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Restaurantkritik 10.Januar 2017

Im Lokal der aufgehenden Sterne

Mann, Mann, Mann, was sich in München tut, ist wirklich kaum zu glauben. Vor fünf, sechs Jahren war die Stadt noch kulinarisches Brachland, in dem das ehrwürdige Tantris als das höchste der Gefühle galt. Und jetzt? Junge Köche mit bester Ausbildung und kreativem Tatendrang haben die Stadt ganz nach vorne katapultiert. Und womöglich davon angespornt haben auch die Lokalmatadore nochmal eine Schippe draufgelegt. Die Auswahl an besten Restaurants unterschiedlicher Stilrichtungen ist beeindruckend. Dass die Stadt selbst je zu unseren Lieblingen zählen wird, bleibt fraglich, aber kulinarisch ist München uns inzwischen sogar mehrere Reisen im Jahr wert.

Zuletzt führte uns der Weg zurück zu Tohru Nakamura in den Geisels Werneckhof – ein Restaurant, das jüngst mit dem zweiten Stern ausgezeichnet wurde. Damit gehört Nakamura zu jener Riege junger Chefs, die in den letzten Jahren binnen kurzer Zeit in diese Topliga aufgestiegen sind (andere sind Jan Hartwig, Tristan Brandt, Dirk Hoberg, Thomas Schanz, Sebastian Frank oder Paul Stradner).

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Nakamura absolvierte seine Ausbildung in einem klassischen Haus, nämlich bei Martin Fauster im zur selben Firmengruppe gehörenden Hotel Königshof. Auf dieser exzellenten Basis erweiterte er sein Spektrum bei Joachim Wissler im Vendôme, bei Sergio Herman im Oud Sluis und zu guter Letzt bei mehreren Tokioter Spitzenköchen. Nach unserem ersten Besuch im Jahr 2015 bezeichneten wir den Stil des Deutschjapaners denn auch als euro-asiatisch im besten Sinne. Gut anderthalb Jahre später sind wir gespannt, inwieweit sich dieser Stil weiterentwickelt hat, rückwirkend natürlich auch mit Blick auf den zweiten Stern.

Zum Restaurant selbst können wir uns nur wiederholen: Das gutbürgerliche, urbayerische Ambiente des im Stadtteil Schwabing gelegenen Restaurants gefällt uns ausgesprochen gut – es wirkt rustikal, aber nicht schwer oder gar kitschig, sondern trotz der Holzböden und -decken sowie der relativ eng stehenden, klassisch eingedeckten Tische elegant und entspannt. Das Ambiente steht in bemerkenswertem Kontrast zur modernen Küche Nakamuras und hebt sich wohltuend vom Einheitslook der meisten sich "international" gebenden Spitzenrestaurants ab.

Los geht es mit drei Kleinigkeiten zum Aperitif: ein sehr schön würziges Tartelette aus Brioche mit Olive und Chorizocreme, eine Schale mit Ama-Ebi-Garnele, eingelegter Melothria (ein tropisches Kürbisgewächs), chinesischen Champignons und Gurkenvinaigrette – ein schöner Dreiklang aus süßer Garnele, feinherbem Kürbis und Frische von der Gurke –, und schließlich in der dunklen Schale Muschel mit Fregola Sarda, Harissa-Granité, Stangensellerie und Wachskürbis in Kombudashi gegart. Das klingt kompliziert und fast ein bisschen verkopft, schmeckt aber sehr schön zugänglich, nicht zuletzt dank der von uns hoch geschätzten Fregola Sarda (knackige Mini-Nüdelchen), die diesem "Eintopf" eine angenehme Süffigkeit verleihen.

