
Thorsten Sein Restaurant
Kutteln, Schäufele, Sulz, Landjäger, Bibbeliskäs, Käsespätzle, Ochsenbrust in Meerrettich und Maultaschen – die badische Küche ist geprägt von arterienverengender Deftigkeit, in die sich seit nunmehr fünf Jahren Thorsten Bender mit kosmopolitischem Weitblick zu drängeln weiß. 2019 gab es dafür den ersten Stern, klammheimlich möchte man sagen, denn uns überraschte schon damals die handwerklich akkurate und mit dominanten Aromen spielende Weltküche. Gespannt kehrten wir nun anlässlich einer Jobreise nach Karlsruhe zurück in das kleine Restaurant, um zu schauen, was sich seither so getan hat.

Das kleine Team zeugt schonmal von Beständigkeit: Wie beim letzten Besuch begrüßt uns Gastgeberin Franziska Dufner mit sympathischer Fröhlichkeit, in der kleinen Küche steht weiterhin Souschef Manuel Herzog an Thorsten Benders Seite. Dem Restaurant selbst hat man derweil eine Schönheitskur verpasst. Weniger Casual, sondern mehr Fine Dining, mit leicht schummerigen, von dunklem Holz geprägten Interieur. Diesen Stil können wir allerdings auch im benachbarten Zweitlokal »Bistro Margarete« erspähen, das mitten in die Pandemie hinein eröffnet wurde und dessen Karte bodenständige(re) europäische Küche verspricht – nächstes Mal dann…
Das »Querbeet«-Menü des Hauptrestaurants dagegen sträubt sich gegen jede Kontinentalgrenze, und wenn wir unseren mäßigen Japanischkenntnissen trauen dürfen, dann erwartet uns heute vieles, aber keine »brutale Lokalität«.

Wir starten mit einem kleinen Apero-Reigen: Unter den „Lustmachern“ tummeln sich – von links im Uhrzeigersinn – ein cremig-warmer, leicht scharfer Gyoza mit Kimchi und Hoisin, darüber erfrischende, kompottähnliche Birnenkugeln mit Bergamotte und Pistazie, exzellent gearbeitete japanische Sommerrollen mit Minze, gerösteter Erdnuss und Nori, darunter ein ebenso fein gearbeitetes Karotten-Tartelett mit Verbene und Kumquat – die Möhre etwas zu bissfest –, ein cremiges Shiitake-Sandwich mit Cashew und Umeboshi (Salzpflaume) und neutralisierende Kohlrabi-Röllchen mit Reisessig und Wasabi. Du schmeggsch abbr fei, wie man hier so sagt.

Als Gruß aus der Küche kommt ein Takoyaki aus Kräuterseitlingen und Frühlingslauch, dazu Misoschaumsuppe mit Orange und Kokos zu Tisch. Üblicherweise werden diese süchtigmachenden, heißen japanischen Knusperbälle mit Oktopusarmen gefüllt, ein typisches Street Food auf den Straßen Nippons. Doch auch die vegetarische Variante kann überzeugen; mutig abgewürzt, sehr heiß und – dank Jalapeno-Mayonnaise – fettig. Die Schärfe wird von einem Misosüppchen mit gerösteten Kokosflocken und Orange neutralisiert, dezente Anklänge von Ingwer und Zitronengras lassen sogar Reiseerinnerungen an Thailand zu.

Es folgt eine üppige Brotzeit. Üblicherweise berichten wir nicht über die Brotbeigabe, doch die warme Gewürzschnecke und Zitronencreme (Mitte), die zusammen mit Bockshornkleebrot, Allgäuer Fassbutter und Olivenöl von der Riva del Garda serviert wird, ist in ihrer knusprigen, vor Umami nur so strotzenden Güte einen Absatz wert – wenngleich wir angesichts der reichhaltigen Happen bereits jetzt ein leichtes Sättigungsgefühl verspüren, noch vor dem ersten Gang.

Dieser besteht aus Rote Beete mit Tofu, Shiso und Imperial Kaviar „Selection Sein“, welchen man als Supplement hinzu bestellen kann. Ein Foto dieses Gerichts hat es aufgrund unansehnlicher Lichtstreifen auf dem Motiv nicht in den Artikel geschafft, aber zumindest die Dose des Fischrogens soll symbolisch für diese Kreation stehen (für den Rest des Abends greifen wir zur Handykamera).
Die süßlich-erdige Note der Bete – gekocht, ausgehöhlt, eingelegt und mit Tofu-Panna-Cotta gefüllt – wird durch ein Shiso-Sorbet und deutliche Sesamölnoten erneut ins ostasiatische transportiert. Das funktioniert in sich schon prima, sodass die mild gesalzene Kaviarauslese nicht wirklich notwendig ist und geschmacklich auch eher untergeht.

Der marinierte Romana-Salat mit salziger Zitrone und Buttermilch überzeugt durch Frische, Säure, Salz und passender Portionierung. Nach den zuletzt eher opulenten Mengen kehrt die Leichtigkeit an den Tisch zurück.

Der geräucherte Aal mit Rettich und Bergamotte kommt uns dann eine Spur zu »klebrig« daher. Die sonst eher fette Deftigkeit des Aals wird zwar dank einer präsenten Süße etwas gebändigt, aber viel mehr passiert dann auch nicht – texturell und aromatisch hätten wir uns hier mehr Diversität gewünscht.

