24 Stunden mit Pâtissier Christian Hümbs
Diesen Herren müssen wir nicht mehr groß vorstellen. Zumindest regelmäßige Leser dürften den Namen Christian Hümbs schon häufiger vernommen haben. Wie kein anderer deutscher Pâtissier seiner Generation hat er die allgemeine Vorstellungen davon, was ein Dessert sein kann, komplett umgekrempelt. Zweimal war er zudem unser "Desserteur des Jahres". Auf vielfachen Wunsch von Euch haben wir den umtriebigen 35-Jährigen einen Tag lang durch Hamburg und im Haerlin begleitet. In diesen 24 Stunden verriet er uns, wie er den Spagat zwischen Restaurant, TV und ständigem Innovationsdrang meisterte. Vergangenheitsform deshalb, weil er am 28. April 2017 seinen letzten Arbeitstag in der Zwei-Sterne-Küche hat. Hier unsere Eindrücke des Tages...
Was ist die Droge Deiner Wahl, um morgens wach zu werden?
Kaffee, in rauen Mengen. Ich trinke bestimmt ein bis zwei Liter am Tag. Ich hole mir morgens sogar bei einer Rösterei Bohnen, weil die Qualität natürlich wichtig ist. Wobei ich sagen muss, dass ich auch ein Fan von Starbucks bin, da ich den Kaffee recht zufriedenstellend finde. Aber klar, so gut wie beim Röster ist das bei weitem nicht.
Wann stehst Du denn morgens auf?
So gegen acht. Ich mache nebenbei ja auch noch andere Jobs, die muss ich vor und nach der Arbeit im Haerlin erledigen.
Und wann schlägst Du hier in der Küche auf?
Gegen halb eins, dann bau ich auf und fange an.
Fängt die Pâtisserie gleichzeitig mit der Küche an?
Ja, das ist für das Arbeitsklima und das Teamgefühl sehr wichtig. Durch das Arbeitsschutzgesetz können wir nicht mehr alle zur gleichen Zeit Feierabend machen, was ein bisschen schade ist. Es ist aber eben wichtig, dass das eingehalten wird.
Also arbeitet Ihr quasi versetzt?
Ja, da man um 13 Uhr wirklich anfangen muss, um alles gebacken zu bekommen. Aber wenn jemand schon um 22 Uhr mit seinem Posten und dem Aufräumen fertig ist, dann wird er halt mal „heimgeschickt“.
Wäre es für Euch überhaupt möglich, auch einen Lunch-Service zu machen?
Nein, absolut nicht, da bräuchte man etwa die doppelte Besetzung.
Welche Stationen hast Du vor dem Haerlin besucht?
In der Sterneküche war ich als erstes fast zweieinhalb Jahre lang bei Johann Lafer, dann zwei Jahre im Louis C. Jacob, ein Jahr bei Sven Elverfeld, danach dreieinhalb Jahre auf Sylt mit Sebastian Zier, und jetzt schon zwei Jahre im Haerlin.
Und wo wurdest Du am stärksten geprägt?
Tja, vermutlich schon bei Sven Elverfeld. Das war wichtig, um meinen Horizont zu erweitern und mal mitzubekommen, was auf globaler Ebene auf dem Teller passiert. Die Jungs wussten einfach, was weltweit abläuft, und vor allem dadurch bin ich heute auch so, wie ich bin.
Und welche Rolle kommt Sven Elverfeld dabei zu?
Er hat im Endeffekt dieses Team zusammengehalten, durch seine Art hat er die Charaktere, die ja schon damals sehr stark gewesen sind, vereint und auch unsere Motivation aufrechterhalten. Und man muss auch sagen, er hat eine absolute Gabe fürs Anrichten. Das ist der Wahnsinn – und das hatte ich so vorher noch nie gesehen.
Langweilt sich die Pâtisserie eigentlich nicht die ersten Stunden im Service?
