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Restaurantkritik 18.April 2017

Lukullisches Limburg

Limburg. Das klingt erstmal wie tiefste Provinz. Ist es irgendwie auch, wenngleich die Stadt ja durch die klerikalen Ausschweifungen des Bischofs Franz-Peter Tebartz-van Elst zu gewissem Weltruhm gekommen ist. Limburg klingt aber irgendwie auch malerisch, und tatsächlich gibt es eine durchaus pittoreske Altstadt. Gut 30.000 Einwohner hat die Gemeinde. Und seit neuestem auch ein Sternerestaurant, nämlich das 360°. Das bringt uns zu einer entscheidenden Info: Von Frankfurt aus ist Limburg mit dem ICE in 30 Minuten erreichbar, von Köln-Deutz in 45 (plus 5 Minuten Taxifahrt) – und alles ohne langwierige Umsteigeorgie oder nervtötenden Regionalbahntrip. Für Fressreisende dürfte diese Information von erheblichem Wert sein. Denn das bedeutet, dass man locker und ohne Stress für ein Mittagessen in die Domstadt fahren kann und ebenso gemütlich wieder nach Hause kommt. Genau so haben wir es gemacht.

Der ICE-Bahnhof in Limburg-Süd mutet eher unwirtlich an. Eine von Menschenhand geschaffene Einöde, die wir mit dem Taxi schnell hinter uns lassen. In der Limburger City angelangt, wähnen wir uns zunächst vom Regen in die Traufe gekommen, denn die Adresse des 360° führt uns zu einer Shopping-Mall neben dem Hauptbahnhof. Diese befindet sich in einem architektonisch nicht uninteressanten Gebäude, ein sonderlich elegantes Flair kommt trotzdem nicht auf. Einkaufen kann man hier bestimmt ganz gut, aber der pittoreske Teil der Stadt beginnt woanders.

Fotocredit: (cc) Mylius / Wikipedia

All das interessiert uns jedoch nur am Rande. Wir suchen den Eingang bzw. Aufgang zum 360°, das sich im obersten Stock des Gebäudes befindet. Ein etwas versteckt liegender Aufzug befördert uns schließlich in die 3. Etage, wo sich hinter einer unscheinbaren Tür das überraschend großzügige, lichtdurchflutete Restaurant verbirgt. Wir nehmen Platz und lassen den Blick schweifen – der Name verspricht nicht zu viel, man hat in der Tat einen nahezu unverbauten Rundumblick. Hinzu kommt eine große Terrasse, für die es an diesem Tag leider noch deutlich zu kalt ist. Das Interieur ist dezent und elegant, es herrscht kein Prunk, sondern geschmackvolle Bescheidenheit. Die Atmosphäre wirkt locker, und irgendwie meinen wir, dem Lokal anzumerken, dass hier ein junges, ambitioniertes und dabei doch bodenständiges Team am Werk ist. 

Patron und Küchenchef Alexander Hohlwein war lange Jahre Souschef von Kevin Fehling. Mitte 2016 machte er sich mit seiner Lebensgefährtin Rebecca Weickert, die den Service leitet, in seiner Heimatstadt Limburg selbstständig. Kaum ein halbes Jahr später gab es den ersten Stern. Der Gusto kürte Hohlwein sogar zum "Newcomer des Jahres". Klingt vielversprechend. Schauen wir mal, was so kommt.

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Zum Aperitif gibt es "Kulinarische Grüße aus dem Orient" – offenbar gehört es zum Konzept, diese Snacks stets einer bestimmten Landesküche zu widmen. Für uns gibt es indischen Papadam-Fladen mit Fjord-Shrimp und Tandoori Masala, ein Rindertatar mit Ras el-Hanout und Gewürz-Joghurt sowie eine indische Dal-Linsensuppe. Das ist alles sehr stimmig gemacht, vor allem das exzellent gewürzte Tatar und die intensive, sämige und heiße (!) Suppe gefallen uns sehr gut.

