Villa Kellermann – Zu Tisch bei Großmutter Wecker
Mein allererster Bericht als offizieller Sternefresser galt 2015 dem ›La Soupe Populaire‹. In der alten Bötzowbrauerei in Berlin tischte Tim Raue zwischen Fabrikhallen-Schick und moderner Kunst seine Interpretation von Deutscher – Pardon! – Preußisch-Berlinerischer Küche auf. Schon damals war ich begeistert von Großmutter-Gerichten wie Klops, Senfei und Leber – und nur wenig später gleichsam betrübt, als die Räume geschlossen wurden.
Es brauchte vier Jahre, bis das »German-Dining«-Konzept einen geeigneten neuen Standort finden konnte: 2019 eröffnete Günther Jauch seine ›Villa Kellermann‹ am Ufer des Heiligen Sees in Potsdam. Die kulinarische Leitung übernahm Tim Raue, und da waren sie wieder: die Klopse, der Bienenstich …
Das Haus blickt auf eine verhältnismäßig junge, aber prägende Geschichte zurück. 1914 erbaut, wurde das Anwesen im Zweiten Weltkrieg von der NS enteignet, bevor der Ostdeutsche Kulturbund die Villa übernahm. Bis 2009 betrieb Maximilian Dreier hier das ›Ristorante Villa Kellermann‹, Günther Jauch war regelmäßiger Gast. Nachdem die Domaine zehn Jahre mehr oder weniger leer stand, kam es zum Verkauf – Jauch nutzte alle verbleibenden Joker und schlug zu.
Apropos »zehn Jahre«: Solange stand der 30-jährige Chefkoch Christopher Wecker an der Seite von Tim Raue. Nach Weckers Ausbildung 2012 ging es direkt in die zweifach besternten Headquarters nach Berlin, in dieser Zeit bediente er alle denkbaren Posten in den verschiedenen Küchen des Gastronomen, bevor er im Juni in Potsdam das Zepter seines exzentrischen Patrons übernahm. Es ist also verständlich, dass man sich nach einer Dekade im Namen Raues nun erklärtermaßen an einer eigenen kulinarischen Handschrift versuchen möchte.
Bereits das Sauerteigbrot – sonst eher weniger in unserem Fokus – lässt Erinnerungen an ›La Soupe Populaire‹-Zeiten aufkommen: Schon damals erfreuten wir uns nicht nur an Beilagen wie Kalbsleberwurst mit dreierlei Senf, Frischkäse mit Jalapeño und Tomaten-Sternanis-Butter, sondern vor allen Dingen an den hausgepickelten Cornichons und Perlzwiebeln.
Ähnlich wie im ›Restaurant Tim Raue‹ startet das Menü mit einem Vielerlei an Kleinigkeiten. Ein gekühlter Tomatensalat mit Brandeburger Burrata, Wassermelone und Passionsfrucht (nicht im Bild) passt in seiner balancierten Frische zum Sommer, die Gurke mit Dillgranité, grüner Pepperoni und Joghurt liest sich schärfer, als sie ist: cremig, süffig und süßlich, reiht sie sich ebenso als Gericht für heiße Tage ein.
Wunderbar der Räucheraal von den »25 Teichen« mit Topinambur, Johannisbeere und Dunkelbiersud: da ist viel punktuelle Säure und eine wohltuend bedachte Fischmenge und Schnittbreite, denn gerade bei fettem, geräuchertem Aal ist die Dosierung das A und O. Etwas Textur gibt der geröstete Pumpernickel. Das könnte ich mir statt als Amuses auch als eigenen Gang vorstellen.
Der Kopfsalat – der letzte Teller des einleitenden Viererleis – ist so jung und frisch, dass wir den zarten Strunk mitessen. Und so profan das klingt, erfreuen wir uns doch sehr am intensiven Crunch, der mit dem grünen »Wasserball« aus dem Supermarkt, dessen Blätter wir zuhause nur als Randnotiz auf den Teller legen, nichts zu tun hat. Dazu gibt es Petersiliendressing, Zitronemayonnaise und sehr präsenten grünen Pfeffer. Auch hier erfrischt uns die Balance aus Säure, Schärfe und Biss. Ein in Summe opulenter, köstlicher und ebenso optisch ansprechender Einstieg.
Der gedämpfte Zander mit grünem Apfel, Staudensellerie und Riesling-Beurre blanc erinnert in seiner Reduktion an alte Raue-Tage. Das ändert aber nichts an seiner grundlegenden Perfektion: Der Fisch strotzt nur so vor Biss, Saft und Frische, während die Beurre Blanc und der Apfel eine knackige, fettig-fruchtige Säure beisteuern.
