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Restaurantkritik 17.Dezember 2016

Immerfort Erfort!

Wahrscheinlich gibt es sie, die schönen Ecken. Wie in jeder Stadt. Da, wo zumindest die Einheimischen sie vermuten. Und wenn nicht, uns fallen konkret zwei Gründe für eine Reise nach Saarbrücken ein, wobei einer eher aus glorreicher Vorzeit datiert. Entweder Dein Verein spielt gegen den 1. FC Saarbrücken in der Betonschüssel namens Ludwigspark, oder, besser, der Hunger treibt dich ins Saarland. Zum Essen waren wir schon lange nicht mehr dort. Stammt unser letzter Bericht über das Restaurant von Klaus Erfort in Saarbrücken wirklich aus dem letzten Jahrzehnt? Allein diese Zeitspanne liefert genug Rechtfertigung für einen erneuten Besuch. Uns treibt noch ein anderes, zwingendes Argument ins Saarland: Wir haben Lust auf klassische Küche mit dem gewissen modernen Twist. Exzellente Produkte, bestes Handwerk und ein Geschmack, der seinesgleichen sucht – dafür ist uns das Gästehaus als der ideale Ort zum "Betanken" in Erinnerung.

Dass die herrschaftliche Gründerzeit-Villa kurioserweise neben einer – wenig überraschend – hässlichen Tankstelle an einer nicht weiter bemerkenswerten Ausfallstraße liegt, wurde schon bespöttelt. Unter anderem gab es das Gerücht, dass die aktuellen Menüpreise statt der des Benzins in der Anzeigetafel der Tanke dargestellt werden. Bei uns gerät das kurz nach dem Betreten des Lokals sofort in Vergessenheit. In dieser Parallelwelt fällt das Sonnenlicht durch die raumhohen Fenster aufs Parkett, und wenn man einen Fenstertisch ergattert, lädt der idyllische Garten die Augen zum Verweilen ein. Im Gästehaus – man kann hier nicht nächtigen, der Name rührt aus der Zeit des Gebäudes als Gästehaus der Saarbergwerke AG her – herrschen eine zeitlose Eleganz und räumliche Großzügigkeit, die uns umgehend den Fußmarsch vom Hauptbahnhof vergessen machen, durch eine Stadt, deren Ausgestorbenheit uns eine einzelne Dame mit Hund fragen ließ, ob denn im Saarland Feiertag sei.

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In diesem Setting kocht der gebürtige Saarbrücker Klaus Erfort, der nach prägenden Stationen im Bareiss und in der Schwarzwaldstube sowie eigenen Küchenchef-Positionen im Jahre 2002 den Schritt in die Selbständigkeit wagte und sich seit 2008 über die Höchstwertung im Michelin freuen kann – als einer der wenigen deutschen Dreisterner ohne quersubventionierendes Hotel. Mit dem großen zeitlichen Abstand zum letzten Besuch sind wir gespannt wie Flitzebögen, ob und wie sich solch ein klassisch geprägter Koch den allgemeinen stilistischen Veränderungen anpasst.

Aber nun widmen wir uns dem eigentlichen Grund unseres Besuchs und starten mit den "Les Délices" genannten Kleinigkeiten. Wobei diese Verniedlichung angesichts des Apéro-Feuerwerks eher unzureichend ist. Wir verschlingen einen üppigen Flammkuchen mit Blutwurst und Périgordtrüffel, der uns mit dem perfekten Mittelweg aus deftig und fein gefällt. Ebenso wandert die krosse Geflügelhaut mit pochiertem Wachtelei und Périgordtrüffel als hauchdünne Edelknusperei in unsere Münder. Die Schwertmuscheln mit Apfel, Gel von Zitrone und Fenchel punkten mit fruchtig-frischen Noten und werden von der lang am Gaumen jodig verhallenden Gillardeau-Auster mit Gurkenvinaigrette und Dashiessig aromatisch sogar noch getoppt. Dagegen hat es das eher fragile Filoteigröllchen gefüllt mit Schalotten-Crème und Imperial Caviar etwas schwerer, und der Gänsestopfleberwürfel mit Kirschgel schmeckt eher konventionell süß und ist bei aller Solidität kein großer Aufreger. Insgesamt ist das alles auf den Punkt und stimmt wohlproportioniert beim Champagner-Genuss und der Weinkarten-Lektüre auf das Menü ein.

