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Restaurantkritik 16.September 2022

Dismiss-frutar

Beginnen wir diese Geschichte mit einem kurzen Rückblick, nämlich auf den ersten Besuch im »Disfrutar« im Mai 2017. Er gehört zu den unvergesslichen kulinarischen Erlebnissen unserer Reisen. Die einstigen Ferran-Adrìa-Mitarbeiter Mateu Casañas, Oriol Castro und Eduard Xatruch zeigten damals, dass die sogenannte »Molekularküche« durchaus noch ihre Berechtigung besitzt, dass sie erhellend, innovativ und wegweisend sein kann – und genussreich. Sofern die Menschen in der Küche wissen, was sie tun. Damals nannten wir es postmolekulare Avantgarde. Es war berauschend.
Aus diesem Grund war der Wiederbesuch des inzwischen zweifach besternten Restaurants ein wesentlicher Anlass unserer jüngsten Reise nach Barcelona. Bei Zweitbesuchen besteht zwar immer das Risiko einer gewissen »Enttäuschung«, doch einen wirklich Reinfall haben wir noch nie erlebt. Es gibt für alles ein erstes Mal.

Voller Vorfreude betreten wir das Restaurant im Eixample-Viertel, bei dem sich –ähnlich wie im »Suculent«– hinter einer recht kleinen Fassade und einem schmalen Durchgang überraschend große Räumlichkeiten auftun. Hier sogar mit einer malerischen Innenhof-Terrasse. Jeder Tisch des hell gestalteten Restaurants ist besetzt, im Vorübergehen schnappen wir verschiedene Sprachen auf, aber auch viel spanisch. Es herrscht eine lebendige, lässige, weltläufige Atmosphäre. Der Service ist smart, kundig und humorvoll, allen voran der ungemein charmante Sommelier. Beste Voraussetzungen.
Zu Beginn werden unsere Wünsche abgefragt: soll es das Klassiker-Menü sein, oder das saisonale Menü mit aktuelleren Kreationen? Oder vielleicht eine Mischung? Wir entscheiden uns für das Saisonmenü, denn wir möchten Neues probieren. Disfrutar heißt auf deutsch »genießen«. Dafür sind wir hier.

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Es geht los mit einem Dry Martini in einer Pipette und einer falschen Olive, die am Gaumen zerplatzt und ein flüssiges Inneres freigibt. Ein schöner kleiner Wachmacher, der angenehm kräftig nach Olive und Gin schmeckt. Man beachte das stilisierte Martini-Glas als Halterung.

Ein zeitgleich am Tisch geräuchertes Kokoswasser als Begleiter für die ersten Snacks ist weniger unser Fall und etwas viel altmodische Show für einen recht simplen Räuchereffekt.

Sodann werden auf einem Holzbrettchen, an dem aus unerfindlichen Gründen ein Spiegel angebracht ist, fünf Happen serviert – vom Service stolz als »Mikrowellen-Snacks« annonciert, denn sie wurden sämtlich in einer handelsüblichen Mikrowelle zubereitet. Es handelt sich um soufflierten Parmesan, eine Art Parmesan-Toast mit Zitronenzesten und einer winzigen Balsamico-Kugel, ein Soufflé aus Yuzu mit Curry, eine Art Keks von Roquefort mit Walnuss und ein Parmesan-Gebäck mit einer Pesto-Kugel. Letzteres ist dank des intensiven und frischen Pesto der mit Abstand wohlschmeckendste Snack. Der Rest schmeckt vor allem trocken und bröselig – und sonst nach nicht viel. Vermutlich dient der Spiegel dazu, unsere irritierten Gesichter beim Verspeisen dieser wenig ansprechenden Happen zu betrachten.
Richtig großartig schmeckt bezeichnenderweise der aus dem Klassiker-Menü entnommene Allergiker-Ersatz für den Walnuss-Keks: ein Tomaten-Polvorón genanntes Mini-Küchlein mit Olivenöl (nicht im Bild) ist wunderbar zart und schmeckt dabei intensiv nach Tomate. Dieser Happen begeisterte uns schon beim letzten Besuch. Ganz kurz flackert das Gefühl auf, dass uns die Klassiker vielleicht doch glücklicher machen würden.
Aber es geht ja jetzt erst richtig los.

