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Restaurantkritik  1.August 2016

Pariser Kronprinz

In Frankreich gibt es sie noch, die Küchendynastien, bei denen das gastronomische Reich seit mindestens zwei Generationen fest in Familienhand ist. Man denke an Vater und Sohn Bras, an die Troisgros', die Pics oder die Haeberlins, um nur die dreifach besternten Beispiele zu nennen. Dies hängt natürlich auch damit zusammen, dass in Frankreich noch sehr viele Gourmetrestaurants tatsächlich in Familienhand sind und nicht auf das Mäzenatentum einer Hotelkette angewiesen. Diese Tradition sorgt für ein anderes Flair, die Häuser haben Persönlichkeit.Sie atmen Geschichte.

Bei der Familie Pacaud in Paris läuft es gleichwohl ein bisschen anders. Das von Vater Bernard gegründete L'Ambroisie gehört zu den legendärsten Häusern in ganz Frankreich. Vor einigen Jahren begann sein Sohn Mathieu, sich in der Küche einzubringen. Doch anstelle des allseits erwarteten fließenden Übergangs vom Vater zum Sohn geschah etwas anderes: Mathieu Pacaud gründete in Paris sein eigenes Restaurant – oder besser gesagt, ein kleines gastronomisches Wunderland. Ende 2014 eröffnete der damals 33-Jährige in der noblen Avenue Kléber das Hexagone, einen aus drei Bereichen bestehenden Gastrokomplex. Er umfasst ein 70 Plätze zählendes Hauptrestaurant (das namensgebende Hexagone), eine Cocktailbar und seit Spätsommer 2015 ein kleines Gourmetrestaurant namens Histoires, das im Michelin 2016 auf Anhieb zwei Sterne bekam. 

Unser erster Besuch führte uns allerdings ins Hauptrestaurant Hexagone, welches immerhin einen Stern hat. Für die Gestaltung sämtlicher Räume zeichnen die exzentrischen Innenarchitekten Gilles & Boissier verantwortlich. Die Formensprache ist sehr klar und wirkt auch wegen der quadratischen Tischreihen eher streng.Es gibt viel grau, schwarz und weiß, dazwischen ein paar grellrote und grellgelbe Farbtupfer sowie Glas- und Spiegelflächen. An den Wänden schlängeln sich surreale Schwarzweiß-Zeichnungen durch den Raum. Man merkt schon hier, dass der junge Pacaud sich bei aller Eleganz vom herrschaftlich-gediegenen Ambiente des väterlichen Betriebs abgrenzen will. "Viele der alten Dreisterner sind zu teuer und zu steif. Für eine jüngere Generation ist das nicht mehr attraktiv. Ich wollte einen Ort schaffen, den auch meine Freunde gerne besuchen", erklärte Mathieu Pacaud in einem Interview. Nun ja, wir kennen den Geschmack seiner Freunde zwar nicht, aber auf uns wirkte das Hexagone zwar modern-mondän, aber auch etwas kühl und unpersönlich.

Der Name des Restaurants leitet sich übrigens nicht von der Geometriestunde ab, sondern von den sechs Landesgrenzen Frankreichs, den groben Umrissen des Landes sowie einer historischen, etwas eigenwilligen Unterteilung in sechs Regionen. Pacauds kulinarische Idee dahinter: klassische Gerichte aus allen Gegenden seiner Heimat in modernisierter Version zu servieren.

Mittags bietet das Hexagone neben der üblichen Karte auch ein dreigängiges Lunchmenü. Bei unserem Mittagsbesuch bestand das Publikum im voll besetzten Lokal denn auch ausschließlich aus Businessmännern in dunklen Anzügen (dazwischen exakt eine Frau). Von der eher geschäftlichen Stimmung wollten wir uns gleichwohl nicht stören lassen und bestellten das 6-Gang-Menü, das sich aus Gerichten der À-la-Carte-Auswahl zusammensetzt, verkürzten es aber um den Käsegang.

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Das erste Amuse besteht aus einem Pilzsüppchen mit sautierten Pilzen. Die Suppe ist angenehm intensiv und nicht zu sahnig, die winzigen Pilze haben schönen Biss. Sehr gut.

Es folgt eine Amuse-Trilogie, bestehend aus einem Knusperillo mit Gänselebermousse, Gänseleberterrine mit Sellerie und Birne sowie einem Crème-fraîche-Tartelette mit Lachs und Sahnemeerretich. Auch diese drei Kleinigkeiten gefallen durch einen sauberen Eigengeschmack der Hauptzutaten, die die durch eine sanfte Würze lediglich unterstützt werden. Zugleich wirken sie mit ihren äußerst klassischen Geschmacksbildern aber auch etwas unoriginell und, nun ja, langweilig. 

