Restaurantkritik  8.Mai 2024

Facil – Mahlzeit!

Wir werden langsam müde, über die stetig schrumpfende Auswahl an Mittagstischen in der deutschen Sterneküche zu lamentieren. Selbst in Berlin, dem touristischen Epizentrum des Landes, ist der besternte Lunch nahezu ausgestorben. Konnte man sich vor der Pandemie noch im lässigen Innenhof des Pauly Saals und bis vor kurzem noch bei Tim Raue am Mittagstisch laben, bleibt nunmehr nur noch Michael Kempfs „Facil“ im Mandala Hotel am Potsdamer Platz übrig. Uns bleibt also eigentlich gar keine Wahl, doch das passt prima, denn unser letzter Bericht über das „Facil“ liegt schon einige Jahre zurück; Zeit also, zurückzukehren in das zweifach besternte Restaurant, das – wen wundert’s – am heutigen Mittag prall gefüllt ist.

An der aufgeräumten Eleganz des Gastraums (der hier – am Ende unseres Mittagsbesuches – leer ist) hat sich nicht viel verändert, und wo sonst kann man bei Tageslicht, inmitten des zubetonierten Potsdamer Platzes, ungestört bei geöffneten Dachfenstern sozusagen "im Grünen" speisen? Ein gelungenes Beispiel dafür, dass sich ein Hotelrestaurant nicht wie ein solches anfühlen muss.

Michael Kempf, der 2003 ins „Facil“ kam und zehn Jahre später den zweiten Stern erkochte, übergab die Rolle des Küchenchefs bereits 2015 an seinen langjährigen Souschef Joachim Gerner; Kempf fungiert seither als kulinarischer Direktor des gesamten Hotels.

Im Zuge der jährlichen Michelin-Progonosen nannten unsere Leser auch kürzlich wieder das „Facil“ als Kandidaten für die höchsten Weihen des Guide. Das erfüllte sich zwar nicht, dennoch sind wir gespannt, ob wir die Begeisterung der Community teilen können. Mittags kann sich der Gast ein kürzeres Lunchmenü zusammenstellen, oder aber das aus bis zu acht Gängen bestehende „Gourmet-Menü“ ordern. Es dürfte klar sein, wofür wir uns entscheiden.

Zum Apero werden uns ein paar fein gearbeitete Finger-Food-Häppchen serviert: Rindertartar (vorn) mit Eigelbcreme und Lachsforellen-Kaviar, in Bergamotte eingelegter, erfrischend-säuerlicher Blumenkohl (hinten links) mit Rote Bete und gepufftem Reis, sowie eine süffig-heiße Krokette vom Felsenoktopus (hinten rechts) mit Estragonmayonnaise. Alles sehr gut.

Der vegetarische Gruß aus der Küche – Steckrübensalat mit Quitte und Kräuterseitling – ist wunderbar proportioniert. Die bissige Säure des Kernobstes wird von einer Pilzcreme stimmig gedämpf. Nuss und gebackener Lauch geben Textur und aromatische Tiefe.

Die Jakobsmuschel des renommierten norwegischen Liefernaten Roderick Sloan ist enorm fleischig, vollmundig und perfekt gegart. Auf dem Papier lesen sich die Begleiter – Petersilienwurzel, Macadamia und Bergamotte – als passende, erdige Companions, doch selbst die angegossene Muschelessenz kann nicht über die nach nur wenigen Bissen einsetzende Fadesse hinwegtäuschen. Das Gericht wirkt trotz einer Verspieltheit "auf dem Papier" wenig vielschichtig und irgendwie aus der Zeit gefallen; als bemerkenswertes Detail ist die Creme im Petersilienwurzelsalat einige Grad zu kalt.    

Ausgesprochen köstlich (und zeitgemäß) dagegen der Imperial Kaviar „Black Edition“ mit Sepia, Tahiti-Vanille und Ajoblanco. Das klassische Fleisch-Fischei-Duo wird mit Tintenfisch, schwarzem Rettich und nussiger Ajoblanco so ungewöhnlich wie modern interpretiert, drumherum ein blumig abgeschmeckter Fond mit Vanille. Sehr fein.

Der Zander von der Müritz mit Spitzkohl und Blutwurst (aus der Manufaktur Benser) spaltet die Tischgemüter mit seinem Säureschwert: Mir persönlich gefällt die von einem süffigen Pomelo-Kohlsalat herrührende, beinahe rustikal anmutende Säurespitze, die dem kompakten, mageren Fisch sehr gut steht. In die Bodenständigkeits-Kasse zahlt auch das süßlich-herhafte Blutwurst-Carpaccio. Das ist in Summe mehr als sehr gut.

Französische Handwerksklassik dann bei der mit Gillardeau Auster gerollten Seezunge aus der Bretagne mit Champignons und Beurre Blanc. Die Nussigkeit des eher milden, weichen Plattfischs verträgt sich vortrefflich mit den Salzakzenten der Muschel, dazu bringt die seidige Buttersauce erfrischende Säure. Gänzlich überflüssig dagegen die viel zu kalte und daher nach Nullkommanix schmeckende Pilzbeigabe als Salat am Rande.

