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Restaurantkritik 16.Juni 2020

Mesa is back!

Zürich hat in der vergangenen Dekade einen veritablen Wandel in Sachen Fine Dining erlebt. Lange Jahre gab es in der Limmatstadt wenige besternte Restaurant, und die servierte klassische französische Küche für eine alteingesessene und gut betuchte Klientel, die genau die immergleichen Gerichte vorgesetzt bekommen wollte. Mittlerweile aber kann man Zürich fast schon als Foodie-Destination bezeichnen. 13 Sterne leuchten über dem Stadtgebiet, dazu gesellen sich immer mehr spannende Konzepte abseits des Sternezirkus und eine Armada an coolen Bars. Eines der ersten Restaurants, wegen dem man extra den Weg nach Zürich suchte, war das Mesa im Kreis 6. Marcus G. Lindner hatte das Lokal zu überregionalem Ruhm geführt und in der kleinen Küche zwei Sterne und 18 Punkte erkocht. Nach seinem Abgang entstand der Eindruck, dass die Chefs sich hier die Klinke in die Hand geben. Doch seit mittlerweile drei Jahren ist Sebastian Rösch – ein ebenso talentierter wie ambitionierter Mann – für die kulinarische Ausrichtung zuständig. In dieser Zeit hat er sich eine treue Fangemeinde erkocht, die das schnuckelige Restaurant gerne und gut füllt. Der Franke hat im besternten Laudensacks Parkhotel in Bad Kissingen gelernt und nach Stationen im Lokalen wie dem Rigiblick in Zürich und bei Rolf Fliegauf in Ascona hier im Mesa seine erste Chefstelle im Fine Dining angetreten.

Das Mesa ist bei unserem Eintreffen an einem heißen Sommertag auch mittags gut gefüllt. Die Fenster sind auf, so dass ein laues Lüftchen um unsere erhitzten Köpfe weht. Richtig gemütlich hier, selbst die vorbeifahrende Tram irritiert nur beim ersten Mal. Unser letzter Besuch geht in die Zeiten von Lindner zurück, der uns damals schwer begeistert hat. Mal schauen, ob Rösch und seiner Mannschaft das auch gelingt.

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Den Start macht ein Apéro-Quintett: Ibericoschinken  –  Melonen-Gazpacho mit Zitronenverbene – Snackgurke mit Passionsfruchtgel,  Borretschblüte und Dill – Gebackene Schafskäsemousse, geliert mit Rosenhimbeergelée auf einer Kreuzkümmelhippe – Eistee auf Basis von Zitronenverbene mit eingelegter Rose, Rosenmark und Rosenblatt aus Lilos Garten. Aus den fünf Kleinigkeiten stechen vor allem die gebackene Mousse und die knackig-frische Gurke herraus. Von letzterer wünschten wir uns ein ganzes Tablett voll, das wir bei einer Flasche Weißwein zuhause auf der Terrasse genüsslich vertilgen könnten. Ein schöner Auftakt.

Es folgt eines unserer absoluten Lieblingsprodukte: Königskrabbe. Rösch nimmt die Klaue, dämpft sie, überzieht sie mit einer Tomatencrème und streut zum Schluss ein wenig Safranknusper darüber. Ein herzhafter King-Crab-Claw-Lollipop also. Das gibt schon mal Applaus für die Idee. Doch schmeckt’s auch? Ja! Obwohl das delikate Aroma des Meeresbewohners gegen muskelbepackte Gegenspieler antreten muss, schafft er es problemlos, sich zu behaupten. Jodige Süße, fruchtiges Umami und dieser Hauch von Orient funktionieren ganz prächtig zusammen. Wird bis aufs letzte Fitzelchen ausgelutscht.

Der offizielle Menüauftakt dreht sich um Kingfish, Yuzu, Wakamealge und Dashi. Uns erscheint der Fisch etwas gar großzügig portioniert, doch kümmern wir uns erstmal ums Wesentliche, den Geschmack. Rösch packt ordentlich Wumms auf den Teller, vor allem herrührend vom Einlegen des Fischs in Norialgen und Limette sowie einer knackigen Yuzucrème und einem Algen-Gurken-Salat. Zusätzlich steuert die Dashi ordentlich Salzigkeit bei. Trotz aller Power bleibt die Eleganz erhalten (nur dass sie in diesem Fall halt nicht zurückhaltend, sondern auf die Glocke ist), und es herrscht eine fein ausbalancierte Harmonie. Sehr gut, und irgendwie auch ein Statement, gleich mal sowas rauszuhauen und sich nicht lange mit unnötigen Nettigkeiten aufzuhalten. Unsere initiale Annahme bewahrheitet sich jedoch, denn vom Fisch würden auch drei Scheiben reichen.