Hier im Haerlin helfen wir aber schon am Anfang mit. Wir produzieren – backen, bereiten vor und so weiter – bis wir so gegen 17 Uhr Pause machen. Wenn wir dann wieder da sind, stehe ich meistens mit unserem Souchef Tobias Günther ab 18:30 Uhr am Pass und richte die Amuses und Apéros an. Meine beiden Jungs helfen hinten in der Küche mit.
Wann geht es für Euch in der Pâtisserie dann richtig los?
Eigentlich zwischen acht und halb neun. Das ist natürlich auch ein bisschen vom Publikum abhängig. Im Urlaub etwa gehen die Leute eher später essen. Hier kommen die Gäste eigentlich schon früher und gehen dadurch auch früher. Richtig stressig ist es zum Serviceanfang zwischen 18:30 und 20:30. Und wenn in der Pâtisserie alles zeitgleich kommt. Dann haben wir drei Baustellen: zwei Desserts und die Petits Fours, da sind wir schon gut am Rotieren und müssen uns teils noch einen aus der Küche dazu holen.
Die Produkte bei Euch in der Pâtisserie sind saisonal so abhängig wie im Rest der Küche. Aber was sind Deine Lieblingsprodukte?
Die Himbeere ist schon meine absolute Lieblingsfrucht.
Ist Dir dann auch egal, woher sie kommt?
Ja, mir ist die Qualität wichtig, alles andere ist egal. Ich habe in den letzten Jahren eng mit Bernd Sautter-Gädeke von Gut Knutenlund zusammengearbeitet, der sich ein regionales Netz von Bauern aufgebaut hat, die sehr krasse und seltene Produkte haben. Wir reden hier nicht nur von der Lieferung irgendwelcher Urkarotten, sondern auch davon, dass er mit mir ins Alte Land gefahren ist und mir Bauernhöfe gezeigt hat, die unfassbar gute Tomaten anbauen. Das war ein total abgefahrenes Erlebnis für mich.
Für einen Pâtissier bist Du schon naturverbunden, oder? Wir denken da nur an Deinen "Wald".
Absolut. Meine Art von Pâtisserie basiert sehr stark auf der Natur, und ich ziehe viele meiner Inspirationen daraus. Um auf die Tomaten zurückzukommen: Die Sugarray, die ist zuckersüß, die muss ich als Pâtissier nur aufschneiden, dann kommt Olivenöl und eine Flocke Vanilleeis dazu – das ist perfekt. Jetzt haben wir vorgearbeitet, und die Produkte werden dieses Jahr für mich angebaut. Da freue ich mich enorm drauf!
Stichwort Tomaten-Dessert – da fällt uns dein "BBQ, Asche und Tomate" ein. Du musst unbedingt zu Erich Stekovics ins Burgenland! Der kultiviert jedes Jahr bis zu 650 Tomatensorten, und in seiner Samenbank hat er bis zu 3500 Sorten.
Sowas ist natürlich ein Paradies! Wenn einem die Kosten egal sind, dann fliegt man ein Produkt auch mal um die halbe Welt. Ich habe mal Tim Raues dehydrierte Version so einer weitgereisten Melone probiert, und die ist schon porno. Da kann ich das verstehen, wenn man diesen Aufwand betreibt. Aber für eine Tomate ist es am besten, wenn man genau bis zu dem Zeitpunkt wartet, wo der Strauch die Frucht von alleine abwirft – dann ist sie perfekt. Und das macht lange Transportwege schwierig.
Gemüse im Dessert – kämpfst Du bei den Gästen noch immer mit Vorbehalten gegenüber diesen Zutaten?