Zunächst wird ein mit Trüffel aromatisierter Wodka serviert, als Begleiter für die nächsten Kreationen zum Thema Trüffel und Kaviar. Das zunächst eiskalte Getränk schmeckt sehr intensiv nach dem Luxuspilz, beinahe wie ein Trüffelöl, nur mit deutlicher Alkoholnote. Für einen kleinen Schluck ist das interessant, wirklich unser Fall ist es nicht.

Zu essen gibt es dazu eine Coca-Pizza ohne Mehl. Coca bezeichnet ein katalanisches Fladenbrot. Hier, so der Service, wurde für den Boden ein glutenfreier Teig aus Japan in besonderer Manier behandelt, damit er sich wie ein superfeiner Blätterteig verhält. Belegt ist die leicht lauwarme Gebäckschnitte mit reichlich Trüffel, etwas Burrata und Olivenölperlen. Und sie schmeckt hervorragend! Knusprig, federleicht und duftig nach exzellentem Trüffel und feinstem Olivenöl. Wir schöpfen Hoffnung, dass es kulinarisch nun steil bergauf geht. Noch ahnen wir nicht, dass die Pizza der mit Abstand beste Gang des Abends bleiben wird.

Der nächste Gang nennt sich Feste Bläschen aus geräucherter Butter mit Kaviar und besteht aus einem dünnen Cracker, auf dem eine Nocke Kaviar liegt, sowie ein schaumartiges Gebilde aus geräucherter Butter. Hergestellt wurde es mit jener Art Gerät, das auch Sauerstoff in Aquarien pumpt. Da das Butter-Konstrukt bei Berührung sofort schmilzt rät der Service zu schnellem Verzehr. Am Ende schmeckt das Ganze wie ein guter Kaviar-Cracker, bei dem das hauchzarte Butterfett eine leicht geschmacksvertiefende Wirkung hat. Die elegantere Version eines Crackers mit Kaviar und Crème fraîche, wenn man so will. Nur nicht so süffig. Ein nettes Intermezzo, das banaler ausfällt, als die Erläuterung erwarten ließ.

Es folgt ein Klassiker, vielleicht der Klassiker des Hauses: Panchino. Das »chinesische Brot« ist ein luftig-leichtes, heißes Schmalzgebäck, in dessen Innerem sich Sauerrahm mit Beluga-Kaviar versteckt. Letztes Mal erhoben wir diese Kombi aus fluffigem Teig, seidigem Rahm und salzigem Kaviar zu einer Götterspeise. Diesmal beißen wir ab und… es schmeckt anders. Viel süßer. Zu süß! Fast wie ein Kreppel. Der Kaviar geht dadurch gänzlich unter.
Tatsächlich erläutert man uns nicht ohne Stolz, dass das Panchino »verbessert« worden sei, indem man den Teig mit Honig versetzt. Wir nehmen das zur Kenntnis und fragen uns, wie man bei einem so ikonischen Gericht auf solche Ideen kommen kann. Veränderung um der Veränderung willen. Als würde Clemens Rambichler sein Kaviartörtchen plötzlich mit Zuckerguss veredeln.
Uns schwant, dass dieses Menü eine ungute Richtung nehmen könnte.

