Interviews 26.Juni 2016

Ein Teller von Micha Schäfer

Er ist Küchenchef im Berliner Nobelhart & Schmutzig und zeigt kompromisslos, wie sehr Umgebung und Herkunft für sich selbst stehen können. Seine selbstbewusste Küche polarisiert und verlangt nach einem Gast, der das Konzept verstehen möchte. Der Guide Michelin verstand und zeichnete das Restaurant im November 2015 mit einem Macaron aus. Zusammen mit der Effilee stellen wir Euch den Küchenchef in der gemeinsamen Rubrik "Ein Teller von..." vor.

Micha, erzähl mal, was auf dem Teller lag? Viel war das ja nicht.

Das war ein Stück Saibling, der wird nur ganz kurz unter den Salamander gelegt, dass er eigentlich noch roh ist, aber so warm wird, dass man die Haut abziehen kann. Darauf kommt braune Butter und Salz. Darunter sind süßsaure Zwiebeln, mit Dillblüten und Weißwein abgeschmeckt. Das war’s! Wahrscheinlich das simpelste Fischgericht, das wir bis jetzt geschickt haben. Aber mir war es sehr wichtig, die Qualität des Fisches in den Vordergrund zu stellen. Wahrscheinlich könnte man ihn auch ohne Zwiebeln servieren.

Obwohl die gut waren. Wie hast du die gemacht?

Die Zwiebeln werden ganz dünn geschnitten, mit Butter angeschwitzt, bis sie zusammenfallen, mit Weißwein abgelöscht und darin gekocht. Wenn am Schluss noch Säure fehlt, tun wir noch ein bisschen Verjus dran.

Wo kommt der Fisch her?

Den bekommen wir von den Müritzfischern. Mit denen arbeiten wir schon länger sehr eng zusammen. Gestern hat es zum ersten Mal geklappt, dass sie den Saibling nach der Ike-Jime-Methode geschlachtet haben. Ein junger Koch, der einige Jahre in Japan gearbeitet hat, Dylan Watson-Brawn, hatte ihnen gezeigt, wie das geht. Dafür lässt man den Fisch erst in einem Becken zur Ruhe kommen. Anschließend wird er durch einen Stich ins Hirn getötet und dann lässt man ihn ausbluten. Man merkt qualitativ tatsächlich einen großen Unterschied. Das Fleisch ist viel cremiger und weniger fischig. 

Man sagt, mit Ike Jime getötete Fische könne man wie Fleisch regelrecht reifen lassen, wann wurde der Fisch denn geschlachtet?

Am Montag. Am Mittwoch haben wir ihn serviert. Da kann man noch nicht von Reife in dem Sinne sprechen; so alt ist jeder andere Fisch auch, wenn er auf den Teller kommt. Eher sogar ein bisschen älter, jedenfalls was man in Berlin so auf dem Markt kriegt. Aber wenn er so geschlachtet wurde, altert der Fisch besser, er wird nicht fischig. Wir fangen jetzt an, mit dem Produkt zu spielen, also mit verschiedenen Fischen und mit verschiedenen Zeiten, mit verschiedenen Temperaturen. Wir gucken, wie sich der Fisch dann verhält. Wann das ein bemerkenswert anderes und besseres Produkt wird. Deswegen servieren wir den Fisch auch roh.

Das Nobelhart und Schmutzig ist ja unübersehbar ein konzeptstarkes Restaurant. Auf welcher Ebene hast du dich denn mit Billy getroffen?

Billy hatte die Idee für dieses Restaurant und war auf der Suche nach einem Koch. Zuerst hatte er meinen damaligen Chef gefragt, Matthias Schmidt von der Villa Merton in Frankfurt. Der wollte aber in Frankfurt bleiben und hat mich empfohlen. Dann haben Billy und ich uns getroffen und geredet und gemerkt, dass wir ähnliche Vorstellungen davon hatten, wie man eine interessante Küche angehen kann. Dass wir nur mit Produkten aus der Umgebung arbeiten wollten, das war die erste Regel, ziemlich dogmatisch, mit einem festgelegten Kilometerradius, einfach um erst mal Gesetze zu haben. Dann hat sich das aber so entwickelt, dass es uns zusätzlich darum geht, außergewöhnlich gute Produkte zu bekommen.
Wir haben gemerkt, es gibt in der Region ziemlich viele Leute, die irgendetwas produzieren, aber es fehlt oft das Qualitätsbewusstsein. Weil die Kunden kein Geld dafür ausgeben. Deswegen konzentrieren wir uns mittlerweile darauf, die Produzenten bei dieser Entwicklung mitzunehmen, in diese Produzenten zu investieren, um bestmögliche Produkte zu bekommen. Die Gerichte sind dementsprechend auch sehr fokussiert.

