Restaurantkritik 16.März 2016

Der Schanz, der kann’s

Es ist wie so oft im Leben: Ein gutes Elternhaus kann nicht schaden. Darauf lässt sich aufbauen oder, wie bei Familie Schanz, auch daran anbauen. Im beschaulichen Piesport an der Mosel bauen die sympathischen Schanz’ schon seit Jahren Wein an und betrieben  eine Pension mit Buschenschank, wo Mutter Gabi rustikale Gerichte auftischte. Filius Thomas absolvierte eine Kochlehre, suchte sich dafür allerdings nicht irgendeinen Betrieb aus, sondern wählte gleich mal die Traube im Tonbachtal. Anschließend zog es ihn weiter nach Saarbrücken zu Klaus Erfort, um dann beim legendären Helmut Thieltges im Waldhotel Sonnora zu landen und binnen kürzester Zeit zu seinem Souschef zu avancieren. Sechs Jahre hatte er diese Stelle inne. Was lag mit dieser Erfahrung näher, als danach die familiären Kräfte zu bündeln?

Somit entstand das Dreigestirn aus Hotel, Restaurant und Weinhaus. Diese Kombination ist unschlagbar, um Gäste anzusprechen, die nach ausgiebigem Menü- und Weingenuss das Auto stehen lassen wollen. Dazu gehören auch die zahlreichen Kulinarik-Begeisterten aus dem benachbarten Luxemburg, die sich am gemäßigteren Preisniveau jenseits der Grenze erfreuen. Da ist es nur eine logische Konsequenz, dass hinter dem Haupthaus ein Anbau entstand, der nun das mit Moselschiefer, Eichenholz und Naturstein puristisch und zeitlos-modern eingerichtete Restaurant beherbergt. Seit 2011 startet der mittlerweile 36 Jahre alte Sohn Thomas dort voll durch: Dem ersten Stern direkt im Eröffnungsjahr folgte im November 2015 Macaron Nummer zwei.

Nachdem wir bereits im vergangenen Frühjahr eine durchaus beeindruckende mittägliche À-la-carte-Auswahl  genossen, wollen wir uns diesmal bei einem abendlichen Besuch dem vom Küchenchef zusammengestellten Menü widmen. Zunächst sind wir verwundert, als wir den Kanon klassischer Gourmet-Ingredienzien auf der Karte lesen: Gänsestopfleber, Steinbutt, Froschschenkel, Hummer, Jakobsmuschel, Rehrücken und Rebhuhn – das entspricht aktuell so gar nicht einem jungen Küchenchef, wenngleich seine letzten Stationen diese Produktauswahl durchaus erklären. Aber genug der Speisekarten-Lyrik, wir sind auf die Umsetzung gespannt...

Beim Einstieg, der lauwarmen Nordseemakrele mit gerösteten Oliven und Curry, steht ein vermeintlich profaner Fisch im Mittelpunkt. Dabei ist der fettreiche Meeresbewohner für uns eine wahre Delikatesse, und er kann im Zusammenspiel mit den Oliven die sehr prägnante Gewürzmischung locker wegstecken. Die Praline von der Bouchot-Muschel überzeugt mit bestens herausgekitzeltem Muschelgeschmack, wobei die weiche Textur von etwas Crunch willkommen kontrastiert wird.

Das Trüffelei haben wir von unserem letzten Besuch in guter Erinnerung: klassisch und gut. Man sollte meinen, dass die arrivierte Zusammenstellung aus Fett (Ei, Butter, Sahne) und Trüffel sowieso immer passt, diese funktioniert jedoch nur bei perfekt und feinst abgestimmten Proportionen. Hier stimmt alles, so dass diese Petitesse einen verdammt hohen Suchtfaktor besitzt.

Optisch überzeugt das gelierte Schwertfischtatar mit Ingwer und Wasabi durch sauberes Handwerk. Dafür, dass es nicht bei l’art pour l’art bleibt, sorgt das überzeugende Geschmacksbild aus aromatisch äußerst präsentem Fisch, leichtem Zwiebelaroma und der asiatischen Einfassung, zu der sich ein wenig Sojasauce gesellt. Süße und Säure sind dezent ausbalanciert, und Micro-Leaves sowie das eingearbeitete Gemüse sorgen für Frische. Sehr gut.

