Restaurantkritik 26.Mai 2022

Maison Troisgros – der Wald und der Lachs

Seit vielen Jahren gehörte das »Maison Troisgros« nördlich von Lyon zu unseren kulinarischen Sehnsuchtsorten – ein legendäres Restaurant, geführt von einer Gastronomendynastie, wie es sie nur noch in Frankreich zu geben scheint. Immer wieder hatten wir Begeistertes über die Küche gelesen und gehört. 2018 erfolgte ein Umzug von der Kleinstadt Roanne ins ländliche Ouches. Dem Ruhm tat das keinen Abbruch, im Gegenteil. Vom schönen Lyon aus ist man mit der Bahn in einer Stunde in Roanne, dann nochmal gut zehn Minuten mit dem Taxi über Land.

Die neue Heimstatt des Restaurants mit angeschlossenen Zimmern ist ein herrschaftliches Landgut mitten im Nirgendwo, erworben von einem Freund des Großvaters. Es wurde mit sichtlichem Aufwand restauriert und mit viel Liebe zum Detail umgebaut. Aber doch so behutsam, dass der Charakter des ursprünglichen Anwesens noch sicht- und spürbar ist. In den einstigen Kuhställen befindet sich heute der Weinkeller, die Scheune wurde zum Empfangsraum. In jeder Ecke gibt es etwas zu entdecken. Und die Küche, in die wir einen kurzen Blick werfen, ist riesig…

Seit 1968 hält das Restaurant drei Sterne – und schickt sich an, im nächsten Jahr das Restaurant Paul Bocuse als Rekordhalter abzulösen. Anders als dort gab es im Maison Troisgros mehrere, fließende Generationenwechsel. Auf das Gründerpaar Jean-Baptiste und Marie Troisgros folgten 1957 deren Söhne Jean und Pierre, die das Haus zu höchsten Weihen führten. In den 80er-Jahren übernahm Schritt für Schritt Pierres Sohn Michel (*1958), dessen Sohn César (*1986) inzwischen die Leitung hat. Das hält die Küche frisch.

Der Empfang bei diesem unserem ersten Besuch ist unglaublich herzlich, als würden alte Freunde des Hauses begrüßt. Diese authentisch wirkende, lockere Freundlichkeit bekommen die Franzosen im Idealfall so gut hin, wie niemand sonst (in den USA  funktioniert das auch oft, wenngleich dort zuweilen ein bisschen das Gekünstelte mitschwingt).

Der lichtdurchflutete Gastraum befindet sich in einem gläsernen Anbau, der U-förmig um eine hundertjährige Eiche konstruiert wurde. Man blickt auf Wiesen und Wald, was motivisch vom Interieur aufgegriffen wird, mit hellem Holzboden, baumartigen, organisch verformten Stahlstreben und einer kupferfarbenen Decke unter einer Gitterverstrebung, was an ein herbstliches Blätterdach erinnert. »Le Bois sans Feuilles« heißt das Restaurant denn auch, »Wald ohne Blätter«. Notabene: Patrick Bouchain, der Architekt des Ganzen, gestaltete auch das »La Grenouillère« in La Madelaine-sous-Montreuil. Die stilistischen Parallelen sind im Spiel mit Alt und Neu, mit futuristischen und archaischen Motiven gut erkennbar.
Bei Erstbesuchen bevorzugen wir meist das Degustationsmenü, um einen möglichst weiten Überblick über die Stilistik der Küche zu bekommen. Ein Gang wird gegen den Klassiker des Hauses ausgetauscht, denn den »Saumon à l'oseille«, wollen wir uns keinesfalls entgehen lassen. Die sehr regional gehaltene Weinbegleitung ergänzen wir durch eine #SideBottle, einen 2015er Meursault »Clos de la Barre« der Domaine Comtes Lafon, für 150 € ein echtes Schnäppchen.

Als erster Appetithappen zum Champagner (Duval LeRoy »Rosé Prestige«) kommt eine hauchdünne, knusprige Galette auf den Tisch, bestrichen mit einer delikaten Champignon-Haselnusspaste, getoppt mit rohen Pilzscheiben – nicht sonderlich aufregend, aber ein reizvolles und elegantes Spiel mit dem Wald- und Wiesenthema der Umgebung. Außerdem gibt es ein paar frittierte Reiswürfelchen, welche zwar schön warm und kross sind, aber außer einem gewissen Japan-Bezug (wo die Familie ebenfalls ein Restaurant betreibt) keinen großen geschmacklichen Reiz aufweisen.

Weiter geht es mit einer sehr filigran gearbeiteten und subtil abgeschmeckten Seeigel-Tartelette mit Steckrübe, sowie einer Tartelette mit Fourme d'Ambert und Quitte, die ein unerwartetes Ausrufezeichen setzt: kräftig würzig vom exquisiten Käse, zugleich herb-süß, der Teig passend dazu etwas rustikaler belassen. Schön. Insgesamt ist das bisher noch etwas verhalten und lässt Luft nach oben.