Das heißt ... ?

Bei den meisten Gerichten geht es vor allem um die Qualität der Zutaten. Aller Zutaten. Da steckt sehr viel Arbeit dahinter, weil wir ohne Zwischenhändler arbeiten. Die Einzigen, die uns da unter- stützen, sind die Leute von der Markt- halle Neun, die übernehmen die Logistik und sind ein bisschen so etwas wie ein Händler, aber meistens mache ich das direkt mit dem Produzenten. Das führt dazu, dass ich alles einzeln bestelle. Mehl, Salz und solche Sachen. Und einmal im Monat geht ein Wochenende dafür drauf, dass ich durch Brandenburg fahre und Leute besuche. Das ist sehr essenziell für die Entwicklung: dass die wissen, wer ich bin, ich weiß, wer die sind. Wir wollen auch, dass die Leute hierher zum Essen kommen, damit sie verstehen, worum es uns geht. An solchen Wochenenden entsteht auch immer mindestens ein Gericht, weil jeder Produzent irgendetwas hat, wovon er nichts erzählt hatte, weil er dachte, es wär nichts. Weil er nicht auf die Idee kommt, dass man das servieren könnte. Selbst wenn man mit den Leuten wöchentlich telefoniert, aber noch nicht vor Ort war, kann man sich immer noch nicht vorstellen, wie groß das dort ist, wie viele Angestellte die haben, wie das Feld wirklich aussieht und wie der Mensch arbeitet, und das ist wichtig für die Kommunikation und die Zusammenarbeit.

Ganz oft bieten die Leute besondere Qualitäten gar nicht an, weil sie denken, es wäre zu teuer. Zum Beispiel Eier: Vorhin war die Frau Schlegel da. Die bringt uns jetzt jede Woche sechzig Eier vorbei. Die sind im Vergleich ziemlich teuer. Aber es gibt sonst niemanden in Berlin, der Eier an die Gastronomie verkaufen darf und der kein Legemehl verfüttert.

Das ist ein Futterzusatz, damit die Hühner mehr Eier legen?

Richtig. Wenn man Hühner hält, um Eier zu produzieren, muss man das, um Geld zu verdienen gleich in einem riesigen Format machen. Dann müssen die auch ordentlich legen, und deshalb wird Legemehl verfüttert, selbst wenn es ein Demeterbetrieb ist. Sonst kommt einfach nicht genug Geld dabei rum. Im Legemehl sind Proteine und Stoffe, die bei der Schalenbildung helfen. Damit das Ei schneller fertig wird. Und wenn das Ei schneller fertig ist, dann heißt das, dass es weniger Zeit dafür hatte.

Kommst du denn hier aus der Region?

Überhaupt nicht. Gebürtig bin ich Schweizer, aufgewachsen bin ich in Ostwestfalen. Meine Ausbildung habe ich in Gießen gemacht, dann war ich zwei Jahre in Frankfurt in der Villa Merton und das war’s. Ich bin also ein ziemlich unbeschriebenes Blatt. Das ist nicht nur gut, das ist auch viel Arbeit für mich, weil ich alles neu er nden muss. Ich stehe oft da und habe eine Idee, die es schon gibt. Rosinen oder so: "Komm, wir trocknen Trauben!" Das führt auch dazu, dass ich unbefangen an die Sache rangehen kann.

Wie kommst du denn auf diese reduzierte Küche?

Das kommt über die Qualität der Produkte von allein. Je mehr man auf den Teller legt, desto weniger nimmt man wahr, worum es eigentlich geht. Auch als wir den Gang mit dem Saibling entwickelt haben, sind immer weniger Zwiebeln auf den Teller gekommen, damit man den Fisch besser schmeckt. Wenn viele Komponenten auf dem Teller liegen, steht die Qualität halt nicht mehr im Vordergrund. Ich meine damit nicht, dass sie schlecht ist, die Qualität kann sogar sehr gut sein, aber sie steht eben nicht mehr im Vordergrund. Ich habe so viel Arbeit in diesen Fisch gesteckt, mich ein Vierteljahr mit den Fischern auseinandergesetzt und mit der Schlachtmethode. Da sehe ich nicht ein, warum ich das verschandeln sollte. Es dauert übrigens länger, als man denkt, so ein minimalistisches Gericht zu entwickeln.

