News  4.Januar 2022

Herdhelden 2021

Letztes Jahr setzten wir aus, weil wir durch Corona und Lockdown kaum unterwegs waren. Aber dieses Jahr gibt es wieder einen Rückblick auf die vielen kulinarischen Erlebnisse im In- und Ausland. Die geographische Bandbreite reicht für 2021 von Amsterdam bis Dreis...
Unsere Lieblingsgerichte des Jahres gab es bereits. Hier nun unsere "Helden" in 8 Kategorien – pandemiebedingt noch immer etwas weniger, als üblich. Doch es geht bergauf...
Viel Spaß dabei!

Foto: © Julian Fong

Entdeckung des Jahres

Umar Fisch Bar, Wien

Es war pures Glück in Form eines Ratschlags, dass wir die Umar Fisch Bar entdeckten: Als wir Lukas Mraz nach einem Mittagstipp fragten, schickte er uns ohne Umschweife hierher. Zu recht, denn was Stefan Doubek in dem kleinen Laden mitten auf dem Naschmarkt abfackelt, beeindruckte uns zutiefst. Fast durchweg exzellente Produkte, ein wohltuender, unprätentiöser Purismus auf den Tellern und eine authentisch lässige Atmosphäre machen dieses Lokal zu etwas Besonderem, speziell im deutschsprachigen Raum. Wirklich einordnen lässt es sich dabei nicht, Schlagworte wie Bistronomie oder Casual Fine Dining Restaurant greifen zu kurz, denn ein Bistro ist die Umar Fisch Bar ebenso wenig, wie ein herkömmliches Restaurant. Sie ist... nun ja, eine Bar, mit Hochtischen und Tresen. So ähnlich kennen wir das nur aus Sevilla, Barcelona oder Bari. Dort ist das Wetter schöner, dafür kann man in der Umar Fisch Bar noch ein bisschen besser Essen. 

Den Bericht gibt's hier.

Sommelier des Jahres

Klaus Lechner (Amador***, Wien)

Diese Auszeichnung wirkt oftmals wie ein Wanderpokal, da es erstens nur wenige Top-Sommeliers gibt, und zweitens ein landesweites Nachwuchsproblem herrscht – wie überall im Service. Nochmals verstärkt durch die Abwanderungen in der Pandemie. Umso erfreulicher war der Auftritt von Klaus Lechner im dreifach besternten Amador in Wien, der dort als Quereinsteiger aus dem Bar-Metier erst vor zwei Jahren als Commis-Sommelier begann. Es war gar nicht mal das konkrete Pairing, das uns einnahm (auch wenn es in seiner Weltoffenheit sehr gut war), sondern das erfrischende Allround-Paket: Der 25-Jährige zeigt, wie man mit Leidenschaft, Sensibilität und Lässigkeit so manchen überkandidelten Weinservice alt aussehen lässt. Und das Beste an dieser Wahl: Lechners Fachwissen lässt nicht im Ansatz erkennen, dass er erst zwei Jahre Berufserfahrung hat. Wir sind sehr gespannt, wie es mit gebürtigen Niederösterreicher weitergeht...

Desserteur des Jahres

Niels Dücker (Sonnora***, Dreis)

Desserts sind für uns oftmals der heikelste Teil eines Menüs: zu süß oder zu sauer, zu schwer oder zu plump, zu bieder oder –fast am Schlimmsten– zu gewollt "kreativ". Umso nachhaltiger wirkten die Kreationen von Niels Dücker im Waldhotel Sonnora. Die Namen der Desserts ließen das erstmal nicht vermuten: Marmoriertes Kokos-Mango-Eis und Ananas 'kreolische Art' mit Pina-Colada-Schaum oder Délice von Himbeeren mit weißer Ivoire-Schokolade und Joghurt-Estragon-Eis klingt eher brav; und bei der lauwarmen Tartelette von Guanaja-Schokolade mit Banane und Meersalz-Karamell fragten wir uns, ob wir das nach einem großen Menü überhaupt noch schaffen.
Wir hätten nicht falscher liegen können! Dückers Desserts vereinen klassische Pâtisseriekunst mit zeitgemäßer Leichtigkeit. Auf wundersame Weise gelingt es ihm, vertraute Geschmacksbilder und bewährte Kombinationen ganz neu und anders schmecken zu lassen. Damit fügen sich seine Kreationen perfekt in die Sonnora-Küche ein – originell, aber nicht überspannt, und vor allem ungeheuer köstlich. Die exotische Magie das Kokos-Mango-Desserts und die wärmende Wohligkeit der Schoko-Tartelette werden uns noch lange begleiten. Unser Pâtissier des Jahres!

Hier geht's zum kompletten Bericht.

Service des Jahres

Schwarzwaldstube***, Baiersbronn

Die besten Restauranterlebnisse der Welt zeichnen sich immer auch durch einen außergewöhnlichen und persönlichen Service aus. Authentizität, Humor, Wissen, Einfühlsamkeit, Beobachtungsgabe und Professionalität sind nur einige der Eigenschaften, die eine grandiose Brigade ausmachen. All das und noch viel mehr hat die Mannschaft der Schwarzwaldstube auch in der Übergangsbehausung "temporaire" im Überfluss zu bieten. Deshalb ist unsere Auszeichnung zum Service des Jahres 2021 nur folgerichtig. Bei den fachkundigen Mitarbeiter:innen unter der Leitung des ansteckend gutgelaunten Maître David Breuer und des unprätentiös-charmanten Sommelier Stéphane Gass fühlen wir uns immer bestens aufgehoben und perfekt umsorgt. Kein Wunder, denn der Service schafft es hier, jedem Gast ganz individuell und mit natürlicher Selbstverständlichkeit die bestmögliche Zeit im Restaurant zu ermöglichen.

