Restaurantkritik  8.Juli 2017

Savoy Vivre – reloaded

Es gibt Restaurantbesuche, die prägen einen fürs Leben. Im Jahr 2011 erlebten wir so einen Fall. Wir waren damals zum ersten Mal bei Guy Savoy zu Besuch, und es war in jeder Hinsicht ein phänomenales Erlebnis. Grandiose Küche, wundervoller Service, atmosphärisches Ambiente. Da stimmte einfach alles, von vorne bis hinten. Oft dachten wir in den Jahren danach an diesen Herbsttag in Paris zurück, immer ein bisschen wehmütig. Aber in die Sehnsucht mischte sich stets auch etwas Furcht: Würde ein zweiter Besuch überhaupt an die unschuldige Erfahrung des ersten Ma(h)ls heranreichen können? Deshalb nahmen wir bei Parisreisen immer wieder Abstand von einer Rückkehr.

Bis wir hörten, dass der Grand Chef mit seiner Brigade umzieht: Von den legendären Räumlichkeiten in der Rue Troyon unweit des Arc de Triomphe auf die andere Seite der Seine. Rive gauche, im Hôtel de la Monnaie, ging es im Frühjahr 2015 neu los. Es handelt sich bei dem imposanten Gebäude aus dem 18. Jahrhundert wohlgemerkt nicht um ein Hotel, sondern um den Hauptsitz der staatlichen französischen Münzprägeanstalt. Unter anderem findet sich dort auch ein umfangreiches Geldmuseum. 

Und eben das Restaurant von Guy Savoy – was irgendwie gut passt, denn ein bisschen Kleingeld muss schon mitbringen, wer beim Grand Chef zu speisen gedenkt (wobei via Online-Reservierung auch ein verlockend günstiges Mittagsmenü zu haben ist). Für uns war der Umzug jedenfalls ein willkommener Anlass für einen Wiederbesuch. Durch den neuen Standort würden wir auch nicht ständig Vergleiche zu unserem Erstbesuch ziehen.

Betritt man das Gebäude durch das gewaltige Portal, geht es erst einmal durch eine Sicherheitsschleuse. Das irritiert für einen Augenblick, hat aber auch etwas Amüsantes und ist angesichts des Ortes sowieso kein Wunder. Das Ganze wird auch sehr lässig und schnell abgewickelt, als kleine Formalität. Sodann geht es über eine gewaltige Marmortreppe hinauf in den ersten Stock. Im dortigen Atrium suchen wir unter allerlei Türen erst einmal den Eingang zum Restaurant – welcher sich beim Näherkommen wie von Zauberhand öffnet ...

...und uns in eine Art Vorzimmer leitet, wo mächtig was los ist. Der Empfang durch eine junge Dame fällt im ersten Moment etwas kühl aus. Bis die charmante Carine Polito das Zepter übernimmt, Guy Savoys persönliche Assistentin, die, wie wir erfahren, fast jeden Mittag zugegen ist, um die Gäste zu begrüßen. Sie führt uns in einen der sechs kleinen Speiseräume, eine Aufteilung, die das Gefühl vermittelt, in einem eleganten Club zu Gast zu sein. Die zurückhaltende Gestaltung des Interieurs in dunklem Graublau wird nur durch die Farbigkeit großformatiger (und hochkarätiger) Kunstwerke gebrochen. So entsteht eine Atmosphäre zwischen privatem Salon und cooler Galerie. Gefällt uns gut.

Über eine Konstante freuen wir uns: Der legendäre Maître Hubert ist noch da! Seit vielen Jahren schon ist der Deutsche der Restaurantleiter im Hause Guy Savoy, ein vergnügter, unglaublich charmanter Mann, der uns vor sechs Jahren regelrecht verzauberte. Auch und gerade im gediegenen Ambiente des neuen Lokals sorgt er bei uns sofort für Wohlfühlatmosphäre. Derart entspannt, kann es nun losgehen, mit dem Menü des schönen Titels "Couleurs, Textures et Saveurs".

