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Interviews 31.Juli 2017

CASUAL FARMING

Tief in Vorpommern macht unser Navi schlapp. "Ach, der Herr Schnelle. Nein, da sind Sie hier falsch, der wohnt da hinten", hilft uns ein bauchiger Anwohner in Grammendorf, und nach wenigen Fahrminuten durch die fast schon aufdringliche Schönheit der hiesigen Landidylle sind wir am Ziel. Versteckt, hinter Feldern, Bäumen und Hecken, liegt Olaf Schnelles Anwesen und Wirkungsstätte. "Schnelles Grünzeug" nennt er seinen Betrieb, mit dem er Köche und Küchen der Spitzengastronomie mit seinen ausgewählten Kräuter-, Blüten- und Gemüseernten versorgt. Es wird also höchste Zeit, dass wir hinter die Kulissen schauen ...

Schnelle sieht nicht aus wie ein typischer Bauer. Keine Latzhose, kein Strohhut, kein Wohlstandsbauch. Ganz im Gegenteil: Mit seinem dichten Bart und dem gepflegten Äußeren könnte man den gebürtigen Erfurter problemlos in jedes Café in Berlin-Mitte, bewaffnet mit Chai Latte und Notebook, setzen. Seine Tarnung fliegt aber auf mit dem ersten, durch die jahrelange Arbeit mit Erde und Gestrüpp gekräftigten Händedruck und eine schlendrigen Grundgelassenheit, wie sie nur ein Agrarier haben kann. Er selbst sieht sich als Vollblut-Gärtner, seinen Stolz über das, was er tut, merkt man ihm zu jeder Sekunde an: "Für mich hätte es keinen besseren Beruf geben können. So eng mit der Natur zu arbeiten und dabei sinnvoll Produktives zu tun, ist ein richtig schönes Ding."

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Wir flanieren durch seine Gärten. Mitte Mai sind noch nicht alle Beete belegt, aber es gibt trotzdem Einiges zu sehen, zu riechen, zu kosten - und zu erzählen. Über die Knollenplatterbse zum Beispiel, eine alte Nutzpflanze, die bereits vor Hunderten von Jahren als Stärkelieferant in Europas Küchen genutzt wurde. Oder vom seltenen echten Meerkohl, einem Kreuzblütengewächs, das (der Name lässt es erahnen) vor allen Dingen an Nord- und Ostsee zu finden ist und dort unter Naturschutz steht. Daneben der Strandwermut, ebenfalls eine Küstenpflanze, mit Anklängen von Zitrone. Zur Zierde steht hier nichts: Jedes Kraut und jeder Stängel, der aus dem Boden sprießt, ist für den Gärtner ein nutz- und verwertbarer Teil der Natur.

Ähnlich wie seine Kunden ist Olaf Schnelle Produkt- und Qualitätsfanatiker: "Nahrungsmittel zu schaffen, die diesen Namen im wörtlichen Sinne verdienen, ist ein essenzieller Prozess. Mein Anliegen ist, dies so zu tun, dass kreative Köche damit etwas schaffen, das für mich viel mit Kunst zu tun hat. Höchster Genuss braucht hochwertigste Rohstoffe." Nicht nur deshalb ist er selbst passionierter Hobbykoch und probiert alles, was seinen Hof verlässt, vorab am eigenen Herd aus. Zubereitungstipps lässt er allerdings stecken ‒ einem Joachim Wissler müsse man nicht erklären, wie er seine Lieferungen verarbeiten könne. Das dürfte auch für seine restlichen, äußerst auserlesenen Kunden gelten. Außer im Vendôme findet man Schnelles Produkte auch auf den Tellern vom Nobelhart & Schmutzig, im Frankfurter Gustav, im Aqua und bei Christian Jürgens im Überfahrt am Tegernsee. Viele arbeiten bereits seit Jahren mit ihm zusammen und vertrauen auf die Qualität, Zuverlässigkeit und Originalität des Gärtners, einige kommen erst jetzt auf den Geschmack: Gerade hatte er ein äußerst renommiertes Lokal aus Baden-Württemberg am Telefon. Der Stolz, der in seinen Worten mitschwingt, ist unüberhörbar.

Viele seiner Kunden dürfte er aus seiner lebhaften Vorgeschichte kennen, denn bereits um die Jahrtausendwende gründete er mit Ralf Hiener die "Essbaren Landschaften". Eine Pioniertat: Noch bevor man den Stift für das "Nordic Cuisine Manifesto" in die Hand nahm und Phrasen wie "brutal lokal" Kochnation und Esser spalteten, professionalisierten die beiden den Anbau von Wildkräutern. Es hagelte Preise und Auszeichnungen, elitäre Restaurants aus ganz Deutschland griffen auf die Produkte zurück. 2014 trennten sich die Wege der beiden Freunde und Geschäftspartner. Hiener betreibt nun das "Raskolnikoff" in Dresden, und Schnelle ist wieder da, wo er angefangen hat, zurück auf dem Feld und im Garten, die Hände in der Erde und nicht auf der Tastatur. Und das tut ihm sichtlich gut: Migräne und Rückenschmerzen durch die leidige Schreibtischarbeit sind passé, dafür ist die Passion für Gemüseraritäten und wildes Obst dazugekommen.