Als nächstes wird ein aufwändiges Arrangement zum Thema Mandeln auf dem Tisch drapiert. Zwischen Mandelbaumzweigen findet sich eine konfierte grüne Mandel, die mit der Schale gegessen werden kann. Sie schmeckt weich, zugleich knackig und überraschend mild. Außerdem ist da ein zartes, weißes Polvorón-Gebäck in Mandelform.
Die Hauptrolle spielen allerdings zwei unterschiedlich stark geröstete Mandeln, die auf einem kleinen Felsbrocken liegen, und die man mit einem Stein selber knacken soll. Es handele sich bei dieser Methode um Kindheitserinnerungen zahlreicher Spanier, da dies eine im Mittelmeerraum übliche Art sei, Mandeln zu öffnen. Wir machen das also, und essen zwei Mandeln.

Nach dieser etwas bemühten Einleitung folgt das eigentliche Gericht: Beim Seehecht »Empedrat« mit Mandeln handelt es sich um die Abwandlung eines traditionellen katalanischen Salats aus weißen Bohnen und Kabeljau. Hier ist er mit Seehecht zubereitet, der gepökelt und sous vide gegart wurde und mit Olive, Tomate, Pimentos de Padrón und 14 Stunden lang gekochten Mandeln serviert wird. Die Konsistenz der Mandeln erinnert tatsächlich an weiße Bohnen; weißer Bohnensaft soll die Illusion perfekt machen. Das schmeckt alles recht gut und recht rustikal. Der Fisch geht etwas unter, doch die gehäutete Tomate hat schönen Schmelz – wir ertappen uns dabei, uns an solchen Kleinigkeiten festzuklammern. Zugleich fragen wir uns, welchen Zweck die Verfremdung der Mandeln als Bohnenersatz haben soll.
Wenn wir bedenken, welche Offenbarung vor fünf Jahren eine Abfolge filigraner Zubereitungen mit unterschiedlich ausgereiften Mandeln war, allen voran die zarten Glasmandeln, wirkt das hier forciert und plump.

Noch mehr Mikrowellen-Snacks! Ein papierdünnes Piniensprossen-Tempura (hinten im Bild) wurde nicht in Öl frittiert, sondern mit dünnem Klebreis-Teig umhüllt und in der Mikrowelle gegart. Das Ergebnis ist recht trocken, aber der Pinienbaumgeschmack immerhin nicht uninteressant.
Auch das knusprige Pilzblatt wurde aus Klebreis-Teig hergestellt (mit Pilzbrühe anstelle von Wasser) und schließlich mit Steinpilzbutter bestrichen. Das Blatt schmeckt nach Pilz, ist aber vor allem trocken und bröselig, ein wenig so, als würde man auf getrocknete Spinnweben beissen.
Nebenbei erfahren wir, dass das Team mit dutzenden Mikrowellen-Snacks experimentiert hat. Wir probieren heute also vermutlich die Highlights.

Dieses Doppel erweist sich als Intro für das eigentliche Gericht, gedünstete Pinienkerne mit Pilz-Jus und Tannenzapfen. Wo letztere verarbeitet sind, schmecken wir nicht. Auch die Pinienkerne haben durch das Dünsten ihren Geschmack (und ihren zarten Biss) weitgehend eingebüßt, der Pilz-Jus transportiert immerhin einen Hauch Umami. In Summe ist das alles einfach fad. Auffallend ist, dass hier offenbar keine mediterranen Pinienkerne Verwendung finden, erkennbar an ihrer Zapfenform und dem kräftigeren Geschmack, sondern die billigere und geschmacksärmere Variante aus Asien.

Weichgekochte Mandeln, weichgedünstete Pinienkerne, ein Kreppel und trockene Cracker – so lautet die Zwischenbilanz nach neun Gängen. Und wenn die größte Innovation einer Avantgarde-Küche in der Verwendung einer Mikrowelle besteht, läuft irgend etwas schief.

Zur nächsten Kreation wird eine Lupe gereicht, damit man die feine Struktur des Zwiebelbrots bewundern kann, hergestellt mit einem Gastrovac-Hochdruckkocher. Das ungefähr tischtennisballgroße, schneeweiße Gebilde erinnert an Luftschokolade, ist federleicht und hat sanften Biss. Es schmeckt durchaus angenehm nach Zwiebel und verflüchtigt sich am Gaumen in Sekundenschnelle. Eine nette Nichtigkeit.

