Restaurantkritik 25.August 2014

Auf ins Stadion

Wer als Gastrophiler an Kopenhagen denkt, dem kommt zunächst natürlich das Noma in den Sinn. Aber nicht nur wegen der Aussichtslosigkeit, bei René Redzepi einen Tisch zu ergattern, lohnt ein Blick über den Tellerrand auf die übrige kulinarische Szene der Stadt – es lässt sich so manche Entdeckung machen. Zum Beispiel das zweifach besternte Geranium: Hier steht Rasmus Kofoed am Herd, ein Mann, den nicht wenige als besten Koch der Stadt bezeichnen. In Frankreich, wo die Pellegrino-Liste kaum Beachtung findet, ist Kofoed ohnehin viel bekannter als René Redzepi – immerhin wurde er als einziger Chef der Welt drei Mal mit dem „Bocuse d’Or“ ausgezeichnet: 2005 in Bronze, 2007 in Silber und 2011 in Gold. Entsprechend hoch ist die Zahl französischer Gäste und Mitarbeiter im Restaurant - wobei die schiere Mitarbeiterzahl vor allem in der Küche ohnehin beeindruckend ist.

Der scheu wirkende Kofoed, Jahrgang 1974, kann auf Stationen unter anderem im belgischen Zweisterne-Restaurant Scholteshof und im legendären Kopenhagener Hotel D’Angleterre zurückblicken. Dort lernte er seinen Geschäftspartner Søren Ledet kennen, auch er ein gelernter Koch und zudem Sommelier. 2007 eröffneten die beiden das Geranium. Allerdings mussten sie es bereits zwei Jahre und einen Stern später wegen der Insolvenz eines Hauptinvestors wieder schließen. Es dauerte gleichwohl nicht lange, bis das Duo einen neuen Ort fand, um seine Vision zu verwirklichen.

Vormals in der City gelegen, befindet sich das Geranium seit Ende 2010 im obersten Stockwerk eines klotzigen Bürogebäudes am "Parken", dem dänischen Fußball-Nationalstadion, das zugleich Spielstätte des FC København ist. So wenig einladend das Umfeld zunächst wirkt, so umwerfend ist der Blick aus dem Restaurant auf den namensgebenden Park und die umliegenden Gebäude. Das Interieur ist hell und puristisch. Anders als in vielen New-Nordic-Cuisine-Lokalen setzt man hier nicht auf Rustikalität, sondern auf klare Linien und eine moderne Eleganz: Marmor, schwarzes Leder, weiße Tischdecken und graue Stoffbezüge prägen das Bild. Die Atmosphäre ist vergleichsweise formell, aber der Service agiert trotzdem entspannt und humorvoll.

Unser Menü startet mit einer Vielzahl von Kleinigkeiten: Den Anfang macht ein knuspriger Stick aus Weizen und Kornly-Käse in filigraner Ähren-Form. Er wird aus Weizenkörnern hergestellt, die zuvor Kornly, einen Bio-Käse, einhüllten, während dieser nach alter Herstellungsmethode reifte. Das sieht hübsch aus und schmeckt nett, wobei der Käse etwas präsenter sein dürfte.

Schon optisch ein Genuss ist die kandierte Karotte mit Sanddornschaum. Die Süße der hauchdünnen Karottenkugel wird von einem würzigen, säuerlichen Sanddornschaum stimmig komplementiert. Dennoch fällt der Nachhall auf Grund der länger am Gaumen bleibenden Zuckerschicht für unseren Geschmack einen Tick zu süß aus.

Wunderbar sommerlich die Milch mit fermentiertem Karottensaft und Sanddorn: Hier werden die Mechanismen als Kontrast zur Kugel davor umgedreht – der Sanddorn steuert Süße bei, während die fermentierte Möhre dem seidig zarten Frischkäse Würze gibt.

Die Birne mit Zitronenverbene und Fichtensprossen wird spektakulär präsentiert – und schmeckt ebenfalls wahnsinnig fein: Die hauchdünn aufgeschnittene Birne wurde in einem Verbenesud mariniert und bekommt durch die Fichtensprossen eine schöne nussige Note. Einfach und genial. 

Bei den Topinambur-Crisps mit Walnussmayonnaise gefällt uns die überraschend filigrane Mayonnaise sehr gut, während wir uns die Sticks zum Dippen etwas massiver gewünscht hätten.