Die ersten Apéro-Snacks bestehen aus mariniertem Gemüse in verschiedenen Zubereitungen. Wir haben hier unter anderem angenehm lauwarme Stücke von Lauch und Spargel, ein Parmesan-Teigkissen und mit Kräutercrème gefüllte Radieschen – alles exakt gewürzt, texturell zwischen weich, knackig und knusprig. Sehr schön, leicht und frisch. Exzellente Produktküche en miniature.

Als nächstes kommt ein Tässchen mit heißer, köstlich würziger Suppe auf den Tisch – unter der sich ein winziges Tartelette verbirgt. Hochfein gearbeitet und absolut köstlich.

Nun gibt es noch einen Savoy-Klassiker: Foie-gras-Terrine und Toast am Spieß. Würzig, mit Schmelz und Biss, ein Happen, der immer wieder Freude macht.

Das Menü startet mit kühlem Rochenflügel mit Austern und kleinem "Ragoût Breton". Das ist wie eine Explosion am Gaumen, eine intensive Meeresbrise, die bei den ersten zwei, drei Bissen in Verzückung versetzt. Dann aber bald zu viel wird. Es ist nicht der vorzügliche Fisch, sondern die große Menge an Austernstücken obenauf und dazwischen, deren überbordender Jodigkeit es an einem Kontrapunkt fehlt. Die kleinen Kartoffelschnitze und die winzigen Blumenkohlröschen bilden ein punktuelles Gegengewicht, kommen auf Dauer aber nicht gegen diese, nun ja, Austernbrandung an. Die kühle Temperierung des Gerichts verstärkt diesen Eindruck noch.

Wie wir später hören, wird das Gericht zumindest à la Carte mit weniger Auster und dafür mit einem zusätzlichen Kaviar-Topping serviert – wir können uns vorstellen, dass das gleich viel harmonischer schmeckt.

Weiter geht es mit der hübschen Präsentation des "Surprise de homard": Auf den Tisch kommt eine gewaltige Hummerkarkasse, unter der sich das Gericht verbirgt ...

... nämlich Medallions und Gelee vom Hummer mit kalter Consommé und Hummerkaviar. Das ist ganz vorzüglich, mit bestens austarierten Aromen. Man muss sich das vielleicht wie die absolute Luxusversion eines Hummersalats vorstellen. Durch die Variation der Darreichung werden dem Krustentier ganz unterschiedliche Seiten entlockt. Mal liegt die Betonung eher auf der Süße, mal eher auf der fleischigen Textur, mal auf einer gewissen Herbheit. Die Sauce, eher eine Art Crème, gibt eine intensive Grundierung, was wiederum von der leichten Süße der Möhrenstücke ausgeglichen wird. Elegant und exzellent.

Nun stellt der Service ein Gefäß auf den Tisch, das wie eine Mischform aus Säule und Schale wirkt. Darin: Ein mit Sabayon gefülltes Ei inmitten frittierter Kartoffelstreifen. Das Ei wird vom Service am Tisch aufgeschlagen und die schaumige Sauce auf den Hauptteller gelöffelt ...

... zur Vollendung von Kaviar, Kartoffel und leicht geräucherter Sabayon. Das sind drei Happen, die man jeweils am besten im Ganzen verspeist – so bekommt man als Belohnung drei perfekte Genussmomente aus bissfester und doch buttrig-weicher Kartoffel, feinherbem Kaviar und seidiger, ganz leicht räucheriger Sabayon. Als krosses Element ein Kaviargitter. Das ist ein geschmacklicher Dreiklang, der es in sich hat: von großer Feinheit und Eleganz. Nicht laut und wuchtig, sondern filigran und köstlich. Mehr davon!
PS: Die letzten Reste der Sabayon "löffeln" wir dann mit den ultrazarten Kartoffelchips vom Teller – ein königliches Vergnügen...

Weiter geht’s mit grünem Spargel mit Trüffel-Vinaigrette und "Ei aus dem Heu". Der Spargel, als ganze Stangen sowie als Brunoise mit Kerbel unter dem Chip, ist qualitativ hervorragend und perfekt knackig gegart. Dazu eine hochdelikate Trüffelvinaigrette und das leicht mit Heu confierte Eigelb (ebenfalls unter dem Chip) für Volumen. Das mundet uns sehr schön, aber bei aller Eleganz bräuchte es eine dramaturgische Steigerung.

