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Restaurantkritik 31.Januar 2017

Lone Rider

Wenn Joannis Malathounis auf seiner Harley durch das Remstal cruised, funkeln die Sonnenstrahlen auf den hochglanzpolierten Chrometeilen seiner Maschine. Zwar ist er kein Outlaw, aber das Bild des Einzelkämpfers passt: Malathounis steht in seinem gleichnamigen Restaurant seit 23 Jahren allein am Herd. Ja, ganz allein. Und auch dort funkelt es, denn seit Ende 2014 ist das Restaurant – nicht nur zu unserer Freude – mit einem Michelinstern ausgezeichnet. Damit ist er in der deutschen Spitzengastronomie ein Exot, wo für die komplexen Kompositionen oft ganze Heerscharen helfender Hände benötigt werden. Ein weiteres Distinktionsmerkmal ist die spezielle griechische Note in den Gerichten des schwäbischen Griechen, der 1964 in Stuttgart geboren wurde, die Spätzle-Küche von der Pike auf lernte und erst später in die Sternegastronomie hineinschnupperte. Nicht vergessen zu erwähnen wollen wir Ehefrau Anna, den zweiten Teil des überschaubaren Teams, die sich rührend um Service und Weinberatung kümmert und im urig-eleganten Gastraum eine Wohnzimmer-Wohlfühl-Atmosphäre schafft.
Beinahe zwei Jahre nach unserem letzten Besuch war es mal wieder an der Zeit, bei Familie Malathounis einzukehren. Bei einem Glas griechischem Schaumwein studieren wir die kleine Karte und fragen uns, wie sehr sich die Küche nach dem Stern wohl verändert hat. Dabei reiben wir uns ob eines Gerichts auf der Karte verwundert die Augen, doch dazu später mehr ...

So, wie wir die Küche in bester Erinnerung hatten, beginnt das erste Amuse: Oktopus, Paprika, Avocado. Das Geschmacksbild bietet natürlich etwas Griechisches bzw. Mediterranes. Das Fleisch des wie ein Carpaccio aufgeschnittenen Weichtiers ist jederzeit deutlich zu schmecken. Die süß-säuerlichen Paprika, Avocadocrème und der Filo-Teig-Cracker sorgen mit etwas Säure und Öl angemacht für einen feinen und herzhaften Auftakt, der einfach Lust auf mehr macht.

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Bei der zweiten Kleinigkeit, mit Anis gebeiztem Lachs, Rhabarber und Muscheln, stammt die leicht ölige Zitrusnote von einem mit Zitrone gepressten Olivenöl. Das passt zum ausgezeichneten Fisch mit Biss, dem hier eher gemüsig gehaltenen Rhabarber und der jodigen Erweiterung durch die Muscheln. Willkommen am Strand – herrlich!

Das Menü beginnt mit Salzwassergarnele, Skordaliá, weißem Spargel, Cocobohnen, Büsumer Krabben, Cedri und Joghurt. Hier gesellt sich mit dem Milcherzeugnis zu dem Malathounis’schen Prinzip aus Zitrus und Öl ein weiterer wichtiger Protagonist. Das griechischste Element dieses Ganges ist das Vorspeisen-Püree aus zerdrückten Kartoffeln, Knoblauch und Ölivenöl, das hier mit etwas Milch verfeinert eine Würz-Grundierung ohne derben Sättigungseffekt bildet. Egal, welche Kombi wir erwischen – texturell und geschmacklich finden hier spannende Abläufe statt. Die etwas festen Garnelen hallen mit ihren Röstnoten und den Krabben am längsten nach, saftig-knackig ist der Spargel, und die Bohnen gehen von bissfest in mehlige Mürbe über. Dabei setzt die herbe Zitronat-Zitrone immer wieder belebende Akzente. Sehr natürlich und natürlich klasse.

Beim morgendlichen Einkauf hatte Malathounis Puntarelle entdeckt und aus Vulkanspargel, Jakobsmuschel mit Kalbsbries gleich einen neuen Gang improvisiert. Das knackig-bittere, an Chicorée erinnernde Bittergemüse sautierte er und begleitet es klassisch mit Orange. Und es ist die Kombination, das Zusammenwirken, gar nicht mal die einzelnen Produkte, die zum Gelingen beitragen. Die schmelzig-cremige Textur der Coquille geht gut mit dem knusprig-saftigen Bries zusammen; eine pfeffrige Sauce verbindet beide. Aus dem Dreieck stammt auch ein wenig Süße, die zu dem bitteren(!), fruchtigen, nussigen (Pinienkerne) und angenehm kräftigen Bild passt. Sehr gut.

Richtig süffig wird es dann bei Nudelfetzen mit Ziegenquark, Morcheln, Erbsen, Radieschen und Retsina. Um den geharzten griechischen Weißwein einzufangen, hat Malathounis, der sonst im herzhaften Bereich nicht mit Butter und Sahne hantiert, ein wenig Sahne genommen, und es hat nicht geschadet. Die Nudelfetzen haben so richtig Geschmack; sie stammen aus einer griechischen Manufaktur und werden mit ein wenig Reifung noch kräftiger. Das verträgt sich mit der Harzigkeit des Retsina-Suds, der fast ein wenig käsig schmeckt, aber auch genügend Säure mitbringt. Mit Frische und leichter Schärfe beugen einfache Radieschen-Scheiben jeder Eindimensionalität vor. Die Harzigkeit passt auch unheimlich gut zu den Erbsensprossen, die wir vorsichtig dosieren müssen, damit die grünen, adstringierenden Noten nicht zu dominant geraten.