Nicht so gut gefallen uns die getrockneten Blüten und getrockneten Äpfel, bei denen man die transparente Hülle mit verspeist: zu süß, etwas zu klebrig und irgendwie auch etwas zu banal im Geschmack.

Ein Kontrast ist danach der verbrannte Knoblauch mit getrocknetem Rind. Wir haben keine Ahnung, wie die schwarzen Knoblauchgebilde hergestellt werden, aber sie schmecken sehr schön würzig und harmonieren  sehr gut mit den Bröseln vom getrockneten, ebenfalls gelungen kräftigen Rind.

Das Thema "verbrannt" wird beim nächsten Gericht fortgesetzt. Die verkohlte Kartoffel mit leicht geräucherter Schafsmilch-Butter verbindet die Mundfülle der weich gegarten, außen krossen Kartoffel mit dem fetten Schmelz und der Würze der Butter mit Kresse. Sehr schön.

Ein Knaller dann das Smørrebrød aus Roggen mit Mayonnaise und gesalzenem Fisch: knusprig, würzig, salzig, mit kräftigem Fischaroma – ein köstlicher Happen.

Danach wird im Mini-Pokal (der in Wahrheit ein Eierbecher ist) aus edlem Silber eine Suppe von gegrilltem grünem Spargel mit Eigelb in Essig aufgetragen – und die königliche Präsentation erweist sich als angemessen, denn dieses Süppchen gehört zu den besten, die wir je verkosten durften. Intensiv, gehaltvoll und doch hochfein, von winzigen Spargelstückchen texturell bereichert und vom in Essig pochierten Eigelb mit zusätzlichem Schmelz und der nötigen Säure aufgepeppt. Eine Götterspeise, keine Frage!

Der Sellerie mit Seegraspuder, Skyr und Fischrogen ähnelt konzeptionell mehreren vorhergehenden Gängen: Ein sehr krosses, an Chips erinnerndes Element wird mit einer Art Dip kombiniert. Und doch kommt keine Langeweile auf, denn es schmeckt immer anders. Diesmal bewegt sich das Aromenspektrum zwischen der feinen Schärfe des Selleries, dem dänischen Joghurt Skyr und der jodigen Würze von Seegras und Rogen. Sehr schön.

Ganz hervorragend gefällt uns die Auster mit Fischhaut und fermentiertem Kohl. Kofoed federt die manchmal unangenehm weiche Textur der Auster mit dem krossen Chip hervorragend ab und setzt den kräftigen Meeresaromen die Bitternoten des fermentierten Kohls entgegen. Große Klasse.

Ein Meisterstück in jeder Hinsicht ist der gelierte Schinken mit Tomatenwasser und Sauerampferblüten: Das sieht nicht nur wunderschön aus, sondern schmeckt auch ganz wundervoll. Die gelierte Schinkenessenz bekommt durch die Tomate eine herrlich "reine" Frische, während die Blüten etwas Süße und Textur beisteuern.

Nicht ganz so perfekt gelingt die Feinjustierung bei den Dillsteinen mit Makrelenfüllung, Meerrettich und Granita aus eingelegter Gurke. Die Dillhülle erscheint uns hier etwas zu dick, und obwohl der Dillgeschmack nicht zu stark ist, kommt die Makrele für unseren Gaumen nicht ausreichend zur Geltung. Durch die Würze von Meerrettichcrème und Gurkengranita – beide an sich exzellent – geht der Fisch noch mehr unter. Texturell und als Kombi von Dill, Meerrettich und Gurke funktioniert die Kreation makellos – allein: Es fehlt der Kick, den der Fisch gegeben hätte.

Am Tisch wird anschließend eine Königskrabbe ausgenommen und das gezupfte Fleisch mit einem mit Zitronenmelisse aromatisierten Krabbensud sowie getrockneten und gemahlenen Moltebeeren mariniert. Der Geschmack dieser Kreation ist sehr pur und lenkt den Fokus ganz auf den feinen Eigengeschmack des Krustentiers. Köstlich.

Auch bei der Stabmuschel mit Sauerrahm und Petersilie setzt Kofoed nur ein paar kleine Würzakzente, um den Geschmack der Muschel besser zur Geltung zu bringen – die übrigens mitsamt ihrer hauchdünnen Schale verspeist wird.

