Anzeige
Restaurantkritik 25.April 2014

Mit voller Kraft voraus

Seit wir im Frühjahr 2011 das legendäre Brenners Park-Hotel in Baden-Baden besucht hatten, ging uns das Haus nicht mehr aus dem Kopf – selten hatten wir uns in einem Hotel so wohl gefühlt. Neben der herrlichen Lage, der wunderbaren Atmosphäre und der authentischen Gastfreundschaft hatte dazu natürlich auch die Küche von Andreas Krolik beigetragen.

Die Neuigkeit über Kroliks Wechsel in den Frankfurter Tigerpalast im Sommer 2012 vernahmen wir mit einem weinenden und einem lachenden Auge. Denn so schmerzhaft der Verlust für die Hotelgäste zunächst gewesen sein dürfte, erwogen wir einen neuerlichen Besuch in Baden-Baden – als Kroliks Nachfolger nämlich wurde ein bislang unbekannter, aber äußerst vielversprechender Newcomer engagiert: Paul Stradner, geboren 1981 in der Steiermark, arbeitete vier Jahre für Harald Wohlfahrt und wechselte 2010 ins L'Arnsbourg, wo er nach nur einem Jahr zu Jean-Georges Kleins Souschef aufstieg. Spätestens als Klein uns verriet, dass er sich Stradner als seinen eigenen Nachfolger hätte vorstellen können, war uns klar, dass wir die Küche des jungen Mannes ausprobieren müssen.

Also auf und zurück nach Baden-Baden! Der Empfang im Hotel ist gewohnt freundlich, zuvorkommend und vor allem entspannt. Anders als in so manchem Luxushotel hat man hier nicht das Gefühl, dass weniger gut betuchte Gäste weniger geschätzt werden. Man fühlt sich sofort pudelwohl. Vom Balkon unserer Zimmer aus genießen wir trotz kühlen Herbstwetters die entspannende Aussicht über den Kurpark, bevor es für einen wärmenden Aperitif in die Kaminbar geht.

Das Park-Restaurant selbst gefällt uns diesmal sogar noch besser als beim letzten Besuch: In seiner geschmackvollen Gediegenheit passt es zur Eleganz des Hotels, die Atmosphäre wirkt aber trotz der Jackettpflicht keineswegs verkrampft.

Das große Degustationsmenü startet mit drei Löffelhäppchen zum Aperitif...

Beim Dreierlei von der Paprika sollen verschiedene Geschmacksempfindungen durchgespielt werden: Die Paprika mit Mascarpone und einer säuerlichen Essig-Öl-Vinaigrette (Geschmacksempfinden sauer), die Gazpacho von der grünen Paprika mit Meersalz (Geschmacksempfinden salzig) sowie das Sorbet von der gelben Paprika mit Olivenölespuma (Geschmacksempfinden süßlich) schmecken sehr fein und bringen die Aromen der Paprikasorten gut zum Tragen, aber die Nuancen von sauer/salzig/süß dürften für unsere Wahrnehmung noch deutlicher prononciert werden.

Ein kleines Meisterstück dann das Amuse-Gueule, ein mit Korianderkörnern und Fenchelsamen gebeizter schottischer Wildlachs mit Tapioka-Gurken-Salat, Honig-Quark-Espuma und Leinsameneis. Die feine Würze des qualitativ hervorragenden Lachses bekommt vom Gurkensalat eine beinahe fruchtig anmutende Frische, die wiederum bestens mit dem hauchfeinen Quarkespuma harmoniert. Der Clou ist allerdings das Leinsameneis, dessen erdige Noten einen spannenden Kontrapunkt setzen. Wir sind von dieser Feinarbeit schwer beeindruckt, noch bevor das eigentliche Menü überhaupt begonnen hat.

Danach gibt es noch einen Cocktail von Melonen und Parmaschinken, der geschmacklich recht mild ausfällt. Ein nettes Intermezzo, aber nicht mehr.

Das Menü startet mit einer Ceviche von der Gelbflossenmakrele mit Süßkartoffel, Staudensellerie und Limettenvinaigrette: Der von Natur aus fette Fisch bekommt durch die Säure der Vinaigrette und die leicht schärfende Würze des Selleries eine schöne Leichtigkeit. Zugleich wirken diese Beigaben wie Katalysatoren für das Eigenaroma der Makrele. Die hervorragende Süßkartoffelcrème rundet das Ganze harmonisch ab. Ein höchst eleganter Menüauftakt.

Nicht weniger fulminant geht es weiter: Bei Crème von der Gänseleber mit schwarzem Trüffel, Apfel und Feige zeigt sich erneut Stradners Gespür für aromatische Feinjustierung. Die schmelzige Crème ist bestens abgeschmeckt, und die Beigaben sind mengenmäßig sowie in ihren aromatischen Schattierungen zwischen würzig und fruchtig ideal bemessen. Das Ganze schmeckt sehr harmonisch, aber trotzdem spannend – und vor allem natürlich äußerst köstlich. Bemerkenswert auch die Wirkung der Feldsalatblätter, die wir zunächst für reine Deko halten, deren Würzigkeit dann aber überraschende Akzente setzt.

