Restaurantkritik  4.April 2022

Lukullische Landpartie

Die skandinavische Gastroszene ist zwar schon seit Mitte der 2000er Jahre in aller Munde, aber exzellente Restaurants gab es dort natürlich bereits vorher. In Dänemark zum Beispiel das Søllerød Kro. Es befindet sich knapp 20 Autominuten außerhalb von Kopenhagen, im hübschen Vorort Søllerød. Die Lage ist malerisch, zwischen Wiesen und Wäldern. Im Sommer können wir uns hier eine Idylle zwischen Auenland und Bullerbü vorstellen.  
Ursprünglich ein Gasthof mit Zimmern, erwarb sich das Haus in 80er Jahren des letzten Jahrhunderts den Ruf als eines der besten Restaurants des Landes. Dies verdankte sich nicht zuletzt dem Küchenchef Michel Michaud, der schon vorher die französische Haute Cuisine nach Dänemark gebracht hatte (und zwischendurch auch in Köln tätig war). In den Jahren nach seinem Weggang stand hier unter anderem der Engländer Paul Cunningham am Herd. Seit 2013 leitet der Däne Brian Mark Hansen die Küche. Das Restaurant hat einen Stern, wird jedoch von Szenekennern immer wieder als Kandidat für einen Zweiten gehandelt. Grund genug, einen Tisch zu reservieren.

Das Gebäude stammt aus dem Jahr 1677, was sich unter anderem an den auffallend niedrigen Decken zeigt. Insgesamt ist die knarzige Atmosphäre mit dem altmodischen Mobiliar und dem dicken Teppichboden erstmal ungewohnt, speziell im sonst so hippen Dunstkreis der Kopenhagener Restaurantszene. Ein bisschen wie aus der Zeit gefallen. In sich ist das jedoch sehr stimmig und eine willkommene Abwechslung zum üblichen Chic. Zu dieser heimeligen Grundstimmung passt auch der gemütliche Gastgeber Jan Restorff, der sich beim Geplauder zwischen den Gängen als ebenso weitgereister, wie unprätentiöser Gourmet entpuppt.

Der Mittag beginnt mit Champagner (Pol Roger »Vintage 2013«) und einigen Kleinigkeiten. Im Porzellanei bedeckt eine intensive Essenz aus fermentierten Pilzen eine seidige Ei-Royale mit Trüffel; eine Art Tartelette mit Kartoffelschaum, Kaviar, dänischem Hummer und Liebstöckel erfreut durch Eleganz und ein klares, angenehm süffiges Geschmacksbild. An einem Spieß findet sich ein Stückchen gepökelter Zander, der mit einer Marinade aus Soja und Sake mit Dill eine spannende Brücke zwischen Japan und Skandinavien schlägt. Ein Röllchen aus marinierter Gurke mit Eisenkraut bildet einen erfrischenden Abschluss und wirkt wie ein milder Gaumenreiniger. Insgesamt ist das ein netter Auftakt, der indes Luft nach oben lässt.

Der erste nominelle Gang des Menüs kombiniert zweierlei Kaviar mit Kefir. Links Beluga-Sevruga, rechts Ossietra. Die Faszination besteht hier in den aromatischen und texturellen Unterschieden der beiden Sorten, der Beluga etwas kerniger, fester und nussiger, der Ossietra sanfter und zugleich einen Tick jodiger. Ein Hochgenuss sind beide, untermalt von einer wolkenzarten Kefirmousse, bei der wir eine minimale, die Papillen spitzende Schärfe (Meerrettich?) auszumachen glauben. Äußerst elegant und in seinem radikalen Purismus absolut bewundernswert.

Und weil das so schön war, gibt es gleich nochmal Kaviar, diesmal »Søllerød Selected«. Unter dem Rogen verbergen sich kleine, knackige Kartoffelwürfelchen, gewürzt mit etwas Petersilie, drumherum ein Sud aus Grünkohl und Petersilie. Auch dieses Gericht ist von einnehmender Eleganz, variiert die klassische Kombi von Kaviar und Kartoffel, und erweitert sie durch die Beigabe von würzigem Grünkohl. Dieses kleine, feine Gericht hat in seiner erhabenen Melange aus Subtilität und Luxus etwas Königliches.

Es geht weiter mit einem Carpaccio von Jakobsmuscheln, das von einer überraschend kompakten und willkommen festen Textur ist, als hätte man die Muscheln gepresst. Das Mundgefühl ist dadurch intensiver, ohne dass die Muscheln an Schmelz verlieren. Zu diesem erstaunlichen Effekt gesellt sich eine nicht minder bemerkenswerte Vinaigrette aus Weintrauben, Waldmeister, Kakaosaft und Fenchel. Keine der Zutaten schmeckt vor, alles verbindet sich zu einer geheimnisvollen Mischung aus fruchtigen, zartbitteren und würzigen Aromen. Magisch.

Inzwischen hat sich das Restaurant nahezu komplett füllt. An den Tischen sitzen Familien und Paare, es herrscht eine ausgelassene Genussstimmung, die in dieser Umgebung fast etwas Märchenhaftes hat.

An unserem Tisch geht es weiter mit einer prächtigen, appetitlich glacierten Morchel, gefüllt mit einer Shiitake-Farce, dazu junge Zwiebeln und »Sauce Aromatiq anno 2019«. Vor lauter Gier vergessen wir zu fragen, was diese Umschreibung bedeutet, doch der begriff »Aromatiq« trifft es sehr gut: die Sauce auf Morchelbasis ist dicht und cremig, dennoch bleibt der Geschmack der gefüllten, saftigen Morchel stets das Zentrum. Sie hat eine aromatische Qualität, wie wir sie bei diesem Pilz leider nur noch selten erleben.