Als Amuse kommt eine gestockte Auster mit Bouillabaisse-Schaum, Fenchelwürfeln, roter Paprika und Sauce Rouille auf den Tisch. Auch hier zeigt sich ein gutes Gespür für Feinjustierung, denn die Auster wird zwar mannigfaltig begleitet, geht aber nicht unter. Vielmehr entwickelt sich ein spannendes, sehr süffiges Wechselspiel, das sogar den Austernpessimisten am Tisch überzeugt.

Sodann startet das Menü mit einem Zweierlei von der Jakobsmuschel: roh und gebraten. In der Kokosnuss befindet sich eine gebratene Jakobsmuschel mit Karotten-Mango-Chutney, Krustentierschaum, Kokosgel, Mango und Grapefruit sowie einer Erbsenschote und Erbsenkresse.

Das schmeckt für sich genommen schon gut. Man soll es aber gar nicht einzeln essen, sondern im Wechsel mit dem zweiten Teller. Darauf liegen marinierte Jakobsmuschelscheiben mit Mangogelee, Mangowürfeln, Kokosgel, Kokosnussscheiben und Saiblingskaviar. Nimmt man nun immer ein wenig von hier und ein wenig von dort, kommt es zu einem Wechselspiel zwischen warm und kühl, mariniert und geröstet, schmelzend und knackig, sämigem Schaum, süßlicher Kokosnuss und säuerlichem Chutney. Die Wirkung ist ein Knaller von einem Gericht - ein Knaller, der aber nicht plakativ schmeckt, sondern ungemein fein. Hier zeigt sich deutlich die Schule von Kevin Fehling - und das ist absolut als Kompliment zu verstehen. Wir sind beeindruckt.

Weiter geht es mit Pho-Sud mit Perlhuhn, Wachtelei und Miso. Die traditionelle vietnamesische Pho-Suppe, der man magische Kräfte nachsagt, wird hier mit kräftigem, gestampftem Perlhuhnfleisch kombiniert – das macht schon mal richtig Freude, da beides von Umami strotzt. Dazu Koriander-Nudeln für die frische Würze und etwas Gemüse-Julienne für den Biss. Das Wachtel-Onsen-Ei gibt Cremigkeit, die Miso-Mayonnaise steigert den Umami-Faktor nochmals um einige Prozent. Das Ergebnis: ein unkompliziert leckeres Wohlfühlgericht, nicht mehr, nicht weniger.

Rote Garnele und Schweinebauch ist eine inzwischen schon klassisch zu nennende Kombination (man denke an Sven Elverfelds Götterspeise). Mit gutem Grund, denn sie funktioniert einfach prächtig. So auch hier: Der Biss und die feine Süße der Garnele gehen einfach großartig mit dem schmelzigen Fett und dem Umami des Schweinebauchs zusammen. Hohlwein fasst das Duo asiatisch ein, mit Soja, Erdnuss, Curry, Koriander und Yuzu. Aber auch hier bleiben die Würzelemente so geschickt dosiert, dass sie Wirkung zeigen, aber nicht in den Vordergrund drängen, sondern den beiden Protagonisten das Feld, oder besser: die Gaumenschmeichelei überlassen. Speziell vom Schwein hätten wir durchaus noch etwas mehr haben können. Große Klasse.

Von Asien geht es nach Mexiko: Wolfsbarsch "Chili con carne" mit Bohnen, Mais, Tacco und Avocado klingt nach einer echten Wuchtbrumme – bleibt dann aber seltsam verhalten. Der Fisch ist sehr gut und hat eine schöne knusprige Haut, aber es fehlt uns hier einfach an Würze. Die Mais-Kugel bringt Süße, die Sauerrahm-Kugel Frische, die Avocado-Crème Geschmeidigkeit, und die diversen Bohnen sorgen für Volumen. Nur von den angekündigten Jalapenos merken wir praktisch nichts. Auch der angegossene Chili-con-carne-Sud bleibt untypisch mild und hat nicht die erhoffte unterstützende und würzende Wirkung. So bleibt es solide, aber auch etwas langweilig.