Dafür passiert beim Küchengruß, Bretonischer Hummer mit Szechuan-Yuzu-Gel, genau das, was unsere bisweilen fehlende Faszination für dieses Krustentier begründet: Das milde Fleisch ist nahezu unschmeckbar – wir nehmen lediglich die feine Textur der ausreichend vorhandenen Scheiben wahr und machen die süß-säuerliche Marinade als den Hummer-Geschmackskiller aus. Yuzu killed the lobster star. Schade.

Wie ein Versöhnungsangebot folgt Mille-feuille von roh marinierter Gänseleber, Jakobsmuschel und Sellerie mit Pinienkern-Vinaigrette. Durch eine Scheibe gerösteten Knollensellerie arbeiten wir uns von oben nach unten durch diese leicht kühle Schichtung. Im Mund passieren dann gleich mehrere geniale Dinge. Wir haben es mit verschiedenen Konsistenzen zu tun: von knackig (Nüsse, Kräuter), über cremig (Leber) zu fleischig (Muschel). Der Geschmack reicht von erdig (Sellerie), nussig und leberig hin zu kräutrig und wird dabei von merklicher Säure erfrischend belüftet und unterstützt. Jede Zutat ist wahrnehmbar, trotzdem greift alles grandios ineinander. Ob dies nun ein herber Lebergang oder eine originelle Jakobsmuschel-Zubereitung sein will, spielt beim brillanten Gesamtpaket keine Rolle – auf jeden Fall eine von oben bis unten stimmige Zusammenstellung, die dauerhaft in Erinnerung bleibt. Eine wahrhafte Götterspeise!

Nach der fein dosierten Üppigkeit zuvor geht es bei Langoustine "Royale" auf Meersalz gegart mit weißem Trüffel aus Alba zumindest, was die Zutaten und die Komplexität angeht, deutlich puristischer zu. Wobei sich das „pur“ auf die Übersichtlichkeit dieser maximal zugespitzten Produktküche bezieht. Bei diesem nahezu dekadenten Gang erreichen uns die Prachtexemplare von Kaisergranat in einem mit grobem Meersalz gefüllten Topf. Der Weg aus der Küche zum Gast genügt, um die Schalentiere auf dem 200 Grad heißen, mit Ingwer und Zitronengras aromatisierten Salz saftig-glasig zu garen.

Am Tisch richtet der Service sie dann auf einer Stange gerilltem, jungem Lauch an, reibt üppig den kostbaren Edelpilz darüber und beträufelt das Ganze mit einer hellen Schaumsauce. Für so ein Gericht müssen wie hier die Zutaten ohne jeden Zweifel sein, nur dann schmeckt es köstlich und stimmig.  Das süßliche Fleisch und die Röstnöten des ebenfalls süßlichen Lauchs gehen wunderbar mit den beinahe obszön betörenden, erdigen Trüffelnoten zusammen. Kulinarisches Maximal-Prinzip sozusagen, wie der BWL-Studienabbrecher am Tisch verlautbart – grandios!

Nach zwei in ihrer Art zwar unterschiedlichen, aber für sich genommen spektakulären Gängen, hat es das Seezungenfilet mit Champignon in Texturen schwer. Mit drei dicken, übereinandergelegten Stücken Seezungenfilet, den Pilzen als Brunoise, Mayonnaise und rohen Scheiben schmeckt das durchaus köstlich. Die nussigen Noten aus Fisch und Pilz ergänzen sich wunderbar. Es schmeckt ein wenig dunkel und geradezu "mollig". Uns fehlt aber das Überraschungsmoment, der kleine, aber spürbare Ausbruch, den die etwas dünne, ausdrucksarme Sauce mit Schnittlauch leider auch nicht liefert.

