Restaurantkritik  3.November 2014

Und ewig lockt das Weib

Als Sergio Herman vergangenes Jahr die Schließung seines weltberühmten, auf Monate hin ausgebuchten Drei-Sterne-Restaurants "Oud Sluis" bekannt gab, war das ein Schock für alle Fans der Avantgarde-Küche. Er wolle „das Monster“, welches selbst dem Gault&Millau nahezu unerreichbare 20 Punkte wert war, schließen, solange er noch ganz oben sei, so seine Begründung. Ein Schritt, der weitsichtig und nachvollziehbar erschien, doch im gleichen Moment unglaublich radikal und egoistisch. Schließlich bedeutete es, dass man der weltweiten Essgemeinde nach Marc Veyrats La Maison und Ferran Adrias El Bulli eine weitere, legendäre Pilgerstätte moderner Kochkunst entziehen würde.

Doch dass ein besessener Koch wie Herman nicht einfach in Frührente gehen würde, ließ hoffen – ebenso seine Pläne für das in der Szene mit größter Spannung erwartete The Jane“ in Antwerpen. Schon dessen vorheriger Arbeitstitel „La Chapelle“ wurde nicht nur als banaler Verweis auf die gewählte, klerikale Location verstanden, sondern auch als Versuch eines neuen Tempelbaus gedeutet. Nachdem die Eröffnung über Monate immer wieder verschoben wurde, öffnete der Gastro-Komplex aus Restaurant und Cocktailbar in den alten Gemäuern einer Kirche etwas abseits der Antwerpener Innenstadt im März 2014 endlich seine Pforten.

Das Interieur ist ultramodern und wirkt durch bunte Glasmosaike und einen überdimensionalen Totenkopf über der Küche bisweilen künstlerisch verspielt, wobei die imposante Kirchenarchitektur noch deutlich sichtbar ist. Durch den urbanen, stylishen Mix aus Historischem und Zeitgenössischem könnten wir uns das Ganze ebenso gut in New York vorstellen. Aus den Boxen tönt – inzwischen in moderater Lautstärke – moderne House-Musik, die smarte Kellnerschar ist in speziell entworfene Uniformen von G-Star gewandet. Das Publikum ist hip und "très chic", aber auch durchzogen von neugierigen Gastropilgern wie einst im Oud Sluis. Keine Frage: The Jane ist nicht nur für die Antwerpener Kreativ- und Fashion-Society der neue „place to be“.

Beim Küchenkonzept setzt Herman auf bewährtes Vorgehen: Wie auch in seinem Strandrestaurant Pure C, das er bereits vor zwei Jahren an der unweiten Küste in Cadzand mit seinem Meisterschüler Syrko Bakker am Herd eröffnete, leitet auch im The Jane ein langjähriger Wegbegleiter die Geschicke der Küche: Nick Bril heißt Hermans Mann in Antwerpen und wie Bakker hat er sich den Posten als langjähriger Sous Chef an der Seite des Maestros im „Monster“ vermutlich sehr hart erarbeitet. Trotzdem liegt man falsch, wenn man eine Küche mit der Komplexität des Oud Sluis erwartet. Herman hat seine Finger bei der Neuentwicklung von Gerichten zwar weiterhin im Spiel, aber das Duo hat sich hier bewusst für einen anderen Weg entschieden: Schon der sehr moderate Preis von 85 Euro für das 7-Gänge-Menü deutet auf ein bistroartiges Casual-Fine-Dining hin. So oder so: Wir waren gespannt, was uns erwartet…

Zum Champagner – offen gibt’s nur die Hausmarke von der Domaine Dehours – erreicht uns zunächst eine Crème vom "Roeselaarse brokkelkaas" (belgischer Käse) mit knusprigen Brotsticks.

Bei den Amuses-Gueules greift die Küche internationale Klassiker auf: spanische Gazpacho, türkische Falafel und griechisches Tsatsiki. Die Gazpacho gefällt durch eine kräftige Würze und einen intensiven Geschmack von Fenchel und Basilikum, das Tsatsiki durch knackiges Gemüse. Die Falaffel hingegen wirken recht gewöhnlich und etwas trocken. Insgesamt eine schöne, aber nicht begeisternde Trilogie.

