Restaurantkritik 12.Mai 2015

Das Frischeversprechen

Nebelig erinnern wir uns an den Mathe-Unterricht: Die kürzeste Verbindung zwischen zwei Punkten ist eine Gerade. Diese Erkenntnis hilft uns im niederländischen Zeeland mit all den Inseln und Halbinseln weiter. Die Autostrecke ist nicht immer die kürzeste und schnellste, und so besteigen wir kurzerhand die Westerschelde Ferry, die uns vom auf der Halbinsel Walcheren gelegenen Vlissingen hinüber nach Breskens bringt. Das Hafenstädtchen liegt in Zeeuws Vlaanderen und gehört zur Gemeinde Sluis. Sluis? Da war doch was...

Küchenchef Laurent Smallegange hat nach seinem Studium an der Hotelschule Ter Groene Poorte bei Sergio Herman im Oud Sluis gearbeitet. Bevor er 23-jährig mit dem Spetters sein eigenes Restaurant auf dem Hafenkai neben dem eher rustikalen Fischimbiss seiner Eltern eröffnete, kochte er im nahegelegenen De kromme Watergang und war Pâtissier in Jonnie Boers De Librije. Im November 2013 erhielt der junge Küchenchef mit 25 Jahren seinen ersten Michelin-Stern und wird im niederländischen Gault Millau 2015 mit 16 Punkten als "Belofte van het Jaar" gewürdigt – dies entspricht dem "Aufsteiger des Jahres" in Deutschland.

Beste Voraussetzungen also für einen kleinen Lunch – das Beste, was wir uns (nicht nur) an einem verregneten Mittag wie heute vorstellen können. Daher können wir leider auch nicht auf der bei Sonne bestimmt äußerst lässigen  Terrasse Platz nehmen, wo wir in den Genuss des Blicks über den kleinen Yachthafen gekommen wären. Halb so wild, da das geschmackvolle, kühl-moderne Interieur des Restaurants auch gefällt...

Mit einem Karottenküchlein mit Ziegenkäse, Mandarine und Yuzu beginnt die Küche den Reigen von Kleinigkeiten, der im Niederländischen „Mondvermaakjes & frisse snacks“ heißt. Der leicht süße Cracker schmeckt beinah wie ein Gewürzbrot. Sehr gut gefällt uns die klassische Komposition aus mild geräuchertem Aal mit Ei und Blumenkohl. Bei Topinambur, Pilzen und Hanfsamen erleben wir zwar keinen Rausch – unsere Sinne trügen uns nicht und der Pilz wurde wirklich aus Tompinambur nachgebaut –, es schmeckt aber gut: erdig, frisch und würzig. Die offene Thai-Beef-Rolle ist ein würdig-würziger Abschluss der Kleinigkeiten.

Neben unvermeidlicher Süße schmeckt die von Roter Bete, Pflaumen-Sake, Schokolade und Mandelcrème begleitete Gänseleber fast ein wenig wie Kuchen und Marzipan. Der eigentlich spannende Wein -  Ximenez Spinola "Exceptional Harvest" - verstärkt diesen problematischen Eindruck noch weiter. Grenzwertig.

Um Längen besser gefällt uns danach der Kabeljau mit Kalbsbacke, Ochsenschwanz, geräuchertem Kalbsknochenmark Duxelles und Pastinake. Der fantastische Fisch kann sich gegen die kräftigen Begleiter locker behaupten; vielleicht auch, weil er mit selbst hergestelltem Bottarga und einer Dashi-Brühe aus Bonito-Flakes und getrocknetem Seegras Umami-Unterstützung erhält – in Summe schmeckt dieser ausgezeichnete Gang herb, aromatisch dunkel und asiatisch angehaucht.

Und schon sind wir bei unserem Lunch beim souveränen Hauptgericht angelangt: auf Heu geräucherte Milchkuh mit Petersilienwurzel, Entenleber und Chicoree. Hier überzeugt uns besonders das angenehm bissfeste und intensive Fleisch der alten niederländischen Kuh. Wie beim  bekannteren spanischen Txogitxu-Fleisch wurde eine in die Jahre gekommene Kuh am Ende ihres (Arbeits-)Lebens erfreulicherweise nicht faschiert zum Burger-Patty, sondern erfreut mit ihrem hocharomatischem Fleisch. Dazu passen die bitter-süße Gemüsebegleitung und die Lebersauce, die durchaus den besonderen Geschmack des Kuh-Fettes aufgreift.

Leicht, knusprig und erfrischend endet mit Millefeuille "Autumn leaves" das Menü. Die Kombination aus Joghurt, Zitrus, Poudre d'or, Schokolade und Karamell schmeckt gut, wenngleich recht gefällig.

Was Laurent Smallegange aus Fisch und Meeresfrüchten zubereitet, die direkt vor der Tür von den wenigen verbliebenen Fischer gelöscht werden, konnte uns restlos überzeugen – hier hätten wir in Nachhinein gerne einen zusätzlichen À-la-carte-Gang eingebaut. So gut erleben wir Hafen-Gastronomie selten. Auch der Milchkuh-Gang gelingt aufgrund seiner Originalität blendend. In einem umfangreicheren Menü fiele die Gänseleber gewiss weniger negativ auf, hier passte sie konzeptionell und geschmacklich einfach nicht. Grundsätzlich hat das Spetters Potential: Zwar kann Smallegange seine Lehrmeister nicht verleugnen, er kopiert sie aber erfreulicherweise nicht, sondern setzt bereits eigene Akzente. Diese sind besonders sensorisch beim Zusammenspiel der rohen Jakobsmuschel mit dem Schweinebauch und beim Kabeljau mit Fleisch zu spüren.

Nach fünf Jahren in Zwolle ist Sommelier Wouter Denessen 2013 seinem ehemaligen Kollegen aus dem  De Librije nach Breskens gefolgt. So unbefangen, wie viele niederländische Köche sich im Umgang mit Produkten und Geschmäckern aus aller Welt zeigen, handhaben es auch die Sommeliers und greifen ohne Scheu häufig auch zu kräftigen Weinen aus der Neuen Welt. Das ist meistens hochinteressant und bringt interessante Tropfen ins Glas, birgt aber die Gefahr, das Essen mit zu viel Druck plattzumachen.
Der nette und gut informierte Service erläutert uns selbstverständlich alles auf Englisch – wenngleich die meisten Gerichte sich auf Niederländisch gelesen erschließen, sollte man  durchaus über englischsprachige Ausgaben der Speisekarte und der Website nachdenken. Es könnten ja demnächst ein paar Urlauber mehr kommen...

Fazit

Je lokaler, umso stärker – wenn Laurent Smallegange sich in der regionalen Produktwelt bedient und mit weltläufigeren Elementen kombiniert, ist die Küche am besten. Ein noch junger Küchenchef mit Potenzial.

Wein

2013 Sancerre "La Chatelenie", Joseph Mellot, Loire

2012 Ximenez Spinola "Exceptional Harvest", Pedro Ximenez, Jerez de la Frontera, Spanien

2012 Contemplations Chardonnay, Bulgarien

2009 Eerste Hoop, Shiraz, Weskaap, Südafrika

2009 Riesling "VT", Patrick Schaller, Elsass

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