Den ganzen Bericht gibt es hier.

Foto: © René Riis

Casual Fine Dining des Jahres

4850, Amsterdam

"Casual-Fine-Dining" und "Bistronomie" sind längst zu PR-Etiketten verkommen, die im Zweifelsfall nichts mehr über die Qualität und den Stil eines Restaurants aussagen – über das Preisgefüge sowieso nicht. Aber es gibt sie noch, die CFD-Restaurants, die diese Bezeichnung auch verdienen. Ein Musterbeispiel ist das 4850 in Amsterdam, etwas außerhalb des Grachtengürtels. Inhaber Daniel Schein war einst Sommelier im legendären In de Wulf, sein junger Küchenchef Túbo Logier arbeitete unter anderem im Chambre Separée in Gent und als Souschef im Londoner Clove Club.
Das 4850 sieht wie eine Mischung aus Bistro und Café aus – tatsächlich gibt es tagsüber exzellenten Kaffee und Gebäck. Abends wird ein 7-Gang-Menü serviert, das uns durch entspannte Kreativität und vor allem Wohlgeschmack begeisterte: Eine knusprig gebratene Tranche vom Seekuckuck mit Sake-Sauce und ein Weltklasse-Dessert aus Kartoffelschaum, -crème und karamellisierten Chips seien hier nur als zwei Beispiele genannt. Und das alles zu 75 Euro, im teuren Amsterdam… Auch an der gastfreundlichen Kalkulation der hervorragenden Weinkarte könnten sich viele Restaurants ein Beispiel nehmen. Dazu noch eine junge, internationale Servicecrew, die mit Freude, Humor und Kompetenz bei der Sache ist – fertig ist eines der lässigsten und lohnendsten Lokale der Grachtenmetropole. Gäbe so ein Restaurant in unserer Stadt, wären wir zu jedem Menüwechsel dort.

Gesamterlebnis des Jahres

Alchemist**, Kopenhagen

Seit der Eröffnung im Jahr 2019 war eine Menge über das Alchemist in Kopenhagen zu lesen: über die multimediale Show, in die das 50-Gänge-Menü dort eingebunden ist, und über die provokativen Kreationen des gerade mal 30-jährigen Küchenchefs Rasmus Munk. Wir waren skeptisch, denn derlei Firlefanz behagt uns für gewöhnlich nicht. Aber nach unserem Besuch können wir nur im postiven Sinne sagen: so etwas haben wir noch nicht erlebt – nicht einmal in Albert Adrias konzeptionell verwandtem Enigma. In einem ländlich wirkenden Industriegebiet am Rand von Christianshavn standen wir in der Dunkelheit vor einem unheimlichen Portal, das wie der Eingang zu Mordor aussieht. Drinnen erwartete uns ein futuristisches, dabei gemütliches Setting und vor allem ein hervorragendes Menü, das in verschiedene Akte unterteilt ist und in entsprechenden Räumen serviert wird, einer verrückter, als der andere. Beschreiben lässt sich das nur sehr schwer – in unserem kommenden Bericht werden wir es trotzdem versuchen. Schon jetzt ist das Alchemist aber unser Gesamterlebnis des Jahres.

Menü des Jahres

Jordnær**, Kopenhagen

Bei Kopenhagen denkt man als Essverrückter ans Geranium, ans Noma und ans Alchemist. Alles tolle Restaurants, keine Frage. Aber kein Menü dort war so gut, wie das im Jordnær. Küchenchef und Inhaber Eric Vildgaard, der einst als Geldeintreiber für eine Gang arbeitete und später unter anderem im Noma und dem Søllerød Kro sein Küchenhandwerk lernte, zeigte in seinem Menü ein Gespür für Feinabstimmungen und subtile Geschmackswelten, das uns zutiefst berührte.
Bei rund 20 Gängen gab es keinen einzigen Ausfall, die Dramaturgie changierte zwischen Kraft und Zurückhaltung, immer wieder wurden im richtigen Moment die richtigen Akzente gesetzt. Kaviar und Trüffel spielten eine zentrale Rolle, wirkten aber nicht wie ausgestellte Luxusprodukte, sondern waren mit zwingender Schlüssigkeit eingesetzt. Vereinzelte Kreationen erinnerten vielleicht an Klassiker berühmterer Kollegen, nur: bei Vildgaard schmeckte es alles noch ein Quäntchen besser. Zwei Sterne hat das Restaurant bereits – und wir wagen die Prognose, dass es der nächste Dreisterner Skandinaviens wird. Jetzt gab es dort schonmal unser Menü das Jahres, nicht nur in Kopenhagen.

Meistgelesener Bericht

Sonnora***, Dreis

Der kulinarisch wohl befriedigendste Dreisterner Deutschlands – kein Wunder, dass Ihr alle darüber lesen wolltet!

Wer den Bericht noch nicht kennt, findet ihn hier.

Positiver Trend des Jahres

Volle Restaurants!

Wenn es für die Gastronomie überhaupt etwas Positives als Folge der Pandemie zu vermelden gibt, dann dass die Menschen Restaurantbesuche wieder mehr zu schätzen wissen – dass sie wieder häufiger ausgehen und für den Genuss auch mehr Geld ausgeben. In all den Jahren saßen wir nie so häufig in nahezu ausgebuchten Restaurants, wie 2021. Damit einher ging eine zeitliche Straffung: ein großes Menü braucht seine Zeit, doch die Ära der fünfstündigen Restaurantabende scheint glücklicherweise vorüber zu sein. Das mag nicht überall so sein, aber es sind Tendenzen, und sie sind gut.
Auf dass sie sich 2022 noch verstärken!

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