Hans-Peter Wodarz: Vom Pagen zum Zirkusdirektor
„In der Austernbar des KaDeWe um 10“, ist die knappe Ansage für unser Treffen mit Hans-Peter Wodarz, kurz HPW. Warum zum Teufel in einem Kaufhaus und dann auch noch zu der Uhrzeit? Er hatte wahrscheinlich jeden Star, jeden großen und kleinen Politiker und jeden Musiker in seinen Restaurants und Varietés zu Gast und wusste stets genau, was er der Presse diktierten musste. Also folgen wir seinem Vorschlag, müssen allerdings in die Pils-Bar ausweichen, da die Austern-Bar erst um 12 öffnet.
HPW wurde 1948 in Wiesbaden geboren und stammt aus bescheidenen Verhältnissen. Die Flüchtlingsfamilie aus Schlesien hatte drei Kinder, seine Mutter war Hausfrau, sein Vater Zollbeamter. Der junge Hans-Peter, der eigentlich Kellner werden wollte, wurde von seiner Mutter in die Kochjacke gesteckt. In der Küche habe man es warm und immer genug zu essen. „Eine Flüchtlingsentscheidung“, so HPW, der 1962 mit 14 Jahren seine Ausbildung im Hotel Rose beginnt, das heute als Sitz der Hessischen Staatskanzlei fungiert. Die Bedingung, zunächst ein Jahr als Page zu arbeiten, erwies sich schnell als Glücksgriff: Vom Chef-Pagen angehalten, die internationalen Gäste mit „Good morning“ zu begrüßen, wird er mit großzügigen Trinkgeldern bedacht. Er ist fleißig, so dass er sich nicht nur über einen für einen 14-Jährigen exzellenten Cash-flow freuen kann, sondern nach dem Jahr seine Ausbildung zum Koch beginnen darf.
Die frühen 60er-Jahre bildeten mit Tiefkühlkost und Dosenfutter die Blütezeit der Tristesse in der deutschen Küche; die Speisenkarten der Hotels und Restaurants boten nur fade Ableitungen dieser Gleichung. HPW schließt die Lehre mit Dosenöffner und Gefriermesser bewaffnet als bester Kochlehrling Hessens ab. Es folgen Wanderjahre nach Schweden und England, unter anderem nach Liverpool, um dort seine Idole, die Beatles, zu sehen, bis er letztlich in München im Bayerischen Hof Wurzeln schlägt. Dort kommt ihm bald eine zündende Idee: Die Vision einer Gourmet-Abteilung in einem Kaufhaus.
„Damals, 1969/70, war die große Zeit der Buffets“, erinnert sich Wodarz und nimmt einen Schluck Champagner. Er hat einen elliptischen Erzählstil, der keiner chronologischen Linearität folgt, sondern alles mit allem verbindet und sich nur langsam dem Subjekt der Erzählung nähert, um bloß kein Detail auszulassen. Er fuhr damals ohne Termin nach Frankfurt in die Hertie-Zentrale, trug sein Anliegen vor und bekam tatsächlich den Job als Leiter des Party-Service im Hertie am Stacchus in München. Unter einer Bedingung: Er müsse vorher drei Monate nach Berlin ins KaDeWe, den Premium-Ableger der Gruppe. Alles, was HPW vorhatte, gab es dort bereits. Lebensmittel, die er noch nie gesehen hat – frische Papayas, Kiwis und eine große Auswahl von Mittelmeerfischen. „Genau hier, wo wir jetzt sitzen und Champagner trinken, war damals die Fischauslage“, rekonstruiert er die Umbauten und erklärt damit unseren abstrusen Treffpunkt: den Beginn seiner Karriere.