Wie so oft in Skandinavien wird das Brot als eigener Gang zelebriert. Diesmal in Form exzellenter Brötchen mit Getreide und Dinkel und einer  Buttermilch-Butter, die durch Zwiebelblüten noch schmackhafter wurde. Wir finden diese Idee immer wieder toll, da man dem Gebäck auf diese Weise die angemessene Aufmerksamkeit zukommen lässt.

Ein Klassiker des Hauses sind seit jeher die Zwiebelgerichte. In unserem Menü finden wir Zwiebeln, Kamille und geschmolzenem Heukäse auf dem Teller: Ein süffiger Leckerbissen, bei dem die süßliche Zwiebelschärfe von der milden Bitterkeit der Kamille und dem üppigen Käseschmelz eingefasst wird. Es schmeckt einfach verdammt gut, ohne allzu gefällig oder gar banal zu wirken. Ein Highlight des Menüs.

Danach wird am Tisch eine geröstete Jakobsmuschel auf Pinienzweigen präsentiert und in bester „Tableside action“ von Maître Søren Ledet angerichtet. Allein dies zu beobachten, ist eine Freude.

Das fertige Gericht kommt relativ klassisch daher: Jakobsmuschel in Wacholderwürze mit eingemachter Pinie, Beten und Kräutern. Das Prachtexemplar von Muschel hat einen enormen Eigengeschmack, der die schön kräftige Wacholderwürze gut verträgt. Die nahezu rohen Gemüseelemente schmecken in dieser Kombination weit weniger konventionell als erwartet: Meer und Wiese finden hier auf ungewöhnliche Weise zusammen. Der buttrige Jus schließlich macht das Ganze gaumenschmeichelnd gehaltvoll.

Anschließend wird eine Teekanne mit Suppe von gerösteten Kartoffelschalen und einem Kräuterbündel auf dem Tisch platziert – und darf einige Minuten ziehen. 

Schließlich wird der kräutrige Schalenfond bei einem geräucherten Eigelb mit wilder Kresse angegossen. Das sieht einmal mehr spektakulär aus, bleibt geschmacklich aber etwas blass. Wir denken, dass hier die bestenfalls lauwarme Temperatur von wachsweichem Eigelb und Fond die Aromen an der Entfaltung hindert. Ein suppiger Fond, finden wir, muss heiß sein, um zu wirken, und das Ei könnte noch etwas grobes Salz vertragen. Die frischen Kräuter helfen da auch nicht weiter. Das Potenzial dieses Gerichts ist gleichsam erkennbar.

Weltklasse wird es dafür wieder beim Fleischgang: Gegrillte Kalbszunge, Rote Bete und Preiselbeeren. Die Kalbszunge wurde gepökelt, für Stunden gegart und abschließend kurz im Green Egg angegrillt. Das hocharomatische Stück Fleisch ist perfekt in Intensität und Biss. Zusammen mit der herben Süße von Roter Bete und den bitter-süßen Preiselbeeren ergibt sich ein grandioses und unvergessliches Fleischgericht. Die Portion hätte ruhig etwas größer sein dürfen...

Das erste Dessert trägt den Namen "Waldboden im Mai": Sauerklee, Buchenblätter und Waldmeister. Im Grunde haben wir es mit der klassischen Kombination von Wackelpudding mit Eis zu tun – aber in was für einer Qualität! Das geschmacksintensive Gelee wird durch das mit Klee und Buche gewürzte Granita aus weißer Schokolade in Sphären gehoben, die den Namen "Götterspeise" beinahe auch im Sternefresser-Sinne verdient. Spannungsreich, leicht und erfrischend, genau so muss ein erstes Dessert nach einem großen Menü sein.

Etwas gehaltvoller wird es mit Schafsmilchjoghurt, getrocknetem rotem Klee und Rote-Bete-Zweigen: Auch hier funktioniert die Verbindung eines nur leicht süßen und zugleich auch leicht herben Flans mit sanft-erdigen Würzkomponenten absolut großartig. Simpel und genial.

Eine weitere dramaturgische Steigerung in Sachen Üppigkeit und Süße ist der Rhabarber mit Frühlingsblumen, Rosenblättertee und Bienenwachseis. Die blumige Süße von Rosentee und Blüten wird durch die Säure des Rhabarbers ausgeglichen. Das üppige und fürwahr einzigartig schmeckende Eis greift mit seiner Honig-Süße das Blumenthema auf – und überträgt es in eine sensationelle Cremigkeit. Großes Kino.

