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Restaurantkritik 11.Oktober 2022

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Die Sonne legt sich flach über das Brandenburger Tor und überzieht den Vorplatz mit einem goldenen Schimmer, als wir die noblen Pforten des Kempinski-Hotels betreten. Am Foyer vorbei, immer geradeaus, die Treppe hoch, dann: flauschiger Teppichboden, Rosenblätter auf Tischen, der prüfende Blick Kaiser Wilhelms des II., die Aussicht auf das berühmte Stadttor – und dazu die voluminös-luxuriöse Küche Hendrik Ottos. Das gehörte im »Lorenz Adlon Esszimmer« elf Jahre lang zusammen wie Blini und Kaviar.
Und doch nimmt auch hier, wo die Zeit zwischen gediegenem Prunk und archaischem Protz still zu stehen scheint, Manches ein Ende: Hendrik Otto hat das Restaurant Ende letzten Jahres verlassen, um sich anderen Aufgaben zu widmen. Sein Zepter übernahm der Schweizer Reto Brändli, der bereits in St. Moritz zwei Sterne verteidigte. Same same, but different – oder doch eine Neuerfindung?

Wir sind ehrlich, der Name Reto Brändli war uns vor diesem Besuch kein Begriff, obwohl die Stationen seiner Laufbahn durchaus mit prominenten Namen gepflastert sind: Andreas Caminada, Rolf Fliegauf und schließlich das »Cà d’Oro« im noblen Hotel des Bains Kempinski in St. Moritz, wo er als Souschef anfing, nach drei Jahren Küchenchef wurde und wenige Monate später, 2021, den zweiten Stern erhielt (jaja, wir wissen, Sterne gehen ans Restaurant. Geschenkt). Nun der scheinbar abrupte Wechsel: Seit dem Frühjahr 2022 ist Brändli in Berlin, wo Hendrik Otto durchaus große Fußstapfen hinterlassen hat, in der Küche, wie auch bei seinen Stammgästen. Aber jetz isch gnueg Heu dune, lasst uns essen…

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Ein Dreierlei an Aperos erreicht unseren Tisch: Die knusprig-cremigen Pani Puri mit Kartoffel- und dezenter Räucheraalfüllung sowie das süßlich angemachte Tartar von der Jakobsmuschel sind hervorragend, etwas neben der Spur indes das Thunfisch-Tartar mit Seeigel: Letzterer dominiert das Schälchen mit bitter-jodiger Intensität und übertüncht den feinen Thuna. Schade.

Die beiden weiteren Küchengrüße setzen das grundsätzlich hohe Niveau fort: Eine erfrischende Ziegenkäse-Rolle mit Zucchini, die durch einen Koriandersud ein wenig Exotik bekommt, sowie das in einer Eierschale servierte Frühstücksei am Abend, bei dem eine seidige Eimasse mit Spargel und winzigen, knusprigen Speckstücken versetzt ist. Sehr gut.

Aufwendig gearbeitet kommt dann Lachs mit Gurke, Rettich und Tonic im ersten Gang daher. Es finden sich mannigfaltige Texturen und Zubereitungsarten auf dem Teller: Zitrone, Rettich, Jalapeño, dazu eine Tonic-Vinaigrette, eine Tonic-Mousse, Tonic-Perlen, kleine Röllchen vom Daikon-Rettich (gefüllt mit Saiblingskaviar), ein Rettich-Ravioli mit Lachstartar … da ist irre viel los, ein echter Streberteller. Und doch: Es fehlt an Spannung, zu oft schon verspeisten wir solche gefälligen Lachs-Gurke-Kombination in zig Varianten. Der Fisch müsste darüber hinaus etwas wärmer sein, um seine Aromendichte und Schmelzigkeit voll auszuspielen.

Sehr klassisch dann die Entenleber mit Granny Smith, Estragon und Sauerrahm. Geschmacklich hält die Leber – besonders in gefrorener und mit Apfelschaum gefüllter Form – stets die Oberhand. Das Kernobst ist eher ein flüchtiger, ab und an erfrischend reinspielender Begleiter. Eine sehr gute, durch Kühle und Säure erstaunlich leichtfüßige Interpretation. Neo-Klassik, wenn man so will.

