Restaurantkritik 19.September 2015

Alexander vom Dach

Zwischen Ostberliner Plattenbauten und dem belebten Alexanderplatz liegt das "Andel's Hotel". In dieser Ecke der Hauptstadt gibt es keine touristischen Highlights, dennoch bevölkern Reisegruppen und geschäftige Anzugträger die überdimensionierte Lobby des Hotels – auf den ersten Blick deutet nichts darauf hin, dass sich hier ein angesagtes Restaurant befindet. Doch das Restaurant "A.Choice" zog unlängst von der ersten Etage näher an die Sterne, firmiert nun hoch über Berlin unter dem Namen "Skykitchen" und wird nicht nur medial gefeiert. Bereits im vergangenen November erhielt der Berliner Alexander Hoppe für seine Kochkünste, die sich der 34-Jährige im Restaurant Altes Gymnasium in Husum und im Lorenz Adlon Esszimmer in Berlin angeeignet hatte, den ersten Stern.

Nach einer kurzen Aufzugsfahrt haben wir den unter uns liegenden Trubel und die geografische Lage vergessen und werden in der zwölften Etage mit einem beeindruckenden Rundumblick durch die deckenhohen Fenster über die Hauptstadt belohnt. Im satten Licht der tiefen Abendsonne erstrahlt alles: der Fernsehturm und die flachen Altbauten im Westen; sogar die tristen Wohnbauten Lichtenbergs wirken nahezu pittoresk. Und auch der extravagante Industrie-Schick des Gastraumes wird in ein sprichwörtlich anderes Licht getaucht. Beton, Metall und unbehandeltes Holz wirken, dank detailverliebter Dekoelemente, so gar nicht kalt oder unnahbar. Wir sind freudig gespannt, ob das Menü mit dem beeindruckenden Ambiente mithalten kann.

Als erstes Amuse-gueule schickt die Küche eine Maiscrèmesuppe mit asiatischem Ratatouille und Königskrabbe. Das ist mehr als ein lockeres Aufwärmprogramm zum Start, da das Süppchen äußerst scharf daherkommt. Da gehen das gut gearbeitete und abgeschmeckte Gemüse und das sehr aromatische Schalentier leider unter. Das erinnert uns stark an den ungezügelten, jungen Tim Raue, der eine Zeitlang auf der Suche nach der vertretbaren Dosierung seiner Gewürze war.

Gerade tupfen wir uns noch die letzten Schweißperlen von der dezent-feuchten Stirn, da folgt bereits der zweite Gruß: Labskaus mit gebackener Sardelle, Bratkartoffel-Espuma und Sanddorn-Gel. Das ursprüngliche Seemannsgericht wird von vielen aus unerfindlichen Gründen – es mag an der Optik liegen – skeptisch beäugt (wir haben schon sehr gute Versionen genossen). Aber das Wagnis geht auf: Verzögert steuert die Säure des Sanddorns dem Labskaus Frische bei, und die Sardelle sorgt für den nötigen Crunch sowie salzige Akzente. Das ist eine wunderbare Entschärfung des oft derben Originals!

Mit dem ersten Gang, Nordseehummer, Chicorée, Safran-Fenchel-Orangeneis und Bio-Zitrone, bleiben wir mit dem wunderbar zart und saftig gegarten Schalentier in heimischen Gewässern. Die Süße des Hummerfleisches korrespondiert gut mit dem bitteren Korbblütler und dem bitter-sauren Eis. Lediglich stechende Säureakzente der Zitrone schaffen ab und an ein Ungleichgewicht, das gewollt oder ungewollt die Harmonie der insgesamt gelungenen Komposition stört.

Die Interpretation des italienischen Antipasto-Klassikers Vitello tonnato als True-Wilderness-Kalb und Yellow-Fin-Tuna mit Rübstiel, schwarzer Sesam und Kapernbeeren ist nicht nur schön anzusehen, sondern überzeugt auch geschmacklich. Neben einer fein abgeschmeckten Thunfischsauce aus einer Sphäre – sie scheinen einfach nicht totzukriegen zu sein – gefallen uns die herzhaft-süffige Kalbspraline und die elegante Avocado-Crème, die gut mit den Säurekicks der Kapern harmoniert. Für die Bitterstoffe sorgt die hauchdünne Scheibe getrockneter Amalfi-Zitrone, dezente grüne Noten gehen vom gerade im Rheinland beliebten Stielmus aus. Ein rundes Gericht, das von vorne bis hinten zu Ende gedacht ist. Bravo!

