Restaurantkritik 29.Januar 2022

Gebt uns Gemüse!

Wenn wir über das Essigbrätlein schreiben, können wir eigentlich direkt zur Sache kommen. Zu bekannt und vielgerühmt ist das Restaurant, als dass wir es nochmals vorstellen müssten. Zu legendär sind die Türglocke, das urig-elegante Interieur und der herzlich-eigenwillige Service von Ivan Jakir, als dass es noch einer Beschreibung bedürfte. Von der fantastischen Weinkarte wollen wir sowieso nicht erst anfangen.
Wir machen keinen Hehl aus unserer emotionalen Verbundenheit zu diesem Restaurant, unserem »Fantum«. Das Essigbrätlein strahlt eine besondere Magie aus. Wer schonmal hier war, wird verstehen.
An diesem sonnigen Mittag stehen wir wieder vor der Tür, um kurz vor 12, auch wenn es um diese Zeit nur das kleinere Menü gibt. Mit uns tritt noch ein junges Paar ein, ebenfalls Stammgäste, eigens aus Stuttgart angereist. Die übrigen Tische werden sich bald ebenfalls füllen.

Zum Champagner aus der Magnumflasche (Billecart-Salmon »Blanc de Blancs« Grand Cru) gibt es das erste Amuse. In einem kleinen Schälchen steckt ein Herzstück von Endivie, gefüllt mit Sellerie und gegrillter Minze. Was fast wie eine Parodie auf Gemüseküche aussieht, erweist sich am Gaumen als unglaublicher Happen. Der Salat ist von einer sagenhaften Saftigkeit und Frische, die leichten Bitternoten werden durch die Minze und feine Süße des Sellerie akzentuiert. Der Clou ist indes die komplexe, herbsüßliche Vinaigrette aus Selleriegrün, die sich am Boden des Schälchens verbirgt. Sie macht das Ganze vollmundig und rund, und verleiht dem Salat eine ungeahnte Geschmackstiefe. Ein unvergesslicher Happen.

Es folgt der klassische Essigbrätlein-Löffel, diesmal mit einer Miniatur aus Haut vom Schmorapfel, ligurischem Salbei und Salbeibutter. Hier steht der duftige Salbei klar im Vordergrund, der Apfel steuert einen Hauch Säure und "dunkler" Röstaromatik bei, aber wirklich nur einen Hauch. Soviel puristische Eleganz muss man sich erstmal trauen. Im Grunde ist das reinste »Produktküche«, denn wo andere die Herkunft ihrer Hummer und Hühner angeben, wird bei Andree Köthe und Yves Ollch die Provenienz des Salbei benannt.

Das abschließende Amuse kennen wir bereits vom letzten Mal: ein zarter, knackiger Rotkohltrieb, in Butter glasiert, mit einer Essenz aus fermentierten Himbeeren, bestäubt mit einem Pulver von getrockneten fermentierten Himbeeren. Das aromatische Spiel aus Süße und Herbheit, aus den leicht dumpfen Kohlaromen, molliger Buttrigkeit und der dezenten Fruchtigkeit der fermentierten Himbeeren ist auch diesmal wieder von großer Delikatesse und Einzigartigkeit.

Der erste Gang des Menüs besteht aus einer sautierten Rosenkohlkrone, unglaublich zart, unglaublich delikat. Dazu gibt es seidige Creme aus getrocknetem Spargel, eine dichte Essenz aus gerösteter Steckrübe und einen leichten, würzigen Ingwerfond. Nichts davon dominiert, alles unterstützt den Eigengeschmack des Gemüses, verleiht ihm jene besondere Magie, die der Küche von Köthe und Ollech in den besten Momenten zueigen ist. Etwas Schwarzwurzel mit einem Hauch Anis rundet das Meisterstück ab. Wir sind große Fans des unterschätzten Rosenkohl, insbesondere wenn er nicht in Einzelblätter zerpflückt wird. Doch eine solche Eleganz und Filigranität hätten auch wir dem Gemüse nicht zugetraut. Eine Götterspeise.

Der Fischgang kombiniert Forelle mit Wirsing. Andree Köthe erläutert beim Servieren, dass hier das äußerste, eigentlich ledrige Blatt des Kohls Verwendung fand. Es wurde geschmort und glasiert, wodurch es zart wird und doch bissfest bleibt. Zusammen mit einer samtigen Creme aus geröstetem Reis und mariniertem Wirsing wird das Blatt auf das kurz gebeizte, überraschend kräftige Forellenfilet gelegt. Waldmeisterbutter und Kamillenöl, beides sehr dezent eingesetzt, unterstreichen subtil das Wechselspiel aus herben und süßlichen Noten. Auf solche Kombinationen muss man erst einmal kommen – und sie dann mit solcher Souveränität umsetzen. Exzellent.

