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Restaurantkritik 25.August 2018

So darf's sein

Aus einem Trend wird ein Standard: Als vor drei Jahren das Sosein in Heroldsberg eröffnete, war die Skepsis gegenüber einer deutschen Regionalküche noch einigermaßen groß. Auch bei uns, zugegeben. Zu sehr schienen die Protagonisten sich an skandinavischen Vorbildern zu orientieren (obwohl "regional" in Kopenhagen & Co. längst nicht mehr alles ist).  

So oder so: Inzwischen hat der Regionalismus auch in Deutschland einen kaum wegzudenkenden Platz in der Spitzengastronomie, man denke an das Oben in Heidelberg und das Gustav in Frankfurt. Ein wichtiges Zentrum bildet sicherlich Berlin, mit dem Nobelhart, dem EinsUnterNull und dem Horvath. 500 Kilometer südlich, bei Nürnberg, wird die Idee allerdings noch viel konsequenter auf die Spitze getrieben. Wir reden hier nicht vom Essigbrätlein, dem ultimativen Vorreiter der Szene, sondern vom Sosein. Es befindet sich nicht direkt in Nürnberg, sondern im beschaulichen Heroldsberg, rund 20 Minuten außerhalb.

Hier hat sich Felix Schneider, Jahrgang 1985 und aus der Gegend stammend, ein ziemlich einzigartiges Refugium geschaffen. Auf 1,5 Hektar baut er das Gemüse für das Restaurant an, geht selbst zum Pilze- und Kräutersammeln und kennt die Namen aller Kühe, deren Fleisch im Keller reift. Bisweilen schlachtet er auch die Fische selbst, die neben dem Haus im Wasserbecken schwimmen. Ganzheitlichkeit wird hier großgeschrieben. Das Restaurant selbst befindet sich in einem uralten Gebäude und wirkt im Inneren beinahe mittelalterlich mit den Gewölbedecken, dem grobem Mauerwerk und den massiven Holztischen. Das gefiel uns alles schon beim Erstbesuch sehr gut. Jetzt sind wir gespannt, ob der zweite Eindruck (für einen von uns der Erste) standhält...

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Als ersten Happen zum Aperitif gibt es einen "Kräuter-Döner": Pita aus Hartweizen, in oxidiertem Rinderfett, marinierte Rüben- und Kohlkeimlinge, fermentierter Rahm und Sumach. Ein schöner, leichter Happen, spannend durch das Zusammenspiel der Kräuter, mit feiner Säure vom Rahm und fruchtig-herber Würze vom Sumach – nur etwas mehr Fett dürfte als Geschmacksträger im Spiel sein, um die diversen Aromen noch besser nach vorne zu bringen.

Jetzt wird es schon substanzieller, bei geräucherter Ikejime-Forelle, umwickelt mit eingelegtem Rettich und Hesselberg-Kaviar. Der Fisch hat eine unglaublich feine Struktur und trotz des Räucherns ein erstaunlich elegantes Aroma. Der Rettich und der Kaviar sind genau richtig dosiert, um den Fisch mit ihrem säuerlich-herben bzw. leicht meerigen Geschmack zu untermalen. Sehr delikat. Bemerkenswert dabei auch die gute Qualität des Kaviars von der kleinen unterfränkischen Manufaktur Hesselberg.

Rustikaler wird's beim Pastrami-Sandwich von der 14 Jahre alten Färse: Comfort-Food erster Güte, das natürlich von der kraftvollen Güte des Belags lebt, aber nicht zuletzt auch von der Köstlichkeit des leicht röschen Brotes.

Als nächstes kommt ein alter Bekannter vom ersten Besuch auf den Tisch, die "Schlachtschüssel": gekochte Kartoffel, Blaukraut-Beurre-blanc und Leber vom Mangalica-Wollschwein. Die Beurre blanc besteht aus fermentiertem Rotkohlsaft, der mit ordentlich guter Butter gebunden wurde. Darauf thront ein Prachtexemplar von Kartoffel, bestreut mit feinen Spänen der Wollschweinleber, die eingesalzen und geräuchert wurde. Sprich: Wir haben hier Säure und Fett, Salz und Rauch und Umami – Ur-Geschmäcker, wenn man so will, die von der Kartoffel aufs Schönste gebändigt und zusammengeführt werden. Ganz hervorragend.

Nun ist es Zeit für die Brotzeit – aus dem Anschnitt des gewaltigen Laibes macht man im Sosein eine Art Zeremonie (Video auf Facebook). Kein Wunder, bei der Arbeit: Der Sauerteig aus Blauweizen, Weizen und Vollkorn wird zwei Tage lang fermentiert und täglich frisch gebacken. Allein der Klang, wenn die gewellte Klinge des Brotmessers die knusprige Rinde zerteilt, lässt uns das Wasser im Munde zusammenlaufen. Die warmen Tranchen sind kross, fluffig, duftend, warm und köstlich. Dazu die 12 Wochen gereifte Butter und wir sind glückseelig ...