Mit dem nächsten Gang, Wachtel, Rauchspargel, Pfifferlinge und Gartenerbse, findet das Menü eine herzhafte Fortsetzung. Die Brust des Hühnervogels ist mit einer Kräuterfarce gefüllt, gerät bissfest bis cremig und wird knusprig von einer mit Wachtelkeule-Fleisch gefüllten Frühlingsrolle flankiert. Die schlüssige Begleitung aus knackigen Erbsen und ihren  Sprossen, Pfifferlingen und Rauchspargel bringen zwar ein gemüsig-grünes Fundament ins Gericht, aber die Kombination von vielen Einzelelementen überlagert stellenweise den feinen Geschmack des Hauptproduktes. Das ist in Summe gut, kann uns aber nicht restlos überzeugen.

Der Tigerenten-Raviolo gewinnt zweifelsohne den Schönheitswettbewerb beim perfekt gegarten Saint Pierre mit Pancetta, Fava-Bohne, Radicchio und Safran. Die Verbindung mit dem filigranen Safranschaum schafft eine überraschende Aromentiefe, die sich durch die nussige Mehligkeit der Fava-Bohnen gut entfalten kann. Der Inhalt des Raviolo ist im Vergleich dazu eher fade und drängt sich durch seine schiere Größe ab und an vor das Hauptprodukt. Den sonst sehr eindringlichen Geschmack von Pancetta vermissen wir nahezu gänzlich.

Eher deftig geht es mit der Etouffé-Taube, Boudin Noir, weißer Zwiebel und roter Rübe weiter, die mit einer frittierten Praline von Taubeninnereien und der Blutwurst auf einer Rote-Bete-Crème thront.  Der fein-lebrige Wildgeschmack der Taube bleibt das ganze Gericht hindurch präsent, während die Blutwurst-Praline als überzeugender Textur-Vermittler zwischen Brust und süßlicher Rote-Beete-Crème agiert. Das Zwiebelpüree ordnet sich diesem dominanten Geschmacksverband brav unter und meldet sich nur ab und an ergänzend zu Wort. Dazu rundet der begleitende Wein, ein beeriger Lemberger vom Weingut Haidle, das Gericht an dieser Stelle feinfruchtig ab. Sehr gelungen!

Das sizilianische Olivenöl Particella 34 wurde in der Küche zu einem erfrischenden und neutralisierenden Sorbet verarbeitet und wird von Pinienkernen und Vanille begleitet, wobei die feine Bitternote hervorragend zur süßlich-kalten Tomatensuppe am Glasboden passt. Ungewöhnlich und sehr gut.

Peenestrom-Zander (aus einem Meeresarm der Ostsee) und Hakenberger Short Rib mit Spreewaldgurke, Blütenkohl und Kapernbeeren ist dann der erste Hauptgang. Das „Surf & Turf“ überzeugt uns geschmacklich überhaupt nicht und gerät eher als ein wilder Mix. Der Zander wurde übergart, die Short Rib ist trocken, und auch das Dreierlei vom Blumenkohl (Püree, Chip, Cous Cous), sowie die zusammengerollten Schmorgurken ergeben für uns keinen schlüssigen roten Faden bei diesem Gericht. Leider ein Totalausfall.

Nach dieser Ernüchterung sind wir froh, dass es beim Greater-Omaha-Beef mit Foie-gras, Haselnuss, Kräuterseitlingen und Sellerie wesentlich besser läuft. Das US-Fleisch kommt als exzellent geschmorte Backe unter geschmolzener Foie-gras sowie als Stück vom Rib-Eye auf den Tisch. Der Spiegel aus Trüffel-Jus verbindet die Adjektive süß, herzhaft sowie rauchig, und der geflämmte Selleriewürfel erweitert das Geschmacksspektrum um herbe Röstaromen, feine Bitternoten und den nötigen Biss. Der Gang ist in sich schlüssig und überzeugend und wir wieder glücklich.

Vor den Desserts erdet die Küche unsere Geschmackspapillen noch einmal mit Currysorbet, Passionsfrucht und Wasabi-Sesam. Die eindringliche Schärfe, die perfiderweise erst nach einigen Sekunden den Rachen hochklettert und uns kurz an das erste Amuse-gueule erinnert, wird gottseidank von der Passionsfrucht angenehm neutralisiert und in ein angenehmes sensorisches Umfeld überführt.