Beim Cappuccino von Kartoffel, Bio-Landei, Perigord-Trüffel und Kartoffel-Lauch-Ragout muss die Küche sich natürlich dem Vergleich mit Jean-Georges Kleins Klassiker "Cappuccino von Kartoffel und Trüffel" stellen. Aber auch ohne diese denkbar hohe Messlatte würde die Version im 360° uns nicht recht überzeugen. Der Kartoffelschaum ist nicht luftig genug, der Trüffel zu verhalten, und vor allem ist uns das Ei zu fest gegart. Gerade auch mit dem Kartoffel-Lauch-Ragout wirkt das Ganze dann zu dicht und schwer. Es fehlt die federleichte Schlotzigkeit, die die Kombination verspricht. Schade.

Steil nach oben geht es dann beim ersten Hauptgang, der Ente süß-sauer: Brust und Frühlingsrolle, Soja, Jasminreis und Pak Choi. Die kraftvolle Entenbrust ist mit einem Knusper aus Sesam und Entenhaut belegt, ein feiner Ponzu-Soja-Jus grundiert das Fleisch, dominiert aber nicht. Dazu gibt es eine krosse Frühlingsrolle mit Entenfilet, Jasminreis, etwas Gemüse (Karotten, Pak Choi, roter Chicorée, Shiitake, Thai-Spargel) und vor allem zwei würzige Gels: ein säuerlich-salziges Soja-Kaffirlimetten-Gel und ein klassisch anmutendes Süß-Sauer-Gel. Das alles ergibt ein sehr rundes Aromen- und Texturspektrum, das gefällig ist, ohne zu langweilen. Die Zusammenstellung stimmt einfach, und es schmeckt ganz vorzüglich.

Der finale Fleischgang besteht aus Rehrücken mit Sauce Rouennaise, Grünkohl, Pinkel und Kartoffelkrokette. Das klassische Rouennaiser Reh mit dem nicht universell geliebten norddeutschen Traditionsgericht zu verbinden, ist schon eine gewagte Sache. Und wir sind erstaunt, wie gut die Kombi funktioniert. Die Grützwurst bringt eine leicht rustikale Note an den edlen Rehrücken, und das Modegemüse Grünkohl passt mit seiner feinsüßen Würzigkeit sowieso gut zum Wildfleisch – im Grunde also eine schlüssige Zusammenführung. Und so schmeckt es denn auch harmonisch und intensiv, durch die behutsame Dosierung aber nicht zu deftig. Prima!

Als Pré-Dessert gibt es Rote Bete mit Cassis, Sauerrahm, Estragon und Malz. Von den Aromen ist das eine sehr clevere und gelungene Sache. Erdigkeit, Süße, Säure, cremige Frische, eine deutliche herbe Note im tollen Cassis-Wacholder-Eis – alles da, was wir mögen. Allein, es sind uns viel zu viele trockene und bröselnde Elemente in der Schale: Rote-Bete-Krokant, Malzbrösel und Cassis-Baiser-Stängelchen sind ja eine schöne Sache, aber bitte in Maßen. Ein bisschen Feintuning, und wir haben einen Gewinner.

Das Hauptdessert sieht auf jeden Fall originell aus: Bei Donut & Coffee müssen zumindest wir sofort an den guten Homer Simpson denken – der scheinbar auch schon genascht hat. Beim Probieren ist uns der aus Biskuit und Kaffee-Kardamom-Zimt-Ganache bestehende, mit Manjari-Schokolade überzogene Donut aber schnell zu mächtig und zu schwer. Die Variationen von Kumquat (Sorbet, Chutney, Scheiben) lockern das Ganze zwar etwas auf, kommen auf Dauer aber auch nicht gegen den wuchtigen Kringel an. Es schmeckt gut (wenn auch nicht so originell wie das Pré-Dessert), leidet aber unter der schieren Reichhaltigkeit. Wir sind eben doch keine Homer Simpsons...

Für die Petits Fours reicht unsere Kapazität dann kaum mehr: Orientalischer Macaron, Gin Tonic und Gurke, Haselnuss-Toffee-Praline.

