelle an den Tisch gerollt. Dort schneidet Grünwald ein Stückchen vom Filet heraus ...

... und gibt es mit etwas Maldon-Meersalz auf einen Löffel. Fisch von bester Qualität, leicht rauchig aromatisiert durchs Grillen und unterstützt von etwas Salz: Mehr braucht es nicht für einen Gaumenglücksbringer. Fast ebenso puristisch aufs Produkt fokussiert ist das rohe Filet mit knuspriger Haut, das gegen die Grillaromen naturgemäß etwas blass wirkt. Trotzdem ein hervorragendes Doppel in einem reduzierten Stil, den wir gerne sehen.

Deutlich verspielter kommt das Amuse namens Deep Water Horizon 2010 daher: Auf einem eingelegten Quader von Wassermelone liegen Späne von Rosa Ingwer und "Blackwater" - man frage uns nicht, was das ist, denn es hat sich nicht nachhaltig eingeprägt. Man schmeckt vor allem die Wassermelone und den Ingwer. (Warum man eine kulinarische Kreation nach einer Umweltkatastrophe benennt, erschließt sich uns auch nicht.)

Danach gibt es wieder ein Doppel: Das "Dynamit" besteht aus Rindertatar, Rauchaal, Erdnuss und Wasabi – und es hat tatsächlich eine enorme Kraft, die aber nicht plump wirkt, sondern frisch und dicht. In der 89er Mouton-Flasche befindet sich nicht etwa das Wein-Pairing, sondern etwas ähnlich Geniales: eine Essenz vom Rind mit heißem Wurzelgemüsesaft. Oder besser gesagt: eine flüssige Umami-Bombe sondergleichen. Große Klasse.

Mit Rind geht es weiter: Das "Löffel-Rind" vereint geschmolzenes Rind und Bohnensaft. Mit "geschmolzen" ist hier wohl der Schmelz des Rohfleischs gemeint, der hervorragend zu den grünen Aromen des Bohnensafts passt. Im Grunde wird hier eine klassische Kombi (Fleisch mit Bohnen) durch eine leichte Verschiebung aufgefrischt. Gefällt uns.

Das finale Amuse besteht aus Jakobsmuschel in Miso gebeizt mit Gurke, Getreide, Rotkraut und Apfelsaft. Die gute (und gut versteckte) Jakobsmuschel wird hier von einem stimmigen Ensemble zwischen feiner Süße, Fruchtsäure und Erdigkeit changierenden Geschmäckern eingefasst. Das passt einfach alles gut zusammen.

Noch größere Freude macht uns aber der zweite Teil dieses Amuse: rohe Jakobsmuschel mit Agrumen, Blumenkohl und Estragon-Beurre Blanc. Wunderbar süffig und vollmundig, dank der Zitrus- und Estragonaromen frei von Schwere. Da könnten wir immer weiterlöffeln. Eine tolle Petitesse.

Nach diesen sage und schreibe 12 Snacks und Amuses beginnt das eigentliche Menü ...

... und zwar mit der Collection von jungen Beten. Wobei uns zunächst nur die Schalen vorgesetzt bzw. unter der Glasplatte des Tisches platziert werden. Wir sind leicht irritiert.

Kurz darauf folgt der zweite Miniakt dieses Gerichtes: Collection von jungen Beten mit Artischocke, Kaviar, Avocado, Haselnuss, Herbsttrompeten und Meeresgemüsefond. Der Teller sieht etwas wild aus, folgt geschmacklich aber einer klaren Linie: Grünwald komponiert hier ein schönes Ensemble aus erdig-nussigen Aromen, die von jodigen Akzenten subtil aufgelockert werden. Die diversen Gemüsestücke sind unterschiedlich gegart und behandelt, sie haben Biss und Schmelz, sind mal leicht säuerlich, mal buttrig, mal ganz pur. Top.

Weiter geht’s mit Huchen in Apfelasche mit Rahmgurke, Lachscrème, confierter Kartoffel und Meerrettich-Gurke. Das klingt erstmal wie ein klassischer Aromen-Akkord und funktioniert als solcher auch entsprechend gut. Insbesondere die Kartoffel erweist sich zwischen den jodig-frischen Elementen als wichtiges Bindeglied. Für den entscheidenden Pep sorgt allerdings eine hintergründige Würze mit Wacholder, Kapern und Fenchelsamen, die das Ganze spannend und komplex macht. Fein.

