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Restaurantkritik 22.März 2017

FRIEDRICH FRANZ(ÖSISCH)

Denken wir an das Mecklenburger Land, kommen uns vor allem die malerische Seenplatte, die zahlreichen Landbauer- und Fischereibetriebe sowie die Ostseeküste in den Sinn, an der sich zu Saisonzeiten unzählige Urlauber tummeln – die nicht immer malerisch anzusehen sind. Doch gerade kulinarisch hat sich in den letzten Jahren abseits von Matjesbrötchen und Räucherfisch einiges getan: Neun besternte Restaurants zählt das Bundesland in diesem Jahr. Höchste Zeit, uns auf den Weg in den östlichen Norden zu machen und einige Lokale genauer unter die Lupe zu nehmen. Dabei darf das  geschichtsträchtige Grand Hotel Heiligendamm mit dem Restaurant 'Friedrich Franz' natürlich nicht fehlen – es bietet an der Ostsee den wohl prachtvollsten Rahmen für ein mehrstündiges Dinner. 

Die Ostseeküste begrüßt uns – anders als auf diesen schicken Pressebildern – mit ruppigen Böen, als wir uns den Weg in die "weiße Stadt am Meer" bahnen, die vor allen Dingen bei besserverdienenden Freunden der gehobenen Wellness große Beliebtheit genießt. Das war allerdings nicht immer so: Trotz internationaler Prominenz durch (gesittete) Strandfotos mit Angela Merkel und George W. Bush im Jahre 2007 musste der pompöse, aus mehreren denkmalgeschützten Bauten bestehende Hotelkomplex im Jahre 2012 Insolvenz anmelden. Wechselnde Investoren und die in den Medien breitgetretene Pleite-Geschichte prägten die ungewissen Folgejahre, nach denen nun endlich Ruhe eingekehrt zu sein scheint. Dabei hat die Erholungsstätte kulturhistorische Relevanz: Bereits 1793 eröffnete Herzog Friedrich Franz I., Namensgeber unseres heutigen Restaurants, nach Anraten seines Arztes das erste deutsche Seebad in Heiligendamm, dessen fürstliches Regenerationspotenzial später illustre Persönlichkeiten wie Königin Luise von Preußen, Wilhelm von Humboldt, Felix Mendelssohn Bartholdy und Rainer Maria Rilke für sich zu nutzen wussten.

Um das kulinarische Wohl der Gäste wird sich im 2003 eröffneten 'Friedrich Franz' im historischen Kurhaus der Anlage gekümmert. Hier leitet seit 2008 der 38-jährige Ronny Siewert die Küche, der mit Stationen bei den damaligen Dreisternern Heinz Winkler in Aschau, Dieter Müller in Bergisch-Gladbach und (als Souschef) im 'Waldhotel Sonnora' in Dreis schon so einigen Michelin-Koryphäen unter die Arme greifen durfte und im Anschluss seinen ersten Stern als Küchenchef des 'Chezann' in Warnemünde erkochte. Es schien also ein Leichtes, den seit 2004 schimmernden Stern Heiligendamms zu verteidigen – besonders dann, wenn man seit 10 Jahren die Rangliste der besten Köche Mecklenburgs anführt und eine derart hohe Reputation bei den Kochkollegen genießt wie der sympathische Nienburger. 

Das Ambiente des Restaurants gleicht einem Stock-Foto eines Vorzeige-Gourmetrestaurants: Kronleuchter, gestärkte Tischdecken, Silberbesteck sowie das omnipräsente Pastell-Blau verleihen dem hohen, lichtdurchfluteten Raum etwas aus vergangenen Zeiten, ohne jedoch zu kitschig oder altbacken zu wirken. Die Musik aus den 20er-Jahren, die irgendwo aus der Ferne leise vor sich hindudelt, tut ihr Übriges. Draußen peitscht derweil die Ostsee unaufhörlich vor sich hin und zerzaust permanent Regenschirme und opulente Frisuren der vorbeieilenden Hotelgäste. Bei uns gäbe es wesentlich weniger Haupthaar zu zerstören, dennoch sitzen wir im Trockenen und sind gespannt, ob das Essen genauso vorzeigbar ist, wie das Interieur.