Hier im Hause eigentlich weniger. Grundsätzlich sind alle offen dafür. Falls der Gast lieber Schokoladenkuchen mag, kann ich ihn von dem, was ich mache, nicht überzeugen. Ich kann nur einen neuen Blickwinkel eröffnen. Es gibt ziemlich viele Trends, die schnell wieder verschwinden, etwa, wenn einem bewusst wird, dass für das ganze Soja, das vor ein paar Jahren noch alle gehyped haben, etliche Quadratkilometer Regenwald abgeholzt werden müssen. Gemüse im Dessert hat für mich aber an Wichtigkeit absolut gewonnen. Heißt natürlich nicht, dass ich nur noch Gemüse einsetzen will. Es kommt auf den richtigen, gezielten Einsatz an. Zuckerfreie Desserts sind für mich die Zukunft, auch wenn ich natürlich nicht überall auf Kristallzucker verzichten möchte, da die ganze französische Pâtisserie darauf aufbaut. Aber das ist für mich definitiv ein wichtiger Trend.
Viele Desserts folgen dem Motto "Death by Chocolate" – kannst Du mit so was noch was anfangen?
Nein, das ist etwas, das schnell in die Kiste gehört. Ich meine, für einen Chocoholic wie mich ist das natürlich schön, aber man muss auch verstehen, dass Gäste nach einem 5- oder 6-Gänge-Menü keine Schokoladenvariation mehr haben möchten. Man kann das ja gerne mal für Einzelpersonen machen, die auf Schokolade stehen, aber am Ende eines langen Menüs ist es – wie der Name schon sagt – ein Killer.
Wie hast Du Deinen Ehrgeiz entwickelt?
Den habe ich schon bei Lafer entdeckt. Mag man vielleicht nicht glauben, aber er hat genau das wachgekitzelt, was ich brauchte.
Wie genau hat er das geweckt?
Naja, ich habe mir beim Armdrücken nach drei Monaten den Arm brechen lassen. Das war das erste Sterne-Restaurant, in dem ich je gearbeitet habe, und dann war ich gleich so lange krank und dachte schon, das war’s jetzt. Und es war auch hart: 16 Stunden zu arbeiten statt 10 Stunden mit Stempelkarte wie vorher, und dann auch noch jeden Morgen 5 Kilometer zur Arbeit zu laufen. Da war ich fix und fertig und wollte fast das Handtuch werfen. Nach fünf Wochen Krankheit bin ich zurückgekommen und wollte es allen beweisen! Ich habe mich richtig ins Zeug gelegt und bin dann nach einem halben Jahr Chefpâtissier geworden. Zwei Praktikanten und ich waren zu dem Zeitpunkt noch die einzigen in dem Laden, die in der Pâtisserie waren. Und diese Kombi hat irgendwie gut funktioniert. Da habe ich abartig viel gearbeitet und meinen Ehrgeiz entwickelt.
Würdest Du rückblickend sagen, dass Johann Lafer die Pâtisserie-Grundlage bei Dir gelegt hat?
Ja, definitiv. Damals hatte ich mir das Ziel gesetzt, "Pâtissier des Jahres" im Gault Millau zu werden, und war von meiner Stilistik vermutlich auch am nächsten dran. Heute bin ich davon vermutlich weit entfernt, das finde ich schade.
Mit wem und wieso hast Du damals das Armdrücken veranstaltet?
Das war mit Manuel Weiher, aber nicht absichtlich. Für ihn war das vermutlich schlimmer als für mich. Eher so ein Männerding.
Sind die Küchen noch so testosterongeschwängert wie damals?
Ich glaube, wo mehrere Männer auf einem Haufen sind, ob Autowerkstatt oder Küche, da werden immer mal Kräfte gemessen.
Thema Frauen in der Pâtisserie – man möchte meinen, dass es ein eher feminines Metier ist. Filigran und meist kleinteilig. Hast Du schon Mädels in der Pâtisserie gehabt?
Ja, mehrere. Etwa meine ehemalige Stellvertreterin Christl Mayer, der ich sehr viel zu verdanken habe. Die macht das jetzt nur noch nebenberuflich. Aber die war eineinhalb Jahre mit mir auf Sylt, und daher habe ich mit Frauen sehr gute Erfahrungen in der Pâtisserie gemacht. Ich habe auch das Gefühl, dass das Filigrane den Frauen schon sehr liegt. Ich glaube, das Problem sind dann eher die Arbeitszeiten, die abartig sind.
