Restaurantkritik 26.April 2014

Klassik mit Umdrehungen

„Wenn einer eine Reise tut, so kann er was erzählen“, hinterließ der Dichter Matthias Claudius der Welt und bereicherte damit unser aller Sprichwortschatz. Für unsere jüngste Reise nach Dresden gilt dieses geflügelte Wort sogar im doppelten Sinn, haben wir doch neben dem Bean & Beluga auch das Caroussel im Bülow Palais Dresden besucht, wobei die Unterschiede zwischen beiden Restaurants größer kaum sein könnten.

Während das Bean & Beluga selbstständig ist, ist das Caroussel ein Hotelrestaurant klassischer Prägung – und das wollen wir durchaus positiv verstanden wissen. Das Restaurant ist gediegen bis pompös eingerichtet, wobei das eine oder andere Accessoire etwas zu viel des Guten ist. Und auch hier begegnen uns wieder die Essbesteck-Figuren des Künstlers Gérard Bouvier, die wir aus der Schwarzwaldstube, dem Adlon und anderen deutschen Spitzenrestaurants kennen. Faszinierend, wie verbreitet dieser Tischschmuck ist!

In diesem Ambiente hat über viele Jahre hinweg Dirk Schröer seine Gäste mit einer französisch geprägten und eben recht klassisch ausgerichteten Küche bekocht und die Geschicke des Caroussels gelenkt. Bis ins Frühjahr 2013 – da verließ Schröer das Haus und wechselte auf die Burg Schwarzenstein im Rheingau. Ihm folgte Benjamin Biedlingmaier, ein junger, ambitionierter Chef, der sich seine Meriten unter anderem in der Traube Tonbach und zuletzt unter Sebastian Zier im La Mer auf Sylt verdient hat. Wir wussten daher nicht, was uns kulinarisch erwarten würde, was oft die beste Voraussetzung für ein gelungenes Essen ist.

Bereits die Amuses lösen die Spannung und geben einen pointierten Vorgeschmack auf Biedlingmaiers Küche: Sowohl das Croustillant von Saibling und Garnele auf Roter Bete wie auch die Mousse von Tomate, Fenchel und Birne und das Rehcrepinette mit conferiertem Steinpilz sind klassisch gekocht und gefallen mit einem ausgeprägten Spiel der Aromen.

Ebenso bemerkenswert ist der erste Gang, den der Service schlicht mit Zwiebel, Topinambur und Petersilie annonciert. Die unterschiedlichen Verarbeitungen der Zwiebel von süßlich mild bis eher deftig rustikal werden wunderbar von der herben Würzigkeit der Petersilie komplimentiert, während der Topinambur hier und da erdige, mild nussige Akzente setzt. So kann es weitergehen.

Tut es auch. Bei der Fjordforelle bringt Biedlingmaier nicht nur goldenes Dekor ins Spiel, sondern versteht es auch, das fantastische Produkt geschmacklich in Szene zu setzen. Das zarte Aroma des Edelfisches wird von der feinen Fruchtsäure des Granny-Smith-Apfels gehoben und vom milden Ziegenquark cremig untermalt. Das für sich genommen schmeckt schon sehr gut, wird aber durch den gerösteten Sesam noch befeuert.

Mit der Jakobsmuschel in Begleitung von Blumenkohl, Vanille und Mais folgt eine vermeintlich sichere Bank in Sachen Harmonie und Wohlgeschmack, wobei sich diese Mutmaßung auf die geradezu klassische Liaison von St. Jacques, Blumenkohl und Vanille beruft. Doch leider sorgt hier der Mais mit seiner dominanten Süße für eine Unwucht in der Komposition. Diese ist so stark, dass die erdigen Nuancen des Kohlgemüses, vor allem aber die milde Nussigkeit der Muschel und die floralen Akzente der Orchideenschote nur zu erahnen sind. Darüber hinaus überwiegen die cremig-weichen Texturen auf diesem Teller und werden nach einigen Gabel recht eintönig. Schade.