Das war eine beeindruckende Performance. Alexander Hohlwein (links) und sein Team servierten ein Menü, bei dem sich Modernes und Klassisches trafen, das spannend und harmonisch war, durchdacht und doch ganz unverkrampft wirkte. Und vor allem schmeckte es fast durch die Bank ganz hervorragend. Da, wo wir Kritikpunkte hatten, lag es eigentlich nie an der Konzeption, sondern immer an der Feinabstimmung (beim Kartoffel-Cappuccino und dem Pré-Dessert) oder der Würzung (etwa beim Chili-Wolfsbarsch). Insgesamt aber bleibt bei uns der Eindruck einer ebenso komplexen wie köstlichen Spitzenküche – und das zu geradezu unverschämt günstigen Preisen. Es scheint also zu gehen, wenn man es richtig anstellt. Wobei der souveräne Service unter Rebecca Weickert (2.v.l.) einen wertvollen Teil dazu beiträgt. 

Dass man Hohlweins Kreationen die prägende Zeit bei Kevin Fehling oft noch anmerkt, finden wir dagegen überhaupt nicht störend. Vielmehr wirft es für uns die Frage auf, weshalb man keinem klassischen Koch die Prägung durch klassische Meister oder das Aufgreifen derer Kombinationen vorhält, den Schülern modernistischer Köche aber durchaus. Warum nicht einen modernden Stil entwickeln, der deutlich und selbstbewusst auf dem Stil eines Lehrmeisters fußt? In diese Richtung sehen wir Alexander Hohlwein sich bewegen. Und das gefällt uns. Auch sind wir sicher, dass er noch längst nicht sein volles Potenzial ausgeschöpft hat. In Limburg bleibt es spannend.

Fazit

Essen über der Domstadt: Im 360° serviert Alexander Hohlwein eine ambitionierte Topküche zum schmalen Kurs, bei der die kreative Rechnung fast immer aufgeht. Ein echter Tipp!

Weine

Weine im Restaurant von Alexander Hohlwein in Limburg

Pommery Brut Royal, Champagne 

2015 Rheingau Riesling halbtrocken, Josef Spreitzer, Rheingau

2014 Chardonnay Spätlese SE, Weingut Bercher, Baden

2014 Riesling Goldberg, Van Volxem, Mosel

2016 Saboteur, Niels Verburg, Western Cape

2014 Chablis A.O.C., Domaine Long-Depqauit, Albert Bichot, Burgund

2013 Frühburgunder "Pauline", Weingut Manz, Rheinhessen

2014 Serras Del Priorat, Clos Figueras, Priorat

2008 Niersteiner Findling Siegerrebe Auslese, Eugen Wehrheim, Rheinhessen

2015 Brachetto D‘Acqui, Giacomo Bologna "Braida", Piemont

Fragen an die Suffmeisterin (a.k.a. Sommelière) Rebekka Weickert

Anzahl der Positionen?
Wir führen ca. 85 Positionen.

Haben Sie einen besonderen Fokus bezüglich der Weinkarte?
Ganz klar deutsche Weißweine. 

Welche ist Ihre preiswerteste/teuerste Flasche?
Preiswerteste Flasche: 2014 Riesling trocken von Clemens Busch an der Mosel für 22€
Teuerste Flasche: 2002 Pommery Cuvée Louise Vintage für 169€. 

Die ungewöhnlichste Rarität?
Das ist eine Magnum Chateau Duhart Milon 2000.

Welches ist Ihr meistverkaufter Wein der letzten 12 Monate?
Der Weißburgunder "Löss" vom Weingut Manz aus Rheinhessen kommt bei unseren Gästen sehr gut an.

Ihre Entdeckung der letzten 12 Monate?
2016 Baby Bandito "Keep on Punching" (Chenin Blanc) – Testalonga

Ihr Lieblingswein?
Das wechselt immer mal wieder, zurzeit der Chardonnay GG vom Weingut Huber.

Der ausgefallenste (vinophile) Gästewunsch, mit dem Sie konfrontiert wurden?
Ein Gast wollte den Cuvee X vom Weingut Knipser mit Eis. Das hat er natürlich bekommen. 

Hinweis

Unser Besuch wurde vom Restaurant unterstützt. Details zum Umgang mit Pressekonditionen findet Ihr hier.

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