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Als Apéros bekommen wir eine mit Gartenkräutercrème gefüllte Kartoffelpraline unter Gewürzgurkengelee und Bismarckhering. Vollmundig, herzhaft, cremig. Daneben ein intensives Törtchen vom Blauschimmelkäse mit Cassis-Ingwer-Gelee und Pinienkernen sowie eine etwas zu süße Avocadocrème im Estragon-Gelee, Tomaten-Gel und Brotcroutons. Bereits bei diesen ersten Häppchen wird das äußerst akkurate Handwerk der Küche deutlich. Guter Einstieg.

Der Aufwand bei Zubereitung und handwerklichem (Anrichte-)Geschick verdoppelt sich bei der eindrucksvollen Zahl an Kürbis-Grüßen aus der Küche: Mit dem in Nussbutter konfierten Wachtel-Ei mit Kartoffel-Apfel-Espuma und Trüffelschaum kann man bei uns eigentlich nichts falsch machen, schmeckt hervorragend. Das wunderbar heiße Kürbisschaumsüppchen mit Grissini ist ebenfalls sehr fein, die kühl-süße Kürbis-Panna-cotta mit gerösteter Blumenkohlcrème, kandierten Kürbiskernen und Safran-Mais bietet den Temperatur-Gegensatz, der hervorragend passt. Der süßsauer eingelegte Kürbis mit Maiscrème und eingelegten Buchenpilzen hat eine dezente, stimmige Säure, und das süße Gewürzkürbis-Macaron mit Nussbutter-Eis beweist schlussendlich: Die Küchengrüße müssen nicht immer herzhaft sein, auch ein Einstieg auf süßer Basis funktioniert blendend.

Ein Klassiker, den Ronny Siewert bereits seit 2008 serviert, ist die "Kaviar-Trilogie", ein Paradebeispiel feudalen Wohlstandsgenusses. Der Kaviar kommt aus der Zucht Attilus in Sachsen-Anhalt. Unter den schwarzen Kügelchen in der Schale findet sich Rindertatar und eine leichte Schalotten-Crème, daneben ein äußerst intensiver Ostseeaal mit Meerrettichschaum und Kaviar-Rührei, oben ein Kartoffel-Nussbutter-Püree (ja, der Bedarf an Nussbutter ist im Hause enorm) mit winzigen, knusprigen Kartoffelstückchen und Schmand. Die Dosierung des Luxusproduktes ist derart präzise, dass wir uns zu keinem Zeitpunkt jodig erschlagen fühlen. Viel eher unterstützt der Stör-Rogen durch seine Salzung jedes Töpfchen perfekt. Bravo!

Auch im nächsten Gang demonstriert die Küche wieder ihr Geschick für akkurate Arbeit am Teller: Die Gänseleber "Selektion" bietet Erdnusskrokant, Rosmarin-Karamell, Apfel, eine Crème von getrockneten Aprikosen sowie eine äußerst fluffige Brioche. Jedes Element für sich schmeckt hervorragend, und trotz der Kleinteiligkeit gibt das Gericht in Summe ein absolut rundes Bild ab: stetige, hintergründige Süße, das Spiel mit Crème und Knusper und der immer klar differenzierbare Geschmack der Leber. Ab und an bringen die kleinen Gelee-Punkte säuerliche, erfrischende Akzente dazu – das macht die Sache noch spannender. Wir sind begeistert, wenngleich nun feststeht, dass die Küche eindeutig auf der "süßen Seite" anzusiedeln ist. 

Mit der Fjordforelle, orientalischer Auberginen-Crème, Safran-Sud, Dattel-Tomaten und Estragon erreicht uns nun das erste "richtige" Tellergericht. Obenauf liegen Brot-Chips mit Kresse. Die sanfte Garung unterstützt den unverfälschten Geschmack des lachsartigen Fisches, der so mit den aromatisch kräftigen Nebendarstellern aus dem Morgenland sehr gut kooperieren kann. Lediglich die Säurekicks vom Dill-Gel müssen wir mit Vorsicht portionieren. Alles in allem aber ein gelungenes Gericht.

Es folgt der Carabinero mit geschäumter Salzzitronen-Velouté, Zartweizen, Oliven und Pesto. Der Garpunkt und die Qualität der Riesengarnele sind über jeden Zweifel erhaben, das Krebstier bräuchte daher eigentlich nur dezente, den Meeresgeschmack unterstützende, Beigaben. Doch das ist dem Küchenteam zu einfach: mal süß, mal sauer quält die Velouté unsere Papillen und erschlägt den feinen Geschmack des Carabineros. Auch das grüne Pesto passt überhaupt nicht ins Gesamtbild und macht uns noch ratloser. Hier wäre der Mut zum Produkt-Minimalismus mehr gewesen, stattdessen gerät das Gericht zu einem stilistisch und aromatisch äußerst wilden Potpourri.