Nach diesen überzeugenden Kleinigkeiten starten wir mit Carpaccio von der Gänsestopfleber mit eingedicktem Traubenmost und Sherrygelee ins Menü. Die Protagonisten hören sich zwar recht bekannt an, die Umsetzung ist jedoch grandios. Mit einem Leber-Eis, Parmesan-Spänen und Walnüssen geht es eher herzhaft-nussig als penetrant süß zu. Für knackig-frische Abwechslung sorgen die Salatspitzen. Die Dicke der Leber ist optimal getroffen, so dass die Spannung bis zur letzten Gabel anhält. Wir vergessen ob dieser tollen Kombination beinahe, vom Brioche zu kosten.

Doch es wird mit der Tranche vom wilden Steinbutt mit Kaviar vom Ei, Lardomousse und Kresse-Aufguss noch besser. Ein satt dickes, perfekt saftig auf der Haut gebratenes Stück Fisch – diese klassische Erwartungshaltung erfüllt das Küchenteam spielend. Dass cremig-fettiges Eigelb und fettig-würziger Speck unterstützen, sprengt noch nicht die Grenzen. Dafür ist neben herrlich herbem Gemüse maßgeblich der äußerst interessante, kontrastierende Sud verantwortlich. Dieser sorgt bei diesem im Grundsatz klassisch angelegten Gericht für eine Geschmacks- und Begeisterungsexplosion – folgerichtig für uns eine Götterspeise.

Nach diesem Highlight haben es die sautierten Froschschenkel mit Petersilienextrakt, Fregola Sarda und Parmesancroutons schwer. Nach den ersten filigranen Gerichten geht es hier – gerade à part mit der Zubereitung der Waden, Petersilienpüree, Kartoffelmousseline und Estragonessigschaum – deftiger zu, so dass ein deutlicher Umami-Geschmack das Gesamtbild bestimmt. In Deutschland werden Froschschenkel weiterhin – aus diversen und durchaus nachvollziehbaren Gründen – eher selten serviert: Der Geschmack erinnert durchaus an feines Brathähnchen. Das ist nicht wahnsinnig aufregend, schmeckt in Summe gut und wegen der entschlackten klassischen Einfassung aus Petersilie und Knoblauch in diesem Fall auch nicht plump.

Wenn es eines Beweises bedarf, warum das von uns bisweilen kritisch beäugte Krustentier seine kulinarische Berechtigung hat, liefert sie Thomas Schanz mit Frikassee vom gegrillten Hummer mit gebrannter Litschi, Madagaskar-Pfefferjus und knusprigem Bündnerfleisch. Das sensible Hummerfleisch ist hier nicht nur geschmackfreie Kaumasse und somit redundant, sondern ausgesprochen delikat. Mit den milden, weichen (!) Kürbisstücken bildet sich insgesamt ein süffiger Mischgeschmack, wobei gerade die rauchige Fruchtsüße mit dem scharf-aromatischen Pfeffer hervorragend klarkommt. Würzung steuert das geschickt eingesetzte Salicorn und das kräftige Trockenfleisch bei. Das Resultat: ein exzellentes Gericht.

Ähnlich konzipiert ist der pochierte Atlantik-Seehecht "karibische Art" mit Koriander, kandierter Papaya, geröstetem Reis und Gewürzsud. Auch hier wird eine gewisse Süffigkeit mit einer leichten Andersartigkeit durch Frucht und Gewürze erfolgreich aufgebrochen, wobei es recht scharf zugeht. Das wirft die Kreation etwas aus der Balance. Besser kommt das saftige Stück Raubfisch mit knackigem Gemüse, hier der asiatischen Kohlsorte Pak Choi, zurecht.

Noch deutlicher tritt die Würze bei in Kardamom gebratener Jakobsmuschel mit wildem Brokkoli, Tomate und Mandarine zu Tage. Recht häufig wurde uns die Coquille bereits mit allen möglichen Deklinationen von Blumenkohl vorgesetzt. Logisch, denn die Nussigkeit beider Produkte findet meist gut zusammen, und daher passt auch der eng verwandte Brokkoli bestens. Überraschend ist die Kombination mit Tomate und Mandarine: Es schmeckt, als gehörte die ungewöhnliche Zusammenstellung schon immer zusammen.

