Nachhaltige Garnelenzucht ist möglich – zum Beispiel in Glückstadt
Wenn der kleine Nachbarschaftsitaliener die Scampi-Pfanne anpreist oder das trendige vietnamesische Restaurant die Poke Bowl mit Shrimps auf der Tageskarte anbietet, sollte man zumindest kurz innehalten, was man hier eventuell im Begriff zu bestellen ist.
Dazu muss man sich vor Augen halten, welcher Qualität die meisten bei uns gehandelten Garnelen entsprechen und was die nachhaltigen Alternativen sind, von denen es glücklicherweise langsam einige gibt.
Litopenaeus Vannamei. Die Garnele. Nahezu eine Million Tonnen importiert die EU jährlich. Den großen Teil davon aus Südostasien. Hier gibt es im Wesentlichen zwei Produktionsarten: Aquakultur und Wildfang. Ersteres geht oft mit Becken aus stehendem Meerwasser einher. Darin die Garnelen und alles, was von außen und oben ins Wasser gelangen kann. Und den Exkrementen der Tiere. Damit eine Garnele hier überleben kann, bedarf es eines tiefen Griffs in den Pharmakasten.
Diese Anlagen stehen im Übrigen am liebsten in Mangrovenwäldern. Durch ihre explosionsartige Ausbreitung haben diese Produktionsflächen mittlerweile 50 % der Mangroven, die der Lebensraum so vieler Tierarten und Brutstätte eines großen Teils der gesamten Fischpopulation sind, zerstört.
Beim Wildfang sieht es auch nicht so gut für die Natur aus, wie man denken könnte. Hier lebt die Garnele in ihrem natürlichen Habitat und wird im Netz gefangen. Bis dahin gut für die Garnele. Weniger gut für den Meeresboden, in dessen Nähe sich die Garnele gerne bewegt. Denn die Schleppnetze fischen den Boden so gründlich ab, dass wirklich nichts und niemand zurückbleibt. Entsprechend weniger gut ist diese Art des Fischfangs für die anderen Meeresbewohner. Man rechnet mit bis zu 20 Kilogramm Beifang pro Kilogramm Wildfanggarnele.
In beiden Fällen werden die Garnelen direkt nach dem Fang tiefgekühlt, idealerweise schockgefrostet. Die guten Exporteure liefern dann auf schnellstem Weg weltweit aus. Die weniger guten veredeln die Ware zuvor noch etwas. Wasser beispielsweise ist ein sehr guter und günstiger Begleiter der Garnelen. Die Verfahren sind unterschiedlich. Manche Produzenten spritzen vor dem Frosten einen Wassermantel auf. Andere injizieren den Tieren Wasser. Technisch versierte Betriebe fügen dem Wasser noch Agar Agar bei. All das boostet das Gewicht, macht das Produkt größer und teurer. Beim Verbraucher weckt das Freude beim Einkauf – und Enttäuschung in der Pfanne. Klar, tritt Wasser oder das Agar-Agar-Gemisch aus, brät sich die Garnele nicht mehr ganz so gut.
Dass es auch anders geht, zeigt beispielsweise die HanseGarnele. Eine lokal in Norddeutschland produzierte Garnele, die besonders nachhaltig erzeugt werden kann und dank kurzer Wege frisch zum Verbraucher geliefert wird. Sowohl an Gastronomen als auch an den privaten Kunden, erläutert Yves-Raphael Loerke (Mitte), der Manager Gastronomie in der HanseGarnelen AG.
Wir haben uns den Forschungsbetrieb in Grevesmühlen angesehen. Es ist ein kleiner Betrieb, der vor allem der Optimierung eines neuen Verfahrens dient, das Vorstand Rupert Baur (links) mit seinem Team seit Mitte 2020 testet. Ziel ist es, ab September 2021 die Produktion auf bis zu 200 Kilogramm pro Woche bzw. auf bis zu 8 Tonnen im Jahr zu steigern. Parallel dazu entsteht gerade eine weitere Produktion in Glückstadt, die auf dem gleichen Verfahren aufsetzt und nach Fertigstellung bis zu 90 Tonnen White-Tiger-Garnelen im Jahr bereitstellen kann.
Das Futter, das die Garnelen erhalten, ist auf das jeweilige Alter der Tiere angepasst und nur ein Bruchteil davon ist Fischmehl oder Fischöl. Derzeit laufen Forschungsprojekte, um sowohl den Anteil an Fischmehl zu reduzieren, als auch diesen umzustellen, beispielsweise auf Insekten oder Mikroalgen. Vor allem diese Versuche sollen nach Inbetriebnahme der großen Anlage in Grevesmühlen ausgebaut werden.
Obwohl Fischmehl nicht ideal ist, fällt die Ökobilanz bei den HanseGarnelen insgesamt nicht schlecht aus: Beim Wildfang fällt etwa ein Beifang von 5 bis 20 Kilogramm (im Schnitt also etwa 13 Kilogramm) pro Kilo gefangener Garnelen an. Bei den Zuchtgarnelen bedarf es aktuell etwa 1,3 Kilogramm Fischfutter mit einem Anteil unter 50 % Fischöl bzw. -mehl, um 1 Kilogramm Garnelen zu produzieren. Im direkten Vergleich also eine Reduzierung der Fischmenge um den Faktor 20. Ein weiterer Vergleich: Bei der Produktion von Rindfleisch werden rechnerisch etwa 16.000 Liter Wasser je Kilogramm verbraucht, sagt Rupert Baur. Die HanseGarnele kommt mit einem wesentlich bescheideneren Wasserverbrauch von 35 bis 50 Litern je Kilogramm aus. Eine Ersparnis im Bereich des Faktors 300. Deswegen sieht das Unternehmen genau hier den Ansatzpunkt, um ressourcenschonend tierisches Protein zu produzieren und den bestehenden Bedarf am Markt zu decken.