Dafür hat der erste Fleischgang, Taubenbrust von Miéral mit Apfelcannelloni und Cidre-Essig, entschieden mehr Pep. Es geht hier aufgrund einer mit Purple-Curry angereicherten, samtenen Sauce pikant und durch den Essig erfrischend säurig zu. Auf dem Fleisch liegen noch ein paar Pfifferlinge, und mehr braucht es dann auch nicht. Ganz im Mittelpunkt steht letztlich das einseitig gebratene Stück Taube, von dem reichlich auf dem Teller ist. Für einen Moment lässt sich einer von uns am Tisch zum Urteil "Das beste Jägerschnitzel meines Lebens!" hinreißen. Aber weniger wegen dieses frivolen Vergleichs, sondern wegen der schieren Wonne dieses Gerichts sind unsere Mundwinkel zu einem glücklichen Lächeln gezogen. Schön!

Im Hauptgang japanisches Fleisch: Ozaki-Beef mit schwarzem Trüffel aus dem Périgord. Ozaki ist der Name des Züchter Muneharu Ozaki aus der Präfektur Myazaki, der sein Wagyu als einziger unter seinem eigenen Namen vermarkten darf. Sein Fleisch gilt als eines der weltbesten und ist, wenig überraschend, aberwitzig teuer. Deshalb überrascht die schiere Menge auf unseren Tellern. Eigentlich braucht man von Fleisch dieser Qualität und dieses Geschmacks nicht viel – und dann wieder doch, nämlich viel Fingerspitzengefühl bei der Garung und Begleitung.
Erfort serviert das Fleisch vom Holzkohlegrill in einer Schüssel als dünne Scheiben in Art eines Carpaccios mit ein wenig Brühe und Trüffel als Würze. Diese Naturbelassenheit, die letztlich eine Verneigung vor einem perfekten Produkt ist, entspricht in etwa der japanischen Präsentationsweise, die hier mit dem Trüffel „einfranzösischt“ wird.

À part kommen mit ein wenig Auberginenkompott, Julienne von breiten Bohnen und fermentiertem Knoblauch ein paar Begleiter hinzu, die Sauce ist eher ein Konzentrat. Über das Fleisch ist schwarzer Trüffel microplaned; im Gegensatz zum weißen braucht er Wärme und Fett, um seinen Geschmack voll zu offenbaren – und Fett ist mehr als ausreichend vorhanden, denn das Stück Fleisch ist von beachtlicher, beinahe unsinniger Größe.
Es ist der schiere Wahnsinn, dieser intensive, unvergleichliche Fleischgeschmack, der uns wider jegliche Vernunft und das einsetzende Sättigungsgefühl die Kostbarkeit bis zum letzten Fitzelchen verzehren lässt. Fleisch at its best: Irre gut!

Zum Glück geht es mit „Großmutter Schmitts“ Apfel in Texturen mit Joghurt und Koriander frisch, fruchtig und kühlend weiter. Der Gang ist leicht und das Apfelaroma fein herausgearbeitet. Auch das zeichnet eine große Küche aus, die Dramaturgie zu beherrschen und den Gast nach den reichhaltigen Gängen nicht mit einem zu komplexen, zu süßen und vor allem zu mächtigen Dessert zu erschlagen. Im Detail ist ein Koriandersponge das Maximale an modernem Zugeständnis beim süßen Auftakt. Ausgezeichnet.

