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Interviews 30.Mai 2022

Otto Koch – Von der Bereitschaft, Außergewöhnliches zu tun

Das deutsche Küchenwunder wäre nicht denkbar gewesen, ohne eine Gruppe von vier jungen Köchen, die sich, initiiert von Wolfram Siebeck, in den frühen Siebzigern zur »Interessen-Gemeinschaft Neue Köche« zusammenschlossen. Nach den Tiefkühlkost- und Dosenexzessen des Wirtschaftswunder-Deutschlands führten sie die Küche in »nie gekannte Bereiche«, wie Der Spiegel 1975 schrieb. Man betrat völliges Neuland, wie sich Otto Koch heute erinnert: "Ein struktureller Wandel durchlief die Küche, weg vom Aufwärmen hin zur Kreation aus frischen Produkten, die seit jeher regional waren."

Neben dem Jahrhundertkoch Eckart Witzigmann bestand die Gruppe aus Hans-Peter Wodarz, Dieter Biesler und Otto Koch. Während Biesler nach seinen Erfolgen in der Hotelgastronomie weltweit Küchen plante, erfand Wodarz die Gattung des »Restauranttheaters«. Otto Koch hingegen kochte. Und wenngleich er heute kein eigenes Restaurant mehr betreibt, ist er der letzte dieses Quartetts, dessen Kreationen man heute noch kosten kann.

Bild: Ein Treffen von Deutschlands Spitzenköchen auf der Zugspitze 1985

Koch war eine tragende Säule dieser Interessengemeinschaft und genießt bis heute höchstes Ansehen, auch wenn sein Name bundesweit nicht so bekannt ist, wie der Eckart Witzigmanns, Dieter Müllers oder Tim Mälzers. Dabei brachte Koch die gute Küche seit 1998 regelmäßig auf die Mattscheibe: In bislang über 900 Sendungen kochte er bis 2021 mit öffentlich-rechtlicher Absolution im ARD-Buffet ebenso souverän, wie mit der Gattin des ehemaligen Bundespräsidenten, Christiane Herzog in Schloss Bellevue.
Er trainierte die Küchenmannschaft des Präsidenten von Togo (1978) und stand über 20 Jahre am Her seines legendären Restaurants »Le Gourmet«, dass sogar von der New York Times als Meilenstein der Gourmandise bezeichnet wurde. Kochs Karriere gleicht einem Kaleidoskop der Möglichkeiten, die der Beruf über das Kochen hinaus erlaubt. Einen Tag vor unserem Treffen kam er grade aus Kuba zurück, wo er für eine private Organisation die Küche einer Schule für behinderte Kinder einrichtete.

Wir sind verabredet in Bobby Bräuers zweifach besterntem »EssZimmer« in der BMW-Welt. Bräuer ist einer der zahlreichen Schüler Kochs, die ehemalige Ausbilderrolle ist inzwischen einer väterlich verbindenden Freundschaft gewichen. Koch heißt uns herzlichst willkommen: "Ich bin der Otto," sagt er mit kräftigem Händedruck und einer daseinserfüllten Grundgelassenheit, verbunden mit einer gewissen Zielstrebigkeit. Die Wahl von Bräuers Restaurants ist Kochs verbindendem Wesen geschuldet, was sich wie ein roter Faden durch den gesamten Tag ziehen wird.