Auch der folgende Gang ist nicht ganz stimmig. Genauer gesagt wirkt Ferkel mit Karotte, Kamille und Waldbeere für uns wie noch nicht zu Ende gedacht, da die Proportionen nicht austariert sind. Das Geschmacksbild wird zu sehr von den süßlichen Aromen der Beeren und der Karotte bestimmt. Das zwar wunderbar gegarte, aber eben auch recht milde Schweinefleisch kommt so wenig zur Geltung. Auch dem milden Geschmack der Kamille fehlt der Freiraum zur Entfaltung. Mehr Augenmerk auf die Proportionen könnte hier einiges bewirken.

Ein Highlight ist dann der Hauptgang, Kaninchen mit Petersilie und Roter Bete. Herrlich saftig und zugleich ungewohnt geschmacksintensiv das Fleisch, aromatisch dicht die Jus, würzig, und erdig-süß die Wurzelgemüse. Mehr muss man dazu nicht sagen, einfach köstlich.

Notiz am Rande: Eigentlich könnten wir noch mehr dazu sagen. Nämlich, dass wir nicht erwartet hätten, dass uns ein Gericht mit Roter Bete begeistern könnte. Vielleicht liegt es daran, dass die Bete hier einfach geschmort ist und sich weder als Süppchen noch als Luft, Gelee oder Macaron anbiedert.

Das Pré-Dessert weiß an diese Qualität anzuknüpfen und zeichnet sich durch ein wohlbalanciertes Hin und Her zwischen säuerlicher Zwetschge und sehr mildem Süßholz aus. Gutes kann so einfach sein.

Schokolade mit Ingwer und Feige ist danach der sehr gut schmeckende, aber leider auch schwere und wenig aufregende Abschluss des Menüs. Hier hätten wir uns doch etwas mehr Mut gewünscht, diesem klassischen Dreiklang mehr Pepp und Quirligkeit einzuhauchen.

Kurzweilig und rundum gut dann die Petits Fours: Nougat & Himbeerpralineés, Schmandtarte, Veilchenmousse in Schokolade, Süße Himbeerwaben.

Benjamin Biedlingmaier knüpft zumindest was die Restaurantführer betrifft nahtlos an die Leistungen seines Vorgängers an und wurde im Feinschmecker zum Aufsteiger des Jahres 2013 gekürt. Auch uns hat der gebürtige Göppinger beeindruckt, zeigt er doch trotz seiner jungen Jahre mit modernisierter Klassik eine eigene und bisweilen eigenwillige Handschrift – wobei das eine meist das andere bedingt. Eigen deswegen, weil er seiner sehr schmackhaften Küche Kontur verleiht, ohne auf die heute dafür oft verwendeten Produkte aus Asien oder dem Norden Europas zurückzugreifen. Eigenwillig, weil er dabei an mancher Stelle übertreibt und auch nicht davor scheut, den Gast mit wuchtigen und teilweise polarisierenden Gerichten (Ferkel) zu konfrontieren. Wie weit dies trägt, sei dahingestellt. Wir jedenfalls meinen, dass Biedlingmaier das Potential seiner Kreationen zuweilen noch nicht gänzlich ausreizt, dies aber mit etwas mehr Fokussierung auf die Balancierung der Aromen ohne weiteres erreichen kann.

Der Service unter der Leitung von Jana Schellenberg agierte routiniert aber stets herzlich, so dass wir uns bei der Sommelière während des Essens gut aufgehoben fühlten.

FAZIT

Modernisierte Klassik, wenige Punkte zur Kritik und sich abzeichnendes Potential – wir sind gespannt, was von Benjamin Biedlingmaier noch zu hören sein wird.

Die Weinbegleitung

2009 Nierstein Oelberg, Riesling Sekt Brut, Lisa Bunn, Rheinhessen

2012 Riesling trocken, Enrico Friedland, Radebeul

2011 Weißburgunder R, Klaus Zimmerling, Pillnitz

2009 Birkweiler Kastanienbusch Spätburgunder, Peter Siener, Pfalz

2006 St. Laurent Reserve Frauenfeld, Johanneshof Reinisch, Thermenregion

2006 Monzinger Frühlinsplätzchen, Riesling Auslese Alte Reben, Emrich-Schönleber, Nahe

2011 KikaChenin Blanc Noble Late Harvest, Miles Massop, Stellenbosch, Südafrika

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