News  4.Januar 2023

Herdhelden 2022

Auch im Jahr 2022 war Reisen noch nicht ganz so unbeschwert möglich, wie vor der Pandemie. Trotzdem kamen wir ganz gut rum. Wir addieren dabei keine Sterne, sondern fühlen Erlebnisse. Und da gab es natürlich wieder Restaurants, Menüs und Menschen, die sich besonders nachhaltig ins kulinarische Gedächtnis einprägten – vom Gasthaus bis zum Gourmettempel. Genau dafür unternehmen wir unsere Reisen. Die geographische Bandbreite unserer Favoriten reicht von Antwerpen bis Berlin, von München bis San Francisco. Eines zeigte sich bei unseren Touren deutlich: es geht weiter bergauf...
Hier nun unser Rückblick in zehn Kategorien. Viel Spaß dabei!

Foto: © Julian Fong

Entdeckung des Jahres

136, Berlin

Wir beobachten Matias Diaz Silvas Entwicklung zwar schon seit einigen Jahren, doch erst unser letzter Besuch des Berliner Restaurant 136 überzeugte uns derart, dass wir den talentierten Südamerikaner als Entdeckung des Jahres handeln: Hier hat sich über die Corona-Zwangspause wirklich was getan! Die Fusion aus Silvas peruanischen Küchenwurzeln mit der Cucina italiana ist lässig, unverkopft und trotzdem elegant. Als Prototyp dieser Philosophie steht für uns das süffige Adlerfisch-Ceviche, dessen klare Amalfizitronen-Säure beide Welten so simpel wie köstlich zu verbinden weiß. Dieses Restaurant sollte der geneigte Fresser im kulinarischen Auge behalten. Wir jedenfalls werden es tun..

Zum Bericht.

Sommelier des Jahres

Sebastian Höpfner (Taubenkobel & Schraubenkobel, Österreich)

Sommeliers sind eine gastronomische Spezies mit ausgeprägtem Sendungsbewusstsein. Eher selten läuft uns ein Exemplar vor die gläserne Flinte, dem es mehr um den Rebensaft an sich geht, als ums eigene Ego. Eines dieser Unikate ist Sebastian Höpfner, den wir erstmals vor einigen Jahren als Suffmeister im Frankfurter »Restaurant Francais« schätzen lernten. Er beherrscht alle Gäste- und Wein-Klaviaturen souverän und agiert dabei vollkommen unprätentiös; ob im edlen Grandhotel oder inzwischen im stylishen Hideaway »Taubenkobel« bzw. dessen Wiener Popup »Schraubenkobel«, wo wir ihn jüngst erlebten (wie man am Outfit sieht).

Auch die neue vinophile Freiheit zwischen Naturnähe und klassischem High-End predigt er nicht nur, sondern lebt sie: Vom Grand-Cru-Burgunder bis zu Funky-Naturals empfiehlt, erklärt und trinkt er selbst alles, was Freude macht. Das setzt eine Portion Wahnsinn aber auch Begeisterung voraus – gut für den Gast, und zudem exakt das, was ein »Deitscher« in Österreich benötigt.

Desserteur des Jahres

Maxime Rebmann, Tantris

Das »neue« Tantris überzeugte bei unserem Besuch auf ganzer Linie. Bei einem solchen Homerun besonders herauszustechen, ist kein leichtes Unterfangen. Geschafft hat es Pâtissier Maxime Rebmann dennoch. Er absolvierte seine Ausbildung bei Claire Heitzler im Pariser Restaurant »Lasserre« und war zuletzt als Chef-Pâtissier im Hause Troisgros in Ouches tätig.

Die Nachspeisen des Mittdreißigers bestechen durch die Melange von klassischer, süffiger Wohlfühlpâtisserie und modernem Desserthandwerk – wobei wir auch seinen Kollegen, den jungen Bäcker Baptiste Saunier nicht unerwähnt lassen möchten. Unverkrampft kreative Kreationen wie »Kastanie und Mikan«, aber auch Backwerk wie die ofenheissen Gougères au Comté brachten uns zum Schwelgen. Bei Desserts passiert das immer noch selten. Folgerichtig führt es hier zur Auszeichung als Desserteur des Jahres...

Hier der komplette Bericht über das »Tantris«.

