Restaurantkritik  5.Januar 2015

Was es war, das wird uns erst beim Abschied klar

Die Nachricht von der Schließung des Schlosshotels Lerbach kam unerwartet und bedeutet das Ende einer kulinarischen Institution und Pilgerstätte. Anzunehmen, dass es für die Mitarbeiter und viele Gäste ein Schock war, dass bereits zum Jahresende Schluss war, weil sich die Althoff-Gruppe mit den Eigentümern der prächtigen Immobilie und des wunderschönen Parkareals, der Familie Siemens, nicht auf eine Verlängerung des Pachtvertrages verständigen konnte.

Die Eröffnung des Hotels war 1992 der Einstieg von Hotelier Thomas Althoff in das Luxussegment – und damit verbunden auch in die hochklassige Gourmetküche. Für uns und zahlreiche Gäste bleibt das Idyll in Bergisch Gladbach mit zwei großen Köchen und viel Genuss verbunden. Vor Nils Henkel wirkte hier der legendäre Dieter Müller, und nur allzu gern kehrten wir im nach ihm benannten Restaurant ein. Seit dem ersten Tag im Schloss beheimatet, wurde es bereits 1997 mit drei Michelin-Sternen geadelt und trug maßgeblich zur deutschen Küchengeschichte bei. Unvergessen bleiben Müllers Klassiker wie Crème brulée von Gänseleber mit Gänseleberpraline, der Cappuccino von Curry und Zitronengras und das Eisparfait von der Tonkabohne. Mit seiner großen Liebe für Saucen wie die "Sauce Riche" und seinem damals spektakulären wie kurzweiligen Amuse-Bouche-Menü zeichnet er außerdem für die kulinarische Sozialisation eines der Sternefresser verantwortlich.

Nach der Staffelübergabe an seine rechte Hand Nils Henkel im Jahre 2008 blieb Müller als Patron im Amt und konzentrierte sich fortan auf die schlosseigene Kochschule. Sein Ausscheiden folgte dann im Jahre 2010 eher unwürdig: Von der kurzfristigen Namensänderung des Restaurants in Gourmetrestaurant Schloss Lerbach erfuhr der Altmeister aus dem Gault Millau – seither setze er keinen Fuß mehr auf das Anwesen. Eine Wunde, die bis zur Schließung des Hauses vier Jahre später nicht mehr verheilen sollte.

Nils Henkel trat sein Erbe auf Lerbach indes erfolgreich an und verteidigte die drei Sterne des Restaurants nach der Übergabe. Währenddessen schärfte er seine eigene Stilistik. Nach und nach wandelte sich seine Affinität für Süßwasserfische und mediterrane Aromen, die noch auf Müller zurückzuführen war, in eine ausgeprägte Passion für vegetarische Kreationen und gemüsefokussierte Gerichte. Im Laufe der Jahre wurden daraus immer eigenständigere Geschmacksbilder wie die Trüffelkartoffel mit Wachtelei, Perigordtrüffel und Veilchen, die 2010 im ersten eigenen Kochbuch mit Namen „Pure Nature“ mündeten. Trotz gutem Ansatz und zeitgemäßem Konzept stufte der Michelin das Restaurant im November 2011 auf zwei Sterne zurück – eine Abwertung, die zwar bis zuletzt oft in der Community diskutiert, aber nicht korrigiert wurde.

Dieter Müller tauschte nach Lerbach das Land gegen die Weltmeere und kocht seither im "Restaurant Dieter Müller" auf der MS Europa, während er zudem regelmäßig mit seiner Frau Gäste zu Kochkursen an den heimischen Herd in Odenthal lädt. Von Nils Henkel hoffen wir, demnächst wieder zu hören, und sind gespannt, an welchen Herd es den sympathischen Norddeutschen verschlagen wird. Bis dahin reicht hoffentlich die Erinnerung an unseren letzten Lunch bei ihm – und für allerhöchste Not haben wir noch sein feines Kochbuch zur Hand. 

Im Zuge dessen danken wir auch den großartigen Maîtres Birgit Müller, André Thomann und Desirée Steinheuer sowie inspirierenden Sommeliers wie Silvio Nitzsche, Thomas Sommer und dem bis zuletzt an der unvergorenen wie auch der vergorenen Front kämpfenden Unikat Peter H. Müller.

Foto: Letztes Teambild in Lerbach

Ein ähnlich schwerer Verlust für die Deutsche Gourmandise ist zweifelsfrei das Ende der Villa Merton unter der Regie von Matthias Schmidt. Am 18. Dezember schloss die Küche ihre Pforten, und auch hier ist Wehmut völlig angebracht. Nicht nur, weil ein weiterer Zwei-Sterner seine Supernova erlebt, sondern vor allem, weil die rigorose Stilistik in ihrer radikalen Regionalität und Kreativität im deutschsprachigen Raum ihresgleichen suchte. 

Den Beginn nahm alles 2002, als der Caterer Klaus Peter Kofler das Restaurant in den durchaus noblen Räumlichkeiten des Union International Club im Frankfurter Diplomatenviertel eröffnete. Unter der kulinarischen Verantwortung von Hans Horberth etablierte sich die Villa Merton in der Mainmetropole, wobei das Konzept einer modernisierten und mediterran-inspirierten, französischen Klassik kaum aus der Masse der einfach besternten Restaurants emporzustrahlen vermochte.

Das änderte sich erst 2008, als Horberth Frankfurt in Richtung Köln verließ und sein Sous Chef Matthias Schmidt (4.v.l.) das Küchenzepter übernahm. Dieser Wechsel brachte die grundsätzliche Neuausrichtung des kulinarischen Konzepts. Schmidt verschrieb sich bis zuletzt in seinem ganzen Handeln dem regionalen Produkt, und das mit bedingungsloser Konsequenz – auch wenn viele Spötter dem Team gerade diesen Umstand bis zuletzt vorgehalten haben. Unserer Meinung nach verlor der Vorwurf durch den Erfolg der Küche immer mehr an Gewicht. Schmidt schaffte nicht nur den Sprung in die Zwei-Sterne-Liga, sondern etablierte eine ganz eigene Handschrift: authentisch, unverfälscht, zugleich eigenwillig und fordernd.

So bleibt Schmidts Handkäs mit Musik neben dem Götterspeisen-Dessert "Wacholder, Schildampfer, Speierling und Vogelbeeren" und einigen anderen Kreationen ebenso unvergessen wie der Umstand, dass das eher schwere, von Noblesse getragene Ambiente des Restaurants in einem eigentümlichen Kontrast zu seiner naturverbundenen Küche stand. Dies war sicherlich mit ein Grund für die Pläne von Kofler & Company, für das Jahr 2015 nach einem neuen, passenden Rahmen für die Küche zu suchen. Eine Suche, die nach Schmidts erklärtem Rückzug aus persönlichen Gründen nunmehr im Sande verlaufen ist und neben der (vorerst) leeren Villa ein Loch in unseren fresssüchtigen Herzen hinterlässt. 

Wir sagen auch hier allen Beteiligten vielen Dank und wünschen für die zukünftigen Wege das Beste – wohin sie auch immer führen mögen.

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