Das nächste Gericht sieht harmlos und reduziert aus, ist aber alles andere als das: Auf einem Stück warmer Kalbszunge thront eine Auster-Royal, dazu Schnecke, ein knuspriges Schweinsohr, Salsa verde und Entenlebersplits. Und was sollen wir sagen – es funktioniert einfach nicht. Auf diesem Teller passiert unglaublich viel, aber nichts passt zusammen. Es gibt keine Harmonie, aber auch keine Spannung, sondern nur Dissonanzen. Insbesondere die Kombination aus weicher, jodiger Auster und fleischig-weicher, sehr intensiver Kalbszunge empfinden wie als nahezu ungenießbar.

Der nächste klingt dann zum Glück wie ein Papillen-Beruhiger: Schinken-Papier mit weißem Trüffel von La Bilancha, Demeter-Ei, Spinat und Schinken ist die Variation des klassischen Dreiklangs Spinat-Ei-Trüffel. Aber irgendwie ist uns das hier nicht schlotzig und süffig genug. Das Ei müsste etwas weicher und der Spinat großzügiger portioniert sein. Das Schinken-Papier macht das Ganze noch etwas trockener. Das reißt auch der gute Trüffel nicht mehr raus. Sicher bleibt das ein ordentlicher Gang, aber irgendwie auch eine verpasste Chance.

Klar strukturiert sieht der nächste Gang aus: 60-Stunden-Paprika mit Muscheln, Kalmar, Brebis, roher Möhre und Seezunge aus dem Golf der Gascogne. Und tatsächlich lebt dieses Gericht von der exzellenten Produktqualität der Seezunge und deren Zusammenspiel mit der sensibel behandelten Paprika – beides ist für sich schon ein Genuss. Zusammen mit den zurückhaltend dosierten Beigaben wird daraus eine tolle, kraftvoll mit dem Mediterran-Motiv spielende Komposition. Unkompliziert, aber keineswegs banal.

Inzwischen sind wir recht gut gesättigt – aber wir stellen uns trotzdem tapfer dem Hauptgang: Zum Glück erweist sich das Reh mit Wildschweinsalami, Quitte, Kastanie, Kohl, Caffé, Kakao und gegrillter grüner Tomate nicht nur als angenehm überschaubar, sondern auch als so wohlschmeckend, dass wir es locker wegputzen. Das exzellente Fleisch wird von den Beigaben nur ganz leicht umspielt, und obwohl es wieder einmal zahlreiche Komponenten sind, wirkt hier nichts zu viel oder unnötig. Im Gegenteil: Durch die sehr geringe Dosierung stellt sich nie Überdruss ein, man hätte hier und da sogar gerne noch etwas mehr – genau das ist der Trick!

Die erste Nachspeise, eine Mischung aus Vordessert und Käsegang, nennt sich Schaufenster von Tiffany – und in der Tat sehen die diversen Elemente (in erster Linie Frucht und Käse) wie kleine Schmuckstücke aus. Der Sinn des beschrifteten Pergamentpapiers erschließt sich uns allerdings nicht (warum "Filou"?). Setzt man hier auf einen Brecht'schen Verfremdungseffekt? Egal, geschmacklich bleibt das alles jedenfalls recht blass und zusammenhanglos. Hier ist die Anrichteidee besser als das, was angerichtet wird.

Deutlich besser gefällt uns das finale Dessert mit dem Titel "Süßes Herbstlaub": Pistazie, geweckte Zwetschge, Kokos-Eis, Verveine, Rum-Vinaigrette und Salzbutterkaramell. Hier dominieren dunkle und wärmende Aromen, es herrscht Harmonie und Wohlgeschmack. Das Kokos-Eis bringt als exotischer Querschläger einen originellen Akzent, wird durch den Rum aber auch schön eingebunden. In seiner unaufgeregten Art macht dieses Dessert einfach Freude. Ein versöhnlicher Abschluss.

Zum Kaffee noch ein paar Naschereien: Erdbeergummi, After Twelfe, Himbeer-Basilikum-Macaron und Passionsfrucht-Karamell – durch die Bank gelungene Kleinigkeiten.

