Rosige Zeiten
Bietigheim-Bissigen, 20 km nördlich von Stuttgart gelegen, ist eine schwäbische Kreisstadt und vor allem als Heimat der Popgruppe Pur bekannt. Die Voraussetzungen für kulturelle Leistungen gesteigerten Niveaus scheinen damit per se nicht gegeben. Kulinarisches Licht in diese Finsternis bringt das Restaurant Rose, ein Familienbetrieb klassischer Prägung, mit allerdings sehr junger Führung: Benjamin Maerz zeichnet sich als Chef de Cuisine für die Herdkreationen verantwortlich, während sein Bruder Christian als Maître im Restaurant agiert.
Photo-Credit: Stuttgarter Genusskontor
Bemerkenswert ist dabei Benjamins Werdegang. Er hat nie den elterlichen Betrieb verlassen und außer der väterlichen Küche keine prägenden Stationen in seiner Karriere als Koch durchlaufen. Wobei dies auch schwerlich möglich war: Nach der Ausbildung übernahm er nach dem plötzlichen Tod des Vaters im Jahr 2010 direkt den Posten des Küchenchefs und entwickelte zügig sein eigenes Küchenkonzept, welches dann auch zeitnah Früchte trug. So führte der Guide Michelin 2012 Benjamin Maerz als Hoffnungsträger für einen Macaron und bereits im nächsten Guide folgte dann prompt die in Aussicht gestellte Auszeichnung. Schon häufig fiel uns auf, dass gerade die Zeit nach diesem Erfolg kulinarisch oft enorm spannend ist - ein guter Grund für Vorfreude auf das Menü...
Den Auftakt macht Wildlachs mit Rosa Ingwer, Tomaten, Spargel, Physalis und Wasabirauke ein Amuse, das durchaus die Bezeichnung „Sashimi deluxe“ verdient hätte. Hier verbinden sich beste Grundprodukte zu einem geschmacklich austarierten und spannenden Gesamtbild zwischen Umami (Wildlachs), milder Schärfe (Ingwer, Wasabi), fruchtiger Säure (Tomaten und Physalis) und feinem, vegetabilem Biss (Spargel).
Mit der auf Eis servierten „Ama Ebi“ (aus dem Japanischen wörtlich mit „süße Garnele“ zu übersetzen) folgt eine Lektion in Sachen Qualität und Purismus: Die Mini-Garnele überzeugt mit ihrem leicht süßen und milden Geschmack, der durch die Zugabe von Soja (Umami), Malzessig (Säure) und Sesam (nussiger Crunch) an Kraft und Kontur gewinnt.
Komplexer, aber nicht weniger pointiert ist die Meeresbrise aus Auster, Kiwi, Sauerrahm und grünen Kräutern. Hier haben wir ein feines Arrangement vor uns, bei dem vor allem durch die Säurestruktur und die balancierten Kontraste Finesse entsteht. Die pochierte Auster steht dem säuerlichen Rahm gegenüber, während die Kräuter einen herben Kontrapunkt zur fruchtigen Kiwi setzen. Sehr gut.
Die abschließende Petitesse bei den Snacks ist der mundgerechte Veggi-Burger aus Zucchini, Cajun (einer Gewürzmischung), Mayo, Gurke und Purple Curry, der seinen Reiz nicht nur durch die Balance zwischen Herzhaftigkeit und Säure entwickelt, sondern auch mit seinem Kontrast zwischen sehr krosser Hülle und weichem Kern gefällt.
Ins eigentliche Menu starten wir mit dem Gemüseacker aus rohem und eingelegtem Sommergemüse, Topinambur, Erde und Wildkräutern. Auch wenn das Konzept des „Ackers“ nicht mehr neu ist, gelingt die Umsetzung von Benjamin Maerz stimmig und durchaus eigen. Insbesondere das Wechselspiel zwischen den rohen und den säuerlich eingelegten Gemüsen, das in Verbindung mit dem süßlich-erdigen Aroma der Topinambur und dem minimal süßlichen Crunch der essbaren „Erde“ zu einem abwechslungsreichen und kurzweiligen Genuss führt.