Ein wichtiger Teil von Schnelles Anbauphilosophie ist die Experimentierfreude, und der nährstoffreiche Boden Vorpommerns bietet Platz für so manch Vergessenes. Er gräbt eine fingergroße Süßwurzel aus: "Die war in alten Zeiten ein Zuckerlieferant, geschmacklich zwischen Petersilienwurzel und Pastinake." Mal schauen, auf welchem Teller wir die wiederfinden.
So baut der 50-Jährige seit jeher nur das an, worauf er Bock hat, um die 100 Sorten gleichzeitig. Seine Erträge bietet er in bis zu fünf unterschiedlichen Entwicklungsstadien an (Wurzel, Sämlinge, Laub, Blüte, Früchte). Jedes Jahr kommen um die 20 neue Sorten dazu, aber nicht alles wird so, wie gewünscht; etwa die Hälfte dieser Versuche halten sich schlussendlich im Schnelle-Sortiment. Außerdem seien einige Erträge so gering, dass er sie nur an ausgewählte Köche weitergibt, denen er den Umgang mit seinem exklusiven Produkt zutraut - oder für sich selbst behält. Dabei beschränkt er sich nicht auf seine beiden Gärtnereien, sondern bezieht seinen eigenen, 2.500 qm großen Garten hinterm Haus, die umliegende Natur und die Wälder Vorpommerns mit ein. "Die meisten Leute sind sich gar nicht bewusst, welche tollen Produkte direkt vor ihrer Haustür wachsen", sagt Schnelle.

Auf dem Erreichten ausruhen ist allerdings nicht sein Ding. Olaf Schnelle ist ein geschäftiger Mann, der die Vorzüge des Internets schon lange für sich zu nutzen weiß. Davon zeugen seine Präsenzen in sozialen Netzwerken, sein eigener Blog und nicht zuletzt eine Crowdfunding-Kampagne, mit der er sein nächstes Großprojekt in die Tat umsetzen und damit privaten Haushalten eine Portion Schnelle abgeben will: die Herstellung von fermentiertem Gemüse. Seit Jahren beschäftigt er sich schon mit dem Thema, den Techniken und der Vielzahl von Fermenten, verfolgt Trends und die unterschiedlichen Herangehensweisen, zum Beispiel aus Japan. Das "Krautfunding" ist derweil erfolgreich abgeschlossen, das Gelände neben seinem Haus bereit für die Umsetzung ‒ und Zeitungen, Fernsehen, Messen und Food-Events klopfen schon jetzt ununterbrochen bei ihm an. Läuft.

Auch das Projekt der nachhaltigen Selbstversorgung ist ein stetiger Prozess, dem sich Schnelle auf unterschiedlichsten Wegen nähert: Rasenschnitt und Kot von Würmern nutzt er genauso als natürliches Dünge- und Triebmittel wie Zwiebeln aus dem Vorjahr. Die Beete seiner Nachbarn will er in Zukunft ebenfalls für schnelle Zwecke kapern, hier gibt es genügend ungenutzte Erde, in der sein Grünzeug ebenso wuchern soll wie bei Frau Sorg, die für ihn ein paar Kilometer entfernt eine zweite Anbaufläche mit Mikrokräutern und Blüten betreut. Selbst die unscheinbaren Gewächshäuser sind Schnelle-optimiert: Sie lassen sich aufbocken und innerhalb von kürzester Zeit über ein anderes Beet rollen. Eine Technik, die er sich von den Amerikanern abgeguckt hat, die auch in Sachen "Controlled Grazing" Vorreiter sind: Bei dieser Weidetechnik wird das Verhalten von Großtierherden zu Zeiten menschlich unberührter Natur imitiert. Die Tiere grasen kleine Flächen ab und hinterlassen humifizierten, für die nächste Wachstumsgeneration fruchtbaren Boden und Wurzeln. Das nächste Projekt steht quasi schon in den Startlöchern.

Das stetige Streben nach Optimierung von Qualität, Effizienz, Nachhaltig- und Nutzbarkeit ist es, was diesem sympathischen Landbuben eine Sonderstellung unter der Vielzahl von Gemüse- und Kräuterlieferanten der Republik einräumt. Dazu kommt ein gesunder Unternehmergeist, der klare Prinzipien und den offenen Umgang mit Medien vereint. Olaf Schnelles Passion kennt kaum Grenzen, schließt alles ihn Umgebende ein und fußt auf einem scheinbar einfachen Prinzip: gesundes und natürliches Wachstum, sowohl in der Erde als auch darüber.

Ganz so sorglos ist er am Ende dann doch nicht. Das Finden eines geeigneten Nachfolgers, der seiner Philosophie gleichsam engagiert, zielorientiert und nachhaltig folgt, stellt ihn bereits jetzt vor ein Problem. Doch so, wie wir Olaf Schnelle kennen, wird er auch diese Herausforderung meistern - und dann sehen wir ihn vielleicht doch irgendwann, komplett ergraut, mit Grüntee aus eigenem Anbau im Café um die Ecke sitzen.

Joachim Wissler über Olaf Schnelle

"Olaf Schnelle gehört zu den Pionieren, die wilde Kräuter sowie alles Essbare von Bäumen, Sträuchern, Beeren, Blüten und Wurzeln den Köchen und Gästen nahe gebracht haben. In den ganzen Jahren unserer Zusammenarbeit entdeckten wir Großartiges. Zum Beispiel erzählte er mir eines Herbsttages, dass er seine Johannisbeersträucher geschnitten und gehäckselt habe. Dabei roch der ganze Garten nach roten oder schwarzen Johannisbeeren, so dass ich ihn nötigte, mir die restlichen Strauchhölzer zuzuschicken. Es entstand das Dessert "Tiefgang", in dem eine Beeren-Essenz mit dem Geschmack von grünem Holz ein tragende Rolle spielt. Herzlichen Dank Olaf Schnelle."

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