Um 12 Uhr ziehen wir um in die Austernbar, während HPW in stetem Fluss weitererzählt. Nach drei Monaten Vorbereitungen folgt die Eröffnung in München. „Gleich zu Beginn liefen bereits 50 bis 60 Buffets die Woche, und es wurde schnell mehr. Bald folgte der Auftrag, das Olympische Kommitee 1972 mit Buffets zu versorgen. „Wir hatten über 250 Aufträge in unseren Büchern, doch der Terroranschlag vom 5. September bereitete allem ein jähes Ende. Keinem war mehr nach Feiern zumute, das Geschäft lag am Boden.“ Nach ein paar Austern mit Chablis fahren wir vom Gestern ins Heute, in die Paris Bar, HPWs Stammkneipe direkt unter seinem Berliner Büro. Im März ist er 70 geworden, was man ihm in keiner Minute anmerkt. Die Energie, die ihn seine Karriere lang immer wieder hat aufstehen lassen, wird seit sechs Jahren noch verstärkt von seiner kleinen Tochter, seinem ganzen Stolz. Sie ist sein Motor und seine Energiequelle, auch wenn HPW alle denkbaren Tiefen bereits durchschifft hat. Vom Party-Service zum Restaurant-Theater—Betreiber war es ein langer Weg.
Kurz nach dem Olympia-Desaster liest HPW in einer Kolumne von Michael Graeter in der Münchener Abendzeitung über das jüngst eröffnete Tantris und geht direkt am nächsten Tag dort Mittagessen. Eckart Witzigmann zeigt sich nicht sonderlich beeindruckt vom jungen HPW, der beteuert, er sei auch Koch – bei einem Party-Service. Doch der junge Mann ist unbeirrbar, Witzigmann willigt schließlich ein, ihn anzustellen, und er beginnt am 15. Juni 1973 im Tantris. „Ich habe eine gut dotierte Stelle mit 2.800 Mark im Monat bei Hertie gegen ein Kochsalär von 860 Mark aufgegeben“, veranschaulicht er den Schritt, den er niemals bereut hat. Im Herbst 1972 hatte das Tantris den ersten Stern erhalten, der zweite war das nächste Ziel. HPW hat damals keinen blassen Schimmer, was ein Stern bedeutet, traut sich allerdings auch nicht zu fragen. Nach Feierabend geht er in die nächste Buchhandlung, kauft einen Guide Michelin und ist erstmal konsterniert: „So ein Zirkus wegen so einer Pippi-Rosette?“
Foto: Walter Scheel (Mitte) und andere Politiker zu Gast in der Ente
HPW erkocht als Postenchef den zweiten Stern mit, bis er sich 1975 selbstständig macht und eine ehemalige Bierschwemme übernimmt, den Löwenbräu-Gasthof Lehel im Münchener Osten. Er nennt sein Lokal schlicht Die Ente im Lehel und verzichtet auf die ursprüngliche Idee, es Le Carnard zu nennen (was sein späterer Freund und Kollege Josef Viehhauser dann einige Jahre später in Hamburg tat). Man richtet die Tische neu aus und dekoriert mit den bescheidenen Mitteln, die man zur Verfügung hat. Der Rest bleibt, wie er war. Eine gute Entscheidung, da der französisch inspirierte Hochküche oft der Dünkel des Schickimicki für die Haute Volée Münchens voraus eilte. HPW war in diesem Punkt instinktsicher und volksnah.
Die Ente im Lehel schlägt ein wie eine Bombe. „Direkt am zweiten Tag nach der Eröffnung kam Gunther Sachs, ein riesiger Glücksfall.“ Sachs ist tief verwurzelt in der Münchener Szene, so dass Prominenz und Schickeria nicht lange auf sich warten lassen. Der „Quick“- und der Playboy-Stammtisch tagen regelmäßig in der Ente – Politik und Gesellschaft von Franz Josef Strauss bis Herbert von Karajan stehen Schlange. Man kam mittags und ging nachts, Zeiten, von denen Gastronomen heute nur noch träumen. Nach einem Jahr bekommt Die Ente im Lehel einen Michelin-Stern verliehen.