"Damals war der Aufbruch in München", so Bräuer, der von der Uni in die Küche wechselte und 1980 seine Lehre bei Otto Koch im »Le Gourmet« begann. Bräuer erwähnt den für damalige Verhältnisse ungewohnt liberalen Führungsstil Kochs und beschreibt ihn als sehr vertrauensvollen Chef, dem die Passion fürs Kochen stets größere Motivation war als blinde Hierarchien. Bräuer und Koch haben eine ausgesucht bedachte Wortwahl, sind höchst reflektiert und sehen sich auch in seelischer Verantwortung: für das Team, die Gäste und das allgemeine Wohlbefinden.
In seiner Ausbildung haben Bräuer und Koch drei Jahre gemeinsam gekocht. "Ein Sechs-Flammen-Gasherd, ein Backrohr und zwei Backöfen statt Holdomat," erinnert sich Koch an die 80er. "Irgendwann legte sich der Kippschalter um," erzählt Bräuer, "und wir wurden Freunde. Otto ist kein harter Mensch." Während der Service einige Häppchen auftischt, sinniert Bräuer über die damalige Zeit. "Wir wussten damals gar nicht, wohin die Reise geht: Waren, Journalismus, Sterne – wir haben einfach gekocht."
Wir sprechen über den Wandel von damals bis heute. "Es war undenkbar, nur Abendservice anzubieten," so Koch. "Die Degustationsmenüs konnten sich von mittags bis abends ziehen. Bei manchen Gästen wusste man bereits: die bleiben bis drei Uhr nachts! Es gab bis zu zehngängige Menüfolgen, denn mehr Gänge, so die damalige Logik, bedeuten auch mehr Getränke." Rund 450 Positionen hatte Otto Kochs Weinkarte im »Le Gourmet«, legendär waren seine großen Wein-Dinner mit Hardy Rodenstock. "Wenn Du einmal 1820er Latour getrunken hast, ist danach alles andere nur noch Beaujolais."

Bild: Otto Koch mit Stammgast Kirk Douglas und Ehefrau

In den 1970er Jahren gab es ca. 50 Sterne-Restaurants in Deutschland. "Damals musste man reisen, heute gibt es die Bilder im Internet, die Fotos immer verfügbar, Informationen in Echtzeit. Generell gesehen räumte man dem Genuss mehr Zeit ein." Dazu erinnert Bräuer eine Anekdote, als ein Gast Lamm in einer Panade aus Senfsaat bestellte, obwohl es momentan gar nicht auf der Karte stand. "Das Lamm hing noch im Keller. Otto geht also runter, holt das Lamm, löst es in aller Ruhe aus und pfeift ein Liedchen dabei. Das hat Stunden gedauert, hat aber keinen gestört. Keiner hat was gesagt."
 
München war damals der Motor der Bewegung. "In Süddeutschland gab es 1976 erstmals Gastrokritiken, Baumgärtel schrieb im »Playboy« und kürte das ‚Restaurant des Monats‘, es folgten Kritiken in der Süddeutschen usw. Es gab einen gewissen Lifestyle und es kamen Gäste aus aller Welt, aus Frankreich, England, zu Olympia. Dazu gab es die Doppelspitze aus dem »Tantris« und der »Aubergine«.»" Eine Entwicklung, die nach Kochs Lehrabschluss in nur acht Jahren quasi aus dem Nichts in Lichtgeschwindigkeit passierte.

Von Gröbenzell an die Spitze…

Otto Koch wurde 1949 in Gröbenzell bei München geboren. Seine Eltern betrieben dort ein Lebensmittelgeschäft. Mit 16 schreib der junge Otto in sein Tagebuch: Ein Gärtner ist ein guter Gärtner, wenn er sich an dem erfreut, was wird, nicht was er erwartet! Im selben Jahr begann er seine Ausbildung zum Koch im damaligen Münchener Regina Palast-Hotel am Maximilianplatz, wo er 1968 seine Prüfung zum Koch bei Siegfried Schaber ablegte.

Die folgenden Jahre zog es ihn ins europäische Ausland, nicht allein wegen des Kochens, sondern auch, weil er eingezogen zu werden drohte und den Wehrdienst schwänzte. So stellte sich Koch an die Straße und fuhr per Anhalter zunächst nach Florenz, bevor es ihn in die Schweiz zog – einer damals obligatorischen Station für Köche, die höhere Ziele als die Aufwärmküche hatten. Es folgten Stationen im Restaurant Wallberg in Zürich und anschließend in St. Moritz im Carlton Hotel sowie im Kulm Hotel. Mit dem Baseler Restaurant »à Point« folgte der erste besternte Betrieb, bevor es ihn nach Frankreich zog.