... aber es gibt natürlich noch mehr – und zwar samt und sonders hausgemacht: Lardo mit Salzkoji und Heu, Pancetta, geräucherte Schweinebacke, 12 Monate luftgetrocknete Schulter, Bresaola von der Färse, gepökelte Entenbrust, Kochschinken vom Wildschwein sowie verschiedene Radieschen aus dem eigenen Garten. Es ist die pure Wonne, sich (am besten erstmal ohne Brot) durch die hauchdünnen Scheiben zu probieren und auf diese Weise den Nuancenreichtum der diversen Fleischsorten zu entdecken. Es ist enorm beeindruckend, was hier an eigener Produktion entsteht. Allein dieser Teller lohnt für uns den Besuch im Sosein. Eine Offenbarung ist der Lardo, der exakt nach Foie-gras schmeckt und auch deren Schmelz hat. Sensationell – und am Ende ein zukunftsweisender Ersatz für das umstrittene Produkt?

Nun gibt es einen Klassiker in Sosein-Interpretation, nämlich Forelle blau. Sie besteht aus 7 Tage gereifter Ikejime-Forelle, überwintertem Lauch, Öl mit gegrilltem Grün aromatisiert sowie jungem Miso aus grünen Erbsen. Der Purismus dieses Tellers ist der Qualität des Fischs geschuldet, von dem nichts ablenken soll – und darf! Die typisch bläuliche Färbung der Haut entsteht normalerweise durch das Garen des Fischs in einem Essigsud. Hier bleibt der Fisch aber roh und wird lediglich auf der Hautseite in Essig eingelegt. Dort reift er dann, und die Haut bekommt Farbe. Vor dem Servieren wird sie mit einem Bunsenbrenner kurz abgeflämmt (ganz ohne den oft so unangenehmen Gasgeschmack!). Das Ergebnis dieser Prozedur sind Forellentranchen mit einem so reinen und delikaten Geschmack, dass der Lauch dazu fast zu intensiv ist. Aber mit seiner leichten Würze passt er bestens zum grandiosen Fisch, ebenso wie das leichte Öl und die milde, fast süßliche Miso-Paste. "Japanisch-Fränkisch" ist dann auch unsere erste Assoziation bei diesem Gericht. Ganz toll.

Knallig sieht das Emu-Ei mit Spinat und Cassisholz aus, eine Variante des Kinder-Hassgerichts "Spinat mit Ei". Das Emu-Ei stammt von einem regionalen Züchter und kommt natürlich nicht komplett auf den Teller (es entspricht 10 bis 12 Hühnereiern). Geschmacklich ist es durchaus intensiv, aber am Ende bleibt es ein Ei. Der Spinat liegt a grasgrüne Crème und leicht angebratene Pflanze auf dem Teller. Die Blätter sind mit einer Vinaigrette mariniert, in die ein Sirup von Cassis-Holz eingemixt ist. Ja, das schmeckt irgendwie alles ganz nett, aber auch etwas blass. Uns fehlt Würze und ein tragendes Element, welches theoretisch wohl das Ei sein soll, aber irgendwie funktioniert es für uns nicht. Es geht bei diesem Gericht ja um einen Mischgeschmack, so dass eine kompaktere Präsentation, vielleicht in einer Schale oder einem Glas, vermutlich schon viel bewirken könnte.

Auch Gänsekasseler mit Rübenkonserven variieren ein Traditionsgericht. Schneider pökelt und räuchert dafür das Gänse-Brustfleisch, wodurch es wahnsinnig zart in der Konsistenz und zugleich sehr intensiv im Geschmack wird. Dazu gibt es ganz klassisch Kraut und Püree, hier aber beides aus Steckrüben. Das klingt ziemlich heftig und deftig, schmeckt in Summe aber überraschend delikat. Ganz wichtig sind dabei auch das auffrischende Dillöl und die samtige Beurre blanc – deren Basis bildet eine milchsaure Navettenreduktion. Die Vorliebe der Küche für Milchsaures, Eingemachtes und Fermentiertes ist unverkennbar ...

Als zweiten Fischgang des Abends gibt es gegrillten Zander mit Petersilie. Im Detail thront die üppige Tranche auf einer Sauce aus einer doppelten Zander-Consommé (von den gegrillten Köpfen) und frisch entsafteten Petersilienblättern. Durch die Einlage aus geschnittenen Petersilienstängeln, kandierten Zierquitten, milchsauren (!) Löwenzahnkapern sowie Schleien und Koji-Pilzen mutet das Ganze von der Beschaffenheit wie ein Porridge an. Die Idee, die oft zum Zierrat degradierte Petersilie zu einem Hauptprodukt zu machen, finden wir schon ziemlich genial. Die "Sauce" schmeckt intensiv kräuterig-grün, mit leicht süßlichen und leicht salzigen Akzenten von der Quitte und der Schleie mit Koji, die Schneider – wie er sagt – zu einer Art "lokalen Sardelle" verarbeitet hat. Das passt großartig zum saftigen Zander mit seiner krossen Haut. Alles zusammen schmeckt ungemein süffig, einfach zum Weglöffeln. Ein Highlight des Menüs.

