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Restaurantkritik 16.September 2017

Eine Französin in der Schweiz

Es ist immer wieder erstaunlich, wie sehr die drei großen Regionen der Schweiz sich unterscheiden. Deutschschweiz, Romandie und Svizzera Italiana sind wirklich Welten für sich. Als wir diesmal aus Zürich mit der (unglaublich pünktlichen und blitzsauberen) Schweizer Bahn an den Genfersee reisen, wird der Kontrast besonders deutlich: In Lausanne verlassen wir den Bahnhof und wähnen uns schon in Südfrankreich. Die Architektur, die Straßen, die Vegetation, das Klima, der Geruch, überhaupt die ganze Atmosphäre – mediterranes Flair in Reinform.

Dieser Eindruck setzt sich bei der Ankunft im Hotel Beau-Rivage Palace fort. Ein Grandhotel wie aus einem französischen Filmklassiker. Auf leicht nostalgische Weise mondän, aber nicht protzig; elegant, aber nicht verspannt; das Publikum schick, aber ganz klar im Urlaubsmodus. Von der ungekünstelten Freundlichkeit der Mitarbeiter über die geschmackvolle Gestaltung des gesamten Areals bis zum herrlichen Blick auf den See stimmt hier einfach alles. Fehlt nur, dass Hercule Poirot um die Ecke spaziert. Lediglich, dass man im Garten eine Flasche Rosé auf Zimmertemperatur serviert bekommt, dürfte nicht passieren. Trotzdem: Wir hatten im Vorfeld eine Menge Begeistertes über das Beau-Rivage gehört. Und es ist in der Tat ein besonderer Ort.

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Mit ausnehmend guter Laune gehen wir denn auch zu unserem Mittagstisch im Restaurant Anne-Sophie Pic. Der in dezentem Beige gehaltene Gastraum erstreckt sich als eine Art Streifen über die Seeseite des Hotels. Dadurch haben fast alle Tische einen Blick durch die Fensterfront ins Grüne. Am schönsten aber sitzt man vermutlich im Sommer auf der herrlichen Terrasse.

Seit 2009 betreibt Anne-Sophie Pic die Dependance im Beau-Rivage – welche prompt 2 Sterne erhielt. Natürlich steht sie nicht selbst in Lausanne am Herd, sondern kümmert sich um das Stammhaus in Valence. Ihr aktueller Stellvertreter in der Schweiz heißt Kevin Gatin; seit Februar 2015 leitet er die Küchengeschicke. Allerdings kommt Madame Pic regelmäßig aus dem relativ nahen Valence vorbei, um nach dem Rechten zu sehen – so sehen auch wir sie am Tag vor unserem Besuch zufällig bei einer Besprechung im Restaurant. Gerade so können wir es uns verkneifen, wie Schuljungs um ein Autogramm zu bitten...

Unser Menü startet mit einigen Kleinigkeiten: Rote Bete und Sellerie in einem Crumble aus Brot und schwarzen Oliven; eine Sphäre von geräuchertem Barsch auf einem Basmati-Chip; ein Gelee von grünem Spargel mit Tannensprossen. Die krossen Blätter sind sehr fein gearbeitet und haben einen angenehmen Geschmack zwischen Süße und Erdigkeit. Weniger überzeugend geraten leider die beiden Happen. Nicht geschmacklich, sondern aufgrund der Textur: Bei der Sphäre ist es die zu dicke Umhüllung, beim Gelee eine unangenehm grießige Beschaffenheit, die vom eigentlichen Aroma ablenkt und für ein unschönes Mundgefühl sorgt. Beides lässt sich sicher leicht beheben, aber bei uns ist es dafür natürlich zu spät.    

Zum Glück bringt das Amuse einen mehr als befriedigenden Ausgleich: Der marinierte grüne Spargel mit Bier-Eiscrème, Steinklee, Kamille und Gel von der Meyer-Zitrone ist schlichtweg großartig. Die feine Würze der Kamille bringt den Eigengeschmack des Spargels bestens zur Geltung, macht ihn zugleich aber auch komplexer. Die süßlichen Bitternoten vom Eis harmonieren perfekt mit der ebenfalls süßlichen Bitterkeit des Spargels. Dazu etwas Säure von der Zitrone – und fertig ist ein ebenso reduziertes wie begeisterndes Amuse.    

Und es geht genauso gut weiter, mit "Le Berlingot": Nudeltaschen gefüllt mit Käsefondue und lokalem Bier in leicht geräucherter Bouillon von grünem Spargel, aromatisiert mit Bärlauch und Estragon. Das sieht in seinem Monochrom-Grün nicht nur hübsch aus, sondern schmeckt auch fantastisch. Der Nudelteig von idealer Stärke umhüllt eine dickflüssige Füllung aus Fondue und Bier, die sich beim Zerkauen in den Mund ergießt – kraftvoll, würzig, köstlich. Die Bouillon mit ihrer leicht schärfenden Bärlauch- und Estragonwürze verleiht dem Ganzen Tiefe und hebt es über pures Pasta-Wohlgefühl hinaus. Das ist Soulfood auf 2-Sterne-Nivau.    

