Restaurantkritik 12.Januar 2015

150 Jahre nah am Gast

Egal, ob ein junges Pärchen aus dem Bus der Wupsi (ÖPNV) an der „hauseigenen“ Haltestelle aussteigt, der Spaziergänger mit Fifi am Samstagmittag auf einen Eintopf vorbeischaut oder die leicht in die Jahre gekommenen Stammgäste mit dem Ferrari aus der Landeshauptstadt anreisen – das Haus Stemberg bleibt auch nach dem ersten Jahr mit Macaron ein kulinarischer Magnet im Bergischen Land für unterschiedlichstes Publikum von nah und fern.

Als Wiederholungstäter geht es uns mit der rustikalen Gemütlichkeit der Gaststube wie beim letzten Mal: Den Alltag und den obligatorischen Staustress im rheinischen Ballungsraum geben wir mit der Garderobe ab. Auch mit Stern muss hier niemand Schwellenangst haben; es geht nicht gekünstelt piekfein, sondern authentisch gediegen zu. Bei allem Anspruch verleugnen weder Familie Stemberg noch das Ambiente die 150-jährige Historie als Gasthaus. Der Besucher darf weiterhin sein Bier bestellen oder auch nur ein Hauptgericht verzehren, ohne mit hochgezogener Augenbraue gemustert zu werden. Auf den ersten Blick brachte der verdiente Stern keine negativen Änderungen: Die fünfte Generation widersteht dem gefürchteten Dreh an der Preisschraube, und auch beim Gasthaus-Konzept der Speisekarte herrscht Kontinuität und Ausgewogenheit. Bleibt die Frage: Was macht Sascha Stemberg daraus in der Küche? Geht es verkopfter oder überambitioniert zu? Wir sind gespannt...

Dass Familie Stemberg Feste zu feiern weiß, ist uns seit dem großen Aufmarsch zum Jubiläum endgültig bewusst. So ist auch der mit "Oktoberfest" betitelte Apero aus Stemmi's Mettwurststulle mit süßem Senf, Schinken vom Livar-Klosterschwein, Altbierradieschen mit Meersalz, Smörrebröd mit Dill, Limone & Ostseeaal mild geräuchert und gepickelte Dillgurke mit eingelegtem Senf sehr gelungen und stimmig. Eine Demonstration eines mit Fingerspitzengefühl bereiteten Vespertellers.

Die Sauerkrautcrème mit Riesling, Kernöl und Blutwurstcrouton schlägt als Amuse-Gueule in die gleiche, diesmal warme Kerbe: fein abgestimmte Rustikalität mit einem mild-säuerlichen Süppchen und einer Blutwurst bester Qualität, die Sascha Stemberg nach uraltem Familienrezept beim lokalen Metzger herstellen lässt. Eine gelungene Balance – bei aller Deftigkeit und Süffigkeit bleiben die einzelnen Zutaten jederzeit schmeckbar.

Der zweite Gruß aus der Küche, in Nussbutter gegarte Fjordforelle mit Avocado und Desietra-Kaviar, wird von getrockneter Jakobsmuschel in der Art eines „Krabbenchips“ begleitet. Die feine Textur des Fisches aus norwegischer Aquakultur kommt durch die umsichtige Garung, nur wenig Avocadocrème und dezent eingesetzten Kaviar recht pur zur Geltung, wobei der Chip mit seiner intensiv-fischigen Note für ein knuspriges Mundgefühl sorgt. Stimmig

Der bescheiden mit Ente beschriebene Einstieg ins Menü kombiniert mild geräucherten Entenschinken sowie eine Leberterrine mit grünem Apfel, Staudensellerie, Haselnuss und Buttermilch. Das Geschmacksbild ist eher fein denn rustikal und überzeugt durch Natürlichkeit, was zum einen am zarten Schinken liegt, der die richtige Dosis Räuchernoten einbringt, damit sich das Ausgangsprodukt noch identifizieren lässt. Und die Terrine wirkt eher herb-leberig als süß-crèmig. Zum anderen ist da die Variation des säuerlichen Apfels als Textur, Tatar und Gelee, die zwar in eine fruchtige, aber nicht süßliche Richtung geht, und die nussige Tiefe, die von Haselnüssen als Crème und in gemahlener Form stammt. Zwischendurch genießen wir einen Schluck vom Apfel-Sellerie-Shot, der mit den grünen Noten überaus erfrischend wirkt.

Frische und dezente Räucheraromen spielen auch bei der mild geräucherten Berchtesgadener Forelle mit Forellenkaviar, Rettich und Kräutersalat eine Rolle. Zum Besonderen macht diesen Gang aber der angegossene Gurkensud, der neben dem schön herausgearbeiteten Gurkenaroma das genau richtige Säurespiel und somit Spannung einbringt. Ein sehr natürlicher und gelungener Gang.