Das war eine echte Tour de Force. Selten haben wir ein so umfangreiches Menü gegessen, das zugleich ein so wilder Ritt durch die kulinarischen Stilrichtungen ist: mal modernistisch, mal traditionell, mal barock und verspielt, dann wieder zurückhaltend und eher subtil. Oft hatten wir den Eindruck, dass der Autodidakt Christian Grünwald seine Gerichte wie bei einem Brainstorming komponiert – alles, was ihm zu einem Produkt als möglicherweise passend einfällt, wird einfach mal auf den Teller gebracht. Sein komponentenreicher Stil funktioniert sehr gut, wenn er einem klaren Thema folgt (etwa bei der "Collection von jungen Beten"), aber er geht nach hinten los, wenn diese Linie forciert wirkt (etwa bei der Auster mit Kalbszunge). Bei den Zubereitungen meinten wir manchmal, den Autodidakten herauszuschmecken, der auch keine große Crew in der Küche hat. Aber es war nie wirklich dramatisch, und die Wildheit und die etwas ungelenken Anrichtungen trugen durchaus zum Charme des Erlebnisses bei.

Atmosphärisch geht ein Besuch im August schwer ins Theaterhafte. Das beginnt wie erwähnt mit dem Setting und setzt sich in den eigenwilligen, eigens geschneiderten Uniformen (man könnte auch sagen: Kostümen) der Crew fort. Die ständige Farbänderung im Leuchttisch wirkte äußerst skurril. Die Idee gibt den jeweiligen Gerichten sicherlich eine individuelle Bühne, aber auch dieser Kniff wirkte in seiner Häufung manchmal etwas zu forciert.

In Summe bewirkten all diese Details, dass die große Aufführung im August bisweilen etwas vom "Dinner for One" hatte – allerdings ohne betrunkene Kellner und ohne Tigerfell. Das soll aber den Service in keiner Weise herabwürdigen, im Gegenteil: Die gesamte Mannschaft war enorm engagiert, und irgendwie merkte man den teilweise sehr jungen Leuten an, wie stolz sie auf ihren Job sind.

Noch ein Wort zur Weinbegleitung: Bei derart vielen Amuses und Gerichten ist es natürlich schwer, eine passendes Pairing zusammen zu stellen. Dennoch gelang dies gut, wenngleich unsere Empfehlung aufgrund der immensen aromatischen Spannweite wäre, flaschenweise zu trinken.  

Fazit

Ein Restaurant wie ein kulinarisches Schauspiel: Zwischen charmant-passioniertem Laientheater und großer Oper ist alles dabei. Spannend bleibt es immer.

Weine

Weine im Restaurant von Christian Grünwald in Augsburg

Jean Pernet, Brut Grand Cru Réserve, Le Mesnil sur Oger / Champagne

2015 Grauburgunder, Karl Heinz Johner, Bischoffingen / Baden

2015 Cà del Gè, Riesling, Filagn Long, Enzo Padroggi, Monalto Pavese / Lombardei

2011 Château Doisy Daêne, Sec de Bordeaux, Barsac / Bordeaux

2014 Viré-Clessé, Guillemont-Michel, Quintaine, Clessé / Bourgogne

2003 Domaine Courcel, Grand Clos des Epenots, 1er cru, Pommard / Bourgogne

2013 Riesling Beerenauslese, Dr. Loosen, Berncastel / Mosel

Fragen an den Suffmeister (a.k.a. Sommelier)

Anzahl der Positionen?
Ca. 90

Haben Sie einen besonderen Fokus bezüglich der Weinkarte?
Europa

Welche ist Ihre preiswerteste/teuerste Flasche?
Zwischen 35 und 300€ ist alles dabei.

Welcher ist aktuell Ihr Lieblingswein?
Keiner.

Der ausgefallenste (vinophile) Gästewunsch, mit dem Sie konfrontiert wurden?
Keiner.

Hinweis

Unser Besuch wurde vom Restaurant unterstützt. Details zum Umgang mit Pressekonditionen findet Ihr hier.

Eure Meinung?

Theatralik und Lichteffekte zum Menü - Euer Ding?

 

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