Frage an Christoph Rüffler:
Hast Du etwas zu beanstanden an der Zusammenarbeit mit Deinem Pâtissier?
Nein, gar nicht. Christian sprüht gerade so vor Ideen und hat unsere Küche, auch außerhalb der Pâtisserie, enorm bereichert. Er verwendet viele Produkte, die nicht dessert-üblich waren, es aber mittlerweile sind. Daher ist er auch bei uns am Herd und probiert, was er von unseren Produkten mit in die Pâtisserie nehmen könnte. Morgen machen wir ein etwas herberes Sorbet mit Sellerie und Basilikum, das auch noch mit Gin aufgegossen und dadurch richtig herb wird. Da ist auch Zucker drin, sehr reduziert, und dazu gibt es Zitronenkaviar, das passt dann wieder sehr gut. Gerade durch sein enormes Geschmacksempfinden bereichert er unsere Küche sehr.
Und wie passt er vom Charakter in Deine Küche?
Sehr schlecht. Nein, im Ernst: Es wird ja immer behauptet, die aus der Pâtisserie wären alles Diven, und da muss man schon sagen, von allen Pâtissiers ist er am wenigsten Diva.
Zurück zu Christian Hümbs:
Halt! Es gibt ja dieses Klischee, gegen das ich mich wehren möchte – die Behauptung, alle Pâtissiers wären Diven. Mir soll mal einer erklären, warum das so sein soll? Der Koch ist dann einfach nur ein blöder Ignorant. Mir ist das schleierhaft. Unser Souschef Tobias und ich sind da eher wie ein altes Ehepärchen – ich mobbe ihn wegen seinem körperlichen Umfang und er diskriminiert mich wegen meiner sprachlichen Fehler.
Du bist ja dafür bekannt, dass Deine Desserts auch eine Herausforderung sein können. Wie gehen die Gäste damit um? Bist Du auch schon mal auf Ablehnung gestoßen?
Die Gäste sind reagieren hauptsächlich positiv. Natürlich ist Salat zum Dessert nicht jedermanns Sache. Unangetastet geht jedoch kein Dessert zurück, das Publikum ist sehr offen und lässt sich darauf ein. Wir haben einige Stammgäste, die kommen ein paarmal im Monat, und da gibt es dann auch Ausnahmen. Und der eine oder andere bekommt dann auch das "klassische" Dessert, das er haben möchte. Ich habe das bei Johann Lafer gelernt, und das ist dann kein Problem für mich. Der Gast ist König. Mehr Probleme habe ich damit, wenn Kritiker nicht offen für Neues sind und auf etwas "Traditionellem" bestehen.
Würdest Du Deine Gerichte eher als Kunst oder als Handwerk bezeichnen?
Ich würde sie nie als Kunst bezeichnen. Wenn, dann machen das die Gäste. Auf Sylt war das noch häufiger, aber auch hier passiert das manchmal, dass Gäste in die Küche runterkommen und sich für das Gericht bedanken. Das ist schon toll.
Woher kommt Deine Inspiration für neue Gerichte?
Ich kann mich selten einfach in die Küche setzen und drauflos kreieren, sondern inspiriert werde ich eigentlich immer abseits der Küche. Sehr häufig zum Beispiel beim Musik-Hören in der S-Bahn. Da lasse ich meine Gedanken schweifen und beiße mich an einer Zutat fest, und die kreiere ich dann quasi zu einem Gericht. Ich kombiniere sie in meinem Kopf mit anderen Zutaten – nach meinem Stil, also ein bisschen polarisierend, aber immer noch als Dessert. Manchmal bringen mir auch Freunde einfach einzelne Produkte mit, etwa Bernd von Knutenlund, der mir Johannisbeerholz brachte. Dazu überlege ich mir dann was.
Was für eine Rolle spielen Deine Jungs in der Pâtisserie?