Ja, und dann steht sie vor uns, die "Delphi-Platte", das zweifelhafte Highlight jedes Klischee-Griechen, der fleischgewordene Albtraum pseudo-hellenischer Küche. Aber, ach ja, hier ist das Ganze im Malathounis-Style  präsentiert und gibt die augenzwinkernde Antwort für all jene Gäste, die überrascht sind, dass es "beim Griechen" denn keine Souvlaki gibt (und keinen Ouzo aufs Haus!). Wir sind mit den zwei (!) Tellern vor uns sehr glücklich: Spanferkelbacke mit Artischocken, Feta und Kalamata-Oliven, gebackener Ochsenschwanz mit Kichererbsencrème sowie Pastourmas (luftgetrocknetes Rindfleisch) mit gefüllter Olive, Schalottenvinaigrette, Schnittlauch und Backerbsen. Das marinierte und geschmorte Schwein, insbesondere der Teil mit der recht pfeffrigen Kruste, schmeckt im Zusammenspiel mit kühler Kichererbesencrème wie eine griechisch-orientalische Fusion. Dazu gesellen sich sensationell köstliche Artischocken, etwas kühlend-verbindender Käse– vollendet. Auf dem Teller à part finden wir eine Art zerlegten Eintopf. Zumindest erinnert der süffige Geschmack daran, mit dem würzigen, rauchigen Schinken, der am ehesten einem stärker mit Gewürzen behandelten Bündnerfleisch gleicht. Zugleich hat das Angemachte des Gerichtes auch etwas von einer Kalbskopfsülze. Interessanterweise geht es bei diesem Hauptgericht eher lauwarm zu, was wiederum eine effektivere Wahrnehmung der Aromen zur Folge hat. Hoffentlich ordern wir demnächst nicht an falscher Stelle eine Delphi-Platte – hier ist sie sehr gut.

Kefalograviera, grüner Spargel, Sellerie, Röstbrot und Korinthen ist ein Käsegang um den nordgrieschischen Hartkäse aus Schaf- und Ziegenmilch. Mit Sellerieblättern, marinierten Spargelstücken und einem Spargelpüree geht es leicht und angenehm grünlich zu. Das schmeckt gut, wenngleich nicht wahnsinnig spannend. Interessanter wird es mit einem Schluck vom gereiften Kerner, der mit seinen Rosinen-Noten die Korinthen wieder aufgreift.

Beim Dessert, Geeistes von Dörrobst und Nüssen, sind es eigentlich nur Nuancen, die das positive Gesamtbild minimal trüben. Die vergoldete Puffschokolade ist ein wenig zu fest, was die Essbarkeit nicht erleichtert (das Gold können wir aufgrund der stimmigen Gesamtoptik verzeihen). Eigentlich überflüssig ist der Marshmallow. Mit Nussigkeit und Honigsüße erinnert der Gang an ein dekonstruiertes Baklava, aber dank ein wenig Salzigkeit, kühlen Elementen und diversen Texturen ohne dessen banale Pappsüße.

Der Schokoladenmousse mit Zwergorangen und den Petits Fours können wir nicht widerstehen. Zwar sind wir aufgrund der vernünftigen Portionen angenehm gesättigt, aber nicht bis zum Anschlag voll. Sehr angenehm.

Es war wieder einmal beeindruckend, was Joannis Malathounis in seiner kleinen Küche auf die Teller bringt. Wir rufen uns vor Augen: Er macht das alles allein, und nicht zuletzt dafür ist es aufwändig gearbeitet und auch angerichtet. Das ist aber gar nicht das eigentliche Kriterium – das ist der Geschmack, und der ist als wichtigste Instanz überzeugend. Wir finden hier eine eigene Linie, eine Handschrift vor, die für uns einzigartig ist. Und doch bleibt Malathounis umtriebig.

Wie bei unserem letzten Besuch gab es immer wieder pointiert eingesetzte griechische Zutaten. Wir haben allerdings den Eindruck, dass die Gerichte – und das nicht nur wegen der "Delphi-Platte" – diesmal noch stärker eine dezidiert "griechische Identität" besaßen. Das trat besonders bei der Vorspeise mit Skordaliá, den grandiosen Nudelfetzen, dem Hauptgericht und dem Dessert zu Tage. Alles sehr fein, frisch und fernab der Klischees, dank eines ausgezeichneten Aromenverständnisses und der angenehmen Mischung aus Zitrusnoten und leichter Öligkeit.

Wie zu Beginn erwähnt, schmeißt Ehefrau Anna souverän den Service und trägt mit ihrer unaufdringlichen Freundlichkeit zur familiären Wohlfühlatmosphäre bei. Die Weinkarte ist mit guten griechischen Weinen bestückt, wobei Highlights und Neuentdeckungen aus dem nicht zu unterschätzenden Remstal nicht fehlen. Die gastfreundliche Kalkulation lädt außerdem dazu ein, das eine oder andere Schätzchen zu ordern.

Fazit

Jetzt mit noch mehr Griechenland! Einzelkämpfer Joannis Malathounis bleibt seiner Linie treu und serviert das beste hellenische Essen, das wir kennen: individuell, schmackhaft, modern und noch einen Tick fokussierter.

Weine

Wein im Restaurant von Joannis Malathounis in Kernen im Remstal

Hinweis

Unser Besuch wurde vom Restaurant unterstützt. Details zum Umgang mit Pressekonditionen findet Ihr hier.

Eure Meinung?

Habt Ihr griechische Küche schon mal auf diesem Niveau erlebt?

 

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