Foto: Andy Warhol (links) und Gründungsmitglied des Committee 2000, Max Schulze-Vorberg mit Begleitung
Die Küche allein ist HPW schnell zu monoton, und so gründet er 1976 das Committee 2000 mit dem visionären Ziel, die Gesellschaft auf den kommenden Millenniumswechsel vorzubereiten. Gründungsmitglieder sind neben sechs Stammgästen der Ente auch Josef Beuys und Andy Warhol. Beuys stellte einen eigens entworfenen Kalender und Warhol eine 2000er-Auflage eines Siebdrucks zur Verfügung. Eine Kapitaleinlage, deren Wert sich heute vermutlich auf über eine halbe Million Euro beziffern würde, hätte HPW sie nicht alle verteilt über die Jahre. Aus dieser Zeit stammt auch Wodarz‘ berühmter „Dialog der Früchte“, dessen erste Version von Warhol höchstselbst verziert wurde. Für den Fall, dass es im Jahr 2000 nichts mehr zu trinken gibt, wurden sicherheitshalber 2000 Flaschen 1975er Krug-Champagner eingemauert. Die Gründung des Committee 2000 war von großem Interesse für die Medien, und Wodarz als einziger Koch der Gruppe wurde von Robert Leicht, dem damaligen Chefredakteur der Süddeutschen Zeitung für die Kostprobe (dem ersten deutschen Restaurant-Kritik-Format) nach seiner Vision für das Jahr 2000 befragt. „Wenn ich meine Tomatensuppe koche, wechselt das Licht ins Rote, die Kellener servieren komplett in Rot und jonglieren dabei mit Tomaten.“ Eine sich selbst erfüllende Prophezeihung, wie sich später herausstellen sollte.
Wir wechseln von Restaurant-Utopien zu einem kleinen Lunch ins Funky Fish nach Charlottenburg und treffen The Duc Ngo. Bei tollem Seafood plaudern wir über den Unterschied zwischen damals und heute mit zwei Persönlichkeiten, die über Jahre permanent selbst Trends setzten: Sowohl HPW als auch The Duc Ngo wurden als Gastronomischer Innovator ausgezeichnet. Doch die Zukunft sieht derzeit laut Duc Ngo düster aus. „Es fehlt an Personal“, sagt der Inhaber von insgesamt elf Gastronomiebetrieben in Berlin, der täglich mit diesem Mangel konfrontiert ist. Ein strukturelles Problem, dass auch HPW als Erstes nennt, wenn man ihn nach seiner Wahrnehmung der aktuellen Gastronomie-Szene fragt. „Heute ist die Leistung vieler Restaurants und Küchen kaum mehr zu steigern, nur der Service zieht nicht entsprechend nach. Die Zahl der Abbrecher ist enorm. Früher hat niemand seine Ausbildung abgebrochen, niemand!“
Trotz seines Erfolges geht HPW 1978 zurück in seine Heimatstadt Wiesbaden in den Nassauer Hof und nennt das Restaurant Die Ente vom Lehel (wovon heute nur noch „Die Ente“ übrig ist). Er erkennt, dass die Spitzengastronomie allein ein Zuschussgeschäft ist, und eröffnet einen Entenkeller mit regionaler Küche, ein Bistro sowie eine Catering-Abteilung zur Querfinanzierung und verkauft obendrein Enten-Devotionalien und Feinkost. Der erneute Michelin-Stern folgt 1979.