Es folgt ein weiteres Amuse-Duo: Bei der Stabmuschel in geröstetem Reis gewälzt, milder Habanero und einen Chip aus Pane Carasau steht vielleicht das Knusprige etwas zu sehr im Vordergrund, aber trotzdem ein netter Happen. Große Klasse dafür die Schale mit Chawanmushi, Imperial-Kaviar und Dashi. Das ist ein wundervoller Dreiklang: der japanische Eierstich mit seiner Textur von seidener Zartheit, darunter der feinwürzige Dashi und obenauf die Eleganz des hauchfein-jodig-salzigen Kaviars. Wäre dieses Amuse nicht so subtil, müssten wir von einem Paukenschlag sprechen.

Nun startet das eigentliche Menü mit Carabinero, Coco-Bohne, Romesco und Vogelbeere. Durch die Bohnen, das Schalentier-Carpaccio und vor allem durch die katalonische Romesco-Sauce bewegen wir uns in südeuropäischen Gefilden – und genauso süffig, wie man sich diese Kombi vorstellt, schmeckt sie auch. Das Carpaccio hat Schmelz, aber nicht jene unangenehme "Schmierigkeit", die uns bei rohen Meeresfrüchten oft stört. Die Bohnen (versteckt unter dem Carabinero) geben dem Ganzen eine schöne Erdigkeit und Mundfülle, was wiederum durch die schärfenden Romesco-Tupfer und die säuerlichen Vogelbeeren Spannung bekommt und aufgelockert wird. Das macht Freude, ohne trivial zu schmecken.

Unser einziger Kritikpunkt wäre, dass dieses Gericht als Auftakt vielleicht etwas gehaltvoll ist (hier täuscht das Foto). Andererseits fällt das wohl in die Kategorie "Luxusprobleme".

Wir bleiben im Meer: Es gibt Jakobsmuschel mit Trompetenpilzen XO und Sudachi. Vor allem die exzellente geröstete Muschel geht wunderbar mit den kräftigen Pilzen und der säuerlichen Sudachi (eine japanische Zitrusfrucht) zusammen. Das ist einfach richtig gut – so gut, dass wir das kühle Muscheltatar dazu eher etwas irritierend finden. Aber mit der cremigen Sauce als Bindeglied fügt es sich dann doch gut ins Gesamtbild ein. Ein sehr schöner, in seiner Reduziertheit fast nordisch anmutender Gang.

Vor dem nächsten Gang wird uns ein tönern anmutendes Gebilde präsentiert, das sich als Salzteig entpuppt. Darin: Eine weich gegarte Lauchstange, ...

… von der ein (arg kleines) Stück auf dem Teller landet. Egli (Flussbarsch), Lauch aus dem Salzteig, Weiderauch und Bergamotte ist eine Kreation, die uns allein schon durch ihre puristische Ästhetik anspricht. Und auch hier gelingt eine herrliche Balance zwischen süßlichen (Lauch), säuerlichen (Bergamotte) und herzhaften (Rauch) Aromen, die den reinen, zarten Geschmack des Süßwasserfischs aufs Beste nach vorne bringen. Das schmeckt uns so unglaublich gut, ...

… dass wir ein Stückchen vom geschmorten Lauch nachordern! Aber da ist der Fisch leider schon so gut wie verputzt ... und nur dies verhindert den Status einer Götterspeise.

Nach einer wilden Mischung klingt die nächste Kreation: Rotbarbe mit Rosenkohl, Kürbis und Kokos. Und siehe da, sie funktioniert verblüffend gut. Kürbis und Kokos sind klassische Partner, aber auch der Rosenkohl mit seinem sehr speziellen "Love-it-or-hate-it"-Aroma passt überraschend gut zur Kokos-Exotik. Zusammen mit der Rotbarbe, die wir eher mit dem Schlagwort "mediterran" verbinden, ergibt das eine konzeptionell originelle, trotzdem aber harmonische und vor allem sehr köstliche Speise. Und gerade weil man diese Aromenwelt nicht recht verorten kann – Asien, Karibik, Südamerika? –, schmeckt das Ganze so spannend.