Wusstet ihr von Anfang an, dass es in diese Richtung gehen würde?

Was wir nicht wussten, war, wie krass das wird. Und ich denke, das wird eher noch krasser. Aber ich will es auch nicht übertreiben. Es muss schon Spannung da sein, ich will nicht nur das Produkt präsentieren, es muss auch toll schmecken.

Wie gehst du vor, wenn du einen Gang entwickelst?

Meistens fängt es mit einem Produkt an, das ein Produzent mal mitgebracht hat. Dann mache ich mir ein paar Notizen, was dazu cool sein könnte, dann wird es probiert und dann – schmeckt es meistens nicht. Meistens sind die je mehr man auf den teller legt, desto weniger nimmt man wahr, worum es geht Kombinationen schon super, nur macht es irgendwie auf der Zunge keinen Spaß, weil es die falschen Proportionen und die falschen Temperaturen sind. Wir brauchen dann etwa zwei Wochen, auch um herauszufinden, wie verfügbar das Produkt ist, ob es immer gut ist. Und der Prozess des Optimierens des Gerichtes dauert dann zwei bis drei Wochen. Wenn wir einen Gang in der Küche probieren, dann frage ich immer, hast du Lust, noch eines zu essen. Wenn die Antwort Ja ist, dann kommt das Gericht auf die Karte.

... in der konsequent reduzierten Form?

Meistens werden es immer weniger Elemente, damit es klarer ist. Gerade mache ich ein Dessert mit Rhabarber, Blütenzucker und Weizengras. Jetzt haben wir schon die drei Geschmäcker in allen Varianten einmal durchprobiert und heute ist es hoffentlich fertig. Ein Sorbet vom Rhabarber und Rhabarber roh und Weizengras als Granit und als Saft. So, dass man die Reihenfolge auf der Zunge so schmeckt, dass es Spaß macht. Ich achte immer darauf, dass alle Geschmäcker vorhanden sind. Selbst wenn es in der kleinsten Einheit ist. Immer Fett und Säure als Spannung. Immer Süße und Salz als Spannung, wobei Salz auch sehr wenig sein kann. Das kann auch das Reduzierte einer Fleischbrühe sein und Süße kann auch von einem Grünkohl kommen. Manch- mal fehlt Umami, dann gibt es halt ein Fisch- oder Fleischprodukt. Oder etwas Fermentiertes. Irgendwie muss immer Frische und Tiefe dabei sein. Und da wir durch die Konstellation der Küche mit dem Tresen die Möglichkeit haben, Sachen sehr heiß zu servieren, mache ich gern warme Gerichte und kalte Desserts.

Wie fühlt sich das denn an, in der offenen Küche zu arbeiten?

Das hat mich am Anfang meine Haare gekostet, glaube ich. Ich hatte in der ersten Woche mehr soziale Kontakte als vielleicht in meinem ganzen Leben davor. Aber mittlerweile habe ich mich daran gewöhnt. Und an Schlagfertigkeit gewonnen. Jetzt macht es Spaß, weil ich sofort da bin, bei allen Situationen, die nicht perfekt sind. Ich muss mir dann nicht von irgendwem etwas über irgendeine Ecke anhören, sondern ich gehe immer sofort hin und kümmere mich. Man sieht sofort, ob ein Gericht ankommt, und wenn es nicht so gut ankommt, dann überlegt man noch mal, ob man da was anders macht. Wenn man es selber rausbringen und dem Gast erklären muss und man merkt, da ist kein Feuer hinter, dann lässt man es lieber. Wenn man aber hinten in der Küche steht, ist einem das egal.

Wie oft wechseln die Gerichte?

Ich mache den ganzen Tag nichts anderes. Ich esse ständig Sachen, die nicht schmecken. Einmal die Woche schmeckt es und dann kommt es auf die Karte. So ist in zwei Monaten das Menü meistens einmal durchgewechselt.

Das komplette Interview sowie das Rezept zum Gericht findet Ihr in der aktuellen Effilee, in der es auch weitere Inhalte von den Sternefressern gibt. Bestellen könnt Ihr das Heft für 9,80 € hier.

Das Interview führte Vijay Sapre und die Fotos für diese Serie hat Caroline Prange gemacht. Den ausführlichen Sternefresser-Bericht zum Nobelhart & Schmutzig findet Ihr hier.

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