Nach diesem gelungenen Gang folgt mit der „Osterinsel“ ein Dämpfer: Die einfallsreich komponierte Miniatur der charakteristischen Steinköpfe aus Gänseleber, grünem Oxalis (Sauerklee), Matcha-Tee und essbaren Steinen leidet unter einem Übermaß an Sauerklee, der auf der Zunge ein Gefühl von Wässrigkeit hinterlässt, was insbesondere dem Genuss der Leber abträglich ist. Visuell eine schöne Idee, bei der die Umsetzung allerdings noch optimiert werden könnte.
Mit Sellerie – Gegrillt und Püree, Grapefruit, Senfsaat, Limette, Haselnuss und Shimejipilze bewegt März sich dann wieder deutlich in Richtung großer Küche. In der Architektur dieses Gerichts bildet die süß-erdige, kräftige Aromatik des Selleries zusammen mit den Grillnoten das Grundgerüst, das durch die vielfältigen Beigaben zu einem differenzierten und dennoch harmonischen Ganzen ausgebaut wird. So sorgt die Senfsaat für eine leichte Schärfe, während Nuss und Pilze eher herzhafte Akzente setzen, um dann wiederum von der Frische der zitrussauren Früchte abgelöst zu werden.
Mit der Hochzeitssuppe 2014 wird es dann sehr persönlich, schließlich hat Benjamin Maerz diesen Gang anlässlich seiner eignen Vermählung komponiert. Und das merkt man: Beim Verkosten können wir mit jedem Löffel geradezu erschmecken, wie viel Hingabe in dieses Gericht eingegangen ist. Der Genuss dabei ist kaum in Worte zu fassen, wenn die Sous-vide gegarte Entenleber sich mit dem Entenconfit, dem bissfesten Rettich und der herzhaften Consomé zu einem vollmundigen Genuss verbindet – gekrönt von einem unsagbar guten Enten-Dim Sum. Das schmeckt so gut, ist so süffig und von derart aromatisch langem Nachhall, dass einer von uns in der Nacht tatsächlich davon träumen wird. Eine Götterspeise durch und durch.
Da kann der Hauptgang nicht ganz mithalten: „Beef & Onion“ beschreibt eine nahezu klassisch strukturierte Komposition, in deren Zentrum ein hervorragendes Dry aged Stück vom Rücken des Nebraska-Rindes steht, das von unterschiedlichen Zwiebelaromen flankiert wird. Das schmeckt zwar sehr gut, verliert aufgrund der recht monoton im scharf-herben Duktus verhafteten Begleitung aber auch recht schnell an Reiz. Hier hätten wir uns durchaus etwas Süßliches vorstellen können, das den Kanon aus Zwiebeltexturen, Schnittlauch-Creme und Lauch durchbricht und dem Gericht zu mehr Kurzweil verhilft. So aber bleibt ein solider Hauptgang - nicht mehr, nicht weniger.
„Vitaminbombe“ ist danach die schlichte wie treffende Überschrift des Pre-Desserts, in dem differenziert ausgearbeitete Sonnenfrüchte mit geeister Passionsfrucht, Yuzu, Kumquat und Basilikum gekonnt präsentiert werden. All das birgt eine sauer-fruchtige Leichtigkeit, die es braucht, um von der herzhaften Seite des Menüs in die süße Welt überzugehen. Eine gesonderte Erwähnung verdient hierbei das Basilikum, das mit dezenter, aber charakteristischer Schärfe einen Kontrapunkt zur Süße setzt und damit für zusätzlichen Wumms sorgt.