Beim nächsten Happen handelt es sich um die »Disfrutar«-Variante eines spanischen Klassikers: Yemas de Santa Teresa bezeichnet eine Art Praline aus kandiertem, wachsweichem Eigelb. Hier ist es mit Zwiebelkaramell überzogen. Schmeckt gut, recht süß, mit einer dezenten Umami-Note von der Zwiebel.

Und weiter geht's... Mit einer Stange weißem Spargel – denkt man. Wir versprechen uns knackigen Wohlgeschmack, doch der dünne Spargelstreifen ist nicht um eine Stange, sondern um ein Sorbet aus weißem Spargel gewickelt. Oben heraus schaut lediglich die echte Spargelspitze, gebettet auf Mandarinensaft. Dazu gibt es ein Pulver aus Macadamianuss sowie gefrorenes Pulver aus Holunderblüten. Insgesamt ist das ein bisschen zu weich und zu süßlich, aber durchaus schmackhaft.
Amüsant finden wir, dass »falscher« Spargel hier offenbar als innovativ betrachtet wird, wobei wir sofort an Juan Amadors »virtuellen Spargel« aus dem Jahr 2008 (!) denken müssen.

Einen kleinen Lichtblick bietet der nächste Gang. Zwei geröstete Mini-Tintenfische sind mit Blutwurstsauce und multispherischen Erbsen angerichtet, die wie eine Perlenkette aussehen. Hier spielt die Küche erneut auf irgendein Traditionsgericht an, was sich auch in der rustikalen Aromatik bemerkbar macht: es schmeckt überwältigend intensiv, gerade auch nach den zahlreichen eher faden und süßlichen Gängen. Wir merken, wie gerne wir das alles hier richtig toll finden würden, und das Gericht ist auch nicht schlecht, vor allem wegen der zarten Tintentische. Doch es ist nichts, wovon wir einen Nachschlag verlangen würden.

Die Präsentation der nächsten Happen lässt ein Retro-Feeling aufkommen: In einer Schale umnebelt Trockeneis allerlei Seetang und eine »goldene« Austernschale – willkommen im Jahr 2008. Die Auster enthält einen klassischen, leicht gefrorenen Margarita, der gut schmecken könnte, wenn da nicht der strenge Geschmack von Codium-Seetang beigemischt wäre; das Salz-»Air« hat keine nennenswerte Wirkung.
Daneben findet sich ein knuspriger Seetang-Raviolo mit Shiso, Essigpulver, Dashi-Gelee und eingelegter Gurke. Auch das schmeckt vor allem herb und streng und weckt wenig schmeichelhafte Hafenbecken-Assoziationen.

Und weil Trockeneis immer gut ankommt, wird es gleich nochmal eingesetzt. Man soll in eine dampfende Kiste greifen, ohne zu wissen, was sich im Trockeneis verbirgt. Glibberiger Seetang sorgt dabei kurz für haptische Verwirrung. »Angst« lautet der Titel dieses Ganges, doch wirklich aufregend ist das Spiel nicht…

...schlussendlich fischt man eine gekochte Palamós-Garnele aus dem Trockeneis, die man vollkommen pur verspeist. Eine nette Produktschau, wenngleich es dem kleinen Krustentier an Würze fehlt. Den Kontrast bildet ein dazu gereichter Löffel mit ultraintensiven Jus aus Huhn und Garnele. In seinem produkfokussierten Purismus sicherlich einer der besseren Gänge des heutigen Abends.