Surprise, surprise. Was aussieht wie ein halber, überglänzter Kuchen, entpuppt sich als vegetarische Terrine. Die Hauptrollen in diesem ausnehmend hübschen Gang spielen Wassermelone, Büffelmozzarella, Tomaten und Fenchel. Während der erste Bissen noch etwas gewöhnungsbedürftig ist und auch gar handzahm wirkt, entfaltet sich spätestens bei der zweiten Gabel die komplette aromatische Bandbreite der Terrine. Überbordende Sommerfrische, reichlich wohliges Umami, die präsente, perfekt eingebundene Anisnote des Fenchels und die Komplexität der Pollen. Und um alles abzurunden, die kühle Cremigkeit des Mozzarella. Aus einer solch vertrauten und vermeintlich simplen Geschmackswelt etwas so Spannendes und vor allem verdammt Leckeres zu machen, davor ziehen wir den imaginären Hut.

Oona-Osietra-Kaviar, Bohnenjus und Sauerrahm von der Stoffelalp wird als nächster Gang serviert. Der Schweizer Kaviar wird in einer Zucht in den Berner Alpen hergestellt, hier handelt es sich um die „Karat“-Version von zehnjährigen Stören. Die Jodigkeit ist sehr subtil, bei diesem Produkt steht eher die Klarheit und Nussigkeit im Vordergrund. Diese Facette des Rogens wird vom fetten, sauren Rahm zusätzlich akzentuiert, während die Jus einen beschwingten, auflockernden Konterpart gibt. So simpel und so unfassbar gut. Das zu toppen dürfte sich schwierig gestalten.

Wie erwartet hat es die nun folgende Scholle mit Nordseekrabben, Zitronen-Beurre-blanc, Dill und Radieschen nach so einem Kracher ein bisschen schwer. Zumindest zu Beginn. Doch mit jedem Bissen gefällt uns auch dieser Teller besser. Er muss sich zuerst öffnen, sich zugänglich machen, um seine gesamte Komplexität entfalten zu können. Herbe Kräutrigkeit paart sich mit der säuerlichen Sauce (die für uns ruhig noch ein wenig pointierter daherkommen könnte) zu einer erquicklichen Unterlage für den festen Fisch und die fleischigen, gepulten Garnelen. Von denen dürften noch ein paar Stück mehr in der Schale liegen, verleihen sie dem Ganzen doch einen angenehm luxuriösen Touch. Insgesamt dennoch sehr gut.

Unerwartet deftig zeigt sich der asturische Pulpo  mit Minestrone und Cannellinibohnen. Das liegt einerseits am Meeresbewohner, der uns lustigerweise entfernt an Schweinefleisch erinnert, und andererseits an einem fehlenden Gegenpol in Form von Säure. Zwar ist die Idee, den Pulpo in eine Art fleischiges Gewand zu stecken, durchaus interessant, aber trotz der Kräutercrème ist uns das insgesamt etwas zu betont gefällig und aufgrund der Bohnen auch zu gehaltvoll. Ein paar Tropfen Zitronensaft zum Beispiel oder etwas knackig-säuerliches würde in unseren Augen helfen. Kein Beinbruch, aber klar nicht auf der Höhe der bisherigen Gänge.

Rösch muss Gedanken lesen können. Beim letzten Gang dachten wir an Schwein, jetzt gibt’s direkt welches. Knuspriges Spanferkel wird mit Karotte, Spitzkohl und Birnendicksaft aus Meierskählen kombiniert und lässt uns schon beim Anblick das sprichwörtliche Wasser im Mund zusammenlaufen. Die erste Gabel enttäuscht nicht. Das Eisbein vom Ferkel ist krachend knusprig, salzig, saftig und hocharomatisch. Nur unsere guten Manieren verhindern, dass uns der Sabber wie bei Homer Simpson runterläuft. Der fantastischen Sau wird etwas Süße (Karotte und Birnendicksaft) sowie etwas Bitter-herbes (Kohl) zur Seite gestellt, was das Fleisch optimal komplementiert. Geschmacklich abgerundet wird das Ganze durch den Kümmel im Kohl, der mit seinem unverkennbaren Geschmack für den letzten Kick sorgt. Zum Reinlegen gut.