Mit souveränem Pâtisserie-Handwerk punktet dann auch die stimmige Aromenpaarung bei Brasilianisches Gold: Délice von Plantagen-Schokolade mit Kaffee und Passionsfrucht. Die Proportionen im Gesamten und zueinander stimmen, so dass es auch hier nicht zu mächtig zugeht. Zudem ist die Schokolade angenehm herb und bringt ausreichend Säure mit. Teilweise drängelt sich die Passionsfrucht etwas dominant und plakativ in den Vordergrund. Trotzdem schön.

Jetzt sind wir wirklich pappsatt. Aber egal, "Nos Petites Sucreries" müssen sein, zu beeindruckend ist die Auswahl: Himbeerschiffchen, Pistazienmacarons, zweierlei Fruchtgelee, Gewürzmango, Windbeutel gefüllt mit Jivaracrème, Marshmallows vom Granny-Smith-Apfel, Cannelés Bordelais, ein Schokoladensesambrownie mit Manjarischokoladenschaum , Himbeerjoghurttrüffel und Madelaines mit Zitrone.

Das war ein äußerst elegantes Menü, das sich stilistisch gar nicht so leicht einordnen lässt, wie wir zunächst dachten. Wenn wir dem Kind unbedingt einen Namen geben müssen, findet das alles im Rahmen einer klassischen französischen (Produkt-) Küche statt, die aber sowohl zeitgemäß von Butter und Sahne befreit ist als auch hier und da moderne Akzente setzt. Die Portionen sind groß, in sich aber meist wohlproportioniert, und, das Wichtigste, vom Hauptdarsteller ist jeweils ausreichend vorhanden – bisweilen meint die Küche es vielleicht sogar ein klein wenig zu gut (siehe Wagyu). So oder so, die weitestgehend erstklassigen Produkte standen bei diesem Menü klar im Vordergrund. Durch die Saucen und die begleitenden Zutaten wird der Eigengeschmack herausgestellt, aber nicht kaschiert (vom Hummer mal abgesehen, wobei es auch das Produkt an sich gewesen sein mag). Solch ein Purismus erfordert gleichermaßen Mut und Zurückhaltung: Bei der Garung nur so viel zu tun, wie nötig ist, sich beim Würzen zu zügeln und grundsätzlich nicht nur auf die Optik zu setzen.

Im Vergleich zu unserem Besuch von 2009 merken wir, dass die Teller noch fokussierter und maximal auf das gerade Notwendige reduziert sind. Das ist keine Küche, die auf Trends schielt und um kurzfristige Aufmerksamkeit buhlt. Vielleicht passt genau das zu Klaus Erfort, es gibt kein hochglänzendes Kochbuch, und bei unserem Besuch sucht der Patron nicht die Bühne einer Runde durch den Gastraum.

Den Gastraum hat vielmehr der langjährige Maître und Sommelier Jérôme Pourchère mit seinem Serviceteam im Griff: dezent und stets zur rechten Zeit am rechten Ort. Die umfangreiche Weinkarte mit Fokus auf Deutschland und Frankreich ist für ein Restaurant dieses Kalibers durchaus vertretbar bepreist, weshalb wir uns diesmal einfach zwei schöne Flaschen zum Menü aussuchen – hier die passenden Bouteillen zu finden, die über ein Menü hinweg tragen, ist ohnehin eine Kunst für sich. Und so spannend eine glasweise Begleitung oft ausfällt, können wir die Entwicklung der Weine über ein Menü mitverfolgen und räumen gleichzeitig den Speisen mehr Raum ein. Sollten wir wieder öfter tun.

Fazit

Klassisch, modern und zeitlos – was wie ein Widerspruch klingt, passt im Gästehaus Erfort köstlich zusammen. Das Produkt ist der Star, und Erfort bereitet dem Geschmack eine große Bühne.

Weine

Weine im Restaurant von Klaus Erfort in Saarbrücken

Champagne Bérêche & Fils Brut Réserve

2008 "Kirchspiel" Riesling, Weingut Keller, Rheinhessen

2011 Puligny Montrachet, Benjamin Leroux, Beaune

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