Bild: 12. August 1885: Koch serviert ein Original-Menu von König Ludwig.

Die Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich war damals noch vom Krieg geprägt. Koch bewarb sich in Frankreich und bot sogar an, gratis zu arbeiten. Doch die politischen und sprachlichen Barrieren waren damals hoch: »Verboten für Deutsche und Hunde« stand teils noch an manchen Kneipen. Haeberlin und einige wenige andere stellten Deutsche ein, und so verschlug es Otto Koch an die französische Riviera, ins »L’Oasis« in La Napoule bei Cannes, bevor er ins berühmte »Taillevent« nach Paris ging.

Durchstarten in Deutschland
Zurück in Deutschland wartete die Angelegenheit mit der nicht abgeleisteten Wehrpflicht auf ihn: Staranwalt Rolf Bossi, der unter anderem Romy Schneider und später auch einen Täter des Gladbecker Geiseldramas vertrat, regelte die Angelegenheit schließlich zu seinen Gunsten.
Ohne Mäzen oder ein Hotel im Rücken wagte er frei nach Fernand Point den Schritt vom Dienstleister zum Unternehmer. Im Münchner Arbeiterviertel Theresienhöhe, unweit der Wies'n und des Messegeländes, eröffnete er 1974 in einer ehemaligen Hacker Pschorr-»Bierschwemme« sein Restaurant »Le Gourmet«. Koch war damit einer der ersten Köche, die auf eigenes Risiko antraten. Bereits ein Jahr später wurde das Restaurant mit einem Michelin-Stern ausgezeichnet, den er über den 1990er Umzug ins Restaurant Schwarzwälder in der Münchener Innenstadt bis 1995 bis zur Betriebsaufgabe hielt.

Bild: Koch im L'Oasis in La Napoule unter Jeanmarie Meulien

Für 600 Mark Miete mit angeschlossener Wohnung musste zunächst Infrastruktur geschaffen werden – Eigeninitiative war das Maß der Dinge. "Die Patisserie haben wir in der Garage untergebracht, alles selbst finanziert mit einem Pachtvertrag für zehn Jahre. Es gab Kutteln für 6,90 DM, die Karte war auf französisch geschrieben. Ein Jahr später kam der Stern. So ist der Michelin," erzählt Koch und zuckt mit den Schultern. Die Gestaltung des »Le Gourmet« war plüschig, mit viel Samt und Rot und einer Eingangs-Tür mit Klingel und Klappe – wegen der Wies'n! "Nach vorne war alles Bling-Bling, aber hinter den Kulissen haben wir in einem alten Fiat den Müll und die Schweine-Eimer selbst weggefahren."
Mit steigenden Ansprüchen kamen die Luxusprodukte, um deren damalige Beschaffung sich seit jeher Legenden ranken. "Man ist damals nach Paris zu Rungis gefahren und hat den Laster vollgemacht. Man bestellte nicht, sondern nahm, was man bekam. Manchmal gab es einen Stör voller Kaviar, wenn man Glück hatte zum gleichen Preis! Und die Stopfleber haben wir damals unter dem Salat versteckt, wegen der veterinärärztlichen Kontrollen. Damals waren die Grenzen ja noch nicht offen."
Daneben war Otto Koch stets vorausschauend und technikaffin. Er entwickelte zum Beispiel eine Kasse mit integriertem Warenwirtschafts-System, für die er 1982 einen EDV-Preis bekam. Als Unternehmer waren ihm Zahlen und Rechnungswesen immer wichtig, weshalb er das System kurzerhand selbst entwickelte. "Ich hatte 1980 einen Commodore mit Drucker und Buchhaltungsprogramm für 24.000 DM gekauft und das System darauf mit Freunden entwickelt. Es umfasste die Warenwirtschaft und ein Reservierungssystem, das in den 90ern dann verkauft wurde."