Die beiden sind essentiell für die Findung meiner Gerichte. Die machen und kriegen alles mit. Das war bei mir schon immer so, dass ich nicht allein, sondern im Team am besten bin. Die haben volle Freiheiten bei mir und dürfen ausprobieren, was sie wollen. Nur am Ende des Tages muss das Gericht meine Handschrift tragen. Aber wie sie das machen, da haben sie volle Freiheit. Das war auch schon im A-Rosa so. Ohne die beiden wäre das, was ich mache, nicht möglich.
Bist Du für die gesamte Pâtisserie im Vier Jahreszeiten Hotel zuständig?
Nein – ich als Chefpâtissier bin ausschließlich fürs Haerlin zuständig. Ich habe mich letztes Jahr aber bereiterklärt, im ganzen Haus mitzumachen. Nicht als Chef, sondern eher als Food- oder Rezeptquelle stehe ich mit Rat und Tat zur Seite.
Erachtest Du Dich noch als Provokateur in der Pâtisserie?
Ja, da meine Zusammenstellungen nicht klassisch sind und den Gast fordern. Aber das ist auch eine Frage, die ich mir vor Kurzem gestellt hab: Bin ich noch immer so provokativ wie vor drei Jahren oder bin ich mittlerweile Mainstream?
Was glaubst Du denn, womit Du noch provozieren könntest?
Naja, ich glaube, ich habe in der Vergangenheit gezeigt, dass man fast alles miteinander kombinieren kann. Damit kann ich nicht mehr provozieren. Jetzt geht es mir darum, die geschmacklichen Kombinationen zu perfektionieren.
Das wäre aber dann trotzdem nur eine Weiterentwicklung. Etwas ganz Neues wäre dann zum Beispiel Fisch und Fleisch?
Ich glaube, dass ich damit die komplette Stilistik eines Menüs zerstören würde. Diese Reihenfolge, die sich da mal jemand ausgedacht hat, würde dann nicht mehr funktionieren. Da müsste man quasi mit dem Dessert anfangen und sich dann in die andere Richtung arbeiten. Mit Roland Trettl hatte ich mal ein Telefonat, ob wir das im Hangar-7 präsentieren würden als Menü. Also, dass er die Beilagen herzhaft kocht und sie mit Fisch und Fleisch kombiniert. Ich hätte dann aus denselben Zutaten – natürlich ohne Fisch und Fleisch – Desserts kreiert. So hätten wir ein 9-Gang-Menü zusammengebaut. Roland hat den Hangar verlassen, bevor wir es umsetzen konnten. Da hätte ich aber Mega-Bock drauf gehabt, weil das mal wirklich was ganz Anderes gewesen wäre.
Und ein etwas spielerischer Umgang mit der Präsentation kommt für Dich nicht in Frage?
Durchaus, aber für mich steht der Geschmack wirklich über allem. Und dann versuche ich, diesen Geschmack in einer kunstvollen Form auf den Teller zu bringen. Aber es bringt mir nichts, wenn es dann geil aussieht, aber enttäuschend schmeckt.
Fernsehköche haben einen eher zweifelhaften Ruf. Du hast Dir bei „Das große Backen“ eine zweite Plattform geschaffen – wie begegnest Du Vorurteilen?
Ich habe mir das erstmal sehr gut überlegt, bevor ich zusagte, da mir klar war, dass sich eher drüber lustig gemacht wird. Aber grundsätzlich finde ich es gut, und es macht mir Spaß. Außerdem hat es mir als Person auch nicht geschadet, und ich habe weder mein Standing noch meine Qualität verloren.
Dafür werden Fernsehköche ja auch öfter kritisiert – dass ihr eigentliches Stammhaus vernachlässigt wird, weil sie zu viel im Fernsehstudio sind. Das ist bei Dir aber nicht passiert?
Genau, weil ich mich mit allen Leuten im Team abgesprochen habe. Wenn ich mal nicht da war, kamen meine Jungs auch ohne mich klar. Das passierte allerdings nicht häufig, denn meine Abwesenheit beschränkte sich auf 2-3 Wochen im Jahr.
War die finanzielle Versuchung groß?