Gratinierte Malanser Junghahnbrust, Pfifferlinge, Zucchini und Zitronenthymian sind die Zutaten des einnehmend hübschen, sehr „instgrammablen“ Hauptgangs. Rösch confiert die Brust vor dem Backen und nutzt auch die aufgeknusperte Geflügelhaut, das Fett (als Espuma!) und die Leber, die er zum Aufmontieren der Albufeirasauce einsetzt. Geschmacklich gefällt uns das ganz gut, da der Zitronenthymian und die Kapuzinerkresse genügend Balance in das umami-schwangere Gericht bringen. Die Zucchini nehmen wir sowohl geschmacklich als auch texturell zu wenig wahr, was uns zum einzigen Kritikpunkt bringt: Am Gaumen wirkt alles sehr homogen. Gemüse, Pilze und selbst die knusprige Haut vermögen nicht genügend gegenzusteuern und Abwechslung aufzubauen. Für den Geschmack ziemlich unerheblich, klar, für den Gesamteindruck jedoch zumindest nicht hilfreich.

Ganz dem Sommer verpflichtet, dreht sich das erste Dessert um Thurgauer Mara-des-Bois-Erdbeeren. Dazu gesellen sich Champagner, Baumkuchen und Saba-San-Giacomo-Essig. Eindringliche Frucht im Breitwandformat, die durch die säurebetonte Untermalung einen zusätzlichen Schub erhält. Für die Substanz sorgt der exzellente Kuchen, der dem Ensemble eine füllige Struktur verleiht, ohne unnötig schwer zu wirken. Sehr gut.

Sogar noch einen Tick besser gefällt uns die Haselnuss mit Kirschen, Entlebucher Schafsjoghurtglace und Estragonmeringue. Es ist ordentlich was los auf diesem Teller, was kurz vor Feierabend nochmal unsere ganze Aufmerksamkeit fordert. Vollmundig und opulent, knusprig und cremig, fruchtig und kühl, nussig und süß. Die Küche schießt aus allen Pâtissierie-Rohren gleichzeitig. Nicht wild, sondern gezielt. Und landet damit einen Volltreffer.

Neben den üblichen Petits Fours in Form von Madeleines mit PX-Rum –  
Aprikosengelée mit Rosmarinzucker – Johannisbeershotkugel
und Schweizer Felchlin-Schokolade serviert der Chef eine Auswahl von frischen Kirschen auf Eis. Eine tolle Idee, wie wir finden. Vor allem, wenn sie so gut sind und noch dazu so lustige Namen haben wie Streifenkirsche, Basler Langkirsche, Sauerhähner und Zopfkirsche.

Diese Rückkehr hat sich gelohnt. Die Mesa-Crew liefert beim ersten Stopp unserer aktuellsten Tour de Helvetia einen starken Auftritt ab. Sebastian Rösch ist ohne Scheuklappen unterwegs und setzt sich selbst keinen Limitierungen aus, was seine Küche sehr abwechslungsreich macht. Zwar ist Bio erwünscht, und lokal wird auch aktiv gesucht, doch es darf eben auch mal der Pulpo oder der Kingfish von etwas weiter weg sein. Auffallend ist auch ein Hang zur Simplizität, die die handwerklich tadellos umgesetzten Gerichte sehr klar wirken lassen. Simplicity is not simple, heißt das auf Neudeutsch. Dass dabei auch mal ein Gang rauskommt, der konzeptionell stärker ist als schlussendlich auf dem Teller – ja, wir schauen dich an, Pulpo –, liegt in der Natur der Sache und wird mit zunehmender Erfahrung sicher noch seltener vorkommen. In den besten Momenten des Lunchs war zu sehen, dass noch reichlich Potenzial in Rösch schlummert und das Ende der Fahnenstange noch nicht mal in Sichtweite ist. Im Mesa steht wieder jemand am Herd, der perspektivisch in der Lage zu sein scheint, das Restaurant in Sphären wie zu Lindners Zeiten zu hieven und sich in der kulinarischen Spitze unseres südlichen Nachbarlandes zu etablieren.

Fazit

Ziemlich starke Performance von Sebastian Rösch und seiner jungen Truppe! Nach diesem Lunch sind wir uns relativ sicher, dass das Mesa in den nächsten Jahren für Aufsehen sorgen wird.

 

Text: Thierry De Nullepart

Wein

Weinbegleitung im 'Mesa' in Zürich

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