Umfrage

Käse. Für Dich mit oder ohne Rinde?

 
Interviews 20.November 2020

Ein Tag mit Dieter Biesler

Sprechen wir über das Deutsche Küchenwunder, fallen schnell die großen Namen wie Eckart Witzigmann, Jörg und Dieter Müller oder Harald Wohlfahrt. Einer der stillen Stars ist Dieter Biesler. Viele mögen jetzt mit den Achseln zucken, doch Biesler war in der Stunde Null der Nouvelle Cuisine in München von Anbeginn dabei. Er kochte für die Kempinski Gruppe zweimal einen Michelin Stern – in Hotelrestaurants wohlgemerkt und zählte in den 70er Jahren zusammen mit Otto Koch, Hans Peter Wodarz und Eckard Witzigmann zur Haute Volée. Vermutlich wurde der schreckliche Terminus „junge Wilde“ seitdem erstmals für die Köche des berühmten Viergespanns benutzt. Sie waren Pioniere, die Neuland betraten und verliehen Köchen erstmals ein Gesicht mit Außenwahrnehmung. Auch wenn ihre Karrieren unterschiedlicher nicht hätten verlaufen können, die Verbindung von damals begleitet alle durch ihr Leben und hält bis heute.

Foto: Prof. Ernst Fuchs (Mitte) und Dieter Biesler (rechts) im September 1975 beim "Blattgold-Buffet"

Dieter Biesler entdeckte schon früh seine kulinarische Begeisterung und konnte bereits als Pfadfinder mit 12 Jahren Erbswurst klumpenfrei auflösen. Nach der mittleren Reife verliess er die Schule, begann in Hannover eine Kochlehre und ging mangels adäquater Angebote nach der erfolgreich abgeschlossenen Prüfung in die französische Schweiz. Im Hannover der 60er Jahre gab es zwar ein Grand Hotel mit Ragout Fin und Toast Hawaii, doch das mochte den jungen Dieter nicht locken. Nach zwei Saisons in der Schweiz wechselt er an den Petersberg nach Bonn, wo er für König Hussein von Jordanien und Queen Elizabeth II als Commis auf dem Saucier kochte. Biesler erinnert noch heute die Vorbereitungen für die großen Dinner: „Zwei ganze Tage musste ich Weintrauben schälen und entkernen. Der Küchenchef bekam damals ne Rolex, das Team natürlich nichts.“

Nach dem Petersberg ging er zurück nach Hannover. Dort gab es damals neben Frankfurt/Main das zweite Hotel Intercontinental Deutschlands. Zwei Jahre ist er dort geblieben, in denen er verschiedene Angebote des Konzerns ablehnte. Das erste Angebot nach Jerusalem zu gehen kam 1967. Biesler lehnte es ebenso ab wie das zweite Angebot, an die Elfenbeinküste zu gehen. Das dritte Angebot hat er letztlich angenommen und ging nach Karachi, Pakistan. Dort lernte er das Einmaleins des Schmuggels. Dank guter Kontakte zu den Intercontis in Asien konnte er bestimmte Engpässe über Bangkok lösen, wie z.B. das Problem, Spanferkel zu bekommen: Für die Einfuhr von Schweinefleisch in das strikt muslimische Land waren drakonische Gefängnisstrafen vorgesehen. Nach Pakistan verschlug es ihn nach Dhakar, Lahore, Delhi und Singapore. Biesler lernte mit 22 Personal zu leiten und wurde zur Führungskraft. Vom Koch mit Vision hat er sein Wissen von der Küchenbrigade in Transferleistung erfolgreich auf das ganze Unternehmen übertragen.