Danach startet das Menü mit Flusskrebsen, Sternanisgelee, Blumenkohlmousse, aufgeschlagener Crème fraîche, grüner Mango und Passionsfruchtvinagrette – und was für ein Start das ist! Die süßliche Nussigkeit der Krebse wird vom Anis und der Passionsfrucht – beides perfekt dezent dosiert – wundervoll aufgefrischt und verstärkt. Die grüne Mango bringt herbe Aromen ein, der Blumenkohl wirkt mit seinen süßlich-stumpfen Noten wie ein Gegenpol. Das i-Tüpfelchen ist aber die Crème fraîche mit ihrem geschmacksverstärkenden Fettgehalt und ihrer neutralisierenden Frische. Einziger Kritikpunkt: Das Ganze ist einen Tick zu (Kühlschrank?)kalt.

Davon abgesehen gilt: Es passiert eine Menge auf diesem Teller, aber es wirkt nicht wie ein wahlloses Sammelsurium, sondern bestens durchdacht. Große Klasse.

Ebenfalls sehr gut der zweite Gang: pochiertes Ei mit Spargel, Erbsen, Zitronenmelisse, Sabayon und Golden Caviar. Hier haben wir es mit der Variation eines Klassikers aus dem L'Ambroisie zu tun. Der größte Unterschied besteht in der Kaviarmenge, die bei Pacaud senior in etwa die Dimension des Eis hat. Wir können uns gut vorstellen, dass dies über den Luxus hinaus eine enorme aromatische Wirkung beisteuert. 

Aber auch die abgespeckte Hexagone-Version schmeckt hervorragend. Die Kombination von Ei, Spargel undErbsen ist absolut klassisch. Hier wird sie durch den üppigen Coulis aus Spargel und Erbsen verfeinert und durch Beigabe von etwas Melissenpüree und Sabayon (als Alternative zur Hollandaise) veredelt. Nur das Ei wurde ein klein wenig zu lange gegart. Es dürfte für unseren Geschmack noch weicher bzw. innen flüssiger sein, damit sich die Aromen noch besser vermengen. Aber auch so funktioniert das Ganze als ein unkompliziert-süffiger Wohlfühlgang par excellence.

Weniger überzeugend geraten dafür leider die St. Jacques mit Nusskruste, Friséesalat, Zitrusvinaigrette, Kressepüree und Geflügelglace. Dieser Gang schmeckt genau so, wie er aussieht: uninspiriert und bieder. Natürlich, die Muscheln sind von sehr guter Qualität. Aber die dicke Geflügelglacé am Tellerboden ist intensiv, ohne geschmacklich Tiefe zu haben. Zugleich kommen weder die Zitrusnoten der Vinaigrette noch die Bitterstoffe von Püree und Salat zur Geltung. Die Nusskruste macht das Ganze auf Dauer schwer und plump. Da werden drei Muscheln zu einer echten Herausforderung, zumal in einem Menü. Die Allergiker-Variante kommt übrigens ganz ohne Kruste und ist einfach fad. 

Kompositorisch geht die Küche bei diesem Gericht auf die einfachste Nummer sicher, vermutlich für eine bessere Breitenwirkung. Das Ergebnis ist ein gutes Brasserie-Gericht, aber nichts für ein Haus mit Pacauds Ambitionen.

Ähnlich wirkt auf uns der Hauptgang. Am Filet Rossini mit Conchiglioni, Jus Gras und poelierter Foie gras gibt es rein handwerklich kaum etwas auszusetzen. Das Fleisch ist zart und aromatisch, der Jus kräftig, die Leber von sehr guter Qualität. Allein, es fehlt der Pep, der aus Handwerk ein Kunstwerk für den kulinarischen Augenblick macht. Die in Jus glasierten (und etwas arg al dente geratenen) Nudeln können es nicht sein. 

Wie schon die Jakobsmuscheln passt auch dieser Teller bestens zu einem maskulinen Geschäftsessen: Er "macht was her", erfordert aber nicht viel Aufmerksamkeit; alles schmeckt gut, bleibt aber in jeder Hinsicht mehrheitsfähig. Großes kulinarisches Kino ist es nicht.

Als Pré-Dessert gibt es ein Birnsensorbet auf Blumenkohlschaum. Das klingt schräg, schmeckt aber großartig. Ein klassisches Sorbet wird hier mit einem Gemüse kombiniert, dessen natürliche Süße wunderbar herausgearbeitet ist. Endlich mal eine originelle Idee! Das macht Lust auf das Hauptdessert...

