Restaurantkritik  3.Januar 2024

Julemont – Schlossromantik

Wir sind berufs- und passionsbedingt stets auf der Suche nach neuen kulinarischen Entdeckungen. Nur ist es nicht immer ganz leicht, in der schnelllebigen, nach oben und unten flukturierenden Gastroszene den Überblick zu behalten. Daher rieben auch wir uns Augen und Bauch, als Guido Braeken im niederländischen Château Wittem – nur eine halbe Autostunde von Aachen entfernt – letztes Jahr aus dem Stand heraus, und hierzulande scheinbar unbemerkt, zwei Sterne erkochte. Als ein kleines Event mir die Gelegenheit bot, dem edlen Château einen Besuch abzustatten, ergriff ich die Gelegenheit gerne beim Schopf.

Ausgestattet mit Kamera, passender Abendgarderobe und gutem Hunger durchschreite ich die hohen Tore des Prachtbaus aus dem 12. Jahrhundert, der von der sympathischen Gastgeberin Victoria Wilden geführt wird. Das Schloss selbst birgt absolutes Nosferatu-Flair, Hexenturm inklusive. Alles ist schick, aber nicht protzig eingerichtet – sehr geschmackvoll.

In der im Keller befindlichen Küche werkeln Chef Guido Braeken und sein Team. Erfahrungen sammelte Braeken in der Küche der Zwei-Sterne-Restaurants „De Leuf“ in Ubachsberg und „La Source“ in Belgien, sowie als Küchenchef des „Beluga Loves You“ in Maastricht, bevor er sich 2021 für die Schlossküche verpflichtete. Wie erwähnt gab es ein Jahr später direkt zwei Sterne vom Guide Michelin. Dass dies hierzulande praktisch nicht wahrgenommen wurde, ist angesichts der Grenznähe verwunderlich, zumal die Gegend auf deutscher Seite nicht allzu viel zu bieten hat. Umso schöner also, dass ich heute Abend die Gelegenheit bekomme, das Menü kennenzulernen (Anlass des Besuchs ist die Einladung zu einem Four-Hands-Dinner von Braeken mit Hans Neuner am folgenden Tag). Während ich bei milden Temperaturen im gepflegten Schlossgarten entspanne, werden die ersten Happen aufgetischt …

Ein kleiner, auf den ersten Blick unscheinbarer Cracker vereint Seebarsch, Sellerie, Fenchel, Buttermilch und Grapefruit. Am Gaumen passiert dann so einiges: Süße, Salz und frische Milcharomen breiten sich wohlig aus und machen Appetit.

Fein gearbeitet die Tartelette vom Hamachi mit Ingwer, Yuzu, grünem Curry und Gurke, die die Aromen des vorherigen Happens durch gut ausbalancierte Süße, Frische und feine Salzigkeit zu verlängern weiß. Dahinter ein „Kueh Pie Tee“ (ein Pastetenteig aus Singapur) mit Erdnuss, Pak Choi, Nordseekrabbe und Lauch, ebenfalls aromatisch souverän zwischen Süße und Herzhaftigkeit austariert. Allen Kleinigkeiten gemein ist die Weltoffenheit in der Kreation: Mit den hier verspeisten Produkten sind die Papillen bereits vor Menübeginn um die halbe Erdkugel gereist.

Eine Auster mariniert in „Bak Kut Teh“, einem chinesischem „Fleischknochentee“, mit Sellerie und Schnittlauch setzt herzhaft-süffige Umami-Akzente, dazu passt …

… die jodige Süße vom Balik-Lachs mit feinherbem Kaffee, fruchtsaurer Passionsfruchtcreme, Forelleneiern und pikanter Jalapeño ziemlich gut. Schon jetzt gefällt uns die gekonnte Balance zwischen Salz, Frucht und Süße, die alle bisherigen Einstiegshäppchen miteinander verbindet.

Mit einer Kugel aus Balfego Akami und Foie Gras mit Zitrusfrüchten und australischem Wintertrüffel startet dann das Menü. Die Kombination aus reduzierter japanischer BBQ-Sauce (einem Chashu-Lack nicht unähnlich) sowie dem duftenden Trüffel ist verführerisch, dazu gesellen sich die dick bemessenen Tranchen des – für ein Rückenstück überraschend fetten – Thunfischs. Die Foie Gras bringt ein klein wenig Cremigkeit und Süße, die wir an dieser Stelle nicht vermisst hätten; das funktioniert auch für sich prima.

Schön anzuschauen und köstlich obendrein: Das Wagyu aus Kagoshima mit Unagi, schwarzem Knoblauch, Zwiebeln und Hollandaise. Eine echte Umamibombe, dazu die cremig-schmelzigen Texturen: Der Seeigel, das fettreiche Fleisch, der süßliche Knoblauch und die Hollandaise vermengen sich zu einem süffigen, wenngleich wohl arterienverengenden Ganzen, das schlichtweg wunderbar mundet. Erst beim dritten und vierten Happen – mehr sind es aufgrund der Portionsgröße nicht – hätte ich mir etwas texturelle Abwechslung in der doch ziemlich cremigen Gemengelage gewünscht.

Schlichtweg sensationell: John Dory (Petersfisch) mit Aal, Dashi, Erbsen und Imperial Heritage-Kaviar. Guido Braeken geht hier kaum ein Risiko ein – was ich als Kompliment verstanden wissen möchte: Er inszeniert den schneeweißen Fisch mit einer heißen Dashi, die dank Aromatisierung mit Aalkarkassen eine tolle Röstigkeit mitbringt, welche der bissfeste Fisch wiederum locker zu parieren weiß. Dazu die elegante Süße der Erbsen, die luxuriöse Salinität vom Kaviar – und als Überraschung in der stilvollen Gediegenheit ein paar Fingerlimes, die eine bissige, aber erfrischende Säure im Rachenraum hinterlassen. Klasse!