Foto: Hotel "Vier Jahreszeiten" in München

Danach ging es zurück nach Hannover, wo er als stellvertretender Küchenchef arbeitete, bis ein Anruf vom Münchener Kempinski kam. Dort übernahm er am 21.12.1970 die Küchenleitung des Vier Jahreszeiten, dass bereits damals als eine der ersten Adressen der Stadt und damit des Landes galt. Es dauerte nicht lang und Biesler kochte im Restaurant Walterspiel den ersten Michelin Stern. Er ersetzte Gerichte wie Schildkrötensuppe, die vielmehr koloniale Abenteuerlust befeuerten denn an gutes Essen appellierten. Seine Klassiker waren damals Kiebitzeier mit Radieschen im Kressenest, Eier Benedict mit Rotweinsauce und Trüffel oder gebackener Kalbskopf mit Sauce Gribiche. Die Hauptgänge wie Roastbeef, Kalbsbrust, Lachs oder eine ganze Kalbsleber wurden vom Wagen serviert, aus der Küche kamen Bearnaise, Trüffel und die Beilagen. „Der Rest war Service!“ Ein Thema, das Biesler heute noch am Herzen liegt. „Es war ein großer Fehler der Küchenrevolution, dass der Service eine immer geringere Rolle spielte und es nur noch ums Essen ging. Der Renommier-Beruf des Oberkellners verblasste zusehends. Kein Tranchieren mehr, kein Flambieren. Er wurde in den 70ern degradiert zum Tellertaxi.“

Foto: Otto Kochs Geburtstag mit Freunden und Playboy-Unterstützung

Es war ein Maitre vom Tantris, der Dieter Biesler in den frühen 70ern einlud, im dem neuen Restaurant vorbei zu schauen. Dort lernte er Eckart Witzigmann kennen und es dauerte nich lange, bis auch Otto Koch und Hans Peter Wodarz (HPW) dazu stießen. „Die Presse hat die ‚jungen Wilden‘ damals oft auf uns Vier reduziert, obwohl (der jüngst verstorbene) Gerhart Gartner auch manchmal mit dabei war,“ erinnert sich Biesler. Bei HPW in der Ente lernte er auch Wolfram Siebeck kennen. Sie begannen Weine zu tauschen und freundeten sich darüber an. Mit Siebeck schloss man sich zur Interessengemeinschaft „Neue Köche“ zusammen: Eckart Witzigmann vom "Tantris", Dieter Biesler von den "Vier Jahreszeiten", HPW aus "Die Ente im Lehel" und Otto Koch vom "Le Gourmet“. Das Vereinsziel der „Neuen Köche“ war die "bedingungslose Qualität, wie sie in den Küchen der großen französischen Vorbilder praktiziert wird. Also: leichte, unverfälschte Speisen. erstklassige frische Zutaten und Beilagen, keine fetten Saucen und nichts aus der Tiefkühltruhe.“ (Der Spiegel, 29.12.1975)

Foto: Weinprobe bei Siebecks in Widdersberg, von rechts nach links: Otto Koch, Wolfram Siebeck, Eckart Witzigmann, Hans-Peter Wodarz und Dieter Biesler

Mit dem Einzug der Nouvelle Cuisine unterlag die Küchenlandschaft einem strukturellen Wandel. Bislang waren Küchen konzipiert als Auftau- oder Warmhalteküchen. Eine Küchenarchitektur mit einzelnen Posten, die den Anforderungen frisch zu kochen genügten, gab es nicht. Man musste also improvisieren. Darüber hinaus gab es weiterreichende Herausforderungen, denn schließlich hatte niemand auf das neue deutsche Küchenwunder gewartet. Man war ja satt und zufrieden. Es brauchte nicht allein Köche, sondern auch Gäste, doch vor allem eine Öffentlichkeit, die sich mit dem Thema beschäftigt und auseinandersetzt. Es brauchte Journalisten. „Dabei ging es nicht um Marketing, sondern um die pure Abbildung der Sensation: Achtung - hier passiert etwas völlig Neues!“
 