Gewissermaßen als Ausgleich für diese Schwäche folgt ein Klassiker des Hauses: Lachs "gefrostet", heiße Consommé, Zitronenkaviar und Kerbelwürfel. Ein Koch rollt einen Servierwagen heran, darauf ein großes Stück Eis, vier Scheiben schottischer Lachs sowie diverse Beigaben. Der Lachs wurde mit Olivenöl und Pfeffer mariniert und auf einem Block Himalaya-Salz gelagert – durch die Feuchtigkeit löst sich Salz und würzt dezent den Fisch.

Nun "gart" der Chef die Filets auf dem ultrakalten Eis, wodurch ihnen oberflächliche Erfrierungen zugefügt werden. Nach mehrmaligem Wenden legt der smarte Franzose mit der hohen Kochmütze den Lachs zusammen mit Pak Choi und Kerbelwürfeln in einen tiefen Teller, gibt Zitronenkaviar darauf und nappiert das Ganze mit einer heißen Consommé.

Durch das Zusammenspiel von heiß und kalt, von leicht gegart und roh mariniert, entwickelt sich vor unseren Augen und hernach an unserem Gaumen eines der feinsten Lachs-Gerichte unseres Lebens. Wir hatten es schon vor sechs Jahren in die Götterspeisen-Liste aufgenommen. Kraftvoll würzig, zugleich leicht und von einer hauchfeinen Zitrusfrische getrieben, greifen die Beigaben ineinander, um den Star, den Lachs, auf ein aromatisches Podest zu heben. Da bleibt auch diesmal nur eines zu sagen: Famos!

Und weil es so schön war, gibt es gleich noch ein Signature Dish, das wohl bekannteste des Meisters: Suppe von Artischocken und schwarzem Trüffel, dazu Brioche mit Champignons und Trüffeln, bestrichen mit Trüffelbutter. Beim Probieren kommt es auch diesmal wieder zu einem dieser seltenen Momente, in denen man seinen Tischnachbarn mit offenem Munde ansieht, in ein ebenso fassungsloses Gesicht blickt und sich stillschweigend mit der Auszeichnung zur Götterspeise ohne jede Diskussion einverstanden erklärt. Die Suppe ist vollmundig-rustikal, zugleich filigran und differenziert, schlichtweg unvergesslich und schon beim Erinnern daran speichelflussanregend (bei diesem Wort wird uns von der Word-Autokorrektur die Alternative "speicherplatzintensiv" angeboten – ja, auch das). Die letzten Reste wischen wir mit der Brioche aus dem Teller, so ist es gedacht, und es ist wunderbar.

Beglückt von zwei Götterspeisen in Folge harren wir des Hauptgangs, bestehend aus Bresse-Huhn, confiert und lackiert, mit Essigjus und knuspriger Kartofellrosette. Nach der gehaltvollen Suppe wirkt die gut eingebundene Säure der Sauce sehr frisch und macht das Gericht angenehm leicht. In Kombination mit den perfekt knusprigen Kartoffelscheiben ist das eine Freude. Auch das Huhn hat durch das Confieren ein kräftiges und feinsäuerliches Aroma bekommen. Nur fällt das Fleisch leider recht trocken aus. Das Kohlgemüse bringt zwar Feuchtigkeit mit, aber trotzdem lässt das Fleisch diesen Gang deutlich unter sein Potenzial fallen. Ausgrechnet bei Huhn, dem französischen Speisevogel.

Als erstes Dessert gibt es Erdbeeren mit Basilikum unter einer Meringue-Kuppel. Wow, das ist nun wieder ein tolles Gericht. Die Meringue gibt ganz leichten Widerstand und ist am Gaumen so hauchzart und lieblich wie ein Frühsommerlüftchen. Im Innern der Kuppel verbirgt sich eine Erdbeer-Basilikum-Variation, auch sie unglaublich leicht, aber trotzdem enorm geschmackvoll. Das klingt simpel, ja, aber es erweist sich als äußerst kurzweilig und vor allem sehr wohlschmeckend. Klassische Pâtisseriekunst in Bestform.