Einen angenehmen herberen Akzent setzt danach Pflaume, Bier und Buchenholz. Der "Zweig" besteht aus Dunkelbier, das "Törtchen" aus sonnengetrockneten Pflaumen und die Crème wurde mit Buchenholz aromatisiert. Neben den Texturkontrasten gefällt uns hier vor allem das Zusammenspiel "dunkler" Aromen.

Den Abschluss bildet dann der Getreidekaffee mit Petersilie und Salzkaramell. Im ersten Moment ist der leicht bittere "Mokka"-Geschmack des Getreidegebräus etwas gewöhnungsbedürftig. Wenn dann aber die natürliche Süße der Petersilienwurzeleiscrème und die salzigsüßen Karamellnoten dazukommen, ergibt sich ein sehr stimmiges Geschmacksbild. Nicht unbedingt unser Dessert-Favorit, aber in jedem Fall sehr ungewöhnlich.

Als Petit Four zum Kaffee noch ein Grünes Ei mit Pinie – sehr gut.

Bereits bei unserem ersten Besuch im Jahre 2011 waren wir von Rasmus Kofoeds Küche begeistert. Der Zweitbesuch stand dem in nichts nach, im Gegenteil haben wir den Eindruck, dass Kofoeds Kreationen inzwischen noch filigraner und konzentrierter geraten. Unter den skandinavischen Küchenchefs zählen seine Gerichte neben jenen von Magnus Ek (Oaxen Krog) und Esben Holmboe Bang (Maaemo) für uns zu den feinsinnigsten und delikatesten - der "Ästhet" unter den großen Chefs weltweit ist Kofoed ohnehin.

Unschwer zu erkennen, besteht ein Menü im Geranium aus über 20 Mini- und Micro-Kreationen – und wie bei vielen anderen Modernisten auch greift hier die traditionelle Unterteilung in „Snacks“,  "Amuses" und "Menü" nicht mehr. Entsprechend muss man die einzelnen Gänge als Teil eines Gesamterlebnisses betrachten: Es geht weniger um das Servieren herausstechender Highlights als vielmehr darum, den Esser durch einen steten Fluss an delikaten Petitessen in eine Art kulinarische Benommenheit zu versetzen. Unsere vereinzelten Kritikpunkte (etwa bei den Dillsteinen und dem Eigelb), die diesen empfindlichen Fluss stören, sind umso bedauerlicher, da sie eigentlich sehr einfach zu verhindern gewesen wären. 

Kofoeds Kreationen sind zwar mit Sicherheit von großem handwerklichem Aufwand, wirken aber oft betont puristisch: Er konzentriert sich stets auf ein überschaubares Aromen- und Kombinationsspektrum, wohl wissend, dass man sonst angesichts der Vielzahl an Gängen heillos überreizt und mit Eindrücken übersättigt wäre. Gleichwohl folgt das Menü einer stimmigen Dramaturgie aus Leichterem und Gehaltvollerem, aus minimalistischen und maßvoll komplexen Kreationen. Spannend und originell schmecken sie fast alle. 

Der Service unter der Leitung von Co-Inhaber Søren Ledet agiert präzise und durchaus formell, aber nicht humorlos – wir hatten jedenfalls das Gefühl, dass unser Enthusiasmus durchaus auch die junge Crew auflockert. Anders gesagt: Man scheint in der Lage, sich auf das Temperament das Gastes einzustellen. Das erleben wir nicht immer.

FAZIT

Filigran, elegant, schmackhaft – für uns ist das Geranium in Kopenhagen klar die Nummer Eins!

Eure Meinung?

Welches Restaurant ist für Euch die Nummer 1 in Kopenhagen?

 

WEINE

2008 Terre de Vertus, Larmandier-Bernier, Champagne

2011 Schwarzhof Riesling, Egon Müller, Mosel

2011 Orginel, Julien Cortois, Loire

Ingrid Marie Apfel & Kamille

2011 Meursault, Philippe Pacalet, Bourgogne

2012 "Les Orobanches", Domaine de la Cybellyne, Jura

2008 Quinta sardonia, Peter Sisseck, Castilla y Léon

2010 Le Üetit Beaufort Doux, Domaine Alice Beaufort, Bourgogne

2009 Riesling TBA, Fred Loimer, Kamptal

Eis-Cidre Malus Mama, Iñaki Otegi Gaztelumendi, La Costa Guipuzcoana, Baskenland

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