Das geschah Hand in Hand mit der Presse. Siebeck empfahl den Blick auf regionale, qualitativ hochwertige Produkte, die heute selbstverständlich scheinen, wie Milchzicklein oder ganz banale Schalotten. „Das, was der Wolf macht, müssen wir auch tun,“ erinnert sich Biesler an Siebecks Worte, die sich auf den späteren Gründer von Rungis Express, Karl Heinz Wolf bezogen. Der baute circa zeitgleich im Rheinland eine Versorgungskette für frische Produkte aus Frankreich auf.  Die „Neuen Köche“ setzten aufs Miteinander und tauschten Lieferantenadressen, HPW kümmerte sich um Enten und Witzigmann in Straßburg um Stopfleber. Einen Flusskrebs Händler fand man an der Donau. Bieslers Aufgabe waren Milchkühe, schließlich brauchte man täglich 120 Liter ordentliche Milch plus Butter und Sahne. Dazu kam der starke lokale Handel: „Wild und Geflügel Hefner und der Gemüsehändler Walter Sutor, alle haben da gekauft.“ Die Nouvelle Cuisine ist ein klares Bekenntnis: „Das Produkt zählt zu 90%, egal wie viel Talent, Technik, Anrichtung, Komposition, Kreativ-Gehabe oder Clochen im Spiel sind.“ Bei aller Produktbesessenheit hatte hatte Dieter Biesler immer auch ein Auge auf den Wein, und insbesondere den deutschen Wein, der damals überhaupt kein Standing hatte. „Alle hatten die gleiche, uniforme Weinkarte mit Bassgeige und Küchenmeister. Mangels Infrastruktur natürlich.“

Foto: Dieter Biesler vor der heutigen 'Weinstube Leonardo'

Keimzelle der Münchener Vereinigung war laut Biesler HPW, von dem viele Impulse ausgingen. „Hans Peter war ein Guter, hat immer eingeladen, den Gemeinschaftsgeist gefördert um neue Möglichkeiten und neue Wege zu beschreiten.“ Das galt nicht nur, was erstklassige Produkte anging: Die jungen Köche brauchten regelmäßig Anwälte wegen Wirten, die sich diskriminiert oder bedroht sahen von der neumodischen, vorlauten Bagage. „Das Tantris galt nach seiner Eröffnung als Affront!“, so Biesler. Die Betonkirche befeuerte die Befindlichkeiten, die äußerst konträr waren zu dem Glücksgefühl, krosse Ente aus dem Oldenburger Land zu servieren. „Man wurde damals in tumbem nationalistischen Diskurs zerrissen, der mich teilweise an die heutige AfD erinnert.“ Auch einigen Gästen war die neudeutsche Genussaffinität suspekt. „Leo Kämpchen, der Sommelier von HPW, schenkte damals die teuren Bordeaux aus Beaujolais Flaschen aus, damit der Nachbartisch bloss keine Dekadenz wittert.“

Foto: VIPs im Hotel Vierjahreszeiten 1972 zur Olympiade: Kissinger, die Fürstenfamilie aus Monaco und Liz Taylor

Doch die Dinge entwickelten sich gut für die jungen Köche. Bei der Olympiade 1972 war das Kommunikationszentrum bei Biesler im Vier Jahreszeiten. Zusätzlich zu all dem Gewusel mit den Sportlern, der Presse etc. kamen die Promis, die so eine Veranstaltung gemeinhin anzieht. Rainier von Monaco war zu Gast und der österreichische Schriftsteller Johannes Mario Simmel bewohnte ein Appartment über der Küche. „Er bekam immer Schnitzel serviert. Zwei Kisten signierte Bücher waren der Dank ans Personal.“ Eines Abends bestellte Elizabeth Taylor mitten zwischen drei Banketten, vollem Restaurant und brennender Küche handgeschnittenes Tatar für ihren Kater. Eine Bestellung, die Biesler noch heute auf die Palme bringt.
Auch nach der Olympiade war die Tiefgarage des Vier Jahreszeiten stets gut gefüllt mit Rolls Royces und anderen Luxuskarossen, sodass  Biesler sich Gedanken über eine Selbständigkeit machte. Ein Objekt und einen Partner hatte er bereits: Rudolf Mooshammer. Da die Auflagen jedoch zu groß waren und das Objekt für Biesler nicht planbar schien, nahm er jedoch Abstand davon. Hat er jemals daran gedacht, mehr als einen Stern zu kochen? Biesler verneint ohne lange Überlegung: „Der Gastronom ist ein Restaurator,“ erklärt er und erweist sich immer wieder als Semantiker, der die Dinge genau beim Wort nimmt. „Das Restaurant ist ein Ort der Restauration. Der Gast hat zwei Probleme: Hunger und Durst. Er stellt seine Kräfte mittels Essen und Trinken wieder her. Ich war jedoch in einem Hotel tätig, wo die Bedürfnisse weitaus vielschichtiger sind. Ein Restaurant erfolgreich zu betreiben ist schwer. Ein Hotel viel schwieriger.“