Foto: Raissa und Michail Gorbatschow zu Gast bei HPW
In der Ente gibt es erstmals einzelne Show-Einlagen, die spontan zwischen den Gängen für Unterhaltung und Auflockerung sorgen: Aus Fine-Dining wird Fun-Dining. HPW steht erstmals am Scheideweg zwischen statisch-kathedraler Kulinarik und einer anarchischen, lustgesteuerten Gastronomie, in der Wein, Weib und Gesang zusammenfinden. HPW engagiert Opernsänger vom Staatstheater und lässt seine Menüs von Arien begleiten. Die Grenzen zwischen Restaurant und Unterhaltung beginnen zunehmend zu verschwimmen. „Köche, Künstler, Kreative“ nennt er die monatlichen Veranstaltungen mit Milva und Harald Juhnke, und es dauert nicht lange, bis sich auch in Wiesbaden die Prominenz die Klinke in die Hand gibt. Es treffen sich Oberschicht und Unterwelt, Stars und Sternchen, Politik und Wirtschaft sowie ganz normale Gäste. Von Richard Nixon über Helmut Kohl bis Lieschen Müller.
Wodarz ist mittlerweile bekannt wie ein bunter Hund und stellt einen Küchenchef ein, um seinen Projekten nachzugehen. Er organisiert Sausen vom Opernball über die Bambi-Verleihung bis hin zu Reinhold Messners 50. Geburtstag. Auf Einladung der chinesischen Regierung fliegt er mit Eckart Witzigmann, Dieter Kaufmann, Franz Keller und Redakteuren vom Stern für zwei Wochen nach China. Das ZDF dreht den Reisebericht „Deutsche Köche in China“. Wodarz ist überwältigt. „Damals gab es NULL Tourismus. Die Chinesen standen mit offenem Mund vor uns. Wir schliefen im Gästehaus der Regierung und schauten uns das kulinarische China an, aßen auf den Märkten und in Restaurants mit 5.000 Plätzen in Guangdong. Sensationell.“ Einfluss auf seinen Kochstil hatte die Reise damals nicht. „Wir waren zu früh dran, europäisch-asiatischen Crossover wollte damals kein Mensch.“
Wir treffen uns mit HPW zum Abendessen im Ganymed, direkt neben dem geschichtsträchtigen Theater am Schiffbauerdamm des Berliner Ensembles. Der einstige Vorzeige-Betrieb der DDR lag kulinarisch bislang unter dem Sternefresser-Radar (was sich nach dem Essen auch erklärt), ist aber wie alle Orte, die wir heute besucht haben, eng mit HPWs Biografie verbunden. Hier entstand die Idee seiner „kulinarischen Wiedervereinigung“ direkt nach dem Mauerfall. Zusammen mit dem Berliner Koch Peter Frühsammer organisiert HPW eine große Silvester-Gala in den DEFA Studios zu Babelsberg, die live vom BR übertragen wird. Das Orchester der Roten Armee spielte und wurde von Johannes Heesters am Klavier begleitet, als um fünf vor zwölf Marlene Dietrich live aus Paris zugeschaltet wird. Kulinarik, so scheint es, war nicht mehr zu steigern. Auch das folgende Kanzlerfest richtete Wodarz aus: Jeweils zehn Ost- und Westköche kochten gemeinsam Nudeln, um der deutschen Nudelindustrie aus der damaligen Misere zu helfen.
Doch Wodarz‘ außerbetriebliche Aktivitäten sind nicht überall gut gelitten. Sie stünden dem zweiten Stern im Wege, so hört man es munkeln. Dem deutschen Feuilleton, das immerfort von Gourmet-Tempeln schrieb, ist der Zirkus im Restaurant schlichtweg zu viel. Daraufhin verabschiedet sich HPW kurzerhand vom Herd und geht in gastronomischen Zelturlaub – der letzte große Schritt in seiner Karriere. Fortan sollte er nicht mehr als Koch, sondern als Veranstalter und kulinarischer Entertainer in Personalunion die Leute glücklich machen. Leuchtende Augen und freudige Gesichter statt ehrfürchtigem Schweigen vor den hohen kulinarischen Weihen war seine Devise, abermals eine instinktsichere Wahl. Er gründet 1990 mit Bernhard Paul vom Zirkus Roncalli und Alfons Schubeck das gastronomische Entertainment-Format Panem et Circenses und verwirklicht seine langjährige Vision von Unterhaltung und guter Küche in einer Wahnsinns-Show in einem verspiegelten Tanzzelt. Er verhohnepipelt den förmlichen Service, lässt aufmüpfige Gäste rauswerfen und bezieht jeden einzelnen Protagonisten des Restaurantbetriebes in die Inszenierung mit ein, von der Klofrau über den Gemüsehändler bis zu Sommelier, Oberkellner und Küchenchef.