Weiter geht es mit gegrilltem Kaisergranat mit Beten, Himbeer-Berberitzen-Chutney, Chiloé-Pfeffer und Dashi von roten Früchten mit Lavendel und Liebstöckel. Auch hier fällt die nahezu monochrome Farbpalette auf – da müssen wir natürlich sofort an die andere große Küchenmeisterin Taja Grandits denken. Ob Pic und sie sich kennen? Wie dem auch sei, Madame Pic und Kevin Gatin gelingt hier eine schwieriger Balanceakt: Der feine Geschmack des Kaisergranats wird von den süßsauren und leicht scharfen Beigaben nicht übertüncht, sondern komplimentiert. Insbesondere die Moschusnoten der Himbeere passen bestens zum Eigengeschmack der knackigen Krustentiere. Die erdige Süße der dünnen Betenstreifen setzt schöne Akzente, während die Berberitzen und die Chiloé-Beeren das Ensemble säuerlich-fruchtig-scharf grundieren. Feinabstimmung ist hier alles. Ein komplexes Gericht, das den Esser fordert, aber trotzdem sehr eingängig bleibt.    

Auf den nächsten Gang sind wir sehr gespannt: Wolfsbarsch mit Osietra-Kaviar, "wie ihn mein Vater mochte", Jacques Pic 1971. Aber was sollen wir sagen – der Klassiker der Familie enttäuscht. Der aufgeschäumten Champagnersauce fehlt es an Sämigkeit, und auch geschmacklich bleibt sie flach; der Fisch ist leicht übergart. Der Kaviar bringt das Ganze mit seiner jodigen Frische einigermaßen über die Runden. Aber wir haben deutlich mehr erwartet. Schade.    

Besser gefällt uns der alternative Fischgang, bretonischer Steinbutt à la meunière mit gebutterten Erbsen, Bohnen und Erbsenfond mit Bergamotte und Korarima. Die prächtige Tranche wurde in Nussbutter gebraten, was dem Geschmack natürlich sehr zuträglich ist. Das Erbsen- und Bohnengemüse hätte etwas mehr eigene Würze vertragen, aber dafür gefällt die Sauce durch eine feinherbe Aromatisierung mit Bergamotte. Das ist als Ensemble vielleicht etwas sehr brav – dachte sich wohl auch Kevin Gatin, und streute Korarima, auch äthiopischer Kardamom genannt, darüber. Eine gute Idee, denn mit seiner exotischen Note gibt er dem Gericht den nötigen Pep.    

Nun gibt es Fleisch: Challans-Ente, in Rhabarber mariniert und geröstet, mit Batak-Pfeffer, Zitronenkaviar, Rübchen und Entenjus. Das ist geschmacklich alles sehr gut. Die Ente ist top gegart und hat eine wunderbar krosse Haut. Die Rübchen sind knackig, der Rhabarber nicht zu fest. Die Würze hat Spannung, die Sauce ist fein. Könnte ein toller Gang sein, aber – es ist alles nicht warm genug. Oder direkter gesagt: Vor allem das Fleisch ist nahezu kalt. Wir essen eine Scheibe, um den Geschmack und die Komposition an sich zu beurteilen, dann legen wir das Besteck nieder. Beim Abräumen merken wir das Problem kurz an.

Und siehe da: Die Küche reagiert vorbildlich! Denn als Ersatz steht plötzlich Rind aus dem Val d'Hérens vor uns. Es wurde mariniert und geräuchert, und mit Phu-Quoc-Pfeffer, Kakao-Nibs und Sake gewürzt; dazu junger Spargel, Lauch, Pfifferlinge und Rinderjus. Das ist alles schön warm und auch sonst sehr köstlich. Zartes, gut marmoriertes Fleisch, dazu ein seidenleicht mit Sake aromatisierter Jus – das macht Wonne. Die Gemüse sind knackig gegart und fein gewürzt. Der Phu-Quoc-Pfeffer changiert zwischen Tabak, pflanzlicher Frische und feiner Jodigkeit. Einmal mehr setzt Anne-Sophie Pic mit einem Gewürz einen Akzent und verschiebt den gesamten Eindruck einer an sich sehr klassischen Zusammenstellung ins dezent Exotische. Hervorragend.    

Etwas Käse vom üppig bestückten Wagen muss in der Schweiz natürlich immer sein...