Als nächstes gibt es eine Art Pastagericht, bestehend aus einem Nudelblatt, auf das Püreestreifen von Artischocke und fermentierten Champignons aufgebracht sind, dazu Saure Sahne, obenauf reichlich schwarzer Trüffel. Es schmeckt erdig und frisch, kühl von der Sauren Sahne, wärmend von der Artischocke und dem Trüffel; die Pasta hält alles zusammen und verleiht dem Ganzen Substanz – ein süffig-luxuriöses Gericht, das diesen sonnigen Wintertag in diesem gemütlichen Restaurant perfekt widerspiegelt.

Wie ein Vorbote des Frühlings kommt der Fischgang daher: eine kleine Tranche saftig-zarten Heilbutts ruht einem Fond, der durch Soja und Bonito dichtes Umami und durch Yuzu eine angenehme Frische bekommt; kleine Tapiokakügelchen geben etwas Textur. Nicht zu unterschätzen sind die Blüten auf dem Fisch, deren florale Süßlichkeit bei aller Dezenz einen entscheidenen Akzent setzt. Alles zusammen changiert auf eine fürwahr japanische Art zwischen Finesse und subtiler Kraft. Hervorragend.

Als Hauptgang gibt es es Rinderlende, butterzart, bedeckt von einer hauchdünnen Geleescheibe aus erdiger Rote Bete und zartparfümierender Rose – eine sensationelle Kombi allein schon dies. Ein Gel aus schwarzen Johannisbeeren setzt süßsäuerliche Akzente, eine großartiger Rinderjus mit leicht geräuchertem Ochsenmark und reichlich Goldkaviar macht das Ganze samtig und süffig. Hier begeistern das schiere (Saucen-)Handwerk und einmal mehr das präzise Gespür für spannungsvoll harmonische Kombinationen. Ein Meisterstück, oder wie wir lieber sagen: eine Götterspeise.

Und weil das so begeisternd war, fragen wir, ob nicht noch ein weiterer Hauptgang machbar wäre. Er ist.

Eine kurze Weile später steht ein appetitlich geröstetes Suprême von der Wachtel vor uns. Dazu kommt eine erneut begeisternde Sauce auf den Teller, diesmal auf Basis von Zwiebeln, entscheidend verfeinert mit gehacktem Trüffel. Bei dieser Kombination aus zartem Geflügel, krosser Haut und luxuröser Sauce kann eigentlich gar nichts schiefgehen. Bemerkenswert ist, wie schön der gehobelte Trüffel das sehr füllige Geschmacksbild um eine überraschend frisch wirkende, "waldige" Note erweitert. Das Keulchen nagen wir am Ende ab, der Teller wird bis zum letzten Tropfen ausgewischt. 
Zwei dermaßen exzellente Fleischgerichte direkt hintereinander hatten wir lange nicht.

Das Pré-Dessert besteht aus einem kühlen Sud von Matcha-Tee, in dem geeiste Perlen von Waldmeiste, weißer Schokolade und Mandeln schwimmen. Erfrischend, nicht zu süß, aber auch nicht übermäßig spannend.

Umso besser gefällt uns das Hauptdessert, eine elegante Kombination aus Pistazie, als Eis und Kerne, feinsäuerlichen, ebenfalls leicht nussigen grünen Erdbeeren, etwas Vanille, fruchtigem Olivenöl und einem Hauch Anis in Form der Dillzweige. Nicht zu vergessen den Clou: Goldkaviar, der einerseits an die Nussigkeit der anderen Komponenten andockt, mit seiner milden Salzigkeit und der körnigen Beschaffenheit aber auch einen spannenden Kontrapunkt setzt. Das klingt womöglich etwas angestrengt, ist es aber nicht. Auch Kaviar im Dessert ist nichts mehr wirklich Neues, und die Meinungen darüber gehen auseinander. Hier aber entwickelt sich eine runde Harmonie, bei der alles aufs Schönste zusammenspielt.

Zum letzten Glas Roulot im Salon werden dann noch ein paar exquisite Canelés serviert. Der Kaffee kommt auch gleich.

Das war eines jener sehr schönen Erlebnisse, wo wir durchaus viel erwarteten, und es dann noch besser wurde. Die Küche im Søllerød Kro hebt sich erfrischend von der skandinavischen Avantgarde ab, pflegt klassisches Handwerk (die Fonds und Saucen!) und wirkt trotzdem sehr zeitgemäß – eine Küche, die glücklich macht. Wie gut Brian Mark Hansen seine Arbeit beherrscht, zeigt auch sein kürzlicher Sieg beim Bocuse D'Or. Dort wird natürlich ausladender gekocht. Im Søllerød Kro hingegen sind es gerade auch der radikale Purismus und die unaufgeregte Präsentation einiger Gerichte, an der sich mancher Pinzettenkünstler ein Beispiel nehmen könnte.
Inzwischen hat ein leichter Schneeregen eingesetzt. Im Abenddunkel warten wir aufs Taxi. Drinnen wäre es jetzt schöner... Zwischen den Wolken über dem Søllerød Kro blitzt immer wieder ein Stern auf. Und wir sind ziemlich sicher, dass er nicht mehr lange alleine bleibt.

Text: Kai Mihm

Wein

Hinweis

Unser Besuch wurde vom Restaurant unterstützt. Details zum Umgang mit Pressekonditionen findet Ihr hier.

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