Zwar nicht unbedingt optisch, dafür geschmacklich sensationell präsentiert sich dann der Steinbutt mit Gänseleber und Aprikosen. Gerade bei derart wenigen Komponenten kann man so viel falsch machen: von unachtsamer Temperierung über unsinnige Proportionen bis einer schlampigen Reinigung der Foie gras. Das alles erleben wir heute nicht. Ein cremiger, dank säurelastiger Miso-Vinaigrette moderner und aufgrund der hervorragenden Produktqualitäten und einem feinen Touch Fruchtigkeit sehr köstlicher Teller.

Das Signature-Dish des Hauses kombiniert Pulpo mit Schweinebauch und Mango. Die Kombination aus Oktopus und (Tier)-Fett ist vor allen Dingen in Japan ein beliebtes Takokushi-Gericht, bei dem auf einem Bambusspieß abwechselnd Stücke von knusprig gegrillten Krakenteilen und weichen Fettstücken gereiht werden. Die Karlsruher Interpretation ergänzt dies um fruchtige Mango – als Perle und Creme – sowie um eingelegte Buchenpilze. Eine thailändische Sauce auf Tom Yam-Suppenbasis komplettiert das Ostasien-Quartett mit dezenter, anregender Schärfe.
Das ist eine ganze Menge Tellerpersonal, was bei einer derart überschaubaren Portionsgröße durchaus etwas paradox erscheint. Dennoch: Alles harmoniert prima, kein Löffel gleicht dem anderen, wenngleich wir uns etwas mehr Krake und Schwein zum Ausprobieren und Kombinieren wünschen würden.

Im Hauptgang: gebratene Entenbrust mit Papaya und „Kaeng Khiao Wan“ (grünem Thai-Curry). Erneut überzeugt die Küche mit präzisem Handwerk und einem perfekten Garpunkt – das Geflügel zeigt sich schmelzig, zart und überraschend intensiv, sodass es die dezent fruchtige Präsenz der Papaya – als Creme und marinierter Salat – ohne Probleme verkraften kann. Ordentlich Dampf hat der harmlos aussehende Curry-Sud, oder andes gesagt: Er ist dermaßen scharf, dass er die Ente komplett zu überlagern droht. Das mag „authentisch“ sein, was wir als Ostasien-Reisende durchaus bestätigen können, dennoch wirkt ein solcher Schärfegrad im hiesigen Kontext deplatziert. Nachdem sich die Papillen etwas beruhigt haben, dosieren wir mit Bedacht, und geht man behutsam vor, dann schmeckt auch dieser Hauptgang in seiner panasiatischen Reduktion gut.

Mit Grieß, Zwetschge und Ingwer schlägt die Küche überraschend einen Bogen in heimische Nachtischgefilde. Ein fluffiger, heißer Grießknödel mit marinierten Zwetschgene schmeckt wie fast so gut bei der Ahna (hochdeutsch: Oma). Das á-part gereichte Zwetschgen- und Rumeis ist die temperaturgewordene Antithese, die sich prima mit dem süßen Grießklops verträgt. Schön.

Etwas komplexer dann Valrhona Ivoire (weiße Schokolade) mit Yuzu und Staudensellerie. Der allgemeinen Trend, Desserts mit gemüsigem zu flankieren wird hier überzeugend umgesetzt. Die saftige, herbe Gemüsigkeit des Sellerie bricht die üppige Schokosüße und macht die Kreation leicht, frisch und originell. Gerade nach einem solch üppigen Menü kommt das für uns nun genau richtig.

Die Petits fours: Crunchy Joghurt Mini Milk, Madeleine, Bergamotte und Kardamom sowie ein wunderbar „crumbliges“ Himbeer-Tartelette.

»Ich koche nicht Japanisch«, antwortet Thorsten Bender (links) auf den Umstand angesprochen, dass er sich heute mehr als einmal der Produktvielfalt des Landes der aufgehenden Sonne bedient hat. Zu viel Respekt habe er vor der jahrzehntelangen Hingabe zur Perfektion der japanischen Köche, mit denen er sich nicht vergleichen könne. Dabei war die Feststellung durchaus als Kompliment zu verstehen, denn wir erlebten heute ein in Summe ausgezeichnetes Menü.

Die Küche nutzt ostasiatische Elemente als (meist) behutsame Ergänzung, nicht als konzeptfußendes Dogma. Im Gegensatz zu unserem letzten Besuch ist inzwischen auch ein klarer roter Faden erkennbar. Damit verschaffen sie auf den ersten Blick profanen Kompositionen eine zweite Ebene, einen oftmals überraschenden Überhang.
Dabei hilft sicherlich, dass jegliche Portionierung, Temperierung und jeder Garpunkt ziemlich lässig auf den Punkt gekocht war. Lediglich beim Aal und – im ersten Moment – bei der Ente stimmten die Verhältnisse nicht ganz. Auch Kaviar brauchen wir nur dann, wenn er wirklich gustatorischen Sinn ergibt. Das sind allerdings kleine Stellschrauben an einer Küche, die den Gast mit ihrer panasiatischen Vielseitig- und Kleinteiligkeit kurzweilig bei der kulinarischen Aufmerksamkeitsstange hält. Wie kann man da böse sein?
Chris Lippert
Wein

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