Restaurantkritik  5.Juni 2024

The Prism of the Night

Ich verfolge Gal Ben Moshes Schaffen seit etwa acht Jahren. Bei meinem ersten Besuch im futuristischen Interieur des „Glass“ war seine Küche über weite Strecken unentschlossen und verspielt – dennoch konnte man im konzeptuellen Ansastz erkennen, wohin die Reise gehen sollte: In die Levante nämlich, die bei den allermeisten Fressern ein grauer Fleck auf der kulinarischen Landkarte sein dürfte. Der kulinarische Schmelztiegel zwischen Israel, Jordanien, Libanon, Palästina und Syrien bietet ein enorm breites, für den westlichen Gaumen weitgehend unerschlossenes Portfolio an Gerichten und Zutaten. Moshe nutzt dabei französisches Handwerk gleichermaßen als technisches Vehikel und als Interpretationswerkzeug exotischer Aromen.

Den Auftrag, die ungelernten Papillen des Gastes an die Hand zu nehmen, erfüllt Moshe seit 2021 in den neuen, deutlich hübscheren Räumlichkeiten des „Prism“ unweit der Berliner Kantstraße. Seitdem scheint es zu laufen: Der erste Stern und zahlreiche Verpflichtungen im Ausland haben den schüchternen Israeli zu einem Kosmopoliten wachsen lassen. Unser letzter Besuch ist einige Jahre her, Zeit also für eine Bestandsaufnahme; mal schauen, wie viele Zutatennamen ich für diesen Bericht googeln muss.

Bevor wir ins Menü einsteigen, stellt die Küche eine Vielzahl an Kleinigkeiten auf den Tisch, angefangen mit einer süffig-sauren, prima ausbalancierten Gillardeau Auster mit geeistem Gemüse, Salat Mignonette und getrockneter Minze.

Es folgt eine Produktschau. Die allermeisten Zutaten, die Gal Ben Moshes Gattin, Sommelière und Mitinhaberin Jacqueline Lorenz vorstellt, sollten selbst den geübtesten Foodies unbekannt sein; so zum Beispiel Wüstentrüffel aus der Negev-Region (zweiter von unten rechts).

Einen Altbekannten erkenne ich schnell wieder: Der dank seines unverkennbaren Geruchsprofils aus einer Prism-Corona-Kochbox in die Nasenscheidewand eingebrannte, steinharte Jameed-Käse (Mitte oben). Das levantische Schaulaufen beeindruckt in seiner Exotik und macht Lust auf das Menü.

Bevor es richtig los geht, gibt es noch einige Kleinigkeiten. Sehr tasty, säuerlich und cremig das Khubeza Tempura mit Labane, grünen Mandeln und Kornblumen (links). Der knusprige Burik mit Wüstentrüffeln, Zwiebeln, Kartoffeln und Wachtelei (mitte) bringt etwas Opulenz und Fett aufs Parkett, während mich die Croustade mit gegrillter Artischocke, Zitrone, Schnittlauch und besagtem Jameed (rechts) durch seine schiere Käsig- und Kauigkeit eher erschlägt.

Das über offenem Feuer gebackene Sauerteigbrot kommt mit einer mastigen Lammbutter, die mit krossem Lamm-Crunch und -Jus getoppt wird. Das schmeckt so verboten intensiv, rauchig und dicht, dass es eine wahre Freude ist. Davor liegt ein mit Granatapfelmolasses glasiertes und Ras el-Hanout gewürztes Kalbsbries. Ich fühle mich, als hätte man mich zu einem ausladenden levantischen Grillfest geladen – schlichtweg großartig.

Eine Interpretation von Auguste Escoffiers „Palestine Puree“ – eine Topinambursuppe mit Haselnuss-Panna-cotta, Quittenessig und Kakao-Öl – ist schmelzig, lauwarm, leicht bitter und bringt etwas gustatorische Ruhe in die Kebabaromen-Party.

Das Auberginen-Crisp mit Auberginen-Emulsion und Pfeffer-Kresse wirkt wie ein Bhabha Ganoush auf Speed. Texturell erinnert mich das an die „Erfrischungsstäbchen“ aus meiner Kindheit, aus denen hier allerdings kein übersüßter Orangen-Zitronen-Saft, sondern eine hochintensiv reduzierte Creme der Eierpflanze herausspritzt. Gut und – bereits vor Beginn des Menüs – kraftvoll aromatisiert.

Die teuerste Tomate der Welt ist ja wider Erwarten nicht die „Geldautomate“, sondern der Amela-Paradeiser, der im ersten Gang mit Pistazien und Vanille serviert wird. Sanfte Säure und dezente Süße – ein tolles Produkt. Etwas Salz im Tomatenwasser, ein klein wenig Nuss und ein leichtes Pistazienöl, mehr braucht es nicht, um den roten Umami-Ball strahlen zu lassen. Überraschend passend auch der Einsatz der Vanille, die die Süße der Tomate unterstützt, ohne allzu stark zu „parfümieren“.

