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Restaurantkritik 27.Juni 2017

Königlich fürwahr

Keine Frage, wir gehören zu jener Sorte Fressverrückter, die auf das Neue abzielen, die überrascht und herausgefordert werden wollen. Das hat weniger mit Überfluss oder einem bräsigen gelangweilt sein zu tun, sondern vielmehr mit dem Wissen, was alles möglich ist. Zugleich sehen wir die Kehrseite der Medaille: Viele Schnellschüsse auf den Tellern, viel kulinarisch nicht ganz Ausgereiftes, weil eben alle 3 Wochen ein brandneues Menü an den Start muss.

Was durch diese Entwicklung weitgehend verloren geht, sind die sogenannten Klassiker eines Hauses, die "Signature Dishes", für die ein Restaurant berühmt ist. In Italien oder Frankreich ist das anders: Dinner im Epicure ohne Trüffel-Makkaroni? Geht nicht. Ein Besuch im La Pergola ohne Heinz Becks Fagotelli? Undenkbar! Und das sind nur zwei Beispiele. Im deutschsprachigen Raum fällt uns Helmut Thieltges ein, der seine Klassiker seit Jahren pflegt. Oder Heinz Reitbauer, dessen in Bienenwachs gegarter Saibling binnen kurzer Zeit zum Signature Dish avancierte. Auch Juan Amadors Taube mit Purple Curry ist längst ein Signaturgericht, das man immer wieder auf seiner Karte findet.

Dann hörten wir, dass auch Martin Fauster einige Hausklassiker bereithält, die neben den Neukreationen stets die Karte des Königshofs zieren. Zugleich soll es sich dabei um Klassiker der Grande Cuisine überhaupt handeln, die meist für 2 Personen angeboten werden. Für uns ein mehr als willkommener Anlass, gleich mehreren Pfeilern der großen Küche Reverenz zu erweisen: den Signature Dishes eines Chefs, den ewigen Haute-Cuisine-Klassikern und der Kunst des Tableside-Service.

Also baten wir schon im Vorfeld darum, uns ein kleines Menü aus den Klassikern zusammenzustellen.

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Als Amuse erreicht uns Gelbschwanzmakrele, Koriander, Kokos und Artischocke. Diese fein gearbeitete Petitesse steigert die Vorfreude auf das Kommende.

Der erste Gang ist Jakobsmuschel: gegrillt und mariniert, mit Pomelo, Brokkoli und Imperial Kaviar. Die roh marinierten Stücke schmelzen förmlich am Gaumen, die Pomelo spendet etwas Biss und genau das richtige, äußert dezente Maß an Säure, um das Ganze zu beleben. Die leicht gegrillten Stücke geben etwas Herzhaftigkeit, aber eben nur einen Tick. Der Kaviar wiederum betont die meerige Seite des Gerichts. Aber speziell der Einsatz des Brokkolis begeistert uns, denn er wird auf eine ungemein clevere Weise als eine Art Würze benutzt und eben nicht als Gemüse. Das ist alles ungemein fein und leicht und von einer Subtilität, wie wir sie heute nur noch selten erleben. Wow.

Nun starten wir mit dem, weshalb wir gekommen sind: dem Reigen aus Signature Dishes. Den Anfang macht Fausters Bretonischer Hummer Thermidor. Hierfür wird der gekochte Hummerschwanz ausgelöst und mit gedünstetem Spinat, Champignonwürfeln und Artischocke wieder in die Karkasse gefüllt - um dann mit einer Hollandaise gratiniert zu werden. Das ist unfassbar gut: zartes, aromatisches Hummerfleisch, hauchzarter Spinat, knackige Champignonwürfel und Artischocke, alles unter einer wunderbar mit Kerbel, Estragon und Basilikum gewürzten Hollandaise, die auch Röstnoten beisteuert. Jedes Detail stimmt hier perfekt.

Separat gibt es ein Hummertatar und ein Schälchen mit Hummerbisque - beides ebenfalls absolut köstlich und von wohliger Dekadenz. Und das ist alles nicht halb so schwer und wuchtig, wie es vielleicht klingt oder aussieht. Vielmehr zeigt Fauster auch hier wieder eine Filigranität, mit der wir bei dieser Zubereitung nicht gerechnet haben. Regelrecht beschwingt legen wir nach dieser Götterspeise das Besteck nieder.

Als nächstes kommt eine Rarität (für deutsche Toprestaurants) auf den Tisch: Kalbsniere im Fettmantel – im Ganzen gegart und am Tisch tranchiert. Als wir das perfekte Prachtstück sehen, läuft uns bereits das Wasser im Mund zusammen. Man beachte die Struktur: wie bei einem erstklassigen Schinken!