Service des Jahres

Schwarzer Adler, Vogtsburg-Oberbergen

Hubert Pfingstag befindet sich nach unfassbaren 46 Jahren (Einstellungsdatum: Februar 1976!) auf Abschiedstour, die wohlverdiente Pensionierung naht. Das Serviceteam des Restaurants »Schwarzer Adler« um den umsichtigen Maître sowie Sommelière Melanie Wagner ist mittlerweile fast so legendär, wie das Restaurant selbst. Gelebte Herzlichkeit, gepaart mit einer charmanten Offenheit und ansteckenden Gelassenheit, dabei stets höchsten professionellen Ansprüchen genügend. Diese unnachahmlich einnehmende Kombination kann man der eingespielten Mannschaft nicht hoch genug anrechnen. Jeder Gast, egal ob erfahrener Fresser oder Sterneneuling, fühlt sich wohl, willkommen und umsorgt. Man zeigt in jedem Moment, worauf es bei der Interaktion zwischen Gast und Service wirklich ankommt: Freude am Geben und Teilen.

Den ganzen Bericht zum »Adler« gibt es hier.

Casual Dining des Jahres

Die Burg, Donaueschingen

Man kann im Restaurant Die Burg in Donaueschingen modern fine dinen (ein Stern dürfte nur eine Frage der Zeit sein). Man kann aber auch ganz bodenständig ein Cordon Bleu oder Käsespätzle essen. Und zwar so gut, dass man am besten bei Küchenchef Jason Grom einfach ein, zwei Vorlieben äußert und ihm ansonsten Carte blanche gewährt. Hier wird eine Gasthausküche zelebriert, ohne deren Verständnis man auch die Haute Cuisine nie ganz wird begreifen können. Wir kehren sowohl für neue Kreationen wie zum Beispiel eine grandiose Morchel-Lasagne mit weißem Spargel immer wieder bei den Brüdern Grom ein, lieben das Haus aber vor allem der Klassiker wegen. Allein diese lohnen schon die Anreise in den tiefen Süden. Der Zwiebelrostbraten und die Fischmaultäschle sind nämlich die besten weit und breit. Ja, auch besser als die von Euren Großmüttern... ;)

Gesamterlebnis des Jahres

Pramerl & The Wolf, Wien

Vom »Casual Fine Dining des Jahres 2015« zum »Gesamterlebnis des Jahres«, das gab's in der langen Sternefresserhistorie noch nie. Geschafft hat das in diesem Jahr Wolfgang Zankl-Sertl mit seinem Pramerl & The Wolf. Das Mini-Lokal im Wiener Servitenviertel tickt alle Boxen für ein grandioses Fresserlebnis, wobei das Wichtigste natürlich das Essen ist und bleibt. Was der ehemalige Unternehmensberater, der erst mit Mitte 30 den Schreibtisch gegen den Herd eintauschte, in zwanzig kleinen Runden auftischt, hat uns rundweg begeistert. Dazu gibt es eine ebenso stimmige wie abwechslungsreiche Weinreise ohne unsichtbare Barrieren. All das in einer winzigen ehemaligen Kneipe mit fünf Tischen und einem wunderschönen Tresen. Eingebettet in urig-warmes Holz und sattes Schwarz, sorgt (guter!) Jazz für eine äußerst stimmige Wohnzimmeratmosphäre. Ein Rundum-sorglos-Paket der besonderen Art.

Der Bericht folgt – hier das Facebook-Album.

Foto © Katsey photography

Menü des Jahres I

La Ragazza, Stockholm

Wir wollten ins »Frantzén«, landeten mangels Reservierung im unscheinbaren La Ragazza – und erlebten in dem unbesternten Bistro eines unserer beiden Menüs des Jahres. Klar, es gibt aufwändigere Gerichte und »perfektere« Inszenierungen in gestylterem Ambiente. Alles gut und schön. Doch was uns viel mehr bewegt sind Menüs, denen man die ungestüme Leidenschaft der Macher anmerkt, die pfiffig und ideenreich sind, und bei denen man statt ostentativem Luxus die puren Ambitionen zu schmecken meint. Leidenschaft herrscht in den Luxushäusern natürlich auch, keine Frage. Trotzdem fühlt sich ein Essen in Restaurants wie dem »La Ragazza« anders an. Lebendiger. Hier vibriert es.

Davon abgesehen schmeckte praktisch jeder der wohltuend reduzierten Gänge hervorragend. Eine fulminante Götterspeise war dabei und jede Menge glücklich machender Überraschungen – alles auf eine unprätentiöse, fast beiläufige Art, dennoch durchdacht und handwerklich präzise. Die Menüs der meisten Restaurants erzeugen im Idealfall begeisternde Bewunderung. Beim »La Ragazza« war es etwas anderes: Liebe.

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Menü des Jahres II

Hertog Jan, Antwerpen

Was für ein Comeback! Nach der Schließung des »Hertog Jan« bei Brügge im Jahr 2018 meldeten Gert de Mangeleer und Joachim Boudens sich nun in Antwerpen zurück: In den Gemäuern des historischen Botanischen Gartens eröffneten sie eine Oase inmitten der Großstadt, für maximal 16 Gäste. Ultrapuristisch gestaltet, mit geheimnisvoller Aura und einem magischen Menü.

