Restaurantkritik 12.Juli 2023

Macionga – Auf eigenen Weinen stehen

So richtig glauben konnten wir es nicht, als uns die Meldung erreichte, dass André Macionga ein eigenes Restaurant in der Hauptstadt eröffnete, hatten wir sein Gesicht doch über sechzehn Jahre untrennbar mit dem Hauptrestaurant von Tim Raue verbunden. Dort hielt er uns als Restaurantleiter und nonchalanter Sommelier unzählige Flaschen vor die Nase – und kippte den Inhalt in Gläser.

Genau wie die Küche des furiosen Berliner Gastronomen wuchs Macionga mit Tim Raue mit: erst einer, dann zwei Sterne, später durch die unübersehbare TV-Präsenz eine nationale und dank der Platzierung auf der Pellegrino-Liste eine enorme internationale Reputation. Dennoch: Im letzten Jahr war Schluss für Macionga, es wurde Zeit, auf eigenen Weinen – Pardon! – Beinen zu stehen.

Das kleine Lokal im noblen Westteil der Hauptstadt wirkt wie ein Gegenentwurf zum kosmopolitischen Gebaren der Kreuzberger Ex-Heimat. Am schummrigen Tresen des Restaurant André Macionga werden einige Aperitifs und Muntermachers serviert, bis vor kurzem gab es hier noch kleine Snacks, Würstchen und Brotzeiten. Damit sollte nicht zuletzt auch Anwohnern die Berührungsangst genommen werden – das schafft Kiezfeeling.

In der Küche steht Sebastian Leyer. Der 37-jährige Potsdamer blickt auf ereignisreiche Jahre zurück: Der einstige Küchenchef des „Pauly Saal“ übernahm kurz vor der Pandemie die Küchenleitung des „Le Faubourg“ – und entschloss sich im Zuge der Lockdown- und Insolvenz-Arien seines Arbeitgebers, zum Bauern umzuschulen.

In der Schorfheide – etwa 90 nördliche Autominuten von Berlin entfernt – fokussierte er sich in der Permakulturgärtnerei „Hortus Tayta“ auf die Kultivierung und den Anbau eigener Produkte, die er nicht nur an Restaurants wie das „Nobelhart & Schmutzig“ lieferte, sondern ebenso auf dem „Gut Boltenhof“ (etwa 25 Kilometer entfernt) auf dem Teller präsentierte.

André Macionga scheint Überredungstalent zu haben, denn nun steht Sebastian Leyer wieder in einer Berliner Küche und serviert sein bis zu sechsgängiges „Urkraft“-Menü (das nun – nach unserem Besuch – in ein À-la-carte-Konzept geändert wurde). Und wer den Gastgeber kennt, weiß, dass man das Pairing ohne schlechtes Gewissen in seine Hände als geübter, eleganter Suffmeister legen kann.

Das Menü startet mit dem lapidar betitelten „Brot und so …“. Dahinter versteckt sich ein Allerlei aus Leyers Gärten zum hausgemachten Sauerteigbrot. Die Mixed-Pickles aus Knollenziest, Gelbe Bete, Rotkraut und sauer-feurigem Kimchi bilden das intensive Zentrum, daneben ein sensationell cremiges Schweineschmalz mit getrockneter Pastinake sowie selbst gereiftem Schinken. Zu guter Letzt rundet eine sauber gearbeitete Tartelette aus Wurzelgemüse – darunter Pastinake, Steckrübe und Sellerie – mit hausgemachtem Labne den gelungenen Einstieg ab.

Im eigentlichen Menü (fr)essen wir uns dann durch die Elemente, die Böden und die Viktualien der Region. Die „Erde“ wird repräsentiert durch Steckrübe, hier mannigfaltig dekliniert: Kurz angeröstet, als mariniertes Blattwerk sowie lactofermentiert mit einem Pilz-Dashi und Douglasienöl im Sud. Die Vielseitigkeit der Rübe überrascht, das Gericht wirkt – nicht nur, aber auch dank süßsauer eingelegter Fichtennadeln – eher frisch und kühl, keine Spur von Erdigkeit, obgleich wir vom getrockneten und gehobelten Reh obenauf nicht allzu viel mitbekommen.

Nun kommt der „Acker“, symbolisch vertreten durch den Kohlrabi. Bei diesem Gericht gewinnt die wärmende Temperatur, die die leicht bissige Säure des fermentierten Tomatensuds zu bändigen weiß. Aromatisches wie texturelles Zentrum des Tellers ist der als „Superschmelz“ titulierte, geschmorte sowie frisch gehobelte Winterkohlrabi. Gebeiztes und gehobeltes Eigelb obenauf bringt weiteren Schmelz und Fett. Die Proportionen zwischen weich und fest sind gelungen; ein dichter, wohltuender Geschmack.

Lauch repräsentiert das „Feuer“. Die bissfesten Stücke werden begleitet von Fenchelsaat sowie einer verführerisch butterigen Fisch-Nage. Gewürzt wird hauptsächlich mit getrockneter Jakobsmuschel – eine wunderbare Idee, die allerdings eine Prise Salz und Säure vertragen könnte, um nicht allzu profan daherzukommen.