…welches das Versprechen der Einstimmung leider nicht halten kann. Die Walderdbeeren mit Vanillesahne, Meringue und Erdbeersauce gehören zum langweiligsten, was wir seit langem als Süßspeise serviert bekamen. Nicht nur das. Die bierdeckelgroßen Meringue-"Ufos" sind trocken, zu süß und viel zu viele für die paar Erdbeeren. Eine einzige Scheibe hätte vollkommen ausgereicht. Wir schieben die Teile beiseite, so gut es auf dem schmalen Schiffchenteller denn geht, und verspeisen nur die Erdbeeren mit Sahne. So hatten wir uns das nicht vorgestellt.

Als wir fast fertig sind, bekommen wir plötzlich noch ein zweites, kleineres Dessert serviert: Marigny-Ganache Bayano Brésil, Haselnusskrokant, Buchweizen und Honigeis. Wir wissen nicht, ob dies immer so ist oder ob dem Service unser Missfallen über die Meringue-Invasion auffiel – oder ob das Servieren eines Haselnuss-Desserts trotz Allergie-Info womöglich ganz andere Gründe hat...

Jedenfalls gefällt diese Kreation uns weitaus besser, wenngleich sie zu diesem Zeitpunkt sehr mächtig daherkommt. Selbst das allergiebedingte Sezieren des aufwändig angerichteten Schokowerks trübt die Freude kaum. Vor allem die Verbindung aus zarter Ganache, herbem Buchweizenknusper und Honigeis schmeckt köstlich. Das ist zwar kein Geniestreich, aber immerhin hochsolides Pâtisserie-Handwerk.

Das Essen im Hexagone lässt uns ratlos und irritiert zurück. Da schickt sich der Sohn eines der berühmtesten Köche Frankreichs an, sein eigenes kulinarisches Reich aufzubauen – und kocht biederer, als sein Vater es je könnte. Von unseren sechs Gerichten könnten genau zwei begeistern: die Flusskrebse und das Ei mit Spargel. Beide kratzten durchaus anZwei-Sterne-Niveau. Alles andere war "gut" (außer dem Dessert), aber ohne jeden Esprit.

Wir können uns diesen konturlosen Küchenstil nur mit der oben erwähnten Rücksicht auf die wichtige Geschäftsklientel erklären. Bloß niemanden verschrecken. Hinzu kommt, dass Mathieu Pacaud offenbar daran arbeitet, das Hexagone zu einer weltweiten Kette im Stil von Robuchons Ateliers auszubauen. Eröffnungen in London und Macao sind bereits geplant. Da müssen die Menüs natürlich reproduzierbar bleiben. Dieses Vorhaben erklärt auch die um "corporate identity" bemühte Gestaltung des Interieurs. (Immerhin das Mittagsmenü zu recht günstigen 59 Euro wirkt zugegebenermaßen wie eine gute Option)

Problematisch auch der Service. Wie Eingangs beschrieben, saßen um uns herum ausschließlich Anzugträger zum 3-Gang-Mittagstisch. Als Folge waren wir noch vor dem Hauptgang als einzige Gäste übrig. Unser Kellner ließ uns gegen Ende dann auch deutlich spüren, dass wir ihm seine Zeit stehlen (wobei er schon vorher mehr durch Überheblichkeit als durch Charme aufgefallen war). Für ein Lokal dieser Kategorie ein Unding, zumal, wenn auch mittags große Menüs angeboten werden. Positive Erwähnung verdient hingegen der Sommelier Benjamin Roffet. Ein hochsympathischer, entspannter Profi, der uns eine sehr schöne und stimmige Begleitung zusammenstellte, welche sich bisweilen über dem Level des Essens bewegte.

Mag sein, dass man das zweifach besternte Histoires besuchen muss, um Mathieu Pacauds Küchenkunst vollumfänglich zu erleben. Ob wir nach diesem Mittag darauf noch Lust haben, ist eine andere Frage.

Fazit

Das Essen in Mathieu Pacauds Hexagone ist sicher nicht schlecht, aber es fehlt an Persönlichkeit und Pfiff. Und angesichts der vielfältigen Pariser Konkurrenz muss man schon mehr bieten, als nur solides Handwerk. 

Wein

Weine im Restaurant Hexagone in Paris

Champagne Rosé Brut "Première Cuvée", Bruno Paillard

2014 Vermentino Blanc de Rolle, Chateau des Sarrins, Var

2013 Riesling Grand Cru, Domaine Albert Boxler, Elsass

2010 Chardonnay Chassagne-Vergers 1er Cru, Domaine Fontaine-Gagnard, Burgund

2011 Pinot Noir, Fixin 1er Cru Clos du Chapitre, Méo-Camuzet, Burgund

Banyuls Hors d'age, Coume del Mas

Hinweis

Unser Besuch wurde vom Restaurant unterstützt. Details zum Umgang mit Pressekonditionen findet Ihr hier.

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