Der erste Fleischgang, Ballotine vom Rebhuhn mit schwarzem Wintertrüffel, Rieslingkraut, Dörraprikosen und Kümmelmaronen, sieht ein wenig überfrachtet aus, weglassen würden wir jedoch nur die Tupfer Pastinake. Zumindest muss sich an dieser Stelle niemand mehr Sorgen machen, hungrig nach Hause zu gehen. Auch hier gilt: Das Gericht ist außerordentlich sorgfältig und präzise zubereitet. Die gute Schule beherrscht Thomas Schanz aus dem Effeff. Es schmeckt so stringent und eingängig, wie man beim Lesen oder Betrachten vermutet. Aber auch ein wenig vorhersehbar, wobei löblicherweise bleierne Schwere fehlt und gerade Süße und Säure der Aprikosen das Ganze angenehm und subtil „belüften“. Ein Gang, der uns im Geschmack von „früher“ schwelgen lässt, aber dennoch den Anschluss an die Moderne nicht verpasst. Da nehmen wir auch in Kauf, dass insgesamt das Überraschungsmoment vorangegangener Gänge ausbleibt.

Hervorragendes Fleisch, aromatische Steinpilze und eine (beinahe zu) intensive Sauce – so gut, so bekannt ist diese Zusammenstellung. Der Eifler Rehrücken mit sautiertem Rucola, Mandelcrème, Tamarinde und "Sauce Bergamotte" geht dann in Sachen Reduktion und Purismus dann vielleicht noch einen Schritt weiter. Ein wenig knackig-frischen, scharfen Rucola gab die Küche dazu, ansonsten lässt sie uns mit ein paar Tupfern und Krümeln die Möglichkeit, selbst Crunchiness (Amarant) und säuerliche Exotik (Tamarinde) zu steuern. So probieren wir uns durch, und das Ergebnis ist durchweg überzeugend, punktet aber nicht mit derselben Originalität wie beispielsweise der Steinbutt.    

Beim Dessert, „Zwei Äpfel fielen weit vom Stamm“ mit Macadamiacrème, Kaffeeessigschaum und Granny-Smith-Sorbet, steht eine ungemein realistische 1:1-Nachbildung eines Apfels im Zentrum. Dabei ist die Hülle aus Kakaobutter allerdings mit einer mächtigen, etwas zu festen und reichhaltigen Nusscrème gefüllt – bei der Größe der Apfelnachbildung ist das ein erschlagendes Mengenproblem. Vorsichtig dosiert harmoniert sie durchaus mit dem herben Schaum und dem fruchtig-sauren Sorbet, die aber die Gesamtschwere nicht ausgleichen können. Vielleicht wäre die Lösung ein kleinerer Apfel oder ein Schaum statt einer Crème.

Dagegen ist Rotes Weinbergspfirsichsorbet mit Jasminreisschaum und Sake übersichtlich, kühl und leicht. Für interessante Nuancen sorgt der leicht asiatische Hauch. Ein angenehm reduzierter Abschluss.

Die feine Auswahl an Petits Fours: Gestockte Gewürzmilch mit Grand Marnier, Frankfurter Bethmännchen, Kaffeecarree, Schokoladentrüffel mit Passionsfrucht und Vanille, Kirsch-Baileys, Französischer Nougat überlebte so gerade eben das Foto...

Wir genossen ein starkes Menü, das von vorne bis hinten Hand und Fuß hatte. Das liegt natürlich daran, dass Thomas Schanz die klassische Partitur aus Produkten und Zubereitungen hervorragend spielt. Doch damit nicht genug: Seinen Gerichten lässt er bei der Umsetzung sehr häufig eine eigene Note angedeihen. So fügt er eine Nuance hinzu oder – vielleicht weitaus wirkungsvoller – lässt sie weg oder verändert sie. Oft wählt er dazu eine fruchtig-säuerliche Komponente, die aber keine kaschierende Süße hinzufügt, oder er bedient sich herber Gemüse und Kräuter und setzt dezent Gewürze ein. Diese Küche als modernisierte Klassik zu bezeichnen, weil sie entschlackt wurde, greift also nicht weit genug. Denn hier kocht jemand mit viel geschmacklichem Feinsinn, der gleichsam vertraut ist und dennoch die gewisse Prise Kreativität enthält. Bei allem Wohlgeschmack bleibt dadurch eine angenehme Spannung erhalten.