Foto: Andy Wahhol gestaltete das Etikett des 1975er Moutons und signierte es für HPW
Die Erlebnisgastronomie war geboren. HPW selbst bevorzugt den Begriff „Restauranttheater“, der unmissverständlich seinen Anspruch unterstreicht: Gute Küche ist ein dem Theater ebenbürtiges Kulturgut. HPW geht mit seinem Gastro-Zirkus auf Wanderschaft und gastiert in ganz Europa: Köln, Hannover, Wiesbaden, Frankfurt, Hamburg, Barcelona, Venedig und Mailand geben die Gäste Standing Ovations. 1992 erleidet er erstmals eine Bruchlandung in Barcelona zu den Olympischen Spielen, doch der Zirkus geht 1993 unter dem Namen Pomp, Duck and Circumstance abermals auf Tournee, diesmal werden erfolgreich Neuss (sic!), München, Berlin und Paris bespielt. HPW ist auf dem Zenit seines Erfolges. „Was deutschlandweit geht, das muss auch international klappen“, war die Wodarz’sche Ableitung. Das Abenteuer war zu verlockend, als dass sein Instinkt ihn dieses Mal geschützt hätte, und so fiel HPW auf den ehemaligen Bauunternehmer Horst-Dieter Esch herein, der von großen Tourneen, Las Vegas und einem 10-jährigen MGM-Vertrag fantasierte. Doch das Unternehmen Pomp Duck floppt gewaltig, und anlässlich einer Veranstaltung zu den Olympischen Spielen 1996 in Atlanta zieht MGM die Reißleine und kündigt den Vertrag. HPW ist pleite und kehrt zurück nach Berlin. „Ich habe offenbar wenig Glück mit Olympia“, fasst er die Episode lapidar zusammen, und wir bestellen noch eine Flasche Cabernet Franc.
Doch HPW, stets Menschenfreund mit Hang zur Harmonie, wird nicht in deutscher Manier mit Hohn und Spott ob seines Scheiterns empfangen, sondern mit offenen Armen und breiter Unterstützung. Der Cirque du Soleil steigt als Teilhaber bei Pomp Duck ein, das alte Team meldet sich zurück, und bald ist man wieder in gewohntem Fahrwasser. Dennoch will HPW abermals Neues ausprobieren, und so erdenkt er das kulinarische Erotiktheater „Belle et fou – das Spiel mit der Lust“ mit Kaviar und Champagner, das jedoch auch gnadenlos floppt. Er steht wieder auf und es folgen fünf Jahre und 250 Sendungen „Berlin kocht“, ein TV-Format über die lokale Szene. Der Weg zurück zu Pomp Duck war versperrt, da sein damaliger Teilhaber Namen und Unternehmen übernommen und beides rasch gegen die Wand gefahren hat. Palazzo hieß das neue Projekt nach altem Rezept, das lustigerweise als Plagiat von Pomp Duck mit seinem alten Freund Witzigmann seit 2003 am Leipziger Platz inszeniert. Bis heute arbeitet HPW mit Palazzo zusammen und präsentiert jedes Jahr von November bis März sein Restauranttheater, dessen gastronomische Leitung vor einigen Jahren Kolja Kleeberg übernommen hat. Nächstes Jahr feiert HPW 30-jähriges Jubiläum für sein Restaurant-Theater. Ein Kozept, mit dem heute mehr als 100 Zelte weltweit bespielt werden.