Weniger überzeugend leider der folgende Gang: Königskrabbe und Jakobsmuschel mit rotem Quinoa, Amaranth, Sojamilchcrème, Curry und Mandarine gehört zu jenen Gerichten, bei denen auf dem Teller einfach zu viel passiert. Für sich genommen sind Krabbe und Muschel sehr gut, aber die diversen Komponenten auf dem Teller konkurrieren eher miteinander, als ein spannendes und zugleich rundes Geschmacksbild abzugeben. Als Killer erweist sich für uns –wie schon so oft – die gelbe Currywürze: Sie überlagert sämtliche Aromen und ist für uns leider auf ewig mit dem Duft von Currywurst verbunden.

Umso größer fällt danach die Begeisterung für das glasig gegarte Filet vom weißen Heilbutt mit Paprikapüree, Artischocken und Pinienkern-Sud aus. Der festfleischige, höchst delikate Fisch bekommt durch die Röstnoten zusätzliche Aromenkraft und durch das Paprikapüree eine angenehme Würze. Die Sensation ist aber der Pinienkernsud: durch die sämige Bindung wunderbar vollmundig, durch die deutliche Bräunung der Kerne kräftig, aber dennoch sehr elegant; die winzigen Gemüseelemente sorgen für Frische. In Verbindung mit dem Heilbutt wird daraus eine lupenreine Götterspeise.

Der erste Fleischgang besteht aus gebratener Schulter vom spanischen Eichelschwein mit seiner Sauce, Pfefferlack, Blutwurstcrunch, Blumenkohl und Romanesco. Das butterzarte, leicht knusprige Fleisch wird von der Pfefferwürze und dem kraftvollen Blutwurstcrunch bestens eingefasst. Der knackige Romanesco und der geröstete Blumenkohl bilden durch ihren milden Geschmack einen stimmigen und wichtigen Gemüsekontrast zu dieser Umamibombe. Sehr gut.

Als nächstes gibt es Barbarie-Entenbrust mit Kürbis-Minz-Püree, Couscous mit Raz-el-Hanout und Keulenkompott im Filoteig. Mit orientalischen Würzungen haben wir sogar in 3-Sterne-Restaurants unsere Probleme, da sie auf uns oft undifferenziert wirken. Nicht so hier: Die marokkanische Gewürzmischung ist so stimmig eingebunden, dass sie weder das exzellente Entenfilet noch das milde Kürbispüree überlagert. Vielmehr steuert sie eine komplexe Würze bei, welche die Aromen der anderen Komponenten hervorhebt. Sehr viel präsenter ist das Raz-el-Hanout im Keulenkompott, wo es aber Sinn ergibt, haben wir es hier doch mit einem herrlich kräftigen Schmorgericht zu tun. Nicht zuletzt dieser Kontrast aus Filigranität und Rustikalität macht den Reiz des Ganges aus.

Ein besonderes Highlight ist dann der Hauptgang: gebratener Rehrücken, am Tisch tranchiert, mit Wacholderjus, Selleriepüree karamellisiertem Rotkohl, eingelegter Birne und Johannisbeergel. Oder anders gesagt: Es gibt "Rehrücken Baden-Baden". Aber was für einen! Das perfekt gegarte Fleisch lässt sich mit dem Löffel vom Knochen lösen und wird auf einem Glasteller der besonderen Art drapiert: Unter der Servierfläche liegt in einem Holzkästchen ein Stück "Waldboden", bestehend aus Moos, Eicheln, Kastanien und Vogelbeeren sowie einer Patronenhülse – eine schöne Idee.

Den Rotkohl hätten wir uns zwar etwas knackiger und die Spätzle etwas salziger gewünscht, ansonsten aber kann dieser Klassiker geschmacklich mehr als überzeugen. Butterzartes, wohltuend intensives Wildfleisch, eine dichte Sauce und dazu die pochierte und abgeflämmte Birne sowie die obligatorischen Preiselbeeren – als cleveres Detail in milder und gut dosierbarer Geleeform. Exzellent.

Anzeige

Von herrlicher Süffigkeit der Käsegang: Vacherin-Mont-d’Or-Schaum mit Kartoffel. Diese Kreation dürfte von Jean-Georges Kleins Trüffelcapuccino inspiriert sein, bekommt durch die Kombi von Käse und Kartoffel aber eine eigne Note. Davon abgesehen schmeckt diese samtige Verbindung einfach großartig – und erstaunlich leicht.