Neben famosen Gemüsegerichten – natürlich aus eigenem Anbau – und göttlichen Saucen kommen auch Luxusprodukte wie Kaviar und Wagyu zum Einsatz, die jedoch keineswegs aufgesetzt wirken, sondern durch das Umfeld und die klare kulinarische Inszenierung eine eigentümliche »Bescheidenheit« ausstrahlen – kein Protz, sondern Preziosen. Gert de Mangeleer ist ein großer Japan-Fan, und das merkt man sowohl dem Raum, als auch dem Menü an. Die Gerichte strahlen eine ungeheure Ruhe aus, was die Wirkung umso aufwühlender macht. Ein Hauch von Zen auf dem Teller.

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Enttäuschung des Jahres

Operakällaren, Stockholm

Wir erlebten 2022 mehrere hochkarätige Enttäuschungen, doch selbst im Disfrutar und dem El Celler de Can Roca gab es kleine Rettungsanker, seien es einzelne Menü-Highlights, eine tolle Grundatmosphäre oder ein glänzend aufgelegter Sommelier. Dies fehlte im Operakällaren gänzlich. Von mehreren Seiten hörten und lasen wir vorab Begeistertes über dieses älteste Gourmetrestaurant Stockholms – nur um dann in einem bedrückend biederen Palast-Ambiente ein ebenso biederes, auch handerklich nicht immer einwandfreies Menü zu verspeisen. Der Service war ein Lichtblick, doch selten gingen Erwartung und Erlebnis, Ruf und Realität so markant auseinander, wie im Restaurant der Königlichen Oper Stockholm.

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Produkt des Jahres

Chicorée

Man muss kein Veganer sein, um den Fokus auf pflanzliche Zutaten zu begrüßen – lange genug konzentrierte sich die Spitzenküche auf einen unnatürlich engen tierischen Geschmackskorridor. 2022 begeisterte uns vor allem der gelungene Einsatz von Zichoriengewächsen mit ihrer anregend herausfordernden Bitterkeit. Ob als famoser Veggie-Gang mit Artischocke im Ösch Noir oder als Protagonist eines Desserts im Essigbrätlein: die Vielseitigkeit dieses Gemüses ist wunderbar.

Den größten Eindruck aber machte Radicchio with Radicchio X.O. in Joshua Skenes' lässigem »Angler« in San Francisco, wo die rote Chicorée-Variante mindestens 15 Minuten Ruhm ernten konnte. Eine hausgemachte X.O. Sauce transformiert den schlicht anmutenden Salatkopf zur vermutlich lässigsten aller Götterspeisen. Basierend auf über Feuer gerösteten und dann eine Woche getrockneten Radicchioblättern und Zwiebelgewächsen entsteht eine Melange aus Umami, Süße, Fruchtigkeit und Schärfe, welche die Bitterkeit der zarten Blätter in einen komplexen Kontext hüllt. Vermeintlich simpel, sehr raffiniert, köstlich und unvergesslich. Mehr Zichorien in die Küchen!

Konzeptküche des Jahres

Abseits des Passes: Woodcuisine, Berlin & Umgebung

Ein Dinner mitten im Wald: Genau das ermöglicht das Team der »Woodcuisine« und fordert dabei den körperlichen Einsatz aller Teilnehmer. Einen ganzen Tag verbringt man zwischen Geäst in den Wäldern unweit von Berlin, sammelt Wildkräuter, dreht Fleisch für Wildschweinbratwürste durch, zerlegt zusammen mit Sterneköchen ganze Rehe, produziert Würste, backt Brot, schnitzt Schneidebrettchen und füllt Tortellini. Die Belohnung ist ein sechsgängiges Dinner unter offenem Himmel, mal zu Tisch, mal vor dem lodernden Ring of Fire, auf dem das Team um Mischa Olma einen Großteil der Gerichte zubereitet – eine für uns einzigartige, das Verständnis von Küche und Kochen erweiternde Erfahrung.

Facebook-Favorit

Restaurant Bareiss, Baiersbronn

Bei unserer Facebook-Community kam dieses Jahr besonders gut der Bericht über das Drei-Sterne-Restaurant von Claus-Peter Lumpp an – wir können es verstehen. 

Den Bericht findet Ihr hier.

Meistgelesener Bericht

Schwarzer Adler, Vogtsburg-Oberbergen

Der Bericht über eines der legendärsten Restaurants Deutschlands hat Euch dieses Mal ganz besonders interessiert – und damit sogar internationale Dreisterner überrundet.

Wer die Besprechung noch nicht kennt, findet sie hier.

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