Erneut mit Fokus auf das Produkt, aber ungleich überwürzter die Bernsteinmakrele mit Mispeln und Kaffee. Die Jus ist dicht an der Versalzungsgrenze, sodass ich nur wenig davon probiere, mit dem Effekt, dass das Gericht – besonders angesichts des aromatisch üppigen Einstiegs – etwas schmalbrüstig daherkommt.

Eine über Holzkohle gegarte Jakobsmuschel aus Hokkaido wird begleitet von Akkoub, einer dornigen Wildpflanze aus der Levante, deren Stängel geschmacklich irgendwo zwischen Artischocke und Spargel liegen. Am Boden ein warmer Lammsud, der ein wenig Fettigkeit und Schmelz in die Kreation trägt – ein sanfter Gang, der der röstigen Muschel den angemessenen Spielraum lässt.

Als nächstes weißer Zackenbarsch, gebettet auf Verjus-Beurre-Blanc, unreifen Weintrauben und XO-Sauce aus Tintenfisch. Das schmeckt weniger „exotisch“ als die vorherigen Gänge und ist eindeutig Richtung Frankreich dechiffrierbar, lediglich die Säure-Kicks des unreifen Weintraubensafts bringen eine ungewöhnliche und spannende Note ein. Schaumig, butterig, fleischig – gut, wenngleich der Fisch etwas glasiger sein dürfte. 

Awassi-Schafe sind im Nahen Osten weit verbreitet und bekannt für ihre Robustheit – sie wissen auch in äußerst schwierigen Bedingungen zu überleben. Es überrascht also nicht, dass das 30 Tage trockengereifte Awassi-Lamm gleichsam hauchzart wie enorm „schafig“ daherkommt. Der leicht gebundenen Jus passt prima, lediglich das Tzatziki muss mit Vorsicht genossen werden, denn hier versteckt sich eine deutlich zu mutige Menge Wasabi, die dem Lamm kaum eine Chance lässt. Spannend dagegen die geräucherten grünen, unreifen Kichererbsen, die ich so noch nie verspeist habe.

Vor dem Dessert erfrischt ein Verjus-Sorbet mit gegrillten Trauben, Olivenöl-Sablé und Baiser.

Weder habe ich jemals jemanden ein Kamel melken sehen, noch habe ich die Milch dieser Tiere jemals getrunken – bis heute jedenfalls. Serviert wird das hierzulande seltene Laktat als bienenwabenartig geformter, gestockter Pudding sowie als Eis, dazu ein würziger, sehr komplex-„blütiger“ Honigspiegel. Die exotische Milch schmeckt in dieser durchproduzierten Form vielleicht eine spur fettig-intensiver, als normale Milch – mehr aber nicht. Das Geschmacksduell Kuh-Kamel wird wohl nur im puren Direktvergleich auszutragen sein. In Summe aber ein unaufgeregtes, geschmacklich rundes Dessert.

Petits Four (im Uhrzeigersinn von oben links nach unten rechts): gegrillte Ananas, Pralinen mit Yuzu, Ganache und Olivenmarmelade, Karotten-„Turkish Delight“ mit Marcona-Mandelnougat und Madeleines mit Kardamomzucker.

Gal Ben-Moshes Schaubühne der levantischen Küche unterliegt stetiger Optimierung. Dabei waren es diesmal weniger die Produkte, mit denen mich die Küche überraschte – die allermeisten Zutaten kannte ich bereits aus meinen letzten Besuchen – sondern eher die Garmethoden und Proportionen, mit denen der Israeli seine Gerichte kreiert. Dominierten vor Beginn des Menüs noch Fett und Reduktion, ordneten sich die Tellergerichte eher dem Produkt unter. Viel mehr als sonst waren die Ingredienzien der Levante eher unterstützende Begleiter als prominente Protagonisten – und das stand dem Menü, bis auf wenige Ausnahmen, die eher der missglückten Proportionierung geschuldet waren (Salzgehalt bei Makrele und Wasabi-Gewitter zum Lamm) hervorragend.

Lobend zu erwähnen wie immer die thematisch passende Weinbegleitung von Jacqueline Lorenz (links), die nicht nur immer wieder mit ausgefallenen Fundstücken aus der Levante auftrumpft, sondern auch mit wohl einzigartigem Wissen um die Winzer und Rebsorten der großen Region zu überzeugen weiß.

Ich konstatiere also erneut, wenn nicht sogar etwas deutlicher als das letzte Mal: Nirgendwo auf der Welt liegen Frankreich und das Morgenland so dicht wie schmackhaft beieinander, wie im „Prism“.  

Chris Lippert

Wein

Die Pairings von Jacqueline Lorenz.

Hinweis

Der Besuch war eine Einladung. Details zum Umgang mit Einladungen und anderen Pressekonditionen findet Ihr hier.

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