Aber da wir noch ein paar Gänge vor uns haben, begnügen wir uns mit einer einzigen Scheibe – unglaublich, aber wahr. Herrlichen Biss hat die Niere und jenen ganz speziellen Nierengeschmack, jedoch ganz ohne die etwas penetrante Harnsäure-Note, die man sonst oft schmeckt. Der Fettrand hat grandiosen Schmelz. Das ist kein Glibberfett, welches man leicht angeekelt an den Tellerrand bugsiert, sondern jene Sorte, die man regelrecht auslutschen möchte. Dazu gibt es ein paar knackige Bohnenkerne und einen dichten Jus, der den Protagonisten nicht überkleistert. Exzellent, einmal mehr.

Sodann wird der erste Hauptgang am Tisch präsentiert: Perlhuhn, serviert in zwei Gängen. Hier sehen wir sofort, was uns anderswo bei der Garung in der Schweinsblase immer fehlt: eine knusprige Haut. Ein Grund zur Freude für uns, denn die ist doch mit das Beste an einem Huhn!

Der 1. Gang des Perlhuhns besteht aus Brust mit Perigord-Trüffel, Bittersalaten und Hagebuttenpofesen. Hola, was ist das gut! Das Brustfleisch ist so saftig, wie wir es selten erlebt haben. Dazu die Röstaromen der Haut und die Erdigkeit des Trüffels. Klassische Eleganz. Die Bittersalate geben Spannung und lassen das Ganze angenehm leicht wirken. Das i-Tüpfelchen sind jedoch die Pofesen (auch: Arme Ritter) mit Hagebutten: buttrig, knusprig, feinherb und ein absoluter Gaumenschmeichler.

Während wir uns an Teil 1 des Perlhuhns laben, wird in der Küche der zweite Gang vorbereitet: das ausgelöste Keulenfleisch in Perlhuhnbouillon mit Wachtelei, pochierter Gänseleber, Farfalle und knuspriger Haut. Auch dieses Gericht ist hervorragend. In einer kraftvollen Bouillon schwimmt zartes Keulenfeisch, umspielt von cremiger Foie gras und einem Wachtelei, dessen Schmelz alles noch dichter macht. Die Farfalle geben Biss und Volumen, dazu die ultrakrosse Haut am Rand – schlichtweg grandios.

Bei diesem Perlhuhn-Zweiteiler drängt sich natürlich der Vergleich mit dem Bresse-Huhn aus der Schweinsblase auf, das wir im dreifach besternten Epicure in Paris genossen. Auch dort wurde die Keule in einer Brühe mit Foie gras (und Trüffel) serviert, aber im Direktvergleich müssen wir sagen, dass zumindest dieser zwiete Gang uns bei Martin Fauster deutlich besser gefällt als in Paris: Er ist komplexer, feiner und leichter.

Bei den Desserts wissen wir nicht, ob es sich um Signatur-Kreationen von Pâtissiere Gabi Taubenheim handelt - aber Limette geeist mit Dulcey-Schokolade, Baby-Banane, kreolischer Sauce und Pinienkernen hätte sicher das Zeug dazu. Sehr schön wird hier mit karibischen Aromen gespielt, pendeln die Eindrücke zwischen feiner Säure, ganz dezenter Würze, Nussigkeit und der weichen Vollmundigkeit der Bananenstücke. Die zur Zeit schwer angesagte "blonde" Dulcey-Schokolade steuert Schmelz und leichtes Kakao-Aroma bei, wirkt aber nie dominierend. Hervorragend.

Das alternative Dessert kommt klassischer daher: Mascarpone als knuspriger Riegel und Soufflé, mit Rhabarber und Himbeere lebt nicht zuletzt von makellosem Handwerk und einer präzisen Balance von Süße und Fruchtsäure. Das Soufflé ist nahezu perfekt, der mit Mousse gefüllte Riegel knusprig und federleicht. Der Rhabarber gibt Säure und setzt leichte Bitterakzente, und die Himbeeren (als ganze Früchte!) passen mit ihren Moschusnoten bestens zum Mascarpone. Ja, das ist alles sehr klassisch, und in dieser Klassik ist es ausgezeichnet. Kurzum: Wir haben hier zwei der besten Desserts dieses Jahres genossen.

Für die Pralinenauswahl haben wir dann kaum noch Platz...

Wir sagen es ohne große Umschweife, direkt heraus: Das war eines der besten Essen, die wir seit längerer Zeit hatten. Was Martin Fauster und sein Team hier abfackelten, war ein kulinarisches Feuerwerk sondergleichen. Und das mit Gerichten, die man zum Teil schon fast als vergessen bezeichnen kann: Wo bekommt man heute noch einen Hummer Thermidor? Wo eine Kalbsniere im eigenen Fett? Nach diesem Erlebnis fragen wir uns jedenfalls, warum das so ist.