Wir sitzen in Hannover in der Sonne am Leine Ufer im Restaurant Arresto. Während wir die Weinkarte neu sortieren, plaudert Biesler über sein Leben als Pensionär. Die Biesler’schen Weinstuben, seinen letzten Betrieb, hat er 2009 geschlossen - er nahm Norbert Blüm beim Wort, der bereits seit den 80ern die Renten für sicher erklärte. Doch Biesler kann nicht nicht arbeiten. Er ist freundschaftlich verbunden mit den Besitzern des Aresto, dass sich rühmt, das beste Lamm Hannovers zu servieren. Und weil ein Lamm nicht nur aus Karree und Haxen besteht, hilft Biesler konzeptionell, die anfallenden Parüren und die Off Cuts zu monetarisieren, damit die Rechnung der Nachhaltigkeit aufgeht. War ihm eigentlich bewusst, dass damals in München kulinarische Geschichte geschrieben wurde? „Nicht wirklich, zumindest waren wir zunächst nicht so erfolgreich wie die Franzosen später in den 80ern. Witzigmann hat damals beispielsweise noch viele Hommagen gekocht, nach “Haeberlin“ beispielsweise.“

Foto: Dieter Biesler bei unserem ersten Besuch 2006 in seiner Weinstube in Hannover

Nach acht prägenden Jahren in München geht Dieter Biesler 1979 nach Frankfurt, um dort das Kempinksi Gravenbruch zu eröffnen. Man plante ein ganzes Jahr: Porzellan, Gläser, Küche, Weine. Biesler durfte Geld ausgeben, Leute kennenlernen, Personal für das Pre-Opening einstellen, reisen und frei agieren. Zehn Jahre sollte er dort bleiben. Er kochte 1985 seinen zweiten Michelin Stern für Kempinskis Gourmet Restaurant. Neben seiner Position als Küchenchef war Biesler zunehmend auf Reisen. Dank seines technisches Talents wurde er für gastrotechnische Planungen innerhalb der Kempinski Gruppe engagiert. Er trug den Direktorentitel, plante und baute den Çırağan-Palast in Istanbul, das Kempinski in Budapest, in Buenos Aires und am Ku-Damm in Berlin und war in die Planungen für ein Ressort-Hotel in Goa eingebunden. Mit 45 stellte sich dann die Frage: Wie gehts’s weiter? Geht es noch höher hinaus? Und konnte man sich eigentlich weiter von der Küche entfernen, als er es dank seines Talentes bereits getan hat?
Eines Tages bekam er einen Anruf von Wolfgang Schleicher. Der damalige Chef von Schloss Johannisberg und Mumm wollte die Guts-Schänke modernisieren lassen. Da er von Bieslers Planungs-Kompetenz gehört hatte, bat er um ein Exposee für die mögliche Umgestaltung. Der nahm den Job an, merkte jedoch, je weiter er fortschritt: „Was du da schreibst, das bist Du selbst.“

Foto: IFFW 2010 im Ritz Carlton in Wolfsburg. Von links: Dieter Biesler, Hans-Peter Wodarz, Wolfram Siebeck, Gastgeber Sven Elverfeld, Eckart Witzigmann und Otto Koch