Hans-Peter Wodarz begann seine Karriere mit dem Wunsch, Kellner zu werden, zu einer Zeit, in der Köche nichts galten. Er reiste nach England, um die Beatles zu sehen. Jahre später saß George Harrison bei ihm im Restaurant. Dass der Vegetarier war – geschenkt. HPW wurde 1982 mit der goldenen Pfeffermühle als bester Koch ausgezeichnet und vom Feinschmecker zu den 30 Lichtgestalten der deutschen Kulinarik gezählt – alles, bevor er das Restauranttheater erfand. Der Dialog der Früchte und seine Entenkreationen sind Meilensteine der deutschen Kulinarik. HPW erkochte jeweils einen Michelin-Stern in zwei Restaurants und verließ als erster Koch sein natürliches Habitat zu einer Zeit, als es noch kein Koch-TV gab. Er schuf neue gastronomische Welten mit ungeahntem Erfolg.
Foto: Jim Hensons Widmung. Er war einer von unzähligen Gästen bei HPW
Seit mittlerweile 30 Jahren steht HPW nicht mehr am Herd, daher möchten wir wissen, welcher Beruf seinem Selbstverständnis nach auf seiner Visitenkarte stehen müsse. „Koch!“ schießt es blitzschnell aus ihm heraus, und er erscheint für einen Moment ein wenig unwirsch. „Koch, und Veranstalter!“ Das Selbstverständnis als Koch sehen Kritiker mitunter im Zweifel: „Als er später die Zirkus-Gastronomie erfand, durchaus gekonnt, war er dort angekommen, was ihn schon vorher gekennzeichnet hatte,“ erinnert sich Lothar Eiermann, nach dessen Meinung HPW die Nouvelle Cuisine lediglich für seine Zwecke medienwirksam zu nutzen verstand. Eiermann wurde wegen seines Disputes mit Bocuse damals auch von HPW angegangen, was er im Interview bekräftigt: "Der Angriff von Eiermann auf Bocuse, den fanden wir alle daneben. Das ging nicht."
Kritiker mögen in ihm nicht den größten aller Köche sehen, und doch hat er mit seinem Restauranttheater in den letzten 28 Jahren vielleicht mehr Menschen erreicht als alle deutschen Spitzenköche zusammen. HPW hat das Prinzip „Marke“ verinnerlicht wie kaum ein Zweiter: „Der Erfolg eines Restaurants besteht zu 50 % aus der Küchenleistung, die anderen 50 % sind Ambiente und natürlich Service.“ HPW war immer dort anzutreffen, wo er seinen Ruhm mehren konnte und spiegelte mit seinen Konzepten stets den Zeitgeist. Dabei verstand er es, die deutsche Seele aufzufangen, indem er sich auf die Seite seines Publikums schlug, sich die Vorurteile gegen das Feine und Hochgestochene zu eigen machte und in seinem Programm verarbeitete.
Foto: Helmut Newton, HPW und Ente im Puschkin-Museum in Moskau
Er werde ab und an gefragt, ob er nicht seine Memoiren aufschreiben wolle, sagt er uns. Manchmal spiele er mit dem Gedanken, und wenn es nur seiner Tochter zur Liebe geschieht. Nicht viele Menschen können Geschichten erzählen, die beginnen wie diese: Kommen Leni Riefenstahl, Heinz Rühmann und Klaus Kinski in ein Restaurant … Doch dazu ist derweil keine Zeit, denn Anfang November hat die neue Spielzeit im Palazzo in Berlin begonnen. „Kommen Sie doch mal vorbei“, sagt er und lacht sein Wodarz’sches Lachen, als wir uns nach einem langen Tag verabschieden.
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Wir bedanken uns bei Sebastian Bordthäuser für die grandiose Zusammenarbeit. Weitere Episoden folgen (Dieter Müller als nächstes) – wenn Ihr konkrete Wünsche dazu habt, schreibt uns gerne.