Die Zwiebelsuppe hat so gar nichts Derbes oder Penetrantes an sich, sondern zeigt durch diverse Variationen der Zwiebel – als Sud, geschmort, gepickelt, getrocknet und als Marmelade – eindrucksvoll, was ein guter Koch aus dem Lauchgewächs herausholen kann. Das süß-würzige Ergebnis erfährt durch ein Püree vom Knollensellerie, Stücken von Rauchaal und Bröseln von Gewürzbrot tiefere Unterstützung und Spannung.

Mit der auf Holzkohle gegrillten Makrele aus Norwegen macht das Küchenteam die rurale Umgebung des Bergischen Landes durch Hinzufügen eines Fenchelpürees und eines kräftigen Bouillabaisse-Suds vergessen. Das hat, wie man es im angrenzenden Rheinland ausdrücken würde, ordentlich „Schmackes“. Zusammen mit dem fettreichen Fisch ergibt sich hier ein recht üppiges, aromatisch dichtes Gericht, bei dem Stücke von der Zwergorange wohltuend bitter und fruchtig gegensteuern. Geschmacklich gefällt uns das gut, insgesamt überfordert uns dieser Gang aber sensorisch.

Wesentlich feiner und differenzierter ist danach der Bretonische Glattbutt, der von außerordentlicher Qualität ist. Zwar wird es auch hier kräftig, da der Saum auf einer Sauce Rouille platziert ist, die ihre rauchige Note von frischem, auf dem Green Egg gegrillten Knoblauch bezieht. Diese Würze lässt sich allerdings gut mit dem Filet kombinieren, das von fein-säuerlichem Escabeche-Gemüse und Fregola flankiert wird. Herrlich süffig rundet Stemberg das Gericht mit einer Parmesan-Beurre-Blanc ab. Schön auch, dass die Küche uns eines der besten Teile des Fisches nicht vorenthält und auf einem elaborierten, ausgezeichneten Bouillabaisse-Cracker das Bäckchen serviert.

Ist es an der Zeit, die Geschmacksnerven zu kühlen? Mitnichten, denn beim Sorbet vom Hokkaido-Kürbis steuert der eingesetzte Kashmir-Curry deutliche Schärfe bei, die aber mit der latenten Süße des Kürbis und der Säure von Ponzu gut funktioniert. Kein Höhepunkt, aber jetzt sind die Atemwege endlich mal so richtig frei, so dass wir uns auf die Fleischgänge konzentrieren können.

Gut so, denn mit Stembergs Rinderroulade auf Kartoffel-Rübstiel-Stampf erreicht uns die Interpretation eines der beliebtesten Gerichte der Deutschen – ein Highlight der Schmorkunst, wie es in dieser hervorragenden Ausführung selten serviert wird. Geschmacklich erinnert es an Mittagessen bei Oma, ist aber deutlich mürber, dennoch sehr saftig, wesentlich entschlackter und dadurch leichter. Das Stück hausgemachter Blutwurst bräuchte es an dieser Stelle gar nicht, dennoch schwelgen wir bei dieser Regionalität in Reinform im Glück.

Unser seliges Lächeln bleibt auch bei Dreimal Kalb aus Oldenburg erhalten. Das köstliche, zarte Stück von der Schaufel wurde langsam gegart und dann knusprig angebraten und wird von einem leicht säuerlich abgeschmeckten Bries-Dim Sum und einem Markkrapfen begleitet, der mit seiner Crèmigkeit dem Fleischgeschmack Länge hinzufügt. Eine gewisse Erdung erhält dieser Gang durch eine Champignoncrème, wobei das intensive Geschmacksbild von verschiedenen, im eigenen Saft gegarten Rübchen, der Säure von Holunderbeeren und den Säurespitzen von Sauerklee wieder nivelliert wird.

Bereits bei unserem Besuch 2013 stellten wir fest, dass hier niemand Angst haben muss, nicht satt zu werden. Dennoch: Egal, wie ausgeprägt unser Sättigungsgrad zum jetzigen Zeitpunkt auch ist, zu den köstlichen Kleinigkeiten als Pre-Dessert können wir keinesfalls Nein sagen. Zweimal Aprikose: als Mäusespeck und hervorragende geeiste Praline, karamellisierter Yuzu-Cheesecake und die großartige Dekonstruktion eines Pflaumenkuchens mit der Hauptzutat aus dem Stemberg'schen Garten, lauwarm mit Mandelsand, Ziegenquarkeis und Zwetschgenwasser, sind halt eine Sünde wert.

Bananarama ist nicht nur eine britische Girlgroup aus den 80er-Jahren, sondern auch der Titel des süßen Menüabschlusses. Die aufwändig hergestellte Schokoladenschnitte mit 70%iger Guanaja-Schokolade bringt bei aller Opulenz genügend Säure mit. Eine weitere geschmackliche Auflockerung steuert ein sehr gutes Bananeneis, die leicht exotischen Fruchtnoten von Maracuja und die grün-herbe Aromatik von Blattpetersilie bei. Ein gelungenes Schokoladen-Dessert, das fast wie ein Ohrwurm wirkt...