Das eigentliche Menü startet mit drei zeitgleich servierten Vorspeisen, wodurch der runde Vierertisch mit einem Mal zur opulent gedeckten Tafel mutiert: Hering mit Chiboust vom Frischkäse, Dashi-Vinaigrette, Kohlrabi, süßer Zwiebel und Gurke, Sauerampfer-Granité und grünem Apfel ist fulminant – ein genialisches Zusammenspiel von Süße und Säure, der Frische von Gurke und dem leicht erdigen Aroma des Kohlrabi. Und mittendrin der Hering mit seinem intensiven Eigengeschmack, der bestens mit den zahlreichen Begleitern harmoniert und ein absolut stimmiges Geschmacksbild ergibt.

Sehr gut gefällt uns der Thai-Lachs-Salat mit Gurke, grüner Papaya und Avocado: Der leicht marinierte Fisch ist aromatisch und von sehr guter Qualität, Gurke und Papaya bringen eine herbfruchtige Frische uns Spiel, während die Avocado durch ihren Fettgehalt Schmelz und Mundfülle gibt. Durch das Anrösten der Spalten werden dabei die nussigen Noten versträkt. Anders gesagt: Ein Asia-Klassiker (Papaya-Salat) wird hier auf gekonnte und sehr wohlschmeckende Weise aufgelockert und für den westlichen Gaumen verfeinert. 

Die dritte Vorspeise kommt italienisch daher: Wolfsbarsch mit Tomate und Burrata – ein wunderbar sommerliches, leichtes Gericht, das nicht zuletzt vom Zusammenspiel der hocharomatischen Tomatenvariation mit dem cremigen Burrata-Frischkäse lebt. Der Fisch, so gut er auch ist, wird da fast zum Nebendarsteller. 

Dieser dreifache Vorspeisen-Auftakt gefiel uns gut, wobei wir die Idee des zeitgleichen Servierens etwas problematisch finden. Ein wenig erinnert uns das an Tapas-Bars: es ist locker und gesellig, doch man hat kaum die Chance, sich wirklich auf die einzelnen Gerichte einzulassen, selbst wenn diese die Aufmerksamkeit verdient hätten.

Als kleinen Zwischengang gibt es Austern mit Champagner-Granita und Eisenkraut. Ein sehr schöner, frischer Leckerbissen, bei dem die meerige Austernnote von der Säure des Granita und der Würze des Krauts stimmig abgerundet wird. Sogar der Sternefresser, der Austern eher kritisch gegenüber steht, kann dieser Interpretation viel abgewinnen.

Weiter geht es mit Bak Kut Teh (chinesische Suppe), glasiertem Schweinebauch, Salat von Tintenfisch und Hirse, Karotten und Koriander – sowie als Ergänzung eine Langoustine, die einen Aufpreis von 25 Euro kostet. Und wir müssen sagen: Ohne das edle Schalentier gefällt uns das Gericht sogar besser. Denn der Schweinbauch und die Suppe haben eine sensationelle Umami-Power, von der die jodige Langoustine nur unnötig ablenkt. Das mildwürzige Tintenfisch-Tatar reicht vollkommen aus, um den tiefen Fleischgeschmack zu kontrastieren und dem Ganzen eine aromatische Vielschichtigkeit zu geben. Nur haarscharf schrammt dieses Gericht an der Ernennung zur Götterspeise vorbei.

Die Scholle mit Rendang und indonesischer Sauce ist ein deutlich asiatisch geprägtes Gericht, bei dem der saftige Fisch trotz der kräftigen Würze des Rendang-Currys nicht überlagert wird. Nicht zuletzt durch die sanfte Schärfe ein schönes, die Papillen reizendes Zwischenspiel. Nett, aber nicht mehr.

Zugegeben: Im Eintopf aus Lammschulter mit Kichererbsen, Harissa-Crème, Auberginen, Kürbis und Granatapfel sieht das Fleisch aus wie (ein gutes) Hundefutter. Aber was sollen wir sagen: Es schmeckt großartig! Zart, deutlich nach Lamm, mit perfekter Würze und süffiger Sauce. Durch die diversen Gemüse mit verschiedenen Garpunkten von weich bis bissfest wird das Ragout sowohl aromatisch als auch texturell abwechslungsreich begleitet. Exzellent.

Dagegen wirkt das Hauptgericht zunächst vergleichsweise konventionell. Doch die Kalbslende mit Zucchini, Anchovikuchen und Cremolata trumpft mit einer sehr guten, zarten Tranche Fleisch auf, die von der zitrusfruchtigen Cremolata und dem intensiven Anchoviküchlein den nötigen Pep bekommt. Die gegrillten Gemüsebeigaben passen hervorragend und bieten dem Fleisch eine adäquate Bühne. Insgesamt ist das konzeptionell weniger originell, geschmacklich allerdings ein hervorragender Gang.