Erfrischend kühl und säuerlich-bitter fällt der Dessertauftakt mit Rhabarber, Himbeere, Valrhona-Opalys-Eis und Bergpfeffer aus. Das Knöterichgewächs wird hier als Praline und mit Sago verdickt variiert, die Himbeere verschafft sich als Sorbet deutliche Präsenz und ermöglicht als fluffiger Marshmallow interessante Textur-Kombinationen. Das cremige Weiße-Schokolade-Eis bringt hier und da etwas benötigte süße Abwechslung zum ansonsten herb-sauren Geschehen ins Spiel. Der tasmanische Pfeffer ist ein i-Tüpfelchen am Gaumen, das minimale, aber willkommene Schärfe-Akzente setzt. Uns gefällt dieses leicht zu ergründende und erfrischende Dessert, und wir erfreuen uns daran, mit jedem Löffel neue geschmackliche Kombinationen ausprobieren zu können. Simpel, aber gut.

Die Sonne ist nun hinter dem Stadtpanorama verschwunden, und mit Erdbeere, Holunder, Basilikum und Cheesecake findet auch das Menü ein süßes und optisch ansprechendes Ende. Das eckige Erdbeertörtchen (das nicht allzu entfernt an die vor uns liegenden, grauen Betonklötze Lichtenbergs erinnert) wird gelungen von saurem Holunder und aromatischem Basilikumeis eingefasst. Die Süße der Erdbeere dominiert das Dessert, besonders nach dem sich der Sphäreninhalt mit allen Bestandteilen des Tellers mischt. Mit einer Art Käsekuchen entsteht eine zart schmelzende Cremigkeit, und allerlei Micro-Elemente (Sand, Kräuter) fügen zeitgemäße Abwechslung hinzu. Definitiv etwas für die Süßmäuler unter uns!

Abschließend folgen die Petits Fours. Neben recht unauffälligen weißen Schokopralinen schmilzt der etwas zu weiche Passionsfruchtgummibär  bereits an der Zungenspitze. Dafür gefällt uns die gleichsam süß und fettig-herzhafte Speck-Zwiebel-Schokoladenpraline aufgrund ihrer Originalität deutlich besser. Die nachgebauten, sehr erdnusslastigen Snickers lassen sich nicht mit dem weltbekannten Schokoriegel vergleichen – letzterer schmeckt in den letzten Jahren nur noch wie süße Masse.

Der Umzug vom ersten Stock des Hotels in die "Skykitchen" hat Alexander Koppe (2.v.l.) und seinem Team definitiv gut getan. Etwas abseits des Hotelbetriebs wirkt auch das Restaurant nicht wie ein übliches Hotelrestaurant – bei der Küche ist das ohnehin nicht der Fall. Zugleich scheint der Weitblick aus dem Lokal bisweilen den Blick der Crew aufs Kulinarische etwas zu trüben: Vor allem die regionalen Ansätze wirken eher etwas zeitgeistig und in Kombination mit den sehr internationalen Einflüssen nicht immer schlüssig. Umgekehrt spielt Alexander Koppe seine Stärken genau dann aus, wenn er das Hauptprodukt mit sensibel abgestimmten Beilagen stützt und sich nicht durch zu viel blinden Aktionismus von der Fährte bzw. dem Geschmack abbringen lässt. Gelingt dies, dann erkennen wir die Züge einer eigenen Handschrift und einer klaren Linie, mit der sich dann Fehlschläge wie beim ersten Hauptgang sowie unnötige Schärfeeskapaden vermeiden lassen. Erfreulicherweise überwogen bei unserem Menü aber die positiven Eindrücke, und wir sind gespannt, wie sich der Stil Alexander Koppes in den kommenden Jahren weiter entwickelt.

Work in Progress herrscht bei der Weinkarte, die vornehmlich Tropfen aus Deutschland aufführt und bisher von der Auswahl des Hotels geprägt wurde. Das soll sich in Zukunft ändern verspricht uns die herzliche sowie fachkundige Maître Barbara Merll (links), und man arbeitet gerade fleißig an einer eigenen Auswahl – das kann dem einen oder anderen zu plakativen Pairing sicherlich helfen.

Fazit

Mit der "Skykitchen" hat sich in und hoch über Berlin eine Küche mit Ambitionen und Ehrgeiz aufgetan. Wenn das Team um den sympathischen Alexander Koppe die Individualität und Stringenz weiter verfeinert, spielt sie in einer genau so hohen Liga, wie es der Ausblick verspricht.

Wein

Mit Notizen der Sommelière Barbara Merl.

Champagne Louis Roederer Brut Premier
"Der Brut Premier besteht aus den drei erlaubten Rebsorten für Champagner: 40% Pinot Noir, 40% Chardonnay und 20% Pinot Meunier. Er vereint die in Eichenfässern gereiften Weine der drei Rebsorten der Champagne, reift 3 Jahre im Keller und weitere 6 Monate nach dem Dégorgement und stammt wie die Mehrheit der Champagner aus mehreren Jahrgängen."