Unter der Überschrift »Die Gans die goldene Eier legte« kommt dann ein relativ neuer Klassiker auf den Tisch. Der märchenhafte Titel umschreibt ein Spiegelei, bei dem das Eigelb durch sphärifizierten Krustentierjus ersetzt wurde; nur die äußerste Schichte ist golden eingefärbt. Beim Anstechen des »Eigelbs« verteilt sich der Jus auf dem Eiweiß, das separat mit Mini-Garnelen kross gebraten wurde. Der Jus ist mit Kokosmilch, Tamarinde, Limette und Erdnuss gewürzt und erinnert an Satay-Sauce, süßlich, gefällig und gehaltvoll. Man kann das problemlos essen, doch es schmeckt einerseits zu fad und zugleich etwas plakativ.

Beim Rindertatar mit Crème von Rinderfett, Pommes Soufflé und einem klebrigen Rinderjus wird mächtig an der Intensitätschraube gedreht. Vielleicht sind unsere Mägen bereits zu mitgenommen, doch jede Komponente scheint hier an die Schmerzgrenze zu gehen. Trotz der krossen Kartoffelkissen ist uns das auch zu weich, zu cremig und zu fett.

Um uns herum ist die Stimmung prächtig (nicht dass sie bei uns schlecht wäre). Die meisten Tische scheinen das Klassiker-Menü bestellt zu haben. Die Glücklichen. Wenngleich uns gelegentlich auch halbvoll abgeräumte Teller auffallen. An dieser Stelle sei nochmals ausdrücklich der überaus angenehme, kundige und mit viel Hingabe agierende Service erwähnt.

Zu einer Premiere kommt es bei einem Trüffel-Blini, das mit einer Creme aus Taubenfleisch gefüllt ist. Das Teil sieht so verlockend köstlich aus, dass wir es gierig auf einmal in den Mund schieben – wo der unangenehm weiche, an Marshmallows erinnernde Teig zusammen mit der breiigen Taubenfüllung und den Terpentinaromen des Trüffels eine so abstoßende Mischung ergibt, dass wir unversehens mit einem Würgereflex kämpfen müssen. Das gab es in 15 Jahren Sternefresser-Geschichte noch nie. Glücklicherweise lässt der Reflex nach einem Moment nach, sodass wir die Chance bekommen, das Ganze mit einem großen Glas Wasser herunterzuspülen. Augen zu und durch. Wo ist nochmal die Kamera versteckt?

Nach diesem Intro ist unsere Lust auf den Hauptgang relativ schwach ausgeprägt. Es gibt Taubenbrust mit süßlich-herbem Amazake (ein fermentiertes Reisgetränk), Nashi-Birne und einer »Umamisauce« mit Kombu. Das Fleisch ist makellos gegart und von sehr guter Qualität, geht in der abermals äußerst intensiven Sauce jedoch ziemlich unter. Das ist nicht schlecht, aber nach drei Gabeln ist Schluss. Der freundliche Service nimmt es mit Gelassenheit. Womöglich Gewohnheitssache.

Vor den Desserts kommt es zu einer sehr interessanten Einlage. Der Sommelier stellt uns mehrere, stark alkoholreduzierte Weine vor, die im hauseigenen Labor zwecks einer alkoholreduzierte Weinbegleitung hergestellt werden – aus Weinen namhafter Produzenten. Kurz gesagt macht man sich bei dem Verfahren zunutze, dass Alkohol leichter als Wasser ist, und sich die Stoffe deshalb gut trennen lassen. Eine Vergleichsprobe zeigt eine verblüffende Geschmackstreue. Das ist mal wirklich innovativ und womöglich wegweisend.

Die Desserts, endlich! Die Erleichterung rührt aus der Hoffnung, dass zumindest die Pâtisserie uns noch begeistern könnte. Den Anfang macht Gurke mit Hoisin: in einer Schale finden sich Gurkensorbet und eingelegte Gurkenscheiben, Honig-Chantilly, Ingwer-Granita und ein Gel von süßlich-würziger Hoisin-Sauce, die man nicht zuletzt als Bestandteil von Pekingente kennt. Kleine Stückchen gepoppter Schweineschwarte erweitern das angenehm frische, feinwürzig-süßliche Arrangement um eine herzhaft-knuspernde Note. Gefällt uns ausgezeichnet.