Der erste Gang des Menüs nennt sich Melange aus Herzmuscheln und Birne. Unter einer dünnen Eisschicht aus Muschelsaft verbirgt sich eine süß-saure Komposition, die Meer und Frucht miteinander verbindet. Die Muscheln werden dafür in letzter Minute geöffnet und gegart, ihr Saft leicht mit Essig verfeinert. Dazu gibt es recht große Spalten roher Birne. Die Simplizität dieses Gerichts ist beeindruckend, die Aromen oszillieren zwischen der jodigen Meereskraft der knackigen Muscheln und der eleganten Süße der Birne, die sozusagen à la minute aufgeschnitten wurde, damit sie ihren ätherischen Duft verströmen kann. Das hauchdünne Muscheleis wirkt wie eine allmählich sich ausbreitende Würze und verleiht dem Ganzen eine sommerliche Leichtigkeit –  überdeckt mit seiner Kälte aber auch immer wieder die anderen Aromen. Das i-Tüpfelchen bildet indes der süßsäuerlich-salzige Muschelsaft, ein magisches Elixier, das die beiden Welten miteinander verbindet. Subtil, und trotz einer gewissen Unwucht bei den Proportionen immer noch sehr gut.

Der zweite Gang wird als ein Klassiker des Hauses annonciert, die Herstellung vom Service detailreich erläutert. In Kurzfom: Quark, frisch gewonnen aus Rohmilch, die bei 37 Grad geronnen ist, wird wie ein Teigblatt ausgebreitet, mit einer Pana cotta aus Pilzen gefüllt und zu einer Art Raviolo geformt. Diese Kreation ist fürwahr etwas Besonderes, denn sie schmeckt nach absolut nichts. Weder die Hülle noch die Füllung. Bei den ersten ein, zwei Gabeln hat die ungeheuer zarte, seidige Textur noch einen gewissen Reiz. Danach fungiert die Masse lediglich noch als Träger für eine ansehnliche Menge gehobelten schwarzen Trüffels, knackig, duftig, von hervorragender Qualität. Rückblickend bleibt das Zusammenspiel der Texturen der größte (aber nicht allzu nachhaltige) Reiz dieses Gangs.

Dafür erweist sich der folgende Gang als Highlight: Schnecken, heißgeschwenkt in Safranbutter, jedes Exemplar mit einem Blättchen frischer Minze und konfierten Meyer-Zitronenschalen gewürzt. Bedeckt sind die Tierchen mit einer dünnen Scheibe Kohlrabi, dessen al-dente-Garung eine raffinierte Texturebene hinzufügt. Doch vor allem durch die Gewürze eröffnet sich hier eine faszinierende Aromenwelt… Die »erdigen«, bissfesten Schnecken werden von der duftenden Safranbutter regelrecht eingelullt – bemerkenswert ist hier die Qualität des Safrans, der nichts penetrant Metallisches hat, sondern elegant, leicht blumig und würzig schmeckt. Minze und Zitrone verleihen diesem zauberhaften, buttrigen Ensemble eine träumerische Frische. Entfernt erinnern die Aromen dieses Tellers an orientalische Gewürzküche, und doch bleibt es durch die Schnecken, die Butter und den Kohlrabi trés français. Große klasse.

Nun folgt der Klassiker des Hauses: Lachs mit Sauerampfer, kreiert im Jahr 1962 von Pierre Troisgros. Längst gilt dieses emblematische Gericht als eine Art Vorläufer der 1973 ausgerufenen »Nouvelle Cuisine«, und als eines der berühmtesten Gerichte der französischen Hochküche überhaupt. Der Lachs wird dafür ohne Haut kurz gebraten, (Troisgros legt ein Stück Backpapier in die Pfanne). Die Sauce besteht aus einer Reduktion von Sancerre, Wermut, Schalotten und saurer Sahne – hier hat der Enkel leicht modernisiert, denn sein Großvater nahm gehaltvolle Crème double. In der letzten Sekunde wird eine Handvoll roher Sauerampfer hinzugefügt.
Zugegeben, optisch macht das nicht viel her. Aber… es schmeckt wunderbar! Der Fisch ist von herausragender Qualität, zart, mild und saftig. Die Sauce hat eine prägnante, appetitanregende Säure, wirkt durch die Saure Sahne regelrecht frisch und bekommt durch den typischen Geschmack des Sauerampfers eine ganz besondere Note. Dieser Teller ist üppig, süffig, zum Schwelgen und sich darin verlieren.... Als wir wieder ganz da sind, können wir selbst kaum glauben, dass wir nicht nur die gewaltige Tranche komplett verputzt haben, sondern auch die Sauce vollständig weggelöffelt ist.
Wir konnten uns nie wirklich vorstellen, warum dieses Gericht ein solch unsterblicher Klassiker ist. Bis jetzt.