Schwierig wird es bei Gnocchi, Meeresfrüchten, Algen und Umeboshi. Hier trifft Italien auf Japan – und die beiden vertragen sich einfach nicht. Die gut gearbeiteten Gnocchi verlangen nach dichten, massiven Aromen, welche die teils rohen Meeresfrüchte einfach nicht hergeben. Vielmehr passt deren spezielle, weiche Textur für uns so gar nicht zur Textur der Kartoffelpasta. Der Killer sind aber die Algen und vor allem die salzig-sauren Umeboshi. Zusammen mit der Jodigkeit der Meeresfrüchte ergibt sich daraus eine Penetranz, die wir als regelrecht unangenehm empfinden. Wir respektieren das Experiment, aber geglückt finden wir es nicht.

Eine Beruhigung für unsere Papillen ist dann der erste Fleischgang: Wildhase mit Klettenwurzel, Sansho und Quitte. Das Hasenfilet ist von bemerkenswerter Qualität, und sein Eigengeschmack wird vom zitronig-minzigen Sansho-Pfeffer sehr schön unterstützt. Die feinsäuerlichen Quitten-Komponenten passen dazu natürlich prima, und auch die oft etwas spröde Klettenwurzel funktioniert in diesem Wild-Kontext überraschend gut. Das ist ein schöner, auf Dauer vielleicht einen Tick zu zurückhaltender Gang, der nach den vorhergehenden Experimenten aber wie ein willkommener Ruhepol wirkt. Sehr schön.

Danach dreht die Küche nochmal auf, mit Rettich, Tatar, Rucola und Lorbeer – auf den warmen Hasen-Fleischgang folgt damit ein kalter Fleischgang als eigentliches "Hauptgericht". Wir sind, zugegebenermaßen, etwas irritiert über diese Dramaturgie. Doch mit dem ersten Bissen weicht die Skepsis der puren Freude: Diese Frische, diese Reinheit, dieses exakt gewürzte und genau richtig geschnittene Fleisch! Wir sind wie beflügelt. Fast wollen wir das Menü nochmal von vorne beginnen, so sehr erfrischt uns dieses puristische, ungemein wohlschmeckende und sich federleicht anfühlende Hauptgericht. Dieses Experiment ist voll geglückt.

Derart beschwingt freuen wir uns auf Dessert Nummer eins. Es besteht aus Zwetschge, Avocado und Schlehe in allerlei Zubereitungsformen – das ist originell und spannend und von der Mischung aus Süße, Säure und Herbheit stimmig austariert. Zugleich schmeckt es, vielleicht durch die recht vielen "spitzen" und festen Elemente, auch ein wenig spröde. Trotzdem fehlt uns ein wenig die vollmundige Süffigkeit, die wir auch bei modernistischen Desserts schätzen.

Genau diese Süffigkeit bringt das zweite Dessert Birne, Schokolade und Rosmarin mit – eine strukturell recht klassische Komposition, die bestens funktioniert: Schokolade und Birne, gibt es jemanden, der das ernsthaft nicht mag? Es gibt eine Menge schön schmelziger Elemente, aber trotzdem stimmt die texturelle Abwechslung; es ist viel Schokolade auf dem Teller, aber sie wirkt dank der Rosmarinfrische nicht zu schwer. Und über Birne, diese hochelegante Frucht, freuen wir uns sowieso immer, zumal sie seit einiger Zeit aus der Spitzenpatisserie leider weitgehend verschwunden ist. Kurz gesagt gelingt hier ein klassisch anmutender Abschluss, der trotzdem die Qualitäten eines modernen Desserts hat.

Die Petits Fours sind grundsolide, gut gefällt uns der Gag mit den selbstgemachten Glückskeksen.

Ja, das Feuerwerk war mal wieder ziemlich gut, das das Team im Werneckhof da abgefackelt hat. Souverän spielt die Küche mit Einflüssen aus Südeuropa und, vor allem, aus Japan, ohne dass es je nach bemühtem Crossover aussieht – oder besser: schmeckt. Es mag ein wenig nach Klischee klingen, aber wenn ein Küchenchef in Deutschland prädestiniert ist für eine Einarbeitung japanischer Elemente in ein europäisches Fundament, dann wohl der Deutschjapaner Tohru Nakamura.