Bild: Das Team im "Le Gourmet" 1975

Weißwürste und Kutteln

Aus dem »Le Gourmet« stammen Signature Dishes wie die berühmten Weißwürste von Meeresfrüchten, die »falsche Prinzregententorte«, Linsen mit Andouillette, Kalbsfuß mit Rösti und Trüffelsauce und der »Seestern von Seezunge und Lachs« – "Aus dem Vakuumbeutel, nach Gefühl, ohne Thermometer. Sous-Vide konnte auch meine Großmutter schon," erzählt Otto Koch augenzwinkernd.
"Was es bei Eckart Witzigmann gab, gab es nicht bei mir. Die Signature Dishes entstanden aus dem Zwang zur Unterscheidung, woraus sich auch ein gewisser unternehmerischer Ansporn entwickelte," erinnert sich Koch. "Ein gutes Produkt, eine Prise Kreativität, so einfach ist das – eigentlich," schränkt er ein, denn "die große gastronomische Leistung ist ja nicht das Kochen allein, sondern Geld zu verdienen."
"Es gab ein á la Carte und ein Menü, der Kellner war damals das Instrument zur Steuerung des Verkaufs, beim Essen wie beim Wein." Bei seinen Gerichten stand für Koch immer die Produktversessenheit vor der Kreativität. In den 70ern hatte man Mut zum Geschmack: "Das Gericht Langusten mit Thai-Curry von meinem Chef Jean-Marie Meulien im »Oasis« bot eine ungeahnte Intensität. Dazu haben wir kistenweise Saint Jacques verballert, die Scheiben vorsichtig erwärmt, im Fond mit Crème Double."

Das »Haus Schwarzwälder« verfügte über insgesamt drei Restaurants, eine Bankettabteilung, einen Privatclub, eine Vinothek mit Weinhandel, Weinaccessoires und Partyräume im Keller. Doch all die Möglichkeiten wurden zunichte gemacht von einem einzigen Manko: Keines der Lokale hatte eine Gartenterrasse, sodass im Sommer alle fünf Gastronomien zu oft leer standen. Trotz Rettungsversuchen wie der Vollklimatisierung aller Räume auf eigene Kosten löste Koch 1995 den Pachtvertrag auf und begab sich zunächst auf Reisen, bevor er sich komplett neu aufstellte.

Mitte der 90er Jahre war Koch gefragter denn je. Im Jahre 1996 begann er seine beratende Tätigkeit für den »Robinson Club«. Er bereiste als gastronomisches Mastermind die Welt, entwickelte gastronomische Konzepte und Gourmet-Events. Bis 2016 dauerte diese Zusammenarbeit. Zwischendurch schrieb er zahlreiche seiner heute insgesamt fünfzehn Bücher, darunter Klassiker wie »Kreativ Bayerisch kochen«.

Zusammen mit Dieter Hanitzsch konzipierte er 1997 die TV-Sendung »Zu Gast bei Christiane Herzog«, eine Sendereihe zugunsten ihrer Mukoviszidose-Stiftung, für die sie sich bereits seit Jahren eingesetzt hatte. Dort wurden 28 Folgen lang Prominente wie Harald Juhnke oder Thomas Gottschalk eingeladen, mit Koch und Herzog zu kochen. "Nach den Aufzeichnungen haben wir oft bei ihr und ihrem Gatten, dem Bundespräsidenten im Schloss Bellevue zusammen zu Mittag gegessen. Als gelernte Hauswirtschafterin war sie eine sehr sparsame Frau."
Nur ein Jahr später begann seine Karriere als Fernsehkoch im »ARD Buffet«. "TV war damals völlig anders, es ging um Wissensvermittlung, ums Kochen. Dazu kam später die Inszenierung der eigenen Person als neue, eigenständige Entwicklung." Das zeitlich vorgegebene Format der Live-Sendung bedeutete permanenten Zeitdruck, bei dem man auch noch gut aussehen musste. Dennoch hat ihn das TV geprägt: "Man lehrt, was es zu lernen gibt, und zwar in kurzer Zeit, trotz Moderation und der Präsenz eines Publikums. Der Erfolg ist heute dabei Vorgabe: Produzenten, Investoren, alle gehen heute von Erfolg aus."
Das ARD Buffet hat 1-1,2 Millionen Zuschauer, von denen durchschnittlich 7% die Rezepte nachkochen. "Alle 30 Sekunden wird gemessen, ob jemand umschaltet oder die Leute am Ball bleiben. Eine sekundengenaue Performance!" Dennoch kann man Koch nicht mit heutigen TV-Köchen vergleichen: "Der TV-Koch hat heute ein anderes G’schmäckle, als damals."