Die Aquakultur der HanseGarnelen ist als Kreislaufanlage ausgelegt. Aktuell besteht die Halle aus zwölf einzelnen Becken, in denen Garnelen unterschiedlichen Alters wachsen. Jedes Becken verfügt über eine eigene integrierte Kläranlage. In diesen Kläranlagen laufen in kontrollierter Umgebung komplexe biologische Prozesse. Diese verbieten die Zugabe von Antibiotika oder anderen Pharmaprodukten, denn diese würden sofort die Mikrobiologie der Anlage außer Gefecht setzen und die Produktion lahmlegen.
Ein weiterer Schritt zur CO2-freien Produktion ist das Warmwasser. In den Betrieben der HanseGarnele wird dies von benachbarten Industrieanlagen übernommen. So steht zum einen bereits Wasser mit idealer Temperatur bereit und muss nicht erzeugt werden. Zum anderen entfällt für die Nachbarbetriebe der sonst erforderliche Energieaufwand, um das warme Wasser wieder herunterzukühlen, bevor es abgeleitet werden kann. Eine klassische Win-Win-Situation.
Die Garnelen wachsen in der Aquakultur bis zur Marktreife etwa 6 Monate. Am Ende kommen sie auf ein Gewicht von rund 22 Gramm. Bei einer detaillierten Führung durch die Anlage erklärt Betriebsleiter Karl Bissa die Abläufe und zeigt die Garnelen in unterschiedlichen Stadien der Entwicklung. Insgesamt erkennt man durch die klare Struktur und die nachvollziehbare Anordnung der Systeme gut, welcher Aufwand in den Aufbau und in den laufenden Betrieb gesteckt wird. Vergebens sucht man die typischen Pumpen, die sonst zur Umwälzung des Wassers zwischen den Becken verwendet werden. Hier hat man sich für ein energieeffizientes System entschieden, das rein durch Luftdruck funktioniert.
Das wirklich Entscheidende ist aber am Ende die Frage des Geschmacks. Die Vorteile liegen auf der Hand: CO2-neutrale Produktion. Kurze Wege, keine Zugabe von Medikamenten, keine Belastung der Meere oder Produktionsländer, keine Tiefkühlung, sondern frische Ware. Aber wie ist der erste Eindruck in der Küche?
Was sofort ins Auge fällt ist die Präzision des Produktes. Die kleinen Füße, die Fühler, die Augen – alles ist makellos und am rechten Fleck. Die Schale ist von fester Struktur und offenbart ein zartes Fleisch, nahezu neutral im Duft. So eignet sich die Garnele nicht nur zum gegarten Verzehr, sondern auch zur rohen Verkostung.
Dabei schmeckt man zum einen das so typische nussige Aroma, zum anderen eine klar vorhandene präzise, aber nicht zu dominante Süße. Leicht abgeflämmt und mit wenigen Tropfen heller Shoyu lackiert, wird das Aromenspiel noch deutlicher. Ganz besonders fällt im rohen und unverarbeiteten Zustand auch die Textur auf. Sie ist zart, aber wesentlich fester als bei TK-Produkten und weist einen angenehmen Widerstand auf. Durch diese Konsistenz eignet sich die Hansegarnele auch ideal für ein grob geschnittenes Tatar.
Beim Grillen oder Braten in der Pfanne fällt zunächst auf, dass kein Wasser austritt und die Garnele die Form behält. Dies in Verbindung mit den präzisen Ausliefergewichten garantiert sehr sichere Reproduzierbarkeit von Gerichten – ein großes Plus, nicht zuletzt für die Gastronomie.
Die gegarte Garnele überzeugt natürlich im Aroma und in der Textur, und auch hier ist das Produkt eindeutig von TK-Ware zu unterscheiden, wenngleich nicht ganz so augenfällig wie im rohen Zustand.
Ein weiterer Punkt, der auffällt, wenn man die Schalen und Köpfe weiterverarbeitet, ist die Intensität des Krustentiersuds. Auch hier ist das nussige Aroma weiterhin zu erkennen. Die intensive Süße bleibt erhalten und wird im Sud von einer ebenfalls sehr deutlichen Bitternote ergänzt. Auf den ersten Blick ist diese fast schon zu dominant. Auf der anderen Seite kann man mit diesen deutlichen Aromen wunderbar spielen und seine Sauce geschmacklich weiter formen und auf Basis des breiten Spektrums die gewünschte Richtung herausarbeiten.
Derzeit ist die HanseGarnele nur in geringer Stückzahl, dafür aber bundesweit verfügbar und kann im Onlineshop bestellt werden. Es werden Verpackungseinheiten mit 440 Gramm (etwa zwei Portionen als Hauptgericht oder vier Vorspeisen) für 39 € sowie größere Einheiten mit 880 Gramm angeboten. Die Lieferung erfolgt in klimaneutraler und plastikfreier Verpackung, die Kühlung wird erfreulicherweise ohne die Verwendung von Styropor sichergestellt. Sobald die neue, große Anlage in Glückstadt in Betrieb ist, werden auch größere Stückzahlen verfügbar sein.
Ab dann wird die kleine Aquakultur in Grevesmühlen in eine reine Forschungsanlage umgewidmet. Dabei sollen sowohl verschiedene Maßnahmen zur Optimierung des Prozesses getestet werden als auch ganz neue Garnelenarten – und wer weiß, was dem Team rund um Rupert Baur noch so alles einfällt. An Ideen und der nötigen Energie, diese umzusetzen, mangelt es dem Unternehmen sicherlich nicht. Nur nachhaltig sollten sie sein. Und das ist natürlich gut so.
Text: Oliver Wagner