Das Dessert klingt ansprechend: Heidelbeere, Schokolade und Merlot-Essig. Es sieht auch spannened aus, bleibt geschmacklich aber leider auf der eher klassischen Seite. Die Schokolade und die Beeren sind zu fluffigen Crèmes und Halbgefrorenem verarbeitet, das Essiggelee steuert eine fruchtige Säuerlichkeit bei. Optisch sehr rund und schmackhaft – doch kein Ausbund an Kreativität.

Überaus gut gefallen uns die Petits Fours: Karotten-Madeleine, Karotten-Eis mit Cumbava, Vanille, Mango, Passionsfrucht und Pandan, Eis-Praline von Meerfenchel, weiße Schokolade und Estragon, Macaron mit Himbeeren und Eisenkraut nach Nick Brils Tochter „Vika“ benannt, Jane-Praline aus dunkler Schokolade mit Liefmans Kirschbier.

Keine Frage: Das The Jane ist zu Recht das gastronomische Stadtgespräch – und zwar weit über Antwerpen hinaus. Sergio Herman und Nick Bril haben einen Ort geschaffen, wo Essen, Architektur, Design, Service und Atmosphäre zu einem pulsierenden Gesamterlebnis verschmelzen, das wir so nur selten erlebt haben.  

Zugleich ist dieses Zusammenspiel auch sehr wichtig, denn speziell das durchgestylte Interieur wirkte auf uns (noch) etwas seelenlos: Es ist fast alles perfekt gestaltet, doch merkt man dem Restaurant an, dass es nicht im Lauf vieler Jahre "gewachsen" ist und dadurch Charakter gewonnen hat, sondern das Ergebnis eines genau kalkulierten Gastrokonzepts ist. 

Beim Essen hatten wir zwar einzelne Kritikpunkte, aber angesichts der handwerklichen Finesse und des großartigen Preis-Leistungs-Verhältnisses fallen diese kaum ins Gewicht. Auch wenn im The Jane schon alleine aufgrund der dreifachen Gästezahl (25 gegenüber 70) keine Oud-Sluis-Küche serviert wird, bewegt sich die Küchenleistung auf einem bemerkenswerten Niveau.

Der Service unter Leitung von Gianluca Di Taranto agiert flink, herzlich, locker und humorvoll. Auch hier merkt man den jungen Spirit und die lässige Note des Meisters im Hintergrund. Selbst ein bisschen Rock’n Roll darf sein: „Casual“ ist eben auch, dass die Teller mal ein paar Minauten länger stehen bleiben oder man nach neuem Wasser einfach fragen muss. Mit anderen Worten: es geht entspannt zu.

Neben der Weinauswahl, die sehr überschaubar und vergleichsweise hochpreisig ausfällt (eine Weinkarte gibt es nur auf Nachfrage), lohnt sich der Blick in die Cocktailkarte aus der Upper Room Bar von Paul Morel. Seine Kreationen haben uns schon im Pure C restlos begeistert und auch hier waren sogar die anti-alkoholischen Essensbegleiter wie der am Tisch geflämmte Drink aus roter Bete, grünem Apfel und Zedernholz eindrucksvoll.

FAZIT

Mit The Jane gehen Sergio Herman und Nick Bril neue Wege – und überzeugen mit einem ungewöhnlichen, ultramodernen Casual-Fine-Dining-Tempel, der das Potenzial für eine neue Pilgerstätte hat.

Fressfreunde

Trois Etoiles

"Im Großen und Ganzen ist das einer der perfektesten Orte, die ich kenne, um bei anspruchsvollem Essen in gelöster Atmosphäre einen rundum perfekten Abend zu verbringen. Jane, I think I’m in love!"

WEINE

NV Champagne Domaine Dehours

2013 Finger Lakes Riesling, Fox Run Vineyards, USA

2012 Viognier, Michel Gassier, Rhone

2013 Pinot Noir, Kellerei Terlan, Südtirol

2011 Parotet, Celler del Roure, Valencia

2013 Braida Brachetto d'Acqui, Giacomo Bologna, Piemont 

Cocktails

Negroni mit Kamille und Basilikum

Seewasser mit Sanddorn und Sake

Cocktail aus Rote Bete, grünem Apfel und Zedernholz

Cocktail mit asiatischen Gewürzen, Kaffirlimette, Zitronengras und Pfeffer

Cocktail with Pisco, Limette, Wakatai und Pfirsich

Eure Meinung?

Findet Ihr The Jane als Gesamtkonzept gelungen?

 

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