Damals war der Gast noch Feind. Ein renitenter Alleinherrscher, der nach Bedienung suchte, und das Ganze möglichst zackig. Biesler formulierte als Antwort darauf seine Vision einer Wirtschaft ohne Hemmschwellen der Hochgastronomie. Er fuhr zu Oettker in die Zentrale nach Bielefeld, und bekam grünes Licht. Ab diesem Tag gab schwang das Pendel plötzlich langsamer. Statt um die Welt zu reisen oder Sterne zu kochen zählte fortan, gut zu sitzen, ein schöner Blick auf den Rheingau mit Spaß im Glas sowie etwas Gescheitem auf dem Teller. Seine Frau übernahm die Rolle der herzlichen Gastgeberin und der Verantwortlichen für die Deko und das Wohlfühl-Ambiente. Zu gebratenem Zander mit Tomaten, Kapern, Speck und Bamberger Hörnchen oder gebratener Rotwurst auf Apfelkompott mit Puffern wurden Weine von der Domäne serviert. Wein war bei Biesler neben der Kulinarik stets eine feste Größe und schon sehr früh setzte er sich für den deutschen Wein ein. „Wein ist das schönste Getränk der Welt und war immer gleichberechtigt eingebunden bei mir.“ Mit Erwein Graf Matuschka-Greiffenclau von Schloss Vollrads organisierte er ausgiebige Proben zu Wein und Speisen mit passenden sowie unpassenden Weinen. Wohlgemerkt zu einer Zeit, in der niemand auch nur einen Gedanken an deutschen Wein, noch an abgestimmte Begleitung verschwendete. Zu der Zeit arbeitete auch ein junges Talent bei Biesler: Sven Elverfeld kochte nach seiner Ausbildung bei der Lufthansa Service Gesellschaft LSG ein Jahr in der Guts-Schänke. „Von diesem jungen Mann wird man noch viel hören,“ war sich Biesler damals sicher. Nach sechs erfolgreichen Jahren lief der Pachtvertrag aus. Es gab neue Verhandlungen und neue Bedingungen, doch die waren für ihn nicht annehmbar. Johannisberg aufzugeben war schmerzlich, doch als Mann strenger Prinzipien ging er - im Guten, nach Hannover.

Foto: Weinprobe mit Domänenrat Wolfgang Schleicher, Wolfram Siebeck und Dieter Biesler in der Gutsschänke auf Schloß Johannisberg im Rheingau

Bieslers alter Freund, Gastro Legende Arne Krüger, berichtete von zwei freien Lokalen, eins davon im Souterrain direkt neben der Oper. Keine Sterne, 60 Plätze. Er schlug zu und gründete 1997 die Biesler’schen Weinstuben, in denen wir auch einst einen grandiosen Abend zusammen verlebten. Doch die Gastro war anstrengend und ungesund, und nach zwölf Jahren lockte die unverblümt versprochene Rente. Extra Engagements, Zeit zum reisen und Winzerbesuchen sollten seinen Ruhestand versüßen. Bei der Auszeichnung von Sven Elverfeld zum Koch des Jahres durch den Gault & Millau hielt er die Laudatio, für das internationale Pinot-Festival ‚Hotspot-Pinot‘ organisierte er der gastronomischen Teil. Mit von der Partie: Otto Koch und Sven Elverfeld. Er wickelte den Nachlass seines Freundes Wolfram Siebeck ab, ein langwieriger und mühseliger Prozess, denn niemand war daran interessiert. Das spiegelt die Apathie Deutschlands bei kulinarischen Themen: Der Nachlass des einflussreichsten Förderers und Kritikers der deutschen Kulinarik - ohne Interesse. Nur der Freizeitpark Rust richtete ihm zu Ehren ein Wolfram-Siebeck-Zimmer ein.

Foto: Eines der vielen Menüs von Dieter Biesler

Dieter Biesler ist ein Mann des klassischen Handwerks, geprägt durch Koryphären wie Rudolf Katzenberger und dem Rastatter Kreis. Sein Mentor war Roland Fuchs, der Onkel von Franz Josef Fuchs vom Restaurant Spielweg im Munstertal. Der 2,05 große Fuchs (ohne Toque) hat ihn gefördert und war wie eine Vaterfigur, die ihn nach der prägenden Station in München immer bestärkt hat in seinem Tun. Neben seinem Hauptberuf als Koch und seinen Verpflichtungen als Direktor hat Biesler die Entwicklung des kulinarischen Journalismus stets aufmerksam verfolgt. Von den Anfängen mit Arne Krüger und Klaus Besser, vom Wilsberger Journal „Gourmet“ über den Feinschmecker bis zu essen & trinken. Heute fühlt er sich vom Gastro-Journalismus und seiner „Disneyland Sprache“ weitestgehend entfremdet, zu gekünstelt empfindet er die Szene. Küche und Kunst sind seit jeher ein spezielles Reizthema für ihn. „Mit der Behauptung, Kochen sei Kunst, tut man Rembrandt nur unnötig weh,“ ist sein Standpunkt. „Spitzenküche ist Handwerk. Man kann es zwar zu außergewöhnlichen Leistungen bringen, aber saubere Technik und ordentliche Präsentation sind das A & O.“ Moderne Küche, so der Umkehrschluss, ist seine Sache nicht. „Fehling widerspricht dem Thema der Restauration, man muss deshalb einverstanden sein mit seiner Küche, auch wenn sie im Widerspruch zur Großzügigkeit klassischer Küche steht.“

