Götterspeisen  1.Mai 2014

Götterspeisen

Seien wir ehrlich: So gut die Kreationen unserer besten Köche auch sind, bleibt das Essen doch ein sehr flüchtiges Vergnügen. Man speist, genießt und begeistert sich – und doch verblasst mit der Zeit die Erinnerung. Manchmal aber, meist völlig unerwartet, bekommt man es mit einem Gericht zu tun, das sich förmlich in jenen noch unerforschten Bereich des Gehirns einbrennt, der für die Speicherung kulinarischer Offenbarungen zuständig ist. Solche Erlebnisse sind es, wonach jeder Gastrosoph sucht: Mit unserer neuen Serie geben wir all jenen Gerichten eine Bühne, an die wir seit Monaten, manchmal gar seit Jahren immer wieder denken müssen. Jene Geniestreiche großer Köche also, bei denen man schon nach dem ersten Bissen weiss, dass man es mit einem Geschmackserlebnis für die Ewigkeit zu tun hat. 

Götterspeise 55

GEBRATENE JACOBSMUSCHEL IM L'ATELIER ROBUCHON LONDON

Über den Klassiker Gebratene Jakobsmuschel in der Schale mit Algen und Zitronengras im Londoner L'Atelier Robuchon hatten wir schon des Öfteren Lobeshymnen gelesen, die wir jedoch nie so recht nachvollziehen konnten. So führen wir durchaus skeptisch den ersten Löffel mit einem Stück der stattlichen St. Jacques, etwas Alge und ein paar Tropfen des Suds zum Mund – und können die Begeisterung sofort verstehen: die fleischige Muschel erhält von den Algen eine elegante und vegetabile Jodigkeit, wird zugleich von der Cremigkeit des Suds und der Säure des Zitronengrases pointiert. Sensationell und die vielleicht beste kulinarische Umsetzung des japanischen Wabi-Sabi Leitsatzes: Beschränke alles auf das Wesentliche, aber entferne nicht die Magie – hier: Die Magie einer Götterspeise.

Den kompletten Bericht zu unserem Besuch 2013 im L'Atelier Robuchon in London findet Ihr hier.

Götterspeise 54

KARAMELISIERTER AAL MIT KRABBEN UND BETE VON CHRISTIAN SCHARRER 

Christian Scharrer bescherte uns mit dem karamellisierten Aal, Krabben und Bete im Travemünder Buddenbrooks einst einen echten Aha-Moment: Zwischen frisch (Salat) und erdig (Rote-Bete-Cracker und Blatt), scharf (Senfsauce und -sand) und mild (Schnittlauch-Creme), süß (Karamell) und sauer (Vinaigrette) umgibt die edlen Protagonisten Ostsee-Aal und Nordsee-Krabben alles, was wir uns wünschen. Nicht überfordernd und einzigartig – schlichtweg eine Götterspeise, der Start in das eigentliche Menü könnte nicht besser ausfallen.

Den kompletten Bericht zu unserem Besuch 2012 im Buddenbrooks in Travemünde findet Ihr hier.

Götterspeise 53

DER STUMME FISCH UND DAS SCHWEIGEN DER LÄMMER VON MARKUS MRAZ

Mit "Der stumme Fisch und das Schweigen der Lämmer", gepökeltem Donald-Russel-Lamm, Makrele und essbarer Gräte, Humus und Kärntner Lammsaurmilch steigen wir im Mraz & Sohn ins eigentliche Menü ein. Und mit diesem Titel steht der Gang unter einem schlechten Stern, bekommen wir doch von schwachsinnigen Gerichtenamen regelmäßig Pickel auf der Zunge. Diese höchst originelle Version eines Surf‘n’Turf-Gerichtes aber lässt sofort jedwedes Grummeln verstummen. Dabei riskiert die Küche hier einiges: Praktisch rohes Lammfleisch wird mit einer Gräte und kalter Buttermilch kredenzt. Doch der Hochseilakt gelingt, wunderbar der Eigengeschmack und die Zartheit des Lammfleisches und der Makrele. Beide Produkte lassen erstaunlich ähnliche, aber eben doch komplementäre sensorische Erlebnisse entstehen. Dazu knabbern wir den Grätensnack mit ganz zartem Crunch, und wie selbstverständlich bringt die Lammsauermilch eine gewisse Kühle und Frische ins Spiel. Wunderbar und ohne Frage eine Götterspeise.

Den kompletten Bericht zu unserem Besuch im Mraz&Sohn 2013 findet Ihr hier.

Götterspeise 52

ENTE IN DREI GÄNGEN VON TIM RAUE

Garküchen, ein Essen in großer Runde, gekrönt von einer im Ganzen gegarten Ente mit unglaublich krosser Haut und saftigem Fleisch – dieses Kopfkino durchfährt uns bei der Ankündigung des Hauptgangs: Peking Ente, Interpretation TR. Was wir dann serviert bekommen ist wesentlich filigraner und sehr eindrucksvoll.

In drei aufeinander aufbauenden Gängen zelebriert Tim Raue den chinesischen Klassiker und verhilft jedem Teil zu einer eigenen Präsenz. Die Brust mit Apfel und Lauch ist zum Fingerablecken saftig. Bei Herz-Zunge-Magen mit Wintermelone und Bambuspilz ist es der Sud, der uns geradezu berauscht. Wie auch der Höhepunkt des Ganzen: die Entenleberterrine mit Essiggurke und Lauch-Ingwerpüree – perfekt balanciert zwischen deftiger Fülle, Säure und Schärfe. Drei Götterspeisen in einer!

Den kompletten Bericht zu unserem Besuch im Jahre 2012 bei Tim Raue findet Ihr hier.

ROTBARBE A LA PLANCHA VON JEAN-GEORGES KLEINS

Die Rotbarbe "à la Plancha" mit Eisenkrautöl, Kartoffelpüree und Tapenade wirkt wie ein Musterbeispiel der Klein'schen Küche: Visuell extrem reduziert zeigt sich erst in der Kombination der wenigen Komponenten die wahre Größe der dahinter stehenden Idee. Der krosse Fisch wird durch das leicht kräuterig-säuerliche Eisenkrautöl zu einem völlig neuen Geschmackserlebnis. Die kräftig-kartoffelige Cremigkeit des Pürees und die Würze der Oliventapenade fügen mit dem leicht rustikalen und zugleich leicht mediterranen Einschlag weitere Komplexität hinzu. Das Erlebnis wird komplettiert durch den Klecks Erdbeerpüree, der sich nicht etwa vom vorhergehenden Gericht auf den Teller verirrt hat, sondern die genau richtige Dosis belebender Fruchtigkeit und Säure beisteuert. Hervorheben möchten wir hier die perfekte Temperierung dieser Götterspeise (sehr warm bis heiß!), die zeigt, wie wesentlich dieser leider oft vernachlässigte Faktor für den Wohlgeschmack ist.

Den kompletten Bericht zu unserem Besuch im L'Arnsbourg findet Ihr hier.

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