Bild: Als Gastkoch im höchsten Restaurant des Hotels Swissotel Nankai Osaka

Von 2002 bis 2009 zog es Otto Koch zurück in die Küche und er leitete das Gourmet-Restaurant »KochArt« in Zürs am Arlberg. Es wurde prompt mit einem Stern ausgezeichnet, den es hielt, bis er 2009 wieder nach München zurückkehrte, um sein letztes großes Restaurantprojekt in Angriff zu nehmen: Als Patron des Restaurant »181 First & Business« im Olympiaturm. Auch hier gab es für den Gourmetbereich direkt einen Stern sowie 17 Punkte im Gault Millau. Auf 181 Metern spielte er nochmals auf Augenhöhe mit den Besten des Landes. Das 181 war unterteilt in Economy, Business und First und hatte mit zwei Seatings bis zu 250 Gäste am Tag. Im First gab es ein Überraschungsmenü mit Service am Tisch, und Spezialitäten, die es nur bei Otto Koch gibt. Bis am 31.12.2015 nach gut fünf Jahren der letzte Vorhang fiel. Es war Schluss für Otto Koch, der auf Grund seines Alters diese Entscheidung bewusst getroffen hatte.

Während wir über die Vergangenheit plaudern, wechseln wir in den Münchener »Ratskeller« am Marienplatz. Dort ist Kochs alter Sous-Chef Michael Schubaur seit über 20 Jahren als Küchendirektor für alle Outlets des Betriebes verantwortlich, mit sagenhaften 1.100 Sitzplätzen, verteilt auf 15 Räumlichkeiten. Größe und Exzellenz, so meint man, schlössen sich gegenseitig aus, was Schubaur jedoch seit Jahren erfolgreich mit seiner 40-köpfigen Mannschaft widerlegt und sogar ein reines, voll zertifiziertes Bio-Restaurant im Ensemble hat.

Genuss lebt laut Koch vom Produkt, ist somit demokratisierbar und kann folgerichtig auch weiter regional heruntergebrochen werden. Unsere nächste Station führt aufs Land zum Brauereigasthof Aying der Familie Inselkammer. Dort kocht bei unserem Besuch Küchenchef heute Tobias Franz im Restaurant »August und Maria«. Der Familienbetrieb wird geleitet von Christian Hollweck, einem weiteren Schüler und Freundes Otto Kochs, der auch nach seiner Münchner Zeit die Verbindung gehalten hat. Neben den sehr guten Speisen der modernen, gehobenen Wirtshausküche und der exzellenten Weinkarte beweist unser Besuch, dass es nicht Kulinarik und Betriebswirtschaft allein sind, die den Erfolg eines Unternehmens ausmachen, sondern auch die Menschen, die das Thema Gastronomie mit Leidenschaft leben. Eine Erkenntnis, heute klar wie Kloßbrühe, war vor gar nicht allzu langer Zeit noch völlig neu - und wurde zu einem zentralen Thema in Ottos Kochs nächstem Projekt: Der »Ecole Culinaire«.
Unter dieser Dachmarke versammeln sich Experten zu unterschiedlichen Themen, die den Erfolg eines Unternehmens sichern: Nachwuchsförderung, Digitale Partner, Nachhaltigkeit, Persönlichkeitstraining, Seminare zur gewaltfreien Kommunikation, Kritik-Kultur bis hin zu Bio-Produkten und Food Trends – mit Referenten der Extraklasse wie Heiko Antoniewicz, Bobby Bräuer, Nils Henkel, Bernd Trum, Stefan Marquardt und vielen anderen belegt dieses Joint Venture von Gastro-Profis Otto Kochs Liebe zur Thematik wie zur Methodik. "Die richtigen Mitarbeiter anspruchsvoll weiterzuentwickeln ist gelebte Zukunft. Wissende Mitarbeiter sind strahlende Mitarbeiter." Eine Erkenntnis, die vorm Hintergrund des heutigen Fachkräftemangels wichtiger denn je ist.
Bild: Koch mit Sebastian Bordthäuser und dem Team des Gasthof Aying