Nicht ganz so gut gefällt uns das erste Dessert, "Brenners Zitrone". So toll und täuschend echt sie auch aussieht, wirkt die Kreation aus weißer Schokolade und Zitronenfüllung auf Dauer etwas monoton – ein Problem, das wir häufiger bei dieser Art von "Trompe-l'œil"-Dessert haben.

Sehr viel besser das finale Dessert, Kreation von der Bio-Kuvertüre, Grand-Cru-Schokolade, Ananaskaramell und Maracujasorbet. Trotz des hohen Schokoladenanteils gerät es nicht schwer und sättigend – und durch die zur Degustation einladende Präsentation werden tatsächlich die Papillen für die verschiedenen Schokoladenzubereitungen und Sorten geschärft. Die diversen Fruchtelemente bringen Abwechslung und Spannung, drängen sich aber nicht in den Vordergrund. Fein.

Die Petit Fours können wir leider nur noch visuell würdigen – zum Probieren sind wir einfach zu satt.

Pralinen zum Abschluss

Man dürfte es beim Lesen gemerkt haben: Das Essen im Park-Restaurant gehört zu unseren Highlights der letzten Monate. Nach den sehr positiven Worten seines Mentors Jean-Georges Klein hatten wir durchaus Erwartungen an Paul Stradners Küche – und die hat er spielend übertroffen. In seinen Kreationen vereint sich ein Sinn für Klassik, wie er ihn bei Harald Wohlfahrt gelernt haben dürfte, mit einem Gespür für moderne Akzente und eine kompositorische Pointiertheit, die an Kleins Kreationen erinnert.

Als sehr angenehm empfanden wir auch, dass Stradners Gerichte zeitgemäß wirken, ohne den allgegenwärtigen Anrichte-Trends zu folgen – die Tellerarchitektur wirkt zeitgemäß und zeitlos zugleich.

Vor allem aber: Fast alles schmeckt ausgezeichnet, einiges sogar ganz hervorragend – und in einem so umfangreichen Menü nur ein schwaches Gericht zu haben (die Curry-Jakobsmuschel) erleben wir selten. Wir sind jedenfalls sicher, dass wir von diesem Küchenchef noch einiges hören werden.

Notabene: Einer von uns hatte das vegetarische Menü, das bislang zu den gelungensten seiner Art gehörte. Eine ausführliche Besprechung hätte allerdings den Rahmen gesprengt.

Bemerkenswert auch der freundliche und diskrete Service, der zum rechten Zeitpunkt auch einen humorvollen Spruch auf den Lippen hat. Auch Sommelier Karl-Heinz Schopf muss eine spezielle Erwähnung finden – ein Mann mit unbändiger Leidenschaft für alles, was mit Wein zu tun hat. Insbesondere für das Anbaugebiet Baden.

Angesichts der aktuell zahlreichen Schließungen von Sternerestaurants erscheint es uns auch bemerkenswert, dass die Oetker-Collection neben Althoff eine der ganz wenigen Hotelgruppen mit einem ungebrochenen Schwerpunkt auf erstklassiger Küche ist. Und mit Paul Stradner bleibt das Gourmet-Triumvirat aus dem Pariser Le Bristol (3 Sterne), dem Château Saint-Martin & Spa in Vence (2 Sterne) und dem Brenners erhalten. Wir freuen uns.

FAZIT

Paul Stradner serviert im eleganten Rahmen des Brenners Park-Hotels eine exzellente, souverän zwischen Klassik und Moderne pendelnde Küche – Chapeau!

Weinbegleitung

2004 Dom Pérignon Venus, Champagne

2011 Sauvignon Blanc, Weingut Nägelsförst, Baden

2011 Weissburgunder, Weingut Knapp, Baden

2008 Gewürztraminer Domaine Weinbach, Elsass

2008 Chardonnay, Weingut Bercher, Baden

2011 Riesling Achat, Weingut Laible, Baden

2011 Viognier, Dr. Heger, Baden

2009 Calmo, Weingut M. Wassmer, Baden

2008 Puech Noble Rouge, Côteaux du Languedoc

2005 Beaune Les Epenottes, Burgund

2011 Muskateller, Dr. Heger, Baden

2003 Spätburgunder Beerenauslese, Winzergenossenschaft Sasbachwalden, Baden

2009 Riesling Beerenauslese, Markgraf von Baden, Baden

Mit im Eischnee pochiertem Bio-Eigelb, Hokkaido-Kürbispüree, Parmesanschaum und Albatrüffel folgt ein Wohlfühlgang par excellence. Zwar reicht diese Variation eines Klassikers der französischen Haute Cuisine nicht ganz an die Versionen bei Harald Wohlfahrt und Eric Fréchon heran (im Eischnee fehlt es ein wenig an Salz), dennoch schmeckt sie ausgezeichnet und bekommt durch den würzigen Parmesanschaum sowie den leicht süßen Kürbis eine eigene Note.

Das könnte dich auch interessieren