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Restaurantkritik 27.Mai 2017

Es war einmal ... im Weinsinn

Kinder, wie die Zeit vergeht. Rund sechs Jahre ist es nun schon her, seit André Rickert die Küchenleitung im Frankfurter Weinsinn übernommen hat. Unter seiner Ägide wurde die Küche des höchst sympathischen Restaurants zu einer der lohnendsten der Stadt. Von den Prägungen seiner früheren Lehrmeister Juan Amador und Thomas Bühner hatte er sich schnell freigekocht. Sein Stil zeichnet sich für uns immer durch Zugänglichkeit mit der gewissen Finesse aus. Zusammen mit dem angenehmen, entspannten und geschmackvollen Casual-Fine-Dining-Ambiente ergab das ein Lokal, das wir immer gerne, aber irgendwie dann noch nicht oft genug besuchten.

Warum der nostalgische Tonfall? Nun, das Weinsinn schließt im Herbst seine Pforten — zum Glück nur am bisherigen Spielort. Ab Oktober wird es in neuen Räumlichkeiten im hippen Teil des Bahnhofsviertels weitergehen, unweit von Mainufer und Schauspielhaus. Vorher haben wir uns André Rickerts Küche aber noch einmal am angestammten Ort angesehen.

Als erstes Amuse gibt es mariniertes Kalb mit Kopfsalat, Champignon und Parmesan. Das schmeckt frisch, leicht und trotzdem kräftig, nicht zuletzt wegen der guten, aber nicht übermächtigen Würzung. Sehr schön.

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Eine Spur heftiger ist der Geflügelleber-Crostini mit geräuchertem Aal – aber auch hier wird eine gute Balance gehalten, und der schön krosse Crostini sorgt für angenehme Harmonie.

Der erste Gang des Menüs besteht aus Fjordforelle mit Spitzkohl und Ingwer. Vor allem durch den marinierten Spitzkohl, der als eine Art Krautsalat unter dem Fisch versteckt ist, bekommt dieses Gericht einen deutlich asiatischen Einschlag. Die Marinade ist würzig, aber auch leicht süßlich, was die Süffigkeit ganz enorm steigert. Ein sehr eingängiges Gericht, das uns auf Dauer aber auch etwas zu gefällig ist.

Als Nächstes gibt es einen deutschen Klassiker à André Rickert: Königsberger Klops mit Bete, Erbse und Schneekrabbe. Warum ist der Klops so dunkel, fragen wir uns. Die Erklärung: Rickert brät ihn in Nussbutter nach – und nicht zuletzt dieser Kniff gibt dem guten Stück eine bemerkenswerte aromatische Tiefe. Da werden die dichte Sauce und die anderen Beigaben, so gut sie auch sind, direkt zu Nebendarstellern. Exzellentes Soulfood.

Nicht so spannend finden wir den Kabeljau mit Blumenkohl und Curry. Ja, klar, es schmeckt gut, aber es fehlt der Pep. Die altbekannte Kombi aus Meerestier-Blumenkohl-Curry wird solide umgesetzt, ohne ihr etwas Neues abzugewinnen. Dass der Kabeljau wie immer keinen nennenswerten Eigengeschmack hat, macht es nicht spanender. Es geht alles gut rein, keine Frage, aber es ist auch bald wieder vergessen.

Deutlich besser gefällt uns die Garnele mit Muschel und Fenchel. Hier spielt Rickert die mediterrane Karte gekonnt aus: Ein sämiger Jus, leichte Anisnoten vom Fenchel, die feine Süße der Garnele und die ganz spezielle Textur der hervorragend gegarten Jakobsmuschel – ja, auch das ist alles auf der klassischen und leicht zugänglichen Seite. Aber durch die exakte Abstimmung und Würze funktioniert es einfach richtig gut. Da bleibt kein Tropfen Sauce im tiefen Teller...

Mit dem Wachtelraviolo mit Spinat und Trüffel kommt nach dem Klops noch ein weiter Gaumenschmeichler par excellence auf den Tisch. Ravioli mit verschiedenen Füllungen sind seit jeher ein fester Bestandteil in Rickerts Menüs – und sie sind praktisch immer richtig gut. Allein der Teig ist uns diesmal etwas zu dick, wodurch er eher in Richtung Maultasche geht. Davon abgesehen punktet dieses Gericht mit einer großartigen Wachtelfarce und einer erneut sehr guten Sauce. Obenauf ein wenig Trüffel, der natürlich bestens zu Pasta und Wildvogel passt. Das macht Spaß und hat eine Menge Umami-Power.

Auf zum Hauptgang, bestehend aus zweimal Rind, Ofenkartoffel und Aubergine. Über die beiden Fleischteile muss man nicht viele Worte verlieren: Sowohl die sanft gegarte Tranche als auch das Schmorfleisch sind von makelloser Güte. Hervorzuheben sind jedoch das sehr gute, ganz leicht röstige Auberginenkompott und die Minikartoffel mit Sauerrahm – ein Barbecue-Beilagenklassiker, der sich auch in der Hochküche bestens macht. Hier zeigt sich einmal mehr, dass ein paar Kohlenhydrate durchaus eine Bereicherung sein kann, wenn sie gering dosiert und an der richtigen Stelle eingesetzt werden. Alles in allem ein sehr gelungener Hauptgang in bester Bistronomie-Manier (wobei das Weinsinn insgesamt stärker dem Casual Fine Dining zuzuordnen ist, als der Bistronomie).