Auch die guten Petits Fours lassen wir in unserer Verfressenheit nicht an uns vorüberziehen. Zu verlockend sind Mandelkuchen, Florentiner mit Tonkabohne, Pâte de fruits mit Waldbeere und Choco-Crossie.

Glücklich und gesättigt stellen wir nach dem Menü erleichtert fest, dass im Hause Stemberg alles beim Alten geblieben ist! Allerdings nur fast, denn wir bemerken, dass Sascha Stemberg mit dem Stern im Rücken zu einer deutlicheren Balance und Ausgeglichenheit seiner Küche gefunden hat, wodurch auch die Finesse leicht gestiegen ist. So bleibt es beim Besten aus zwei Welten, ohne dass das Regionale vernachlässigt oder der Gourmet-Anspruch forciert wirkt. 

An der einen oder anderen Stelle wünschten wir uns noch mehr Wagnis – wohl wissend, dass mancher Stammgast die üblichen Verdächtigen wie Jakobsmuschel und Co. in jedem Menü erwartet. Dennoch sehen wir gerade im Degustations-Menü noch mehr Freiraum für die Regionalküche und die Interpretation von Klassikern. Sven Elverfeld hat in frühen Tagen und auf höchstem Niveau vorgemacht, wie das gelingen kann.

Was für Ambiente und Küche gilt, setzt sich auch beim Service fort. Rustikal-herzlich geht vor förmlich-bemüht. Bei aller Lockerheit bleibt es aber stets korrekt, aber nicht streng choreographiert. Auch die Weinkarte ist durchaus eine Abweichung vom Kanon vieler anderer Angebote und listet statt der großen Namen lieber eine Auswahl persönlich selektierter Weingüter oder gleich Stemberg-Abfüllungen auf.

Natürlich kann im Haus Stemberg nicht nur auf regionale Produkte gesetzt werden, jedoch kauft Küchenchef Sascha Stemberg weiterhin bei guten Produzenten wie dem erwähnten Metzger vor Ort, einem lokalen Bäcker, bezieht Käse von den Windrather Höfen und nicht zuletzt das griechische Olivenöl der Solinger Familie Jordan.

FAZIT

Begeisternde Stagnation – im Hause Stemberg hat sich seit dem Stern wenig verändert und das auf hohem Niveau. Für uns eines der besten Gasthäuser Deutschlands.

Umfrage

Fühlt Ihr Euch in familiengeführten Restaurants wohler?

 

WEINE

Champagner Lanson Black Label Brut

2012 Würzer, Weingut Poss, Nahe

2013 Sauvignon Blanc, Weingut Peth-Wetz, Rheinhessen

2012 Chardonnay unfiltered, Weingut Peth-Wetz, Rheinhessen,

2011 Rioja Vega Crianza, Rioja

2012 Cabernet Souvignon, Bouchard Aine & Fils Jahrgang, Languedoc

1994 Guntersblumer Eiserne Hand, Gewürztraminer Auslese, Weingut Rappenhof, Rheinhessen

Fragen an den Suffmeister (a.k.a. Sommelier) Walter Stemberg

Anzahl der Positionen
200

Haben Sie einen besonderen Fokus bezüglich der Weinkarte?
Deutsche Winzer haben, und das besonders auch in den letzten Jahren, sehr viel an der Qualität getan. Mir macht es Spaß, besonders bei Gästen aus dem Ausland, deutsche Weine zu empfehlen.

Welche ist Ihre preiswerteste/teuerste Flasche?
Preiswerteste Flasche: 2012er Weißer Burgunder, Weingut Poss, Nahe für 24,50€. Teuerste Flasche: 1979er Mouton Rotschild für 385€.

Die ungewöhnlichste Rarität?
1961er Chateau Palmer

Welches ist Ihr meistverkaufter Wein der letzten 12 Monate?
Der Weißburgunder und Grauburgunder Selektion Stemberg

Ihre Entdeckung der letzten 12 Monate?
2012er Sauvignon vom Weingut Peth-Wetz, Rheinhessen - habe gerade vom Weingut den gesamten Restbestand gekauft.

Ihr Lieblingswein? Weshalb?
2009er Walporzheimer Pfaffenberg Frühburgunder, Hommage Sanct Peter vom Weingut Brogsitter. Diesen Burgunder trinke ich gerne, an schönen Sommertagen zum Grillen auch etwas kühler. Als kräftiger Roter ist einer meiner Lieblingsweine der 2006er Rosso del Conte von der Tasca D'Almerita in Sizilien.

Der ausgefallenste (vinophile) Gästewunsch, mit dem Sie konfrontiert wurden?
Ein Stammgast trinkt den Weißwein aus unseren größten Rotweingläsern und will auch bei 3-5 verschiedenen weiteren Weißweinen immer das gleiche Glas behalten, auch wenn er dann noch zu Rotwein wechselt.

Hinweis

Unser Besuch wurde vom Restaurant unterstützt. Details zum Umgang mit Pressekonditionen findet Ihr hier.

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