Ziemlich gut gesättigt, freuen wir uns trotzdem auf den Hauptgang: Mangalica-Schwein und Nesselspinat. Das Fleisch ist von umwerfender Qualität, zart und saftig, intensiv im Geschmack und mit einem herrlich üppigen Anteil Fett, das am Gaumen schmilzt. Dazu gibt es gedünsteten Nesselspinat sowie eine Art Kompott aus Einlegetomaten, Bohnenkrautöl, hausgemachter Miso-Paste aus Futtererbsen, Zwiebelwürfeln und Schnittlauch. Auch das ist gut und originell und passt prima zum Schwein, bewegt sich gustatorisch aber einmal mehr auf der säuerlich-fermentierten Seite – was uns allmählich etwas auf den Magen schlägt.

Als erstes Dessert gibt es Birne und Heu. Im Klartext heißt das: eingelegte Birne auf einer Emulsion aus reduziertem Verjus und Rapsöl sowie einem Sud aus Einlegefond mit Heu und einem Kaltmazerat von Birnenschnaps und herber Mostbirne. Wow, einfach nur wow! Das klingt spröde, geht aber unglaublich geschmeidig rein. Es schmeckt süß, säuerlich und ein bisschen herb, die Birne ist vollgesogen mit Aromen, die Emulsion seidig weich am Gaumen. Ein toller Nachtisch.

Aber es gibt ja noch einen: Dill, Sanddorn und Nachtschattengewächse. Unter der Baiser-Scheibe mit eingelegten Dillblüten verbergen sich frische Sanddornbeeren, Beeren vom Gelben Nachtschatten, ein Sanddorn-Butterkaramell sowie ein Milcheis mit Dill. Hier sind wir ein wenig hin- und hergerissen. Der Karamell und das Eis sind absolut köstlich in ihrer cremigen Balance aus dichter Süße, Säure und Kräuternoten. Weniger gut gefallen uns die sehr herbsauren Sanddornbeeren, die etwas flach schmeckenden Nachtschattenbeeren und das Baiser. So halten wir uns an Eis und Karamell und bleiben glücklich. Trotzdem wäre hier mehr drin.

Zum Kaffee gibt es statt klassischer Petits Fours ein Stück sehr guten hausgemachten Kuchen.

Das war (wieder) beeindruckend. Felix Schneider und sein Team scheinen ihre Idee einer verfeinerten modernen Regionalküche inzwischen noch konsequenter voranzutreiben. Das Menü bestand über weite Strecken aus originell-eigenwilligen Versionen traditioneller deutscher Speisen. Vom Döner (jawohl!) und der Räucherforelle über die Schlachtschüssel bis zu Spinat mit Ei, der Forelle blau und dem Kassler mit Kraut. Damit zeigen sie, dass es geht: Man kann eine originär "deutsche" Spitzenküche machen. Das Team im Sosein betrachtet Tradition mit Innovation, bringt Finesse in die Bodenständigkeit, adaptiert internationale Einflüsse (Miso!) für dezidiert lokale Kreationen. Das macht Freude. 

Ein Kritikpunkt ist für uns (wie schon beim letzten Mal) die Häufung an (sauer) Eingelegtem und milchsauer Vergorenem – es gab fast keinen Gang, der ohne diese Komponenten auskam. Das wird auf Dauer doch etwas viel und kann selbst hartgesottenen Essern auf den Magen schlagen. Ein bisschen mehr Butter und Sahne (wie etwa im konzeptionell verwandten Clos des Sens) könnten hier Wunder wirken. Zumal auch die Getränkebegleitung in eine recht herb-säuerliche Richtung geht und unsere Verdauung zusätzlich durch die Äpfel (3 x in der Begleitung, ebenso häufig wie Trauben) auf Trab gehalten wurde.

Solche Kritikpunkte sollen die Gesamtleistung des Sosein-Teams freilich nicht schmälern. Für uns bleibt dieses Restaurant ein Solitär in der deutschen Gastrolandschaft. Auf seine Weise ist es so konsequent wie kein anderes. Oder anders gesagt: An Heroldsberg kommt kein interessierter Esser mehr vorbei.

FAZIT

Ein Restaurant, wie es kein anderes gibt: Mit seiner ebenso traditionsverbundenen wie modernen Regionalküche gehört das Sosein zum Pflichtprogramm jedes Fressverrückten.

Text: Kai Mihm

Weine

Die Weine im Restaurant Sosein in Heroldsberg

Champagner Larmandier-Bernier, "Latitude", extra brut

Apfelmost mit Cassisholz

Boskop-Cuvée 

"Brau.nett", Weingut Kai Schätzel, & Brauerei Kühn Kunz Rosen, Pfalz

"Merwut", Wermutwein, Dorst & Consorten, Pfalz

2016 Grauburgunder "Graupert", Weingut Meinklang, Burgenland

Sake "Rhododendron", Junmai Daiginjo, Brauerei Amabuki, Japan

"Eis-Apfel", Manufaktur Jörg Geiger

Hinweis

Unser Besuch wurde vom Restaurant unterstützt. Details zum Umgang mit Pressekonditionen findet Ihr hier.

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