Die Dramaturgie unseres Menüs wechselte zwischen Gaumenschmeichlern wie der Jakobsmuschel mit Pilzen und dem Flussbarsch mit Lauch sowie herausfordernden Ideen wie der Rotbarbe mit Kokos-Rosenkohl – und selbst wenn die Experimente nicht immer vollends aufgingen, blieb es zumindest spannend. Das spendet natürlich nur wenig Trost, wenn es nicht schmeckt – aber das war bei unserem Menü bis auf einen Ausreißer (die Gnocchi) nie der Fall.

Die spezielle Stilistik Tohru Nakamuras (2.v.r.) füllt insbesondere in München eine Lücke, wirkt auf uns aber auch im deutschlandweiten Kontext nahezu einzigartig (Christian Bau wäre als weiterer Vertreter einer resoluten Japanophilie zu nennen). Die wilde Sturm-und-Drang-Phase scheint sich einem Ende zu nähern – die meisten Gerichte waren von einer bemerkenswerten Präzision und Souveränität. Vor allem scheint auch im Werneckhof das Prinzip der Reduktion zu herrschen. Die Anzahl der Komponenten war meist überschaubar, und mit Pürees und Crèmehäufchen hielt man sich zurück. Stattdessen gab es seidige Saucen und süffige Fonds. So soll es sein!

In Sache Service hat sich das Personalkarussel im Werneckhof in den letzten Jahren ordentlich gedreht. Kürzlich erreichte uns die Nachricht, dass Sommelier Jochen Benz (vorne) das Haus schon wieder verlassen hat. Das ist schade, da er am Abend unseres Besuches eine sehr gute Weinbegleitung auffuhr und diese sympathisch erläuterte. Die überaus herzliche Konstante im Service ist Mâitre Julia Pleintinger (3.v.l.), der wir jederzeit anmerkten, wie sehr sie ihren Job liebt. Wunderbar.

Fazit

2 Sterne zu recht – Tohru Nakamura beglückt uns mit einer modernen Spitzenküche, die manchmal herausfordert, ohne dass der exzellente Wohlgeschmack zu kurz kommt. Eine Mischung nach unserem Gusto!

Fressfreunde

Wolfgang Faßbender

"Sehr eigenständige Küche, eher ungewöhnliches Interieur, damals ausgezeichnete Weinbegleitung; der Sommelier hat aber inzwischen zweimal gewechselt. Zwei Sterne sind verdient."

Küchenreise

"Wir waren kurz nach dem Start im Jahr 2013 dort und erlebten ein grossartige, individuelles Menü – es wird Zeit für einen erneuten Besuch!"

Weine

Die Weinbegleitung im Geisels Werneckhof in München

NV Bründlmayer Brut Rosé

2015 Grüner Veltliner "Edition Witzmann", Weingut Türk, Kremstal Carabiniero

2014 Bacchus "G", Jürgen Hofmann, Franken

2014 Assyrtiko, Hatzidakis, Santorini

2013 Albana "Gariete", Tenuta Folesano, Emilia-Romagna Rotbarbe

2004 Savennières "Clos du Papillon", Domaine des Baumard, Loiretal Wildhase

2007 Beaune 1er Cru "Les Teurons", Rossignol-Trapet, Burgund Rettich

1995 Château Magdelaine, St. Emilion Grand Cru Classé, Bordeaux Zwetschge

2013 Late Harvest "MAD", Szent Tamas, Ungarn

2001 Château La Tour Blanche, Sauternes Premier Cru Classé

Hinweis

Unser Besuch wurde vom Restaurant unterstützt. Details zum Umgang mit Pressekonditionen findet Ihr hier.

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