Im Hauptgang gibt es Rehrücken. Nicht etwa Sousvide gegart, sondern im Ofen mit Knoblauchzehen in Butter geröstet. Die rosa Nüsschen bestreut Cèsar Troisgros mit Gomasio, einer aus Japan stammenden Würze aus geröstetem Salz und geröstetem Sesam. Als besonderen Kniff gibt Troisgros noch knusprigen Ingwer und Buchweizen hinzu. Allein diese Verbindung von aromatischem, traditionell zubereitetem Wildfleisch und vielschichtiger Würze ist bereits fantastisch. Komplettiert und geschmacklich pointiert wird der Teller durch eine gedünstete, bittersüße Orangenscheibe und drei zartbittere Endivienblätter, mit Endivienpüree gefüllt und zu Cannelloni gerollt. Nicht zu vergessen eine exzellente »Sauce Bigarade« aus reduziertem Orangensaft und Wildbretsaft, nicht zu kleisteriger Klebrigkeit reduziert, sondern zu seidiger Viskosität. So oszilliert dieser Teller aufs Köstlichste zwischen Japan und Frankreich.

Den Käsewagen lassen wir in einem solchen Haus nicht an uns vorüberziehen, zu gut ist die Auswahl aus dem »Maison Mons«, mit Sorten aus den Regionen Auvergne, Alpen und Burgund.

Das erste Dessert trägt den Titel »Schmetterling«. Es besteht aus Blättern von Butternusskürbis, Baisers und Katzenzungen, die zunächst flach auf dem Teller liegen. Am Tisch drückt der Kellner kurz mit einem Messer in die Mitte der hauchdünnen Lagen, wodurch eine Art »Flügelschlag" entsteht. Ein netter Gag. Jedenfalls: darunter verbergen sich Schlagsahne, Joghurt, in Essig eingelegte Brombeeren und Zitruspaste. Geschmacklich ist das an sich sehr schön, cremig, knusprig, fruchtig und süßsäuerlich, hier und da durch Salzflocken akzentuiert. Nur sind die Blätter auf Dauer etwas zu dominant und machen das Ganze einen Tick trocken. Trotzdem noch ziemlich gut.

Das abschließende Dessert dreht sich um Schokolade und Minze. Wie man uns erläutert, ließ sich der junge Pâtissier Romain Puybareau dabei von »After Eight« inspirieren. So spielt auch seine Kreation mit dem Kontrast von knackiger Schokolade und Minzgelee, ergänzt durch kristallisierte Schokoladenblätter sowie kandierte und frische Grapefruit. Das Ganze ist nicht sonderlich komplex, bringt aber trotz der reichhaltigen Schokolade eine erstaunliche Frische mit. Und es schmeckt verblüffend stark nach dem Vorbild, von dem wir zugegebenermaßen nie große Fans waren. Auch halten wir Schokolade und Zitrusfrüchte für eine schwierige Kombi. Insofern ist dieses Dessert nicht ganz unser Fall.

Für die Petits Fours werden wir in den Salon gebeten. Zum Kaffee serviert man uns Schokolade und Chili, Butternuss und Mandel sowie ein Himbeer-Croustillant, das uns mit seiner knuspernden Fruchtigkeit am besten gefällt.

Gerne würden wir an diesem sonnigen Nachmittag noch länger an diesem wunderschönen Ort verweilen. Doch die Bahntickets zurück nach Lyon sind gebucht und das Taxi wartet bereits. Ein bisschen nachdenklich sind wir, nach diesem Besuch, denn er lässt uns zwiespältig zurück. Erwartet hatten wir ein Feuerwerk, das dann aber nicht durchgehend zündete. Es gab grandiose Gerichte, aber auch überraschend schwächere Gänge.
Zusammen mit dem märchenhaften Setting, der schönen Stimmung und dem herzlichen Service bleibt dies immer noch ein denkwürdiges Erlebnis. Und doch ist da diese Melancholie, die sich immer einstellt, wenn man einen Sehnsuchtsort endlich besucht hat. War es das nun? Oder war die Sehnsucht womöglich schöner als die Erfüllung? Das sind die Fragen, die immer und unweigerlich auftauchen. Dass es auf sie letztlich keine »richtige« Antwort gibt, macht den Reiz unserer Reisen aus.

Text: Kai Mihm

Wein

Hinweis

Unser Besuch wurde vom Restaurant unterstützt. Details zum Umgang mit Pressekonditionen findet Ihr hier.

Umfrage

Die berühmten Dreisterner Frankreichs – reizen sie Euch?

 

Das könnte dich auch interessieren