Die schiere Produktqualität des Carabinero aus Portugal im nächsten Gang ist außerordentlich. Eine dezente Rauchnote vom Holzkohlegrill passt zum saftigen, nussig-süßlichen Krustentier genau so gut wie ein intensives, mit Ponzu aromatisiertes Öl. Spannend auch der anliegende Salat aus Rosenkohl, Orangenpulver und getrocknetem Garnelenrogen, der das Aromensprektrum nochmal weiter auffächert. Sehr stark.

Der erste Fleischang: Die kross gebratene Brust einer Challans-Ente (rein optisch könnte man das Stück fast für Lamm halten) wird serviert mit einem Röllchen aus eingelegtem, mit Entenragout gefülltem Chicoree. Diese Kombi aus süßlich-bitterer Herzhaftigkeit findet in dichtem Polentaschaum den idealen Geschmacksträger – klasse. Den angegossenen Entenjus mit Szechuanpfeffer jedoch dosieren wir mit Vorsicht: Das papillenbetäubende Gewürz (eigentlich ein Rautengewächs) wirkt einmal mehr viel zu dominant – es gab bisher noch kein Gericht außerhalb der chinesischen Küche, bei dem mir der Einsatz wirklich gefallen hätte.

Die geschmorte Schulter vom Poltinger Lamm wird begleitet von einem Kohlrabi-Salat und einer süffig-schaumigen Eigelbmayonnaise mit Chili-Koji und Annatto. Am Boden befindet sich die mit Lammherz abgewürzte Jus. Eine intensive, bis auf das überkandidelte Kohlrabi-Spaghettiwerk obenauf hervorragend justierte Inszenierung eines Ausnahmeprodukts – Simplizität ist nicht simpel.

Schön anzusehen dann das erste Dessert von Patissier Thomas Yoshida. Bei der Basilikum-Tarte mit süß-sauer eingelegtem Staudensellerie und Joghurt ist das samtweiche Küchlein der Star. Der Granny-Smith-Apfel bringt die nötige Säure in das erfrischende, leicht vegetabile Gericht. Das schmeckt prima, doch erst beim …

… Dessert von Grapefruit, Lychee und Ingwer stellen wir wieder einmal fest, wie sehr eine gesondert arbeitende Patisserie das Finale eines Menüs bereichern kann. Eine mit der chinesischen "Liebesfrucht" Lychee gefüllte Mousse aus Apfel und Ingwer wird köstlich pariert von der kühlen Cheesecake-Creme; Grapefruit addierte dezente Bitternoten, sanfte Nelkenakzente knüpfen passend an die Lychee-Aromatik an. Alles zusammen schmeckt ein wenig exotisch, fremd und doch vertraut. Einer der besten Gänge des heutigen Mittags.

Bei den fein gearbeiteten Petits Fours gewinnt – zwischen einem Schokoladen-Orangen-Trüffel und einem Bergamotten-Törtchen  – das milchsäuerlich-erfrischende Stracciatella-Joghurt-Sorbet.

Der heutige Lunch bot ein überraschend breites Spektrum, von souveräner Klassik (Seezunge) bis zu unorthodoxeren Kombinationen (Carabinero). Mit manchen Gerichten wurden wir allerdings – im wahrsten Wortsinne – nicht so richtig  „warm“. So manche Zutat kam offenbar zu spät aus der Kühlung, was mehrere Teller um die vielleicht spielentscheidende Nuance brachte. Positiv hervorheben möchten wir die sehr guten Desserts von Thomas Yoshida, die durchaus verspielt, aber frei von nutzlosen Experimenten sind. Nicht begeistern konnten wir uns leider für die Weinbegleitung, die sowohl spannende Kombinationen als auch Entdeckungen vermissen ließ. Wir trösteten uns daher mit einer fair bepreisten Sidebottle „Bourgogne Blanc“ 2019 der Domaine Roulot (120 €).

Ein Blick aufs Handy zeigt 15 Uhr an. Das ist das wunderbare daran, ein umfangreiches Menü bereits zur Mittagszeit zu vertilgen: Es ist noch hell, und wir können uns bei einem belebenden Fluchtachterl bereits auf das Abendmenü freuen. Gerne denken wir an die Zeiten zurück, in denen wir in Berlin bis zu fünf Restaurants an einem Tag besuchen konnten (und dies auch taten). Umso mehr freut es uns, dass Michael Kempf (Foto) und Joachim Gerner den Freunden des gepflegten Mittagessens weiterhin ein Zuhause bieten. Mögen andere ihnen folgen.

Chris Lippert

Wein

Die Pairings von Felix Voges und Maximilian Schmidt

Hinweis

Der Besuch war eine Einladung. Details zum Umgang mit Einladungen und anderen Pressekonditionen findet Ihr hier.

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