Japan, Osteuropa und Mecklenburg vereinen sich im nächsten Fischgang: Der "Maigre" (französisch für Adlerfisch) wird begleitet von Edamame, gebundenem Soljanka–Sud, Ingwer und Gurke. Dem in der Spitzengastronomie mittlerweile äußerst beliebten Fisch wurde ordentlich Initialhitze gegeben; er strotzt nur so vor Röstaromen, die dem sonst eher dezenten Eigengeschmack des Fleisches guttun. Auch alle anderen Elemente sind für sich gut gearbeitet, besonders angetan sind wir vom leichtfüßigen Soljanka-Sud. Nur wissen wir nicht, wie wir den etwas zerstreuten Teller richtig löffeln sollen. Alles liegt weit auseinander, das macht es schwer, die Komponenten auf eine Gabel zu bekommen. Geschmacklich gefällt uns diese Fern- und Nordost-Kollaboration ziemlich gut, nur über das Anrichten hätte sich die Küche nochmals Gedanken machen sollen.

Wir kommen zu den Hauptgängen: Der Beelitzer Kaninchen-Rücken in Zimt, Thymian und Wacholder gebraten, mit Artischocken, Jamón Ibérico und Dörrpflaumen-Jus geizt nicht mit seiner Portionsgröße. Nicht erst beim Anblick dieses kreisrunden Fleisch-Buketts wird jedem klar: Ronny Siewert ist ein Fan von klassisch-französischer Teller-Dekoration. In diesem Rahmen ist das natürlich äußerst stimmig – ebenso stimmig wie der Geschmack. Das Kaninchen birgt viel Saft und feine Wild-Aromen, die hervorragend zu dem süßlich abgebundenen Jus passen. Köstlich.

Ebenfalls ein Klassiker des Hauses: die gebratene Gänseleber "Berliner Art" mit Röstzwiebel, Rauchschinken-Schaum und Schalotten-Essig-Jus. Nach dem feingliedrigen Leber-Start im zweiten Gang geht es hier im Geschmacksakkord ähnlich zu: Die scharf angebratene, schmelzige Leber wird mit Süße eines Apfel-Chutneys kombiniert, der Rauch-Schaum ergänzt etwas Herzhaftigkeit. Damit es nicht zu eintönig wird, funkt der säuerliche Zwiebel-Essig-Jus regelmäßig dazwischen. Sehr gelungen, aber erneut recht süß.

Ebenfalls "old school" der Mecklenburger Rehrücken mit Sandwich aus der Keule, Pastinake, Liebstöckel und Cassis–Birne. Makellose Garpunkte, tolle Crunch-Elemente, eine sorgsam abgeschmeckte und reduzierte Jus; hier gäbe es wieder einmal nichts zu meckern, wäre da nicht die leider völlig ungenießbare Liebstöckel-Crème, die alles und jeden, der mit ihr in Berührung kommt, rücksichtslos erschlägt. Lassen wir diese links liegen, schmecken die verbliebenen Komponenten sehr gut. Wie beim Carabinero wäre auch hier weniger mehr.  

Das Australische Prime-Beef mit Café-de-Paris-Kruste, Topinambur, kleiner Bete und Kalbsbries-Galette wurde zu einem einwandfreien Quadrat zugeschnitten. Präzision und Anrichten hin oder her: Wir sind keine großen Fans dieser Maßarbeit am Tier und machen uns in diesem Zuge regelmäßig Gedanken, was mit den übriggebliebenen Abschnitten passiert – vermutlich freut sich die Küchenbrigade über ein gutes Personalessen. Konzentrieren wir uns aber auf den Geschmack, fällt uns wieder auf, dass Ronny Siewert und sein Team nicht nur die Arbeit mit Fleischstücken (das hier durch die Niedrigtemperatur-Garung einen schmelzigen Charakter hat), sondern auch den Umgang mit Jus verstehen. Die sorgsam austarierte, eher dezente Herzhaftigkeit der Sauce harmoniert prima mit dem zarten Fleisch.

Als Pré-Dessert erfrischt uns ein Gurken-Sorbet mit Tonic und Himbeeren, das gelungen mit Salz und Zucker spielt.