2012 Pettenthal Riesling, Weingut Schätzel, Rheinhessen
"Der Lagenwein weist einen hefigen Zitrus-Steinobstduft mit Apfelnoten, pflanzlichen und getrocknet-kräuterigen bis floralen Nuancen sowie gewisser Mineralik und einem Hauch dunkler Beeren im Hintergrund auf. Auch im Mund ist er hefig und dazu frisch-pflanzlich, mit einer eher zitrusbetonten Frucht, lebendiger Säure und Kohlensäure, noch ein wenig unruhig, nicht ewig tief, aber schon jetzt animierend, gewinnt noch deutlich mit Luft, kühle Mineralik im Hintergrund, zart florale und schwarzbeerige Aromen, hat Biss, eleganter Stil, guter bis sehr guter Abgang."

2013 Langenloiser Spiegel Grauburgunder, Weingut Bründlmayer, Kamptal
"Im Vordergrund steht die Lage. Kalkreicher Löss liegt auf dem Langenloiser Spiegel. Bei aller Kraft auch subtil gehalten; blumig und erfrischend, satter Fruchtschmelz, bleibt auch gut haften."

2010 Chardonnay "i Sistri" IGT, Fattoria di Felsina, Toskana
"Der reinsortige Chardonnay aus dem Hause Felsina präsentiert sich im Glas in einem kräftigen Strohgelb. In der Nase wie auch am Gaumen ist der Wein von einer für im Holz ausgebaute Chardonnays typisch würzig, mit feinfruchtigen Note nach reifen exotischen Früchten, die bis ins nachhaltige Finale, von Vanillearomen angenehm ergänzt wird."

Lemberger S, Weingut Markus Bruker, Württemberg 
"Die Trauben des roten Lemberger legen sich mit violetter, fast schwarzer Farbe ins Glas. Dort verströmt er Aromen von Blaubeeren, Himbeeren, außerdem nussige und würzige Nuancen. Am Gaumen saftig, elegant mit weinigem Charakter, vielen Beeren und einem schönen, langem Abgang."

2012 Spätburgunder Caspar C, Weingut Deutzerhof, Ahr
"Tiefdunkel in der Farbe, süßlicher Duft von Schokolade und roten Früchten mit Noten von Holunderblüten und Veilchen. Auch am Gaumen beweist dieser Rotwein ausgeprägte Frucht und Extrakt; zarte Tannine und angenehme Fruchtsäure sind harmonisch aufeinander abgestimmt."

2013 Big John, Scheiblhofer, Burgenland
"Duftiges schwarzbeerig-würziges Bouquet nach Cassis, dunklem Edelholz, Kirschtabak und Schattenmorelle, mittlerer Gaumen, florale Noten aufkommend, dunkle Schokolade, schwarzer Pfeffer und Nelken, fein sprödes, langes Finale."

2013 Riesling Auslese, Weingut Leitner, Burgenland
"Sattes Goldgelb, im Duft nach Pfirsich, frischem Heu, etwas Schwarzteearomen, am Gaumen vollreife Weingartenpfirsiche, lebendige und schön integrierte Säure. Wirkt frisch und ausgewogen, Abgang mineralisch, fein und lang."

Fragen an die Suffmeisterin (a.k.a. Sommelière) Barbara Merl

1. Anzahl der Positionen?
Ca. 90

2. Haben Sie einen besonderen Fokus bezüglich der Weinkarte?
Österreich und Deutschland 

3. Welche ist Ihre preiswerteste/teuerste Flasche?
Der preiswerteste Wein ist der Grüne Veltliner Ried Sandgrube von den Winzern Krems für 24€, wobei der 2011er Tignanello 145€ kostet. 

4. Die ungewöhnlichste Rarität? 
Der Rote Veltliner 2012 vom Weingut Josef Fritz aus dem Wagram. 

5. Welches ist Ihr meistverkaufter Wein der letzten 12 Monate?
Grauburgunder Spiegel vom Weingut Bründlmayer

6. Ihr Lieblingswein?
Die Weine von Kai Schätzel aus Rheinhessen

7. Ihre Entdeckung der letzten 12 Monate?
Petit Bourgeois, weil ich den mit meinem Vater im elterlichen Betrieb zum Feierabend getrunken habe

8. Der ausgefallenste (vinophile) Gästewunsch, mit dem Sie konfrontiert wurden?
Ein Gast wollte den Wein auspendeln, anstatt ihn zu verkosten.

Hinweis

Unser Besuch wurde vom Restaurant unterstützt. Details zum Umgang mit Pressekonditionen findet Ihr hier.

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