Etwas diffus gerät die Rote Meerbarbe mit Hummer, Kokosnuss, Mango und „Mala“, einer prickelnden Würzmischung aus Szechuanpfeffer und Chili. Der Hummer stammt aus Oosterschelde bei Antwerpen, und seine hohe Qualität und Frische lässt sich zwar durchaus antizipieren, aber etwas mehr Garzeit hätte das Krustentier dennoch vertragen können. So vermengen sich nun glasiger Fisch und zu glasiger Hummer zu einem kaum differenzierbaren Ganzen, das – bei getrenntem Verzehr – durchaus schmeckt, aber spätestens durch die immerpräsente Süße der Mango kaum auseinanderzuhalten ist.

Die Fischlastigkeit des Menüs erstaunt: Es geht weiter mit Steinbutt, Morchel, Vin Jaune, Ochsenschwanz und „Shiro Kombu“ (weiße, japanische Alge). Die Intensitätsschraube ist jetzt – kurz vor dem Hauptgang – nahezu auf’s Maximum angezogen. Alle Tiere des Tellers sind auf den Punkt gegart, und die Mischung aus kraftvollem Fisch und getrüffeltem Ochsenjus ist so souverän wie süffig-verführerisch. Der heimliche Star des Tellers sind jedoch die saftigen, mit gezupftem Ochsenschwanz gefüllten Morcheln, von denen ich problemlos einen ganzen Teller verputzen könnte.

Als Hauptgang dann Taube aus Anjou mit Kumquat, Haselnuss, Mole und Sellerie. Die Taube der „Hubbell“-Rasse stammt aus der westlichen Bretagne, wurde mit Mais und Weizen gemästet, gilt als besonders aromatisch – und vor allen Dingen: zart. Die Stücke schmelzen am Gaumen nur so dahin, während der für Taubenfleisch typische, leicht metallische Geschmack nur dezent schmeckbar ist. Bei den Begleitern hält sich die Küche diesmal zurück: nichts ist unnötig aromatisiert, nichts lenkt ab vom Hauptprodukt, sondern schafft lediglich durch Textur und sanft fruchtig-nussige Aromen etwas Abwechslung. Wunderbar.

Ich zumindest vergesse jedes Sättigungsgefühl (und verdränge jede Vernunft), wenn ich einen gut ausgestatteten Käsewagen sehe. Ich entscheide mich für die große Reise durch Frankreich und – natürlich! – die Niederlande. Manchmal kann man nicht aus seiner Haut.

Als Dessert dann weiße Schokolade, Joghurt, Basilikum, grünes Shiso und Yuzu. Guido Braeken tut gut daran, nach diesem durchaus fett- und fruchtreichen Menü mit Frische und nur dezenter Süße zu kontern; insbesondere das Shiso-Sorbet ist eine neutralisierende, erfrischend herbe Wonne. Ich bin immer wieder begeistert, wie vielseitig die Blätter dieses vor allen Dingen durch Japans Küche prominent gewordenen Lippenblütlers doch sind.

Die Petits fours – allesamt fein gearbeitet, insbesondere ein weißer Schokoladenriegel – kann dann sogar ich nur noch in Teilen verputzen.

Dass Guido Braekens Küche sofort mit zwei Macarons geehrt wurde, wundert mich nicht: Die Opulenz der Produktauswahl, gepaart mit gekonntem, über weite Strecken französisch geprägtem Handwerk, aufgepeppt mit Komponenten aus aller Welt, wurden nahezu durchgehend – hier müssen wir lediglich den Hummer ausklammern – makellos auf die Teller gebracht. Das Spiel mit leichter (Frucht-)Süße in zahlreichen Gängen mag nicht jedermanns Sache sein, ich empfand sie als stimmiges Stilmittel. Nicht zuletzt bleibt festzuhalten, dass diese opulente, an Luxusprodukten nicht geizende Küche hervorragend zum hochherrschaftlichen Schlossambiente passt.

Zu mitternächtlicher Stunde wandele ich jedenfalls wie ein vollgestopfter, hochzufriedener Max Schreck durch die Gänge des geschichtsträchtigen Gemäuers, hinauf in mein kleines Hexenzimmer – und komme nicht zuletzt dank des herzlichen Gastfreundschaftgesamtpakets bestimmt gerne wieder in dieses Großod niederländisch-deutscher Fressfreundschaft. Um im Nosferatu-Bild zu bleiben: Ich habe Blut geleckt.

Chris Lippert

Wein

Graacher Himmelreich
Joh. Jos. Prüm, Riesling, 2010, Mosel

Ozyetra
Von Winning, Riesling, 2020, Pfalz

Chateau Musar Blanc
Gaston Hochar, Obeideh, Merwah, 2016, Bekaa valley, Libanon

Marsannier tk*
Knipser, Marsanne - Viognier, 2018, Pfalz

Chablis 1er Cru
"Mont de Mileu", Lucien Le Moine, Chardonnay, 2019, Bourgogne

Cuvée des Froides Terres
Grand Cru, Henri Giraud, Pinot Noir, 2016, Champagne

Don PX
Bodegas Toro Albalá, Pedro Ximénez, 1955, Montilla

"Les Batisses"
Domaine Deletang, Chenin blanc, 1989, Loire

Hinweis

Der Besuch erfolgte auf Einladung. Details zum Umgang mit Pressekonditionen findet Ihr hier.

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