Das springt nicht immer sofort ins Auge, denn Thomas Schanz sucht nicht nach Effekten oder vordergründigem Spektakel, sondern nach Optimierung. Dass er sich mit einigen konservativen Produkten den mutmaßlichen Gästewünschen und -erwartungen nicht verweigert, können wir ihm kaum zum Vorwurf machen. Zumal sich der Küchenchef im A-la-carte-Bereich auch den weniger edlen Produkten mit Hingabe widmet, die viel öfter auf Tellern auftauchen sollten – Innereien. Die Entwicklung ist noch nicht abgeschlossen: Thomas Schanz ist ein Koch, den wir nicht nur aufgrund des zweiten Sterns im Auge behalten werden.

Im Schanz geht es angenehm familiär und entspannt zu. So reibt sich im Sommer wahrscheinlich niemand verwundert die Augen, wenn sich ein Radwanderer auf der einladenden Terrasse neben Fressreisenden  niederlässt. Bei aller herzlichen Lockerheit agiert der Service unter Restaurantleiterin Adrienn Pasztusics top informiert und choreographiert.

Die Weinkarte lockt – wie so oft in Weinregionen – mit trinkfreudig kalkulierten Flaschen. Auch in der überzeugend zurückhaltenden und fein abgestimmten Weinbegleitung von Sommelier Thomas Ritter ist die Mosel stark vertreten.

Fazit

Klasse Handwerk und imponierender Geschmack treffen auf feine Ideen. Von einer Reise an die Mosel ohne Besuch beim neuen Zwei-Sterner müssen wir dringend abraten.

Wein

Wein im Restaurant Schanz in Piesport

Schanz Riesling Sekt, extra trocken 

2008er Piesporter Kreuzwingert, Weingut Reinhold Haart, Mosel

2004er Wehlener Sonnenuhr Auslese, Weingut Joh. Jos. Prüm, Mosel

2013er Schweicher Annaberg 'Der Wurzelechte', Weingut Bernhard Eifel, Mosel

2013er Sauvignon Blanc, Weingut Knipser, Pfalz

2011er Pouilly-Fuissé A.C. Alliance, Domaine Daniel & Julien Barraud, Burgund

2011er Gewürztraminer Qualitätswein, Weingut Dönnhoff, Nahe

2014er Grauer Burgunder *** Chara, Weingut Alexander Laible, Baden

2008er Fixin A.C., Domaine Méo-Camuzet, Côte de Nuits 

2010er Tempranillo D.O.C., Castillo Clavijo, Rioja

2013er Wolfer Goldgrube Riesling Spätlese, Weingut Vollendender, Mosel

Fragen an den Suffmeister (a.k.a. Sommelier) Thomas Ritter

Anzahl der Positionen?

Wir haben ca. 300 Positionen auf der Karte.

Haben Sie einen besonderen Fokus bezüglich der Weinkarte?

Da wir an der Mosel sind, konzentrieren wir uns auch auf die Weine aus der Region.

Welches ist ihre preiswerteste/teuerste Flasche?

Am preiswertesten ist unser eigener 2011er Rivaner für 26€.

Die ungewöhnlichste Rarität?

Der 1985er Oberemmeler Hütte, Riesling Kabinett vom Weingut von Hövel

Welches ist ihr meistverkaufter Wein der letzten 12 Monate?

Das ist der Riesling-Sekt extra trocken von unserem Weinhaus Schanz.

Ihre Entdeckung der letzten 12 Monate?

Begeistert hat mich der 2012er Ayler Kupp, Fass 8 vom Weingut Lauer.

Ihr Lieblingswein? Weshalb?

Der 2009er Wolfer Goldgrube, Riesling QbA trocken vom Weingut Vollendender in Traben-Trarbach, weil es ein sehr ausdrucksstarker Wein mit intensiven Fruchtnoten und einem feinem Säurespiel ist.

Der ausgefallenste (vinophile) Gästewunsch, mit dem Sie konfrontiert wurden?

Auf Wunsch eines Gastes habe ich einen Rotling am Tisch zubereitet.

Hinweis

Unser Besuch wurde vom Restaurant unterstützt. Details zum Umgang mit Pressekonditionen findet Ihr hier.

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