Nun sind wir sehr gespannt auf die Desserts. Den Anfang macht ein Kokos-Panna-cotta mit Ingwer, Tonkabohne und Nikka-Whisky. Das ist ein famoses Törtchen, mit einer federleichten Panna cotta, deren perfekt dosierte Kokos-Süße von der Herbheit der Tonkabohne aufgefangen wird. Der Clou ist jedoch der dezent dosierte Whisky, der für eine enorme aromatische Tiefe sorgt. Es ist verblüffend, denn der Whisky wirkt in diesem Kontext, als sei er schon immer für Desserts gemacht. Wir wollen gar nicht mehr aufhören zu essen. Grandios. Schlichtweg grandios.    

Konventioneller wirkt da im Vergleich das zweite Dessert aus Gariguette-Erdbeeren und Sake: Variation von Erdbeeren, geeiste Sahne, mit Tannenspitzen aromatisiert, überreife Sudachi, Sake-Biskuit und knuspriges Gebäck. Durch den Sake und die Sudachi geht diese Kreation einerseits in eine deutlich japanische Richtung, wozu auch die bemerkenswert hohe Erdbeerqualität passt. Andererseits wirkt die Sahne auf Dauer sehr mächtig, was das Ganze dann wieder etwas altmodisch-französisch wirken lässt. Interessant ist, dass man ganz automatisch immer wieder andere Kombinationen auf den Löffel bekommt, wodurch auch die Aromatik sich immer wieder ein wenig verschiebt. Es schmeckt sehr gut. Aber eine halb so große Portion hätte es auch getan.    

Sehr gut auch die Petits Fours: Schokokugel mit Minzcrème-Füllung, Tarte von Rhabarber und Lapsong-Souchong-Tee, Zitronentarte (hinten) sowie Tartelette mit Anne-Sophie-Pic-Schokolade, Marshmallow aus Rum, Vanille und Zitrone (vorne). Insbesondere die Zitronentarte und das Schoko-Tartelette gefallen uns durch filigranes Handwerk und klare Aromen.

So geht ein genussreicher Mittag an einem zauberhaften Ort zu Ende. Was wir in Anne-Sophie Pics Restaurant im Beau-Rivage Palace erlebten, war eine Spitzenküche, die  souverän auf dem Grat zwischen Klassik und Kreativität wandelt: Spargel mit Bier-Eis, Kaisergranat mit Himbeere, Kokos mit Whisky – das sind Kombinationen, die sich beim Lesen nicht wirklich erschließen, aber beim Verkosten allerbesten Sinn ergeben.

 Aber auch da, wo es traditioneller wird, etwa bei den Nudeln mit Käsefüllung oder dem Rindfleisch mit Spargel und Pilzen, driftete die Küche nie in Langweile ab. Dank eines makellosen Handwerks schmeckte es einfach verdammt gut. Allein beim Fisch schien uns die Küche etwas zu schwächeln, sei es der im Vergleich etwas langweilige Steinbutt mit Erbsen oder der Hausklassiker "Wolfsbarsch mit Kaviar". Aber angesichts der Gesamtleistung lässt sich das durchaus verschmerzen. 

Interessant waren die bereits erwähnten Parallelen zu Tanja Grandits' Stilistik. Das betrifft sowohl die Vorliebe für Farbharmonien als auch den subtilen Einsatz exotischer Würzmittel (von der sehr zierlichen Erscheinung beider Frauen ganz zu schweigen). Bei Pic, wie auch bei Grandits, wirken selbst typische "Männergerichte" wie Rind mit Pilzen erstaunlich feingliedrig und leicht. Wenn es  so etwas wie einen "femininen Stil" in der Spitzenküche gibt, dann findet man ihn außer in Valence und Basel auf jeden Fall auch in Lausanne. Der besondere Clou ist hier, dass man nach dem Dîner auch noch traumhaft nächtigen kann ...

Fazit

Tolle Küche im traumhaften Grandhotel: Auch in ihrer "Zweigstelle" am Genfersee zeigt Anne-Sophie Pic warum sie zu den angesehensten Köchinnen der Welt zählt.

Fressfreunde

The Importrant Stuff

"In Lausanne genoss ich eines der sinnlichsten Menüs meines Lebens. Die klassisch geprägte Küche von Madame Pic besticht durch eine wunderbare Leichtigkeit, fantastische Balance und eine Optik, die ihresgleichen sucht. Und dieser Käsewagen! Ganz klar ein Restaurant, das man besucht haben muss."

Das Filet

"Ist schon eine Weile her und war unter dem vorherigen Küchenchef: filigran, nahe am Produkt und sehr ästhetisch."

Gourmör

"Der letzte Besuch liegt schon drei Jahre zurück. Das Essen ist aber noch immer sehr präsent, da es eines der besten Menüs war die wir je genossen haben. Fast jeder Gang war grandios. In unseren Augen eindeutige 3-Sterne."

Hinweis

Unser Besuch wurde vom Restaurant unterstützt. Details zum Umgang mit Pressekonditionen findet Ihr hier.

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