Der Carabinero Rosso ist von herausragender Qualität, lediglich in Nussbutter kurz gebraten, im Duett mit einer Deklination von Karotte. Zu Sternen gestanzt, als Röllchen und Creme ist das süßliche Gemüse ein passender Begleiter für das Krustentier, der geschäumte Jus bringt flüchtige Korianderaromen und Curry aufs Parkett. Überraschend sind die kleinen Segmente von der Schwertmuschel, die hier und da salzig-meerige Akzente setzen. Sehr delikat.

Der Fischgang kombiniert Wolfsbarsch, Chicorée und Orange mit Kohlrabi. Erfrischend und leicht, begeistert uns die klassische Kombination aus fruchtiger Süße und bitterem Blattgemüse – wie ein perfekter Sommersalat, der sich neben dem kross gebratenen, kraftvollen Fisch und einem samtigen Safran-Jus problemlos behauptet. In seiner scheinbaren Simplizität ist dies ein herausragendes Gericht.

Erneut sehr gut, wenngleich herzhafter, intensiver, salziger: Perlhuhn mit Pilzen. Das saftig glänzende Huhn ist gefüllt mit einer grob gearbeiteten Morchel-Pfifferlingsfarce – jeder Bissen erhöht die Umami-Drehzahl. Eine Gemüseallee aus Blumenkohl und Pilzen lockert das Ganze etwas auf. Beim Jus wird die Intensitätsschraube zum Maximum angezogen, ohne jedoch übers Ziel hinaus zu schießen. Ausgezeichnet.

Das Brandenburger Reh mit Aubergine und Brunnenkresse wurde im knusprigen Speckmantel gegart, ist dadurch enorm saftig und erhält durch die darunterliegende Kräuterfarce mitsamt deutlicher Minznoten einen ungewohnten, aber spannenden Twist. Die geschmorte Aubergine bietet cremig-rauchige Abwechslung, während wir den Jus – eher dezent abgeschmeckt und mit geschmortem Rehkeulenfleisch angereichert – ganz einfach pur weglöffeln. Große klasse.

Das erste Dessert aus Ziegenjoghurt, Rose, Cerealien und Himbeere bietet Cremigkeit, leichte Bitternoten und deutliche Zitrussäure, dabei nicht allzu präsenten Zucker – das sieht hübsch aus und schmeckt gut, ist in Summe aber nichts, was uns länger in Erinnerung bleibt.

Spannender dann Aprikose, Shiso, Kakaosaft und weiße Schokolade. Säuerlich, teilweise sogar vergorene Anklänge, dazu die Schokosüße, die das Gericht wieder auf die Dessertbahnen lenkt. Das funktioniert gut, wir wünschen der Küche dennoch alsbald eine eigene Patisserie, damit die Nachspeisen mit dem herzhaften Teil des Menüs auf Augenhöhe kommen.

Das war ziemlich stark und durchaus erfrischend. Die Küche Reto Brändlis (Mitte) kommt geradezu leichtfüßig daher – wenn man so will bildet sie einen Kontrast zum, sagen wir diplomatisch: »üppigen« Ambiente des Restaurants. Der frische Wind steht dem Restaurant gut zu Gesicht und wir sind gespannt, wie sich der durchaus schon ausgereifte Stil des jungen Schweizer Chefs hier in Berlin weiter entwickeln wird.
Alles beim Alten bleibt beim Service, mit Gastgeber Oliver Kraft (re.) und Sommelier Hans-Martin Konrad (li.). Wir ließen uns an diesem Abend gerne wieder auf den durchaus kecken Humor dieses fast schon eheähnlich eingespielten Duos ein. Nur eine Frischekur in Sachen Musikauswahl würden wir dem Team ans Herz legen. Apropos Musik: Die Berliner Nacht ruft! In diesem Sinne, wie der Schweizerdeutsche sagt: uf Wiederluege.

Chris Lippert

Weine

Hinweis

Unser Besuch wurde vom Restaurant unterstützt. Details zum Umgang mit Pressekonditionen findet Ihr hier.

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