Auch das nächste Gericht dreht sich um eine nicht alltägliche Kombination. Kartoffeln und Reis wurden zu einem Stampf verarbeitet, darauf liegt eine Mischung aus geschlagener Karotte und roh gehobelter Karotte. Außerdem sind da in Zitronenfond eingelegte Zwiebeln, kleine Stückchen gegrillter Paprika und eine fermentierte Paprikaessenz. Damit diese wilde Mischung funktioniert, muss man alles zusammen nehmen – dann oszilliert der Geschmack zwischen der Süße von Reis und Karotte, der vollmundigen Kartoffel und röstig-dunklen Noten von der Paprika; dazwischen blitzen  säuerliche Akzente auf, wie ein keckes Augenzwinkern. Auch texturell begeistert dieses Gericht durch seinen präzise durchdachten Abwechslungsreichtum.

Im Hauptgang gibt es diesmal Ente. Die Brust wurde Ente gedämft und gegrillt, was ihr eine ganz besonders zarte, fast fluffig anmutende Beschaffenheit verleiht und den speziellen Enten-Eigengeschmack gewissermaßen verdichtet – mit den üblichen Entenbrust-Zubereitungen hat das rein gar nichts zu tun. Als vermeintlicher Clou wurde die in Streifen geschnittene Entenhaut separat zu einer cremigen Textur gegart, allerdings geht sie geschmacklich ziemlich unter – leicht kross wären uns die Stückchen dann doch lieber gewesen. Viel besser funktionieren die weiteren Beigaben, nämlich roh marinierter Fenchel, gedämpfte Zwiebeln, halbgetrocknete Schwarze Johannisbeeren, eine üppige Creme mit Holz von Schwarzen Johannisbeeren und paar wenige, aber sehr wirkungsvolle Tropfen Zahnlavendelöl. Es schmeckt nach Sonne, Sommer und Südfrankreich. Insgesamt ist dieses Gericht nicht so großartig, wie alles davor, aber immer noch sehr gut.

Zitronen und Endivie sind durch ihre gemeinsamen Bitternoten wie füreinander gemacht – ein tolles Duo, als Salat mit Zitrus-Vinaigrette, aber auch als Dessert, so wie hier. Zwischen dem intensiven Zitroneneis und den knackigen Salatblättern finden sich noch Stückchen roher Maronen und geschlagener Apfel. Umgossen ist das Ganze mit Birnen- und Quittenfond mit Olivenöl, bestäubt mit Wacholder-Zitrusschalen-Würze. Ein Dessert von unbekümmerter Leichtigkeit und geschmacklicher Fülle, das auf spielerische Weise einen Bogen zum ersten Amuse zieht, und dem der Brückenschlag von winterlichen zu sommerlichen Aromen gelingt. So gesehen das perfekte Frühlingsdessert.

Zum Abschluss gibt es natürlich die klassischen Schoko-Knuspertafeln, gut wie immer.

So geht ein weiterer, betörender Mittag im Essigbrätlein zuende. Und egal, wie oft wir schon hier waren, verlassen wir das Restaurant immer wieder überrascht und verzaubert – und mit unserem kulinarischen Horizont wieder ein bisschen mehr erweitert. Denn es mag Restaurants geben, wo man ebenfalls hervorragende Gemüsequalitäten genießen kann, doch wir müssten länger überlegen, wo aus Gemüse ebenfalls derart innovative Speisen gemacht werden. Wie sonst könnte man damit durchkommen, dreimal Kohl und zweimal Reis zu servieren? Es fiel uns nicht einmal auf, weil alles so unglaublich eigen und so enorm gut schmeckt.
Fisch und Fleisch, das wurde uns diesmal klarer denn je, treten angesichts dieser Kunstfertigkeit in den Hintergrund. Dass mit dem »Etz« inzwischen ein zweites Restaurant von großer Naturnähe in Nürnberg eröffnet hat, und ebenfalls zwei Sterne erhielt, ist in diesem Zusammenhang bemerkenswert. Der Ansatz mag dort ein nochmals anderer sein, tierische Produkte spielen bei Felix Schneider eine bedeutende Rolle. Und doch komplimentieren sich diese beiden Orte auf wundersame Weise. Denn Andree Köthe, mit seiner zenhaften Ruhe, und Yves Ollech, mit seiner sensibel-temperamentvollen Art, sind Magiere der Flora. Wenn sie am Tisch von Zutaten erzählen und Zubereitungen erklären, möchte man ihnen stundenlang zuhören.
Aber auch das ist längst bekannt, wir müssen es gar nicht länger ausführen. Es gibt in Deutschland nicht sehr viele Restaurants, die man wirklich einzigartig nennen kann. Eines davon befindet sich in Nürnberg.

Kai Mihm

Wein

Hinweis

Unser Besuch wurde vom Restaurant unterstützt. Details zum Umgang mit Pressekonditionen findet Ihr hier.

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