Kaum einer hat den Beginn des Gastro-Journalismus von seiner Entstehung bis zum heutigen Stand so aufmerksam verfolgt, wie Otto Koch. Auf unsere Frage nach seiner Haltung zum Michelin, der ihn immerhin mehrfach auszeichnete, reagiert Koch abgeklärt. "Der Michelin macht seit 100 Jahren das Gleiche. Der Ikonenschutz steht dem eigenen Anspruch auf einen gewissen Zeitgeist im Wege. Denkmäler sollte man halten und ehren. Zumal alle von ihnen gelernt haben, und dass zu Zeiten, in denen Maßstäbe noch relativ waren."

Die Gastronomie ist komplexer und die Angriffsfläche somit größer geworden. Es wurde über die Jahre immer schwieriger, alle Trends und Strömungen zu verfolgen. "Die Leute lernen immer weniger, werden immer subjektiver," empfindet Koch die mediale Entwicklung. "Früher gab es zwei bis drei Journalisten, die hatten eine Wahnsinns-Macht," erklärt Koch. "Die Kritiker, die sich durchgesetzt haben, waren immer auch die, die zugehört haben, die einen als Mensch wahrgenommen haben und es einen Austausch gab." Es ist abermals das wohlwollende Miteinander, das Kochs Haltung zu den Themen prägt. Man müsse aufpassen, dass die vermeintlich eigene Meinung nicht die Neugier tötet. "Unsere Neugier ist eine Lebensvoraussetzung und ebenso wie Toleranz zu betrachten."

Otto Koch steht nicht mehr im Restaurant hinterm Herd, aber er bietet kleine private Menüs und Kochkurse für Gäste bei sich in Gröbenzell an. Er tranchiert die Ente immer noch in der Luft und beschäftigt sich mit Algen als Nahrung der Zukunft. Fünfzehn Bücher hat er geschrieben, Abläufe standardisiert und in EDV-Programme überführt. Starkult ist dem Altrevoluzzer ein Gräuel, der bereits in den 70ern Bier in den sauteuren Willsberger Weingläsern servierte und der festen Meinung ist, dass Sonderangebote von Großhändlern ein Verbrechen an der Qualität unserer Produkte sind, weil sie die Produzenten zu immer mehr Billigzugeständnissen zwingen.

Wo immer Otto Koch hinterm Herd stand wurde ein Stern verliehen, den er stets gehalten hat. Kochs Sterne waren nie Markierung für abseitige Genüsse in elitären Feinschmeckertempeln. Seine Küche war stets Garant für beste Produkte, gepaart mit gastronomischer Verlässlichkeit und unbändiger Neugier. Die Verbindung von Menschen, Produzenten und Freunden ist der Motor, der ihn antreibt. Dies zu teilen, als Koch, Lehrer oder Consultant bereitet ihm eine Freude, an der wir an diesem gemeinsamen Tag teilhaben durften.
"Kochen ist Liebe, wenn man es differenziert betrachtet: Die Bereitschaft zu haben, für sich und andere. Man muss sich auch mitbewegen und andere Menschen wirklich berühren wollen. Erwartungen allein reichen da nicht."

Text: Sebastian Bordthäuser

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