Das zweite Dessert besteht aus Grapefruit auf leichter Zitronencrème, Mini-Baba und vanilliertem Grapefruitsorbet. Der saftige Baba und das süßsäuerliche Sorbet ergeben ein prima Duo, und auch die Zitronencrème hat fein austariertes Aroma. Allerdings müssen wir die Zitrusfilets vorsichtig dosieren, weil deren Säure sonst allzu dominant wird. In Summe haben wir hier auch hier ein ausgeprochen schönes Dessert.

Zum Abschluss wird von Maître Hubert höchstpersönlich der imposante Dessertwagen aufgefahren. Darauf finden sich Eis und Sorbets, außerdem etliche Pralinen, Macarons, Crèmes, diverse Kuchen und Kekse. Süßes Herz, was willst Du mehr? Zu diesem Zeitpunkt entwickeln wir die Idee des "Trolleyjackings", der vermutlich erstmaligen Entführung des Dessertwagens aus dem kulinarischen Paradies.

Aber auch wir werden nicht jünger, deshalb begnügen wir uns mit einer Auswahl an Petits Fours. Allesamt sehr gut.

Satt, nein: pappsatt wanken wir nach einem doppelten Espresso den sonnigen Quai Conti entlang. Auf einer Parkbank mit Blick auf die Seine lassen wir den Mittag Revue passieren. Und um die beiden wohl drängendsten Fragen der geneigten Leserschaft gleich zu beantworten: Ja, das war ein lohnender Ausflug zu Guy Savoy. An die vollumfängliche Euphorie des ersten Besuchs konnte das Erlebnis vielleicht nicht anknüpfen, aber das erwarteten wir auch nich. Das erste Mahl in einem großen Restaurant bleibt stets etwas Besonderes, erst recht in einem so mythischen Haus. Dass Guy Savoy zu den ganz Großen gehört, hat er jedenfalls spielend bewiesen.

Nicht vergessen dürfen wir den Service, der einmal mehr über jeden Zweifel erhaben war. Stets zur Stelle, aber dennoch diskret; humorvoll, aber nicht plump-vertraulich. In einem Ehrfurcht einflößenden Grand Restaurant ist diese Qualität nicht zu unterschätzen. Nicht nur wegen dieses Zusammenspiels, das immer auch ein wenig Schauspiel ist, fühlen wir uns nach dem Verlassen des Hôtel de la Monnaie wie aus einer anderen Welt entlassen. Ein bisschen ermattet, zugleich aufgekratzt. Sicher ist nur, dass es uns irgendwann wieder hierher an die Seine treiben wird…

Fazit

Guy Savoy bleibt seinem alten Motto treu: "Kochen ist jene Kunst, Produkte blitzschnell in Glück zu verwandeln." Die Highlights waren wieder ganz weit oben; und ein Gesamterlebnis ist der Besuch im "Monnaie" sowieso.

Wein

Wein im Restaurant von Guy Savoy in Paris

NV Champagne Guy Savoy (R&L Legras), Blanc de Blancs Grand Cru, Champagne

2013 Sancerre "Chambrates", Domaine Vacheron 

2012 Pinot Auxerrois "H", Domaine Josmeyer, Elsass

2011 Côte-Rôtie, Domaine Ogier d'Ampuis

2014 "Les Violettes", Domaine Richou, Coteaux de L'Aubance

Fressfreunde

Küchenreise

"Sehr produktorientiert und am stärksten bei sündhaften Klassikern wie der Artischockentrüffelsuppe mit Brioche mit Trüffelbutter!"

Willi Igel

"Nach meinem letzten Essen dort bat ich den Maître um eine Zehnerkarte und fragte bei verschiedenen Umzugsunternehmen an, was es kosten würde, den Igelbau an die Seine zu verlagern."

Umfrage

Pariser "Grand Restaurants" zu ebenso großen Preisen – ist es das wert?

 

Das könnte dich auch interessieren