Ein Cornet von schwarzem Sesam schmeckt erwartungsgemäß nach gesüßtem schwarzem Sesam. Völlig okay.

Texturell etwas gewöhnungsbedürftig ist der sehr weiche und ziemlich süße Marshmallow-Taco, der mit einer süßsäuerlichen, karibisch anmutenden Füllung aus Mango, Vanillecrème, rosa Pfeffer und Minze punktet. Dazu gibt es einen Mango-Schnitz mit Lychee-Sorbet.

Zum Abschluss werden noch einige Petits fours aufgetragen. Himbeer-Marshmallows, »falsche« Erdnüsse mit Schokolade, Schokoladen-Passionsfrucht-Bonbons, Matcha-»Felsen« und Ingwer mit Schokolade. Wir probieren alle, und sie sind allesamt gut, die Schokoladen-Passionsfrucht-Bonbons sogar sehr gut.

Um das naheliegende Wortspiel zu bemühen: Ein »Genuss« war das heute nicht. Wir sind heilfroh, dass der sympathische Oriol Castro, der zu Beginn des Abends die eintreffenden Gäste persönlich begrüßte, nicht mehr anwesend ist, als wir das Restaurant verlassen. Ein Feedback, noch dazu mit Sprachbarriere, wäre jetzt nicht angebracht.
Wir wissen aus eigener Erfahrung, dass man im »Disfrutar« fantastisch essen kann. Doch eine solche Diskrepanz zwischen Erst- und Zweitbesuch haben wir noch nie erlebt. Der erste Besuch im »Disfrutar« war wie ein »Yps«-Heft in den Händen eines Zehnjährigen in den Achtzigern. Der jüngste Besuch wie ein »Yps«-Heft in unseren Händen im Jahr 2022. Nun ist es nicht unsere Art, so etwas einfach beiseite zu wischen. Wir haben auch nichts gegen Experimente, Herausforderungen und provozierende Abweichungen von bürgerlichen Wohlgeschmacksvorstellungen. Im Gegenteil.
Der Besuch im »Mugaritz« zum Beispiel erfüllte diese Attribute und gehört bis heute zu den prägenden Erlebnissen unserer Reisen. Dort ließ sich selbst bei Gerichten, die uns abstießen, die Idee erkennen, der Forscherdrang, der womöglich einflussreich sein kann (und es teils auch war!). Die Crux im »Disfrutar« bestand heute vielmehr darin, dass dies gerade nicht erkennbar war. Im Gegensatz zum letzten Besuch. Das Menü bestand diesmal aus einer Aneinanderreihung von manieristischen Spielereien, kleinen Gags und Showeinlagen. L'art pour l'art. Und das kann es ja nicht sein.

Kai Mihm

Weine

Vodka / Truffle

Autolysse, Le Brun de Neuville, Champagne

Time Machine Vintage 2016, Tamagawa, Chiba

Marko Loretxoa 2018, Oxer Bastagieta, Bizkaiako Txakdina

Biden 1999, Mii no Kotobuki, Fukuoka

Rausch Kabinett 2018, Geltz Zilliken, OmP Mosel

Mencia 2019, Jose Antonio Garcia, Bierzo

Fino Saca de Primavera Disfrutar & Compartir, Bodegas Tradición, Jerez

Cabernet Sauvignon Reserva 1997, Jean León, Penedés

Pale Cream, Urium, Jerez

#sidebottle: Remelluri Blanco 2012, Bodegas Remelluri, Rioja

Eure Meinung?

Spanische Avantgarde – Hass oder Liebe?

 

Hinweis

Bei dem Besuch handelte es sich um eine Einladung (zzgl. Wein). Der Inhalt des Berichts bleibt davon unberührt. Details zum Umgang mit Pressekonditionen findet Ihr hier.

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