Dessert Nummer eins besteht aus Grießknödel, Quark und Mandarinensorbet. Ähnlich wie Ravioli sind auch Knödel im Dessert (sei es Quark oder Grieß) Klassiker in Rickerts Küche. Das ist kein Wunder, der er kann sie einfach. Hier kombiniert er das herrlich fluffige Teil mit buttrigen Bröseln sowie Variationen von Mandarine, Kumquat und Quark. Alles ist gut gearbeitet, stimmig austariert und ergibt eine schöne Harmonie zwischen Säure, Cremigkeit und der ganz speziellen Süße der Mandarine. Fein.

Mindestens genauso gut gefällt uns das alternative Dessert aus Apfel, Vanille, Salzkaramell und Mandel. Hier spielt Rickert mit einer klassisch-köstlichen Bratapfel-Aromatik, die er durch frische Apfelelemente erweitert und mit Mandel und Salzkaramell komplexer macht. Das Ergebnis ist ein Dessert mit einer schönen Gratwanderung zwischen Spannung und Harmonie. Einfach gut.

Zu Kaffee dann noch ein Schwarzwälder-Kirsch-Windbeutel, eine hübsche Idee, die auch noch gut schmeckt.

Wir können nicht mehr genau sagen, das wievielte Essen im Weinsinn dieser Besuch war, aber eines wurde uns diesmal klarer denn je: André Rickerts Spezialität ist eine modern-urbane Wohlfühlküche, wie sie im Buche steht. Das zeigt sich nicht nur in den süffigen Saucen und der guten Dosis Umami, sondern auch in den Gerichten, die er aufgreift: Klopse und Pasta, Grießknödel und Bratapfel – alles Klassiker, unter denen der Gast garantiert eine Kindheitserinnerung findet. Das ist zweifellos eine große Qualität, und wir wollen das unbedingt als Kompliment verstanden wissen. Die Menüs sind bodenständig und zugleich von unkomplizierter Eleganz. Ein Besuch im Weinsinn macht immer Freude. Einerseits.

Andererseits beschlich uns diesmal das Gefühl, dass Rickert vielleicht ein bisschen zu sehr auf Nummer sicher geht. Wo wir in den Anfangsjahren Sturm-und-Drang spürten (und schmeckten), hat sich inzwischen eine Art eingespielter Solidität etabliert. Man könnte sagen, dass Rickert mit seinem Stil in sich ruht, und der Erfolg gibt ihm natürlich recht. Die Tische im Weinsinn sind gefragt wie eh und je. Trotzdem würden wir uns wünschen, dass seine Kreationen wieder etwas mehr Wagemut bekommen, ein paar Ecken und Kanten. Comfort Food ist ja eine feine Sache, aber manchmal muss man die Gäste auch aus der Komfortzone herausholen. Insofern wäre es schön, wenn mit dem Umzug des Weinsinns auch wieder etwas Innovation Einzug halten würde. Vielleicht hilft hierbei der Geist des „jungen“ Bahnhofsviertels...

Fazit

Schmeckt alles, passt alles – das Weinsinn ist noch immer eine sichere Bank in Frankfurt, für die wir uns aber ein bisschen mehr Mut zum kulinarischen Risiko wünschen.

Weine

2014 Blanc de Noirs, Winzersekt, Irene Söngen, Rheingau

2012 Oestricher Doosberg, Riesling „Erstes Gewächs“, Wiengut Querbach, Rheingau

2014 „Teufelspfad“ Grauburgunder 82/18, Weingut Braunewell, Rheinhessen

2015 Chardonnay, Dorst & Consorten, Pfalz

2014 Godello, Mengoba, Bierzo

2004 Chateau Cadet Piola, Saint Emillion Grand Cru Classé

2006 Weißburgunder-Welschriesling Auslese, Martin Passler, Burgenland

2015 Goldberg, Rieslaner Auslese, Weingut Wageck, Pfalz 

Fragen an den Suffmeister (a.k.a. Sommelier) Dietmar Fritz

Anzahl der Positionen?
Ca. 280

Haben Sie einen besonderen Fokus bezüglich der Weinkarte?
Wir fokussieren uns ganz klar auf Deutsche Weine.

Welche ist Ihre preiswerteste/teuerste Flasche?
Preiswerteste Flasche: Der Grauburgunder vom Dreissigacker für 34€
Teuerste Flasche: 2013 "La Tache" von der Domaine Romanée Conti für 1950€

Die ungewöhnlichste Rarität?
1990 Riesling Cuvée von Frederic Emile Trimbach

Welches ist Ihr meistverkaufter Wein der letzten 12 Monate?
Gerne genommen wir der 2013er Riesling "Junge Reben" von August Kesseler im Rheingau

Ihre Entdeckung der letzten 12 Monate?
Der 2012er Carmenere von Contra Soarda aus Venetien hat es mir angetan.

Ihr Lieblingswein?
Getrunken habe ich ihn mit meiner damaligen Freundin und jetzigen Frau in den Weinbergen oberhalb von Neuweiler. An den Wein kann ich mich nicht mehr erinnern. Das war für mich die beste Flasche Wein.

Der ausgefallenste (vinophile) Gästewunsch, mit dem Sie konfrontiert wurden?
"Wir nehmen einen Gigondas aus Spanien."

Hinweis

Unser Besuch wurde vom Restaurant unterstützt. Details zum Umgang mit Pressekonditionen findet Ihr hier.

Eure Meinung?

Ist "Casual Fine Fining" mittlerweile in Deutschland angekommen?

 

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