Das erste (kunterbunte) Dessert ist die "Edelweiß"-Schokolade von „Original Beans“ mit Kombucha von "Carpe Diem" sowie grünem Apfel und Sanddorn. Letzterer hat die Angewohnheit, bei unvorsichtiger Portionierung gerade kühlen Dessert-Gerichten eine dominierende Säure und Bitterkeit zu geben, die alle anderen Komponenten überlagert. Nicht aber hier: Die Mischung aus Süße, Säure und Bitterstoffen ist harmonisch, erfrischend – und lecker.

Als letzten Gang des Tages bekommen wir ein Dessert von der Mandel mit Dulce de leche, Orange und Safran. Das kleine Nussküchlein haut uns um: Seine wolkig-weiche Konsistenz (bei der der unterliegende Crumble als texturelles Gegenstück prima funktioniert), die intensiven Kakao-Aromen und die hintergründig beigesteuerte Süße machen uns zu großen Fans des edlen Gebäcks. Wird einem die Schokolade zu eintönig, erfrischt man sich am Orangen-Safran-Sorbet. Hervorragend!

Die Petits Fours beenden das Menü mit fruchtigem Eistee, einem Schokoladentörtchen mit Canache und Mango sowie einem Raffaello-Eis, das allerdings durch seine immense Größe und am Gefrierpunkt kratzende Kälte nicht so recht gefallen will. Auch geschmacklich finden wir, bis auf den Kokosmantel, keine Parallelen zu der weißen Kugel aus der Fabrik. Viel besser gefällt uns das kleine, leicht fruchtige Schokotörtchen.

Beim Absacker in der Hotelbar wollen wir den Abend Revue passieren lassen. Das gelingt allerdings nur kurz, da uns der gelangweilte Service nonverbal zum schnellen Verlassen auffordert. Welch ein krasser Kontrast zum herzlichen Personal im Gourmetrestaurant! So kämpfen wir uns durch den Sturm zurück ins elegante Zimmer, plündern die Minibar und resümieren ohne weitere Zwischenfälle den Abend bei Ronny Siewert.

Die Küche des 'Friedrich Franz' ist eine Verneigung vor der französischen Nouvelle Cuisine. Der Einsatz klassischer Edelprodukte wie Kaviar und Gänseleber gehört hier genauso dazu wie der pompöse Kronleuchter an der Decke. Spielereien mit Texturen oder modernen Produktkombinationen sucht man hier vergebens, findet dafür aber eine beeindruckende handwerkliche Präzision. Besondere Highlights sind die Gerichte, die wie ein Stempel für die "Old-Schooligkeit" des Restaurants wirken: die Kaviar-Trilogie, die Gänseleber-Selektion, der Kaninchenrücken und das kleine Küchlein zum Schluss. Und da in unserer Community häufiger der Ruf nach dem zweiten Stern für das Friedrich Franz zu vernehmen ist: Ja, solche Gerichte sind dieser Ehren absolut wert. Kritisch wird es in unseren Augen, wenn die Brigade die klassischen Fahrwasser verlässt oder kleine Spielereien einbaut. Hier sei das grenzwertige Carabinero-Gericht oder die Liebstöckel-Crème zum Rehrücken genannt. Auch war das Menü in Summe zu süß. Wenn wir an dieser Stelle einen Wunsch äußern dürfen, dann wäre es ganz klar "KAK" – Konzentration auf Kernkompetenzen. Und wie diese gelagert sind, wurde uns allzu deutlich. Dann klappt es demnächst auch mit dem Nachbarn, sorry, dem Michelin. 

Sehr sympathisch ist Maître Norman Rex (6.v.l.), der das Team um Ronny Siewert (4.v.l.) an der Gastfront vertritt, uns mit Wissen sowie einer wirklich passenden Weinbegleitung und dem einen oder anderen Spaß durch den Abend begleitete (optische Ähnlichkeiten zum Komiker Michael Kessler sind nicht gänzlich zu verneinen).

Fazit

Das Friedrich Franz im Grand Hotel Heiligendamm lebt die klassisch-französische Küche bis in die letzte Pore, ist dabei geschmacklich fast immer auf dem Punkt und beeindruckt durch präzises Handwerk.

Weine

Weine im Restaurant von Ronny Siewert in Heiligendamm

Hinweis

Unser Besuch wurde vom Restaurant unterstützt. Details zum Umgang mit Pressekonditionen findet Ihr hier.

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