Eine ähnliche Synthese aus Namen und kulinarischer Güte finden wir auch beim Dessert. „Smiley“ ist wohl die treffendste Umschreibung dessen, was dieses Arrangement aus karamellisierter Schokolade, Himbeertexturen, Buchweizen, Essig und Schoko-Ästen bei uns hervorruft: Freude sowie Lust am Genuss der texturell vielschichtigen Zusammenstellung aus schokoladig-nussigen Noten und fruchtiger Säure. Originell ist dabei auch der Einsatz eines Zerstäubers, der die nussigen Aromen des Buchweizens auf spielerische Art präsenter zutage treten lässt.
Als Ausklang gibt es eine Auswahl von Petits Fours sowie eine sehr gute Milchreis-Crème mit Blutpfirsich-Kompott
Maerz zeigt mit seinem kleinen Küchenteam eine außerordentliche Bandbreite an Können und lässt dabei Akzente unterschiedlicher Küchen in seinen Stil einfließen. So lassen sich sowohl asiatische als auch „nordische“ Spuren in seinen Kreationen finden, ohne dass er sich dabei in Beliebigkeit verliert. Er besitzt ein Gespür für Proportionen und Dramaturgie und sorgt damit innerhalb des Menüs für Balance und Spannung. Dass hierbei noch Luft nach oben besteht, zeigen dann Komposition wie der Hauptgang oder die Adaption der Osterinsel.
Das Ambiente des Restaurants wirkt modern, ohne mit der eher gemütlichen Atmosphäre des familiären Hotels zu brechen. Eine Stimmung, die sich auch im Service unter der Leitung von Christian Maerz widerspiegelt: Jugendlich charmant, dennoch professionell, aber nicht aufdringlich.
Fazit
FAZIT: Im Südwesten tut sich einiges und Benjamin März ist einer der ambitionierten Vorreiter dieser jungen und spannenden Entwicklung. An ihm kommen wir beim nächsten CookTank für junge Chefs nicht vorbei!
WEINE
NV Champagner Roederer brut
2012 Weingut Steinbachhof, Riesling, Württemberg
2012 Weingut Merkle, Riesling Wildspontan, Württemberg
2011 Markus Molitor, Bernkasseler Badstube Spätlese, Mosel
2012 Weingut Zimmerle, Chardonnay „Berg“, Württemberg
2012 Manincor, „Réserve del Conte“, Lagrein-Merlot-Cabernet, Südtirol
2008 Orben, Rioja
1994 J.J. Prüm, Wehlener Sonnenuhr Auslese, Mosel
2003 Weingut Dobler, Lemberger Eiswein, Württemberg
Fragen an den Suffmeister (a.k.a. Sommelier) Christian Maerz
1. Anzahl der Positionen
Ca. 200
2. Haben Sie einen besonderen Fokus bezüglich der Weinkarte?
Der Fokus der Weinkarte liegt auf Deutschland bzw. Württemberg, aber auch Frankreich, Italien und Spanien.
3. Welche ist Ihre preiswerteste/teuerste Flasche?
Weingut Merkle, Müller Thurgau Hocheben 2013 für 27 €
Domaine Bouchard Pére & Fils, Chevalier Montrachet Grand Cru AOC 2009 für 420 €
4. Die ungewöhnlichste Rarität?
Verschiedene Jahrgänge Chateau Petrus von 1985-1993 (in Familienbesitz)
5. Welches ist Ihr meistverkaufter Wein der letzten 12 Monate?
Orben D.O. Ca. Rioja Tempranillo 2008
6. Ihre Entdeckung der letzten 12 Monate?
Weingut Siegloch Winkenden Württemberg Lemberger „R“ 2011
7. Ihr Lieblingswein...
Das sind zu viele, um sie hier alle zu nennen.
8. Der ausgefallenste (vinophile) Gästewunsch, mit dem Sie konfrontiert wurden?
Bisher wurde ich mit extrem ungewöhnlichen Wünschen verschont, jedoch erkundigte sich ein Gast einmal nach einem Rotwein zu seinem Hauptgang, welcher aber nicht zu sehr nach Rotwein schmecken sollte.
Hinweis
Unser Besuch wurde vom Restaurant unterstützt. Details zum Umgang mit Pressekonditionen findet Ihr hier.