Fausters Kunst besteht darin, die Klassiker frisch und leicht erscheinen zu lassen. Wer hätte gedacht, dass der Hummer Thermidor, von Auguste Escoffier im Jahr 1881 kreiert, so modern wirken kann? Mit ein paar kleinen Kniffen entstaubt Fauster das legendäre Gericht. So gibt man althergebrachten Rezepten eine persönliche Signatur. Aber auch das Perlhuhn in zwei Gängen wirkt hier ungemein zeitgemäß, besonders der zweite Gang, der es in Sachen aromatischer Vielschichtigkeit mit den Besten in Paris aufnehmen kann. Bemerkenswert auch, dass bei allen Gerichten (inklusive der Jakobsmuschel) ein Fokus auf die Produkte und deren Eigengeschmack gelegt wurde, der sehr modern ist.

Wir würden uns jedenfalls wünschen, dass man sich wieder häufiger auf die Klassiker der historischen Grand Chefs besinnt - gerne mit einem Kniff, der daraus ein individuelles Signaturgericht macht. Über das Bewusstsein für die Historie einen Blick in die eigene Zukunft werfen. Wir werden Ausschau halten...

Fazit

Martin Fauster pflegt die Klassiker und beweist dabei ein sehr modernes kulinarisches Verständnis. Es schmeckt umwerfend gut. Oder anders gesagt: Selten haben wir auf klarerem 2-Sterne-Niveau gegessen.

Text: Kai Mihm

Wein

Weine im Restaurant von Martin Fauster in München

2011 Roederer Rosé, Champagne

2013 Homburger Kallmuth, Silvaner Erste Lage, Fürst Löwenstein, Franken

2012 Viré-Cléssé, "Prêtres de Quintaine", A. Bonhomme, Côte Mâconnaise, Frankreich

2011 Savigny-Lès-Beaune "Lavières", Domaine Tollot-Beaut, Côte de Beaune, Frankreich

2014 Jurancon "Uroulat", Charles Hours, Süd-West, Frankreich

2014 Chartreuse Jaune, "Reine des Liqueurs", Frankreich

Fressfreunde

Vijay Sapre

"Ich war das letzte Mal den Tränen nahe, vor Freude natürlich, über diese lässige und unprätentiös klassische Küche. Wenn es Martin Fauster nicht gäbe, ich würde versuchen, ihn zu erfinden."

Kulinarisches Interview

"Sensationelle Küche. Genau auf den Punkt mit intensiven Aromen. Martin Fauster läuft "unter dem Radar" - für mich müsste er und sein Team schon längst für den zweiten Stern gehandelt werden."

Fragen an den Suffmeister (a.k.a. Sommelier) Stéphane Thuriot

Anzahl Positionen auf der Weinkarte:
Wir haben um die 1000 Positionen auf der Karte.

Haben Sie einen besonderen Fokus bezüglich der Weinkarte? 
Primär Europa: Deutschland, Frankreich (Tiefe im Burgund und Bordeaux), Italien, Österreich und Spanien. Neu dazu gekommen sind Portugal und Griechenland.

Die ungewöhnlichste Rarität?
1969 Macon-Viré von A. Bonhomme aus dem Burgund

Welches sind die preiswertesten und teuersten Flaschen auf Ihrer Karte?
Der Günstigste: 2013  Randersackerer, Ewig Leben, Müller-Thurgau Kabinet  vom Weingut Arnold. Die teuerste Flasche ist der 1995 Romanée Conti DRC.

Welches ist der meistverkaufte Wein der letzten 12 Monate?
Unser eigener! Der Markelsheimer Probstberg , Riesling Kabinett trocken, den Paul Fürst für uns ausbaut.

Ihre Entdeckung der letzten 12 Monate?
Der Meursault von Arnaud Ente, der inzwischen ein großer Star in Amerika ist und hier kaum gekannt wird.

Ihr Lieblingswein? Weshalb?
Ich liebe das Loiretal und die Sancerres von Henri Bourgeois. Meine Heimat!

Der ausgefallenste (vinophile) Gästewunsch, mit dem Sie je konfrontiert wurden?
Am Anfang meiner Karriere musste ich eine Cola mit Mouton Rothschild servieren – natürlich getrennt. Der Gast hat es gemischt. Kein Kommentar!

Hinweis

Unser Besuch wurde vom Restaurant unterstützt. Details zum Umgang mit Pressekonditionen findet Ihr hier.

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