Pure Wohltat dann beim vielleicht luxuriösesten Hühnerfrikassee meines Lebens: Am Tisch werden die Tranchen von Maishähnchenkeule mit Gemüse, Reis und frischem Trüffel aus der edlen Kupfer-Kasserolle auf die Teller gehoben. Eine im wahrsten Sinne des Wortes sündhaft-süffige Stopfleberjus überzieht dieses Arme-Leute-Essen des 17. Jahrhunderts mit einem in jeder Hinsicht »fettem« Glanz. Hier stimmt von den Garpunkten – die Gemüse wurde offensichtlich separat voneinander gegart – über die Temperatur, die Säure und den Salzgehalt einfach alles. Für mich durchaus eine Blaupause für eine, sagen wir: »Neue Deutsche Opulenz«.
Das Gulasch von der Wagyubacke mit Paprika und Süßkartoffel entstammt in seiner Urform einem Personalessen aus Raue-Tagen. Das zwölf Stunden geschmorte Fleisch ist von allererster Güte, auch die präsenten Paprikanoten – allen voran der kleine Salat aus gebratener Himbeer-Paprika – wissen zu Gefallen. Lediglich die Paprika-Kümmel-Sauce hat eine deutlich zu präsente Pfefferschärfe, die uns in diesem sanftem Menükontext etwas überrumpelt. Dosiert man mit Bedacht, geht aber auch diese Wecker-Variante des ungarischen Nationalgerichts auf.
Es folgt ein Zusatzgang, bei dem uns schlagartig bewusst wird: Als wir die Königsberger Klopse »nach Tim Raue« mit Rote Bete und Kartoffelpüree zuletzt verspeisten, war Barak Obama noch Präsident der Vereinigen Staaten. Damals wurde uns (und mutmaßlich auch Obama bei seinem Staatsbesuch) das preußisch-berlinerische Vorzeigegericht als »die berühmtesten Klopse Deutschlands« annonciert. Das ist heute nicht mehr nötig, ist dieser Teller doch so bekannt, dass man ihn kaum von der Karte nehmen kann.
Damals waren uns die mit geschnittenen Kapern, Kalbsbries und Semmelbröseln verfeinerten Fleischbälle einen Tick zu trocken (was dazu führte, dass wir eine Weile später Dieter Müllers Klopse im Berliner ›POTS‹ zu den »besten der Republik« kürten). Davon heute keine Spur: saftig schmiegt sich jedes Stück des prallgekochten Gesellen an die samtweiche, mit Riesling abgeschmeckte Mehlschwitze. Wir sind Fans.
Ebenfalls ein alter Bekannter aus Omas Küche, wenn auch in modernisierter Form, ist die Interpretation des Bienenstichs mit Mandel, Vanille und Aprikose. Die cremige Kuppel trifft auf einen Biskuitteig, der mit Aprikosenkompott gefüllt ist. Das Aprikosen-Safran-Sorbet daneben bringt etwas Frucht in die ansonsten sehr geradlinige, für einen klassischen Blech- oder Springformkuchen dieser Art vielleicht etwas zu »cremige« Dessertversion.
Etwas sommerlicher, aber deutlich profaner fällt die parallel servierte Buttermilchmousse mit Erdbeere, Rhabarber, rosa Pfeffer und Thaibasilikum aus. Das schmeckt in Summe nicht schlecht, aber viel mehr als fruchtige Süße bleibt nicht hängen – ein klassischer »Sweet Pleaser«, der bei vielen Gästen sicherlich gut ankommt. Da findet sich in der Deutsche Nachspeisenkultur sicher noch das eine oder andere As, das hier in Zukunft aus dem Ärmel geschüttelt werden kann.
Die feinfühlige Art, urdeutsche Küche zu interpretieren, ohne den eigentlichen Kern der Gerichte zu verändern, beeindruckte mich heute wie schon damals beim Erstbesuch in der Bötzowbrauerei. Dass viele der Speisen noch an den ehemaligen kulinarischen Schirmherrn erinnern – geschenkt. Es wäre geradezu fahrlässig, Publikumslieblinge wie die Klopse über Bord zu werfen. Auch ohne den Patron an seiner Seite zeigt Wecker, dass er das Zeug hat, die Küche im Sinne einer verfeinerten deutschen Hausmannskost – wie bei Großmuttern – weiterzuführen.
Christopher Wecker lässt es sich nicht nehmen, mich nach dem Lunch noch kurz über das Gelände der Villa zu führen, und es lässt sich konstatieren, dass Günther Jauch hier einen stilvollen Ort geschaffen hat, der trotz seiner Fürstlichkeit angenehm lässig wirkt. Dazu passt nicht nur der charmante Service, geleitet von Joschka Rauch, sondern auch die Küche fügt sich ins informelle Stimmungsbild: gehobene preußisch-deutsche Hausmannskost in einem feinen Traditionshaus – das fühlt sich alles richtig an.
Chris Lippert
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Bei dem Besuch handelte es sich um eine Einladung. Der Inhalt des Berichts bleibt davon unberührt. Details zum Umgang mit Pressekonditionen findet Ihr hier.