Bei „Wasser“ schwimmt ein Stück Stör in heißer, brauner Butter, zusammen mit Quitte und feuergerösteter, süßlicher Zwiebel. Die Creme aus Zierquitte und Sellerie bringt die nötige Säure zum glasklar gegarten Fisch, den wir in letzter Zeit erfreulich oft auf den Tellern ambitionierter deutscher Restaurants sehen. In Summe ein sehr stimmiger, im Verhältnis zum Vorangegangenen eher „klassischer“ Teller.

Auf der „Wiese“ tollt das Huhn von Odefey & Töchter als Brust und Keule. Unter knackigem jungen Grünkohl – den wir zuletzt im „Nobelhart & Schmutzig“ lieben gelernt haben – versteckt sich eine Creme aus Dörrobst. Erneut gefällt hier die Balance aus Säure und Herzhaftigkeit, doch erst beim hochintensiven, mit Hühnerfett gebundenen „Hühnerlack“ macht das Gericht richtig Spaß: eindrücklicher kann man diese hohe Produktqualität nicht zur Schau stellen. Diesen Lack könnten wir uns übrigens auch prima als gepimpte Basis einer süffigen Hühner-Ramen vorstellen. Ein toller Hauptgang.

Das Dessert verspeisen wir im „Wald“: Es mischen sich eine herbale Tannennadel-Vinaigrette, rohe, texturgebende Champignons und frisch-minzige Zitronen-Tagetes. Bis hierhin liest sich das eher wie ein erholsamer Waldspaziergang, wäre da nicht der Doppelrahm, der aus dem Teller – ganz simpel – über Fett, Süße und Laktose eine sehr gute Nachspeise macht.

Die Petits Fours mischen herbe Zitrusfrüchte mit fein gearbeiteten Haselnuss-Makronen.

Die Pandemie war eine herausfordernde Zeit für die Gastronomie. Und doch: Vielerorts regte die erzwungene Auszeit zu neuen Ideen und Entscheidungen an. Wie auch bei Sebastian Leyer, der sich die letzten drei Jahre über eine Transformation zum Landbauern eine Expertise in Sachen Produktanbau und Qualitätsfetischismus erarbeitet hat.

Leyer (3. von rechts, hinten) und Macionga (4. von links, hinten) präsentierten uns heute ein sehr stimmige, aber auf den ersten Blick bei weitem nicht „einfache“ Küche. Die Kombinationen zeugten von Eigenständigkeit und ausreichend Selbstbewusstsein – hierfür steht die hervorragende Steckrübe zu Beginn, als auch der etwas untersalzene Lauch. Wäre da nicht die immer präsente Prise klassischen Handwerks in Sachen Proportionen, Temperaturen und Garpunkten, würde man die Kreationen durchaus als „herausfordernd“ bezeichnen. Doch Sebastian Leyer weiß das Thema Region und Saison auch durch Gefälligkeit zu interpretieren – als Blaupause steht das sensationelle Huhn im Hauptgang, das durch den Sud an Exzellenz gewinnt.

Unbedingt erwähnt werden muss die Weinvernarrtheit des Gastgebers und Sommeliers André Macionga. Das über weite Strecken unorthodoxe, immer spannende Pairing ist ein Zeugnis eines nimmermüden Anspruches an sich – und den Gast, dem neben der normalen, glasweisen Pairings auch eine Begleitung für "Fortgeschrittene" gegen Aufpreis angeboten wird.

Regelmäßige Reisen zu großen und kleine Weingütern in der Vergangenheit führten nicht nur zu diversen Auszeichnungen als Sommelier und Gastgeber, sondern auch zu einer vielseitigen, 750 Positionen umfassenden Weinkarte, die auf das sonst in Berlin übliche Naturwein-Korsett verzichtet und sich international orientiert. Darüber hinaus sind es mittlerweile 45 Weine von 16 Weingütern aus Deutschland, Spanien und Frankreich, die von Macionga selbst cuvetiert und kuratiert werden – darunter auch der uns bereits aus Raue-Tagen in bester Erinnerung gebliebene "Es ist wie es ist!", den er inzwischen im 9. Jahrgang mit dem Winzer Horst Sauer kreiert. Solche Hingabe beeindruckt uns.

Kurzum: Die Kombination aus harmonischer Regionalität im Biss und internationalem Weitblick im Glas machen aus dem „Restaurant Macionga“ eine Perle im Westen der Hauptstadt, der man kaum anmerkt, dass sie eigentlich noch in den Kinderschuhen steckt. Wir sind gespannt, wie schnell das Lokal aus diesen herauswachsen wird.

Chris Lippert

 

Wein

Das Pairing des Abends:

2013 Cloud Blanc Domaine Prieuré Roche Burgund
2018 Pialini Cuvée André Macionga & Schnaitmann Württemberg
2021 Albillo Criollo Bodegas Macionga La Palma
2020 Condrieu La Doriane Domaine E. Guigal Rhône
2006 Ermitage Blanc de L`Oree Domaine Chapoutier Rhône
2019 Es ist wie es ist... Nr.9 André Macionga & Horst Sauer Franken
1996 Siegelsberg Riesling Auslese Schloss Reinhartshausen Rheingau
Calvados XO Breuil Normandie

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Hinweis

Bei dem Besuch handelte es sich um eine Einladung. Der Inhalt des Berichts bleibt davon unberührt. Details zum Umgang mit Pressekonditionen findet Ihr hier.

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