Foto: Dieter Biesler mit unserem Autor Sebastian Bordthäuser

Biesler hat seine Prinzipien. Er zieht oft Linien, die er ungern überschritten sieht. Honneurs sind ihm ein Gräuel. Autorität in der Küche klappt für ihn am besten lautlos, durch erklären, Definition von Standards und deren Kontrolle. Stresssituationen meisterte er durch die Einbindung jedes Einzelnen in den Betrieb. Eine Herangehensweise, die rückblickend bahnbrechend wie wegweisend war. Und vielleicht einer der Gründe, warum Michaela Peters, seine Commis vom Johannisberg, die erste deutsche Küchenchefin war, die in Frankreich einen Stern erkochte. „Gute Personalführung,“ so Biesler, „ist essentiell damit die Leute gerne arbeiten kommen.“ Auch Sven Elverfeld weiss nur Gutes über Biesler zu berichten. Dessen Wunsch nach Harmonie prägte stets auch seine Gesamtauffassung von Gastronomie, bei der es nie ums Essen allein, sondern immer auch die gesamte Atmosphäre ging.

Foto: Ritterschlag und Aufnahme in den Orden Cordon d'Or von Monte Carlo

Dieser gesamtumfassende Blick hat Bieslers Sicht auf den Guide Michelin verändert. „Der Michelin misst Frankreich und Deutschland mit zweierlei Maß,“ moniert er. Während in Frankreich teils Plumpsklos mit Sternen bedacht würden, seien in Deutschland die Anforderungen weitaus härter. „Auch die Strahlkraft des Sterns hat sich verändert. Damals stand er für Silber, weiße Servietten, Kaviar, Gänseleber und Hummer, heute für Bücherverbrennungen nach Aberkennung des dritten Sterns von Haeberlin.“ Eine Abwärts-Entwicklung, die er seit den 80ern beobachtet, als der BIB Gourmand aus der Wiege gehoben wurde. „Ein halber Stern ohne Strahlen,“ lamentiert er als wir etwas 2007 Nonnenberg von Breuer in unsere Kelche nachfüllen.

Foto: Jungfernreise der Astor im Mittelmeer mit vielen Spitzenköchen

Dieter Biesler war 1986 Preisträger des literarischen Wettbewerbs mit seinem „Buch der Saucen“. Es folgte „Das Buch feiner Suppen.“ „Ich würde gerne so tanzen können, wie Sie kochen,“ pries Ute Lemper seine Kochkünste. Mit seinem Leben ist Dieter Biesler rückblickend im Reinen, allerdings würde er kleine Korrekturen vornehmen: „Ich würde mich vor meinem 45. Lebensjahr selbständig machen und rechtzeitig Reserven bilden.“ Heute ist er vorwiegend privat aktiv in Kochclubs in Hannover und genießt sein Leben als Pensionär bei gutem Essen und gutem Wein. So, wie einst Johannes Heesters, der auch noch im hohen Alter nach seinen Engagements im Hannoveraner Schauspielhaus immer bei ihm einkehrte: „Eine halbe Consommé, dann geräucherte Forelle. Dazu hat er immer einen Schoppen „Randersacker Ewigleben“ getrunken.“ Und ward in Biesler’schem Sinne bestens restauriert.

Text: Sebastian Bordthäuser

Das könnte dich auch interessieren