Interviews  9.März 2015

Ein Teller von Fergus Henderson

Fergus Henderson hat ursprünglich Architektur studiert, bevor er aus Neigung in die Gastronomie hineingerutscht ist. Seit 1994 gibt es das St. john: Keine Musik, weiße Wände und eine durchgängige Reihe von Haken an der Wand, so, dass jeder Gast seinen Mantel direkt neben seinem Platz aufhängen kann – das Restaurant strahlt eine schlichte Klarheit aus, die ihresgleichen sucht. Es ist eine Form von Ernsthaftigkeit und Respekt, die sich auch in den Gerichten widerspiegelt.

Henderson leidet seit fast zehn Jahren an Parkinson und hat daher – "aus Sicherheitsgründen" – aufgehört, selbst in der Küche zu stehen. Er ist aber täglich präsent im Restaurant, bespricht die Gerichte und isst auch regelmäßig selbst hier zu Mittag. Wir treffen ihn morgens um zehn Uhr in seinem Restaurant, wo er zunächst sein legendäres Frühstück, einen Espresso und einen Fernet Branca einnimmt, "das bringt die Maschine in Gang und hebt die Stimmung". Er hält sich auch an die vormittägliche Tradition der "Elevenses", hausgebackenem Seedcake mit einem Glas Madeira. Der Seedcake ist ein ganz verblüffender Sandkuchen mit Kümmel, der genau wie das Brot täglich selbstgebacken wird. "Das", so meint Henderson, sei ganz wichtig, "es gibt einem Restaurant Charakter." 

Mr. Henderson, wann haben Sie das mit dem Knochenmark zum ersten Mal gemacht?

Das war, als wir kurz vor der Eröff­nung waren. Ich war im Kino, um den Film "La grande Bouffe" anzusehen, wo sie versuchen, sich mit Essen umzu­bringen.

"Das große Fressen" auf Deutsch. Mit Marcello Mastroianni, Michel Piccoli und Ugo Tognazzi ...

Sehr guter Film. Und in der ersten Szene gab es Knochenmark und sie saugten es aus den Knochen. "Das ist ein Gericht!", dachte ich. Und schon war es für mich ein Gericht! Und der Petersili­ensalat – in einem Restaurant, in dem ich gearbeitet hatte, bekam der Chef nach dem Service sein Abendessen. Und er sagte: "Wo ist der Salat?" Und alles, was ich hatte, war Petersilie. So entstand der Petersiliensalat. Der Toast bringt den Crunch mit. Schalotten und Kapern. Die 22 Schalotten rund, in Ringen. Wenn Gott gewollt hätte, dass wir rechteckiges Ge­müse hätten, hätte er es uns gegeben! Das prägt ein Restaurant, wenn die Leute an Knochen saugen. Es ist wun­dervoll. Ich finde es wichtig, dass man nicht vergisst, dass man auch ein Leben hat. Dass man nicht nur in der Küche steht, an einem Herd und kocht. Es ist wun­derbar, vom Leben zu lernen und aus Filmen, Büchern ...

Wenn man es das erste Mal hört, denkt man, das ist ein traditionelles Gericht, was es ja nicht ist. Aber ist das nicht ein Zeichen für etwas wirklich Großes, wenn die Leute denken, es ist traditionell?

Essen ist etwas Dauerhaftes. Das Beste, was man tun kann, ist jetzt, heute, gut zu kochen. Nose to Tail Eating ist auch zeitgenössisch. Das ist nicht nur ein Gimmick, es geht hier darum, Essen zu genießen, das köstlich ist. Das klingt langweilig, denn es hat mit gesundem Menschenverstand zu tun, der immer langweilig ist. Wenn man einem Tier auf den Kopf haut, um es zu essen, ist es doch eine Frage der Höflichkeit, es ganz aufzuessen. Von den vielen leckeren Aro­men mal ganz abgesehen.

Man sagt, Sie seien ein großer Freund des Mittagessens. Wie kommt’s?

Nun ja, Lunch hat Potenzial. Es ist mitten am Tag, man isst etwas, trinkt das erste Glas Wein und der Nachmittag ist voller Möglichkeiten. Beim Abendessen ist man müde vom Tag und es ist eher ein Schlusspunkt.

Wie modern ist denn Ihre Küche?

Alle sagen, man müsse modern sein. Aber ich glaube nicht, dass unsere kuli­narische Strategie veraltet ist. Adolf Loos zum Beispiel, das ist ein Architekt aus Wien, der hat 1908 die American Bar gestaltet, die es heute noch gibt. Er hat lauter traditionelle Materialien verwen­det, Stein, Marmor. Trotzdem ist es eine sehr moderne Bar, nur eben mit alten Materialien.

Sie haben ursprünglich Architektur studiert, spielt das eine Rolle für Ihre Arbeit als Koch?

Insofern, als man immer ganz klar wissen muss, warum man etwas tut. Aber man baut natürlich keine Türme auf dem Teller. Das sind unmotivierte Effekte. Man darf mit den Zutaten auch nicht zu viel machen. Wir haben großartige Jahreszeiten, kurze Jahreszeiten. Für Wild, Austern, grünen Spargel, Bohnen, Vögel. Man kann viele Zutaten auspro­bieren, man muss sie nur mit Respekt behandeln. Dann wird das Essen gut. Das hat etwas Ganzheitliches. Die Natur hat uns die Speisekarte gegeben und wir sollten sie nicht zu sehr durcheinander­ bringen.

Sie leiden an Parkinson, wie wirkt sich das auf Ihre Arbeit aus?

Schon lange, ja. Seit zehn Jahren. Ich hatte Deep Brain Stimulation, mit Drähten im Kopf, das hat sehr gut funk­tioniert, fast wie im Märchen. Aber es gab natürlich einen Zeitpunkt, an dem die Arbeit in der Küche so nicht mehr möglich war.

Aber Sie besprechen das Menü und überwachen die Qualität?

Ich bin jeden Morgen hier und wir besprechen die Gerichte.

Können die Köche ihre eigenen Gerichte einbringen?

Nein, ich bin da sehr strikt. Sie kön­nen natürlich Ideen einbringen. Es ist auf der anderen Seite sehr schwierig, in Rezepten zu denken. Ein Rezept kann völlig anders sein, je nachdem, von wem es gekocht wurde. Es geht eher darum, Gedanken auszutauschen.

Das Restaurant ist sehr schlicht...

Bei uns im Restaurant sind Sie die Dekoration, es gibt keine Musik, keine Kunst an den Wänden. Sie sind da, als Gast, essen, trinken Wein, plaudern. Das ist die ganze Dekoration. Der Ort hat Persönlichkeit, genius loci. Jetzt, am Morgen, spürt man noch den Nach­ hall des Abendessens, dann kommt das Mittagessen und nach dem Mittag­ essen wird der Saal geräumt und man hat das seltsame Gefühl, als köchelte das Mittagsgeschäft immer noch vor sich hin. Das empfinde ich sehr stark. Und am nächsten Morgen fängt es wie­ der an: Türen auf – Showtime! Es ist erstaunlich.

Zusammen mit der Effilee, dem "Magazin für Essen und Lesen", beleuchten wir regelmäßig ein Gericht eines Spitzenkochs. Das ausführliche Interview sowie das Rezept zu dem Gericht findet sich in der aktuellen Effilee, die Ihr hier bestellen könnt.

Fotocredit: Andrea Thode / Effilee

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