Im Fernsehen wird man nicht reich – ich mache das eher, um neue Leute kennenzulernen, die auch meine geplante Selbstständigkeit unterstützen. Die, die ich bis jetzt kennengelernt habe, haben mein Leben sehr bereichert und ich habe einen Riesenspaß. Und über das Fernsehen erreicht man natürlich viele Menschen.
Hast Du dort auch schon Talente für die Spitzengastronomie kennengelernt?
Nein, das eher nicht. Eine Kandidatin ist in der Gastronomie gelandet und hat ihre Ausbildung in der Pâtisserie fast abgeschlossen. Die war totunglücklich in ihrem Telefonjob, und ich habe sie dann mit ins Haerlin für ein Praktikum genommen – das hat ihr sehr gut gefallen. Aber die Anderen machen das alle hobbymäßig, sind unglaublich gut, sehr kreativ und haben ein hohes Qualitätsbewusstsein.
Sind Deine Desserts und die Anrichte komplexer geworden?
Bei der Komplexität habe ich mich nicht verändert. Was ich aber versuche ist, die Anrichtefläche kleiner zu halten. Nach drei Esslöffeln muss es gegessen sein, danach wird der Kopf müde, und der Gast nimmt das Gericht nicht mehr wirklich wahr.
Widerspricht der Drei-Löffel-Ansatz nicht der Regel, dass ein Gericht groß genug sein muss, um es verstehen zu können?
Ich kreiere Desserts so, dass man sie nach drei Esslöffeln verstehen kann.
Wir hatten vor drei oder vier Jahren den Eindruck, dass mehr Drive in der Pâtisserie war. In unseren Augen ist das in den letzten Jahren stagniert. Wie siehst Du das?
Ich sehe das ähnlich. Wir haben in den letzten Jahren auch einen großen Verlust an guten Pâtissiers gehabt, das hat sich ausgewirkt. Ich kann sehen, dass wir immer weniger Pâtissiers haben, deshalb versuche ich immer, die Jungs an meiner Seite zu motivieren, weiterzumachen. Ich sehe da gerade in Deutschland zwei große Talente. Zum einen Fabian Fiedler, der im letzten Sommer zu Sven Elverfeld ging. Außerdem schätze ich David Mann aus dem Ammolite sehr. Wir haben schon Talente, jetzt geht es darum, welche Zukunft die Pâtisserie bieten kann. Die Möglichkeiten sind grenzenlos, man hat es an uns gesehen, und ich würde jedem sagen, wenn du da ansatzweise Lust zu hast, dann solltest du es einfach durchziehen.
Du hast heute Deinen letzten Arbeitstag im Haerlin. Wie fühlt sich das an?
Einerseits gut, weil ich zu neuen Ufern aufbreche. Anderseits ist es natürlich traurig, weil es 3 superschöne Jahre mit einem der lustigsten und besten Teams in einem traumhaften Hotel waren. Nach dem heutigen Service wird es sicherlich das eine oder andere Bierchen aber auch ein paar Tränchen geben.
Wieso hast Du denn gekündigt?
Für mich hat sich eine spannende Möglichkeit aufgetan, die ich später nicht mehr realisieren könnte. Mehr kann ich aber noch nicht sagen – Anfang Mai sollte es soweit sein. Ich bleibe in Europa und werde auch weiterhin in der Spitzengastro zu finden sein.
Wer wird Dein Nachfolger im Haerlin?
Das macht mein zweiter Mann, Alexander Ködel, zusammen mit Tobias Günter, unserem Souschef.
Du hast uns letztes Jahr berichtet, dass Du Dich selbstständig machen willst? Wie sieht es damit aus?
Das verschiebt sich, da wir die perfekte Location einfach nicht gefunden haben und ich nichts übers Knie brechen will. Wir suchen weiter und schlagen zu, sobald alles stimmt. Das Risiko wäre sonst einfach zu groß.
Wir